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08.09.2008

"Unter Drei Millionen" - Interview mit dem Focus

FOCUS: Man könnte Sie glatt für den erfolgreichsten Arbeitsminister der vergangenen Jahre halten, wenn man nur die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen als Maßstab nimmt. Oder haben die mit politischen Verdiensten vielleicht gar nichts zu tun?

Scholz: Natürlich spielen hier die Anstrengungen der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die richtigen Entscheidungen vieler Unternehmen eine große Rolle. Aber ohne die Reformen, die die Regierung Schröder zu Stande gebracht hat, und ohne unsere Politik heute könnten wir uns nicht über diese Entwicklung am Arbeitsmarkt freuen.


FOCUS: Wird die Freude lange währen? Die Konjunktur kommt ins Rutschen . . .


Scholz: Der Arbeitsmarkt ist nicht abgekoppelt von der Konjunktur, aber er ist robust. Er funktioniert heute viel besser als früher. Vielleicht wird noch in diesem Herbst für einen Monat die Arbeitslosenzahl unter drei Millionen sinken. Ich bin ganz optimistisch.


FOCUS: Schon für September?



Scholz: Im Herbst.


FOCUS: Was Sie als Reformerfolge loben, ist für andere in Ihrer Partei der Sündenfall. Welche Bedeutung haben die 60 Linken, die sich jetzt zu Wort gemeldet haben?


Scholz: Dieses Papier ist keine Aufregung wert. Es gibt ja nicht einmal die Mehrheitsmeinung derjenigen wieder, die sich in der SPD als Parteilinke verstehen. Es gibt allerdings manchmal ein skurriles Interesse daran, über exotische Positionen zu berichten. Bedenken Sie bitte: Die SPD hat nicht 60 Mitglieder, sondern fast 600 000, und die vertreten mehrheitlich eine andere Position.


FOCUS: Es sind wohl eher 530 000.


Scholz: Jedenfalls deutlich mehr als die 60, die hinter dieser Meinungsäußerung stehen . . .


FOCUS: Die sich freilich liest, als habe Oskar Lafontaines Linke sie geschrieben . . .


Scholz: Ach was. Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen der SPD und dieser Partei. Die Politik der Partei Die Linke ist bestenfalls darauf gerichtet, dass die Misere, in der sich ein Bürger befindet, etwas erträglicher wird. Wir wollen mehr. Unsere Politik will allen Bürgern eine realistische Chance verschaffen, die Misere zu überwinden. Die Botschaft der SPD lautet: Wer sich anstrengt, muss dadurch sein Leben verbessern können und darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen.


FOCUS: Was ist mit all jenen, die sich nicht anstrengen wollen? Muss Hartz IV stärker gegen Missbrauch geschützt werden?


Scholz: Da geht es nur um wenige. Und wir haben jetzt schon Handhaben gegen Missbrauchsversuche. Diese Handhaben werden wir kontinuierlich verbessern. Teil unserer geplanten Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist es, Krankmeldungen zuverlässiger zu überprüfen. Wir statten auch den Zoll besser aus, damit er Schwarzarbeit noch effizienter aufdecken kann. Aber im Vordergrund steht für mich eine erstklassige Arbeitsvermittlung. Und natürlich bessere Qualifizierung. Die Zahl der Schulabbrecher ist mit acht Prozent viel zu hoch. Alle Arbeitslosen ohne Schulabschluss, die nicht vermittelt werden können, müssen die Möglichkeit bekommen, diesen Abschluss nachzuholen.


FOCUS: Was soll ein 43-jähriger Langzeitarbeitsloser mit einem Hauptschulabschluss?


Scholz: Am meisten nützt ihm natürlich Arbeit. Aber wenn er die wegen des fehlenden Abschlusses nicht bekommt und auch nicht das Recht auf eine zweite Bildungschance, dann fühlt er sich zu Recht verhöhnt. Bessere Bildung auf allen Niveaus ist das Schlüsselthema für unsere Probleme am Arbeitsmarkt. Für das Jahr 2015 sind zwei Szenarien vorstellbar: entweder hohe Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel oder kaum Arbeitslosigkeit und genügend Fachkräfte. Ich will alles tun, damit das zweite Szenario eintritt. Deshalb werden wir den deutschen Arbeitsmarkt für akademisch Qualifizierte aus der ganzen Welt und ihre Familien ab 1. Januar nächsten Jahres sehr weit gehend öffnen. Was wir aber nicht tun werden: Lehrlinge aus dem Ausland holen. Das wäre angesichts der Schwierigkeiten vieler inländischer Bewerber einfach gaga. Die Wirtschaft muss mehr Ausbildungsplätze bereitstellen.


FOCUS: Sie peilen für 2015 Vollbeschäftigung an?


Scholz: Wir können sie nicht über Nacht erreichen, aber sie ist innerhalb einer Dekade machbar - wenn wir weiter das Richtige tun, Unsere Gesellschaft muss jedem, der seine Arbeit verliert, das Versprechen geben können, in spätestens einem Jahr wieder eine Stelle zu haben. Und das zu einem Einkommen, das seine Würde nicht verletzt.


FOCUS: Sie steuern Ihr unvermeidbares Lieblingsthema Mindestlohn an. Kann der anhaltende Streit darum die Koalition noch sprengen?



Scholz: Nein.


FOCUS: Niemand sucht einen Grund zum vorzeitigen Ausstieg aus dem ungeliebten Regierungsbündnis?


Scholz: Niemand. Das gilt für alle drei Koalitionsparteien. Eigentlich wollen alle in der Koalition miteinander klarkommen. Wir haben unterschiedliche Meinungen, aber wir können uns auch einigen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Wahl so ähnlich ausgeht wie die letzte, viel zu groß. Die SPD hat dann aber die meisten Möglichkeiten. Wir können große Koalition, wir können aber auch Ampel. Und der Mindestlohn bietet sich am allerwenigsten an, um die Koalition platzen zu lassen: Die Mehrheit der Deutschen will ihn. Und er kommt. Branche für Branche. Alle sind hier im Wort. Auch die Union. Auch die CDU- Vorsitzende.


FOCUS: Aber Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn für die Zeitarbeit schon kategorisch ausgeschlossen.


Scholz: Mir hat sie das nicht gesagt. Und die Zeitarbeitsbranche erfüllt alle in der Koalition vereinbarten Kriterien für die Aufnahme ins Entsendegesetz, also für die Einführung des Mindestlohns.


FOCUS: Ihr Amtsvorgänger Franz Müntefering kehrt in die aktive Politik zurück. Welche Rolle wünschen Sie sich für ihn in Ihrer Partei?


Scholz: Franz Müntefering ist ein bedeutender Sozialdemokrat. Sein Wort hat Gewicht. Er gehört zur engeren Führung der SPD.


Interview: Hans-Jürgen Moritz/Thomas Wiegold