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24.11.2016

Verantwortung übernehmen Soziale Marktwirtschaft gestalten Festrede: 25 Jahre Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung

Verantwortung übernehmen Soziale Marktwirtschaft gestalten Festrede: 25 Jahre Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung

 

Sehr geehrter Herr Beck,
sehr geehrter Herr Hübner,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung. Ich kenne den Managerkreis als einen Ort anspruchsvoller Diskussionen. Und heißt es nicht in vielen Managerbüchern, ein Manager sei der, der weiß, was er kann und sich für das Andere die richtigen Leute sucht?

Sicher ist, hier im Managerkreis weiß man, dass kein Politiker die ökonomische Dynamik unterschätzen darf. It’s the economy, stupid, dieses wichtige Prinzip kennt man hier. Und es wurde immer im Sinne der sozialen Marktwirtschaft verstanden. Erst mehr ökonomisches Denken macht Politik solidaritätsfähig heißt es schon in den programmatischen Papieren der frühen Jahre.

Der Managerkreis hat sich zu den Herausforderungen der sozialen Marktwirtschaft in den 25 Jahren unermüdlich und mit viel Expertise geäußert. Das große thematische Spektrum sieht man an der enormen Menge an Publikationen, den aktiven Landesverbänden und den unzähligen Veranstaltungen. 

Der Managerkreis ist ein anerkanntes und einflussreiches Netzwerk für Wirtschaft und Politik. Von hier kommen wichtige Anregungen, egal ob sie populär sind oder nicht. Manche sind inzwischen von vielen akzeptiert worden. Andere, wie die Herausforderungen der Digitalisierung werden weiter intensiv diskutiert.

Dass sich Unternehmerinnen und Unternehmer in der Sozialdemokratischen Partei engagieren, war über lange Zeit schlicht undenkbar. Als am 3. September 1965, also nur zwei Wochen vor der damaligen Bundestagswahl, der Unternehmer Philip Rosenthal in der Wochenzeitung DIE ZEIT sagte, es käme darauf an, dass (Zitat) die SPD mit einigen ihrer ausgezeichneten Köpfe in der nächsten Bundesregierung vertreten ist, war das ein Skandal. Auch in der SPD waren nicht alle glücklich darüber. Dennoch, damit hatte erstmalig ein erfolgreicher Unternehmer öffentlich der SPD wirtschaftspolitische Kompetenz bescheinigt.

Diesen historischen Schritt hat der Managerkreis aufgegriffen und als gut vernetzter Expertenkreis in umsichtiger Form integriert. Es ist heute klar, dass eine Volkspartei beide Perspektiven, die der Arbeitnehmer und die der Arbeitgeber, kennen und integrieren muss. Ökonomische Vernunft und Solidarität gehören zusammen, nur mit beiden Ansätzen schaffen wir ein modernes und starkes Gemeinwesen. Daran immer wieder zu erinnern, gehört zu den großen Verdiensten des Managerkreises.

Besonders um die Jahrtausendwende spielte der Kreis eine zentrale Rolle in den Diskussionen über das Profil der Sozialdemokratie. Auch in der angelsächsischen Literatur über Think Tanks in Deutschland wird der Managerkreis selbstverständlich erwähnt. Da heißt es unter anderem, er gelte als Bollwerk gegen die Versuchungen innerhalb der SPD den Kurs der Mitte zu verlassen.

Die Mitte ist ein schönes Wort für sehr komplexe Herausforderungen. Eine stabile Mitte ist ein Ausdruck für die Konsensfähigkeit der Gesellschaft. All das braucht eine vernünftige ökonomische Basis: die soziale Marktwirtschaft. 

Hier im Managerkreis weiß man: Die soziale Marktwirtschaft ist ein Anspruch, der durch entsprechendes Handeln eingelöst werden muss. Das ist eine sehr kluge Zielformulierung. Denn darin steckt ja die Forderung, ökonomischen Sachverstand und Solidarität zu verknüpfen und das nicht nur einmal sondern immer wieder.

