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17.09.2008

"Über die Erfolge unserer Politik herrscht in der Partei weitgehende Einigkeit" - Interview mit der Zeitschrift SuperIllu

Was wir in den letzten Tagen bei der SPD erlebt haben war das ein Befreiungsschlag oder ein mieses Intrigenspiel?

Die SPD ist gut aufgestellt mit Franz Müntefering als Parteivorsitzenden und Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat. Jetzt ist die Chance da, dass wir bis zur Bundestagswahl mit der Union gleichziehen können, und am Wahltag vielleicht vor ihr liegen.


Beck hat aus seinem Frust keinen Hehl gemacht...

Das kann man verstehen.

Ist das ein Sieg der Schröderianer, der Agenda-Politiker? Immerhin gilt Steinmeier ja als Architekt der Agenda 2010...

Es geht nicht um die einen gegen die anderen. Ich war SPD-Generalsekretär von Gerhard Schröder... Gerade mit diesem Hintergrund sage ich das. Wir haben mit unseren Reformen die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum geschaffen. Die Arbeitslosigkeit kann in diesem Herbst unter die Drei-Millionen-Marke sinken. Das ist auch ein Erfolg dieser Politik. Wir werden nicht zulassen, dass andere sich dafür rühmen, die es gar nicht waren, während wir höflich schweigen.


Da müssen Sie erst mal in der eigenen Partei mit der Überzeugungsarbeit anfangen...

Über die Erfolge unserer Politik herrscht in der Partei weitgehende Einigkeit, und zwar über die ganze Breite des Spektrums hinweg. Wir mussten Deutschland wieder auf Kurs bringen, quasi sanieren. Allerdings: Kein Unternehmen, das eine schwierige Lage aus eigener Kraft überwunden hat, würde sich ständig im Rückblick damit beschäftigen. Man würde sich vielmehr darüber freuen, dass man’s geschafft hat und in die Zukunft schauen. So sollten wir es auch in der SPD halten: Wir haben jetzt neue Aufgaben. Um die geht es bei der nächsten Wahl.


Hoffnungsträger Franz Müntefering ist immerhin 68 Jahre alt. Für manche in der Partei gilt er als Übergangs-Kandidat...


Ich bin überzeugt: Franz Müntefering wird mit einem überzeugenden Ergebnis auf dem Sonderparteitag zum SPD-Vorsitzenden gewählt, und das ist ein Mandat für eine lange Strecke.
   


Steinmeier und Müntefering haben das Motto unterhaken und angreifen ausgegeben. Was wird Ihr Beitrag als Bundesarbeitsminister zum Wahlerfolg 2009 sein?

Mit eigenen Anstrengungen seine Lebensverhältnisse verbessern zu können, das zählt für mich zu den wichtigsten Versprechen, die unsere Gesellschaft jeder Bürgerin und jedem Bürger geben muss. Konkret: Jeder in unserem Land, der den ganzen Tag arbeiten geht, muss sicher sein, dass er nicht auf Unterstützung durch den Staat angewiesen ist. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es mehr Mindestlöhne in Deutschland gibt. Ein anderes Projekt: Wer schlechte Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt hat, weil er keinen Schulabschluss hat, muss diesen nachholen können. Deshalb werden wir jetzt beschließen, dass jeder der 500.000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss das Recht hat, diesen nachzuholen und zwar mit Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit, sofern es nicht gelingt, ihn in Arbeit zu vermitteln. Und wir müssen etwas dafür tun, dass angesichts des zunehmenden Angebots von offenen Lehrstellen auch Altbewerber eine Chance bekommen, denn eine ordentliche Berufsausbildung ist das A und O. Deshalb mein Appell an die Unternehmen: Gebt auch denjenigen eine Chance, die ihr in der ersten Einstellungsrunde aussortiert habt. Da sind viele darunter, die etwas können. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass möglichst viele Arbeitnehmer eine höhere Qualifikation erwerben. Deshalb fordere ich, dass erfahrene Arbeitnehmer die Möglichkeit bekommen sollen, sich direkt an der Universität einzuschreiben, auch ohne Abitur.


An welche Voraussetzungen denken Sie da?


Wer den Meistertitel hat, sollte auf jeden Fall direkt studieren können. Ich denke aber auch, dass eine abgeschlossene Berufsausbildung und einige Jahre Berufserfahrung den Weg an die Universitäten öffnen sollten. Und es geht mir nicht nur um ein formales Recht: Die Hochschulen sollten sich solchen aufstiegsorientierten Arbeitnehmern bewusst und aktiv öffnen, beispielsweise Vorbereitungskurse anbieten, die den Start ins Studium erleichtern.


Sie haben die Mindestlöhne erwähnt. Die gelten derzeit erst für rund 1,7 Millionen Arbeitnehmer, und der Koalitionspartner macht Ihnen die Ausweitung auf weitere Branchen schwer. So spricht sich die Kanzlerin gegen Mindestlöhne für die Zeitarbeitsbranche aus...


Der Mindestlohn ist eine sozialdemokratische Erfolgsgeschichte, schon jetzt! Wir haben bereits in der Regierung Schröder damit begonnen, das Entsendegesetz zu nutzen, um in der Bauwirtschaft Mindestlöhne festzusetzen. Seit dem Sommer vorigen Jahres sind die Gebäudereiniger dabei, seit dem Jahreswechsel auch die Briefdienstleistungen. Und es werden jetzt noch weitere Branchen dazukommen. Ich gehe von einer Verdoppelung der Zahl der Arbeitnehmer, die durch Mindestlöhne geschützt werden, aus.

Und die Zeitarbeit?