Oikos, das Wort, von dem der Begriff Ökonomie stammt, war im alten Griechenland die Lehre von der Führung der Wirtschaftsgemeinschaft nach patriarchalen Grundsätzen. Man ging davon aus, dass das politische Gemeinwesen wie der Haushalt einer Familie sei. Wer im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung ökonomischen Sachverstand für ein Gemeinwesen aufbringen will, muss sich weit über den eigenen Haushalt hinaus interessieren. Und zudem weit über die nationalen Grenzen hinaus denken:  Erst mit Blick auf die Weltwirtschaft können wir wirklich verstehen, warum es auch heute wieder the economy ist. Dabei ist die Situation von durchaus sehr unterschiedlichen Entwicklungen gekennzeichnet.

Die Globalisierung hat die Welt verbessert. Trotz aller Krisen haben internationale Institutionen, verschiedene Formen der Kooperation aber vor allem Arbeit und ökonomische Vernunft eine deutlich bessere Welt geschaffen. Das ist ein Faktum, dass leider vielen verborgen bleibt. In den letzten 25 Jahren hat sich die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben mehr als halbiert. Die großen Gewinner der Globalisierung waren viele hundert Millionen Menschen in Ländern wie Brasilien, Indien oder China. Durch die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit entwickelte sich in den Ländern erstmals eine Mittelschicht.

Inzwischen steigen die Einkommen in den Entwicklungs- und Schwellenländern stärker als in manchen Industrienationen. Zwar haben die Länder nicht, wie das manche hofften, zu den Industrienationen aufgeschlossen, aber die wirtschaftliche Dynamik ist gut. Man kann davon ausgehen, dass es weitere deutliche Schritte zur Reduzierung von Armut gibt, die Vereinten Nationen haben die Zielmarke dafür auf 2030 gesetzt. Die Globalisierung ist eben auch eine Form der Integration: Immer mehr Nationen werden in den Weltmarkt integriert. Dabei werden nicht nur Märkte erschlossen, sondern auch Wohlstand erzeugt.

Auch Deutschland ist ein Gewinner der Globalisierung. Seit Jahren sind wir Weltmeister darin, unsere Produkte in die ganze Welt zu verkaufen. Von der Eröffnung neuer Märkte und der Intensivierung der globalen Wirtschaft hat die gesamte Volkswirtschaft profitiert. Zu den deutschen Weltmarktführern gehören große Unternehmen und viele kleine und mittlere Unternehmen. Niemals zuvor hatte unser Land einen so hohen Beschäftigungsgrad und zwar bei Männern und bei Frauen.

Ähnliche Daten gibt es für viele andere Industrienationen. Dennoch hat die Globalisierung in einigen westlichen Demokratien einen schlechten Ruf bekommen. Und in den USA, einem Land das aus Migration entstand und traditionell eng mit dem Freihandel verknüpft ist, haben die Gegner der Globalisierung die Wahl entschieden.

Viele blicken derzeit verwundert zum transatlantischen Freund. Der scheidende US-Präsident Obama hat das Erstaunen und die damit verbundene Sorge mit einer Frage gefasst: Wie kommt es, schrieb er noch vor der Wahl im britischen Economist, dass Populisten von ganz rechts und ganz links die Rückkehr zu einer Vergangenheit versprechen, die niemand so wiederherstellen kann und die für die meisten so auch nie existiert hat? Diese Frage beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die demokratischen Parteien in vielen Ländern Europas. Für die Antwort müssen wir über die Nation hinaus auf die Situation der Weltwirtschaft schauen. Denn the economy, das ist diesmal die Weltwirtschaft. Sie befindet sich in einer Phase neuer Herausforderungen.

Die  Finanzkrise hat, von den USA kommend, das Wachstum der Wirtschaft enorm belastet und viel Vermögen gekostet. Von den Folgen haben sich die meisten Industrienationen weitgehend erholt. Aber die Wachstumsraten nicht. Das Wachstum ist nicht auf dem Niveau der Zeit vor der Krise. Wie deutlich das Phänomen ist, zeigt sich vor allem, wenn wir es mit den zweistelligen Wachstumszahlen in den 1970er Jahren vergleichen. Die Weltwirtschaft ist in einer Phase, der ganz offensichtlich eine Dynamik fehlt.  Was ist los mit der Weltwirtschaft?, fragen sich die Ökonomen. Und es gibt ein Bündel von Erklärungen, denn es gibt überall Konjunkturprobleme, demografische Herausforderungen und bislang noch nicht den erhofften Schwung aus der Digitalisierung.

Aber so oder so: An den Fakten gibt es keinen Zweifel. Das Wachstum der Weltwirtschaft schwächelt. Es ist ein globales Phänomen, es trifft die klassischen Industrienationen. Das Phänomen ist in Europa, in den USA ebenso wie in Japan, Korea, Neuseeland oder Australien zu beobachten. Ja, es betrifft selbst Länder wie Singapur, deren Industrialisierung neu ist. Wir erleben eine Wachstumsschwäche in ganz unterschiedlichen Volkswirtschaften, überall gleichzeitig und in ganz unterschiedlichen politischen Konstellationen. Deshalb spricht viel dafür, dass es strukturelle Ursachen gibt, und die Lösung keine Frage von Regierungskoalitionen ist.

Unternehmer und Investoren müssen sich auf eine Zeit einstellen, in der Wachstum nicht mehr so einfach zu erreichen ist. Aber auch die Politikerinnen und Politiker müssen eine Strategie dafür haben: Denn in einer Phase geringerer Wachstumsraten treten die negativen Seiten der Globalisierung stärker hervor.

Ein Konfliktpotential in Folge der Globalisierung sind die negativen Beschäftigungseffekte durch steigende Importe aus weniger industrialisierten Ländern.  Die Billiglohn-Konkurrenz aus den Schwellenländern, die Jobs für einfache Arbeiter und kleine Unternehmen bedroht, ist ein reales Problem und keine Erfindung von Populisten. China-Syndrom lautet nicht zufällig der Titel der Untersuchung, in der das Massachusetts Institute of Technology entsprechende Daten für die USA erhoben hat. Ähnliche Untersuchungen bestätigen das Phänomen auch für europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Norwegen und Spanien.

Auch in Deutschland sind Arbeitsplätze verloren gegangen. Das Phänomen gibt es seit Jahren. Aber in Deutschland ist es den Unternehmen gelungen immer wieder auch viele neue Arbeitsplätze zu schaffen. Durch Erfolge der dynamischen Industrie in Deutschland und die daraus resultierenden positiven Beschäftigungseffekte konnten die Jobverluste insgesamt aufgewogen werden. Viele Fabriken für Konsumgüter in Asien produzieren mit Maschinen aus Deutschland. Wegen unserer Stärke im Anlagenbau und bei industriebezogenen Dienstleistungen gehören wir zu den wenigen Industrienationen, bei denen das Saldo positiv ist.

Trotzdem gibt es auch in Deutschland Bürger, die ihren gut bezahlten Arbeitsplatz verloren haben und jetzt weniger verdienen oder danach keine Beschäftigung gefunden haben und in schwierigen Verhältnissen leben. Es gibt viele Jobs in Dienstleistungsberufen, die keine oder kaum Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Viele müssen hart arbeiten aber aufstocken, weil der Lohn im Friseurbetrieb, als Kellner oder Köchin nicht reicht.

Wo es Wachstum gibt, ist immer mehr zu verteilen. Wo das Wachstum stagniert, wird es schwierig. Geringes Wachstum trifft einfach qualifizierte oder ungelernte Bevölkerungsgruppen besonders hart. Denn die Arbeitsmärkte der hoch entwickelten und spezialisierten Wirtschaftsnationen haben hier am wenigsten zu bieten. Und wo weniger zu verteilen ist, nimmt die Hoffnung auf Besserung ab und die Konflikte nehmen zu.

Die Weltwirtschaft prägt, wie der Ökonom und Nobelpreisträger Sir Agnus Deaton das einmal beschrieben hat, ein ewiger Tanz zwischen Fortschritt und Ungleichheit. Jede neue Veränderung muss mit neuen Formen der sozialen Sicherung beantwortet werden. Soziale Marktwirtschaft zu gestalten ist eine stets neue Herausforderung.

Deutschland gehört zu den am meisten verflochtenen Volkswirtschaften der Welt. Wir sind, vor allem auch im Kreis der Partner der EU, ein Schwergewicht in der Weltwirtschaft. Unser Wohlstand, unsere Arbeitsplätze und unsere soziale Infrastruktur hängen davon ab, dass wir weiterhin unsere Produkte in alle Welt verkaufen können. Nein, wir können und wir wollen nicht aussteigen. 