Zeitarbeit gehört zu einer modernen Arbeitswelt dazu. Aber wir müssen Missbrauch vermeiden etwa durch Zeitarbeitsfirmen, die mit obskuren Mini-Gewerkschaften Tarifverträge zu Hungerlöhnen vereinbaren, oder durch Betriebe, die ihre Stammbelegschaften quasi in eigens dafür gegründete Zeitarbeitsfirmen ausflaggen. Der Mindestlohn ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen solchen Missbrauch. Zwei von drei Arbeitgeberverbänden dieser Branche, bei denen die Mehrheit der Beschäftigten arbeiten, haben den Mindestlohn beantragt und das aus gutem Grund: Sie wollen nicht, dass unseriös agierende Wettbewerber den Ruf der Branche ruinieren. Ich glaube nicht, dass die CDU-Vorsitzende sich mit den schwarzen Schafen dieser Branche gegen die Mehrheit der seriös agierenden Unternehmen verbünden will.

Droht da Koalitionskrach?

Die Bedingungen, die wir für die Einführung von Mindestlöhnen vereinbart haben, sind bei der Zeitarbeit klar erfüllt. Ich gehe davon aus, dass sich alle an das Verabredete halten.


Unionsfraktionschef Volker Kauder fordert, 2009 den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 3,3% auf 2,8% zu senken. Sehen Sie den Spielraum dafür?

Die Arbeitslosenversicherung ist keine Bank. Deshalb müssen nicht höhere Beiträge erhoben werden, als für eine seriöse, langfristige Finanzierung der Bundesagentur für Arbeit notwendig sind. Verabredet ist innerhalb der Koalition, dass wir im Herbst den Finanzbedarf überprüfen. Das muss sauber gerechnet werden von eilig auf Wahlkampf-Flugblätter gedruckten Zahlen halte ich nichts. Es wird sicherlich einen Spielraum für eine Senkung geben. Aber wir sollten uns hüten, den Beitragssatz aus taktischen Gründen so weit zu senken, dass wir nach kurzer Zeit gezwungen sind, ihn wieder anzuheben.


Wir haben in den letzten Wochen eine intensive Debatte um den Missbrauch von ALG II erlebt. Wie groß ist das Problem?

Die Allermeisten, die ALG II beziehen, wünschen sich nichts dringender als Arbeit, und die wenigsten von ihnen missbrauchen die staatliche Unterstützung. Trotzdem ist es wichtig, dass diejenigen, die es versuchen, nicht damit durchkommen. Die Mittel dafür haben wir. Und wir werden schauen, ob beispielsweise durch stärkere Kontrollen des Zolls die Bekämpfung der Schwarzarbeit noch intensiviert werden kann.
    

Auch der ALG-II-Bedarfssatz ist in der Debatte. Wissenschaftler aus Chemnitz haben errechnet, dass man mit viel weniger auskommt, die "Linke" und die Gewerkschaften fordern indes eine Anhebung. Wohin geht die Reise?

Erstens: Die Studie aus Chemnitz ist ein Skandal. Das sind völlig unseriöse und unverantwortliche Berechnungen, mit denen die Bürgerinnen und Bürger, die mit wenig Geld auskommen müssen, beleidigt und verletzt werden. Zweitens: Wir brauchen bei der Festsetzung des Regelsatzes ein seriöses Verfahren mit festgesetzten Regeln mit Regeln, die auch für den ich gebe zu: äußerst theoretischen Fall verbindlich wären, wenn die FDP oder der Wirtschaftsflügel der CDU die politische Großwetterlage bestimmen würden. Ich warne deshalb davor, Anhebungen auf politischen Zuruf zu beschließen, die Arbeitslosen so zum Spielball politischer Ränke zu machen. Wir sollten deshalb dabei bleiben, den Bedarfssatz jährlich entsprechend der Rentenentwicklung anzupassen und grundsätzliche Änderungen anhand einer Verbrauchsstichprobe durch das Statistische Bundesamt zu ermitteln. Im Übrigen sollte man sich auch mal für vergangene Erfolge loben: Ich finde es gut, dass der Regelsatz Ost auf Betreiben der SPD auf West-Niveau angepasst wurde.


Wann wird Klarheit über die Überprüfung des Regelsatzes herrschen?

Die Verbrauchsstichprobe wird in diesem und nächstem Jahr erhoben und ausgewertet. Sobald wir die Daten haben, werden die Regelsätze neu berechnet.

Jenseits der Debatte um Missbrauch beim ALG II: Gerade für Familien mit Kindern liegt die Schwelle, ab der sich die Aufnahme einer einfachen Arbeit gegenüber ALG II lohnt, recht hoch...


Ich sehe da kein Problem. Im Gegenteil: Ich bin ehrlich empört über wirtschaftsliberale Professoren, aber auch manchen, der sich links nennt und behauptet, die Bürgerinnen und Bürger würden nur arbeiten gehen, wenn es sich für sie lohnt. Ziemlich viele Arbeitnehmer in Deutschland gehen ganz selbstverständlich für ziemlich wenig Geld arbeiten und fragen sich nie, ob sie mit staatlicher Unterstützung vielleicht ähnlich viel hätten. Die haben natürlich höhere Löhne verdient. Aber: Das sind für mich die wahren Helden! Sich mit eigener Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gehört zur Kultur unseres Landes, ist wichtig für das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein der allermeisten Bürgerinnen und Bürger. Die hohe Arbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte ist kein Problem mangelnder Motivation, sondern mangelnder Chancen. Und deshalb ist für mich Vollbeschäftigung das Ziel Nummer eins. Eine soziale Marktwirtschaft muss jedem Bürger garantieren, dass er spätestens nach einem Jahr eine neue Arbeit finden kann.