Aber wir müssen dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Verbundenheit mit der Welt von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger akzeptiert werden kann auch von denen mit den kleinen Einkommen. Die nationale Antwort auf die Frage nach der Globalisierung muss ein starker Sozialstaat sein.

Der Sozialstaat muss Sicherheit und Perspektiven bieten. Sozial ist eine Marktwirtschaft, wenn sie auf der Seite derer steht, die arbeiten wollen, die sich und ihre Familie aus eigener Kraft versorgen wollen, die sich für eine bessere Zukunft anstrengen. Die Chancen müssen real sein, es reicht nicht, dass sie im Grundgesetz stehen. Der Sozialstaat muss zeigen, wie das geht, was zu unseren zentralen Werten gehört: Das eigene Einkommen durch Arbeit zu erwirtschaften.

Eines der wichtigsten Prinzipien ist dabei, den Normalverdiener durch soziale Infrastruktur zu entlasten. Das betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche, vor allem aber vernünftige Löhne, bestmögliche Bildung und bezahlbare Wohnungen. Ich will das kurz ausführen:

Die Entwicklung der Primäreinkommen kann durch staatliches Handeln nur wenig beeinflusst werden. Aber der Sozialstaat kann sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Ökonomie der Globalisierung zurechtkommen. Deshalb ist der Mindestlohn so wichtig. Der Gesetzgeber hat den Rahmen gesteckt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln die Grenzen gemeinsam. Der Mindestlohn ist ein großer Erfolg, vier Millionen Beschäftigte profitieren davon, es gab keine Beschäftigungseinbrüche, erstmals ist jetzt eine Erhöhung beschlossen worden.

Familien müssen weiter gestärkt werden. Es muss möglich sein, das Leben mit Kindern gut zu meistern. Die Entscheidung für Kinder darf kein Karriereknick sein. Deshalb sind flächendeckende und kostenlose Kita-Angebote und Ganztagsschulen so wichtig. Das ist eine finanzielle Entlastung, eine organisatorische Unterstützung und auch ein elementarer Beitrag für die soziale Mobilität. Eine qualitativ hochwertige und verlässliche Kinderbetreuung ist der beste Start für den weiteren Bildungsweg. Aus dem Grund haben in Hamburg übrigens auch alle Flüchtlingsfamilien das Anrecht auf Kita-Gutscheine.

Bildung ist der Schlüssel zum Wohlstand, das gilt für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt. Deshalb brauchen wir qualifizierte Bildung auf hohem Niveau und Chancen für jeden. Niemand darf verloren gehen, auch Arbeiterkinder müssen Manager in Dax-Unternehmen werden können. Eine Sache, die übrigens vom Coaching-Programm des Managerkreises für die FES-Stipendiatinnen und Stipendiaten hervorragend unterstützt wird. Bildung muss zugänglich sein: Deshalb ist es auch sehr vernünftig, dass immer mehr Bundesländer die Studiengebühren abgeschafft haben.

Zugleich muss die Duale Ausbildung gestärkt und weiterentwickelt werden. Das System der gemeinsam von Staat und Betrieben getragenen Qualifikation ist eine ganz entscheidende Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Viele Länder beneiden uns um diese hervorragende Zusammenarbeit. Es sind an wirtschaftlichem Erfolg orientierte Unternehmen, die die Ausbildungsplätze anbieten: kleine Handwerksbetriebe, mittelgroße Zulieferer ebenso wie die großen Industrieunternehmen. Das Duale System trägt ganz wesentlich zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit und der Erneuerung der Wirtschaft bei.

Weil für die soziale Mobilität die erfolgreichen Verläufe von der Schule zum Beruf besonders wichtig sind, haben mehrere Bundesländer nach dem Vorbild Hamburgs die Jugendberufsagenturen geschaffen. Die Jugendberufsagenturen sorgen dafür, dass Abschlüsse gemacht werden und der Übergang in die Berufstätigkeit klappt, davon profitieren vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir haben dieses System in Hamburg auch als Angebot für Flüchtlinge ausgeweitet. 

Wo es gute Arbeitsplätze gibt, sind Wohnungen teuer. Das Problem haben alle Metropolen. Wir wollen nicht, dass es in den deutschen Großstädten so wird wie in Stockholm, San Francisco oder New York. In diesen Städten gibt es Jobs, aber die Arbeitnehmer finden keine Wohnungen. Das ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Wir wollen auch nicht, dass sich die Eltern in deutschen Großstädten besorgt fragen müssen, ob ihre Kinder jemals die Mieten in der Heimatstadt bezahlen können.

Deutschland braucht eine Baupolitik, die Wohnraum schafft, der mit einem Durchschnittseinkommen bezahlbar ist. Ende der Siebziger Jahre hatte der soziale Wohnungsbau einen Anteil an 30 Prozent der fertig gestellten Wohnungen. Dann ist das sehr lange vernachlässigt worden. Ich habe deshalb meinen Regierungsantritt mit einem großen Wohnungsbauprogramm gekoppelt. In Hamburg haben Behörden, Bauträger und Mietervereine gemeinsame Lösungen entwickelt. Das reicht von Konzeptausschreibungen über sozialen Wohnungsbau bis hin zu Umwandlungsregelungen. Wir bauen nach dem Prinzip des Drittelmix, das heißt, ein Drittel frei finanziert, ein Drittel Sozialwohnungen und ein Drittel Eigentumswohnungen. Und natürlich müssen alle Stadtteile in vernünftiger Weise an den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen sein. Auch da können wir von den Fehlern lernen, die andere westliche Hauptstädte gemacht haben.

Wirtschaftswachstum und soziale Sicherheit gehören zusammen, das ist eine deutsche Tradition, auch dafür steht unser Land. In den Frühzeiten der Industrialisierung hat die sich formierende Sozialdemokratische Partei die staatlichen Sozialversicherungen erkämpft. Deutschland war das Land in dem erstmalig Institutionen der sozialen Sicherung geschaffen wurden, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beteiligt waren. In Folge stiegen die Löhne und die Wirtschaft wurde angekurbelt. Auch das neue industrielle Zeitalter braucht die soziale Marktwirtschaft, um die Arbeitenden und die Wirtschaft zu stärken.

Der Sozialstaat und unsere wirtschaftlichen Erfolge hängen eng zusammen. Nur, wenn wir weiterhin als Technologieführer gute Produkte liefern, können wir uns das heutige Sozialstaatsniveau leisten. Und die Wirtschaft lebt wiederum von guter Bildung, sozialer Mobilität und der Zuversicht der Arbeitnehmer.

Bürgerinnen und Bürger, die sich sicher fühlen, werden die weiteren Schritte unterstützen. Es ist deshalb nicht nur höchst angemessene Solidarität, sondern auch eine Forderung der ökonomischen Vernunft, die Konsequenzen der Globalisierung mit einer soliden sozialen Infrastruktur abzufedern. Es geht um Stabilität und Glaubwürdigkeit. Es muss möglich sein, Arbeit zu finden, davon leben zu können und eine Perspektive für sich und die Familie zu haben. Auch die unteren und mittleren Einkommensbezieher und kleinen Selbstständigen müssen eine vernünftige Perspektive haben. Ihre Partizipation, ihre Erwerbsbereitschaft und ihre Veränderungsbereitschaft sind wichtig.

Das gilt auch für den Umgang mit der Digitalisierung. Bislang waren die wirtschaftlichen Impulse der Erfindung des Internets verglichen mit denen anderer Erfindungen gering. Aber auch bei anderen weltbewegenden Erfindungen hat es zum Teil lange gedauert, bis die Gesellschaft sich so veränderte, dass die Potentiale umfassend genutzt werden konnten. Sicher ist, ohne weitere Schritte der Digitalisierung wird es nicht gehen. Wir sehen ja in jeder Familie, in jeder Schule und in jedem Betrieb, dass das eine Generationen übergreifende Aufgabe ist.

Aus Deutschland müssen die führenden Technologien, neue Produkte und neue Geschäftsmodelle kommen. Ein Hochtechnologieland wie Deutschland kann es sich nicht leisten, dass Bürger die Digitalisierung fürchten oder sogar ablehnen. Aber unbedarfte Technologiegläubigkeit hilft auch nicht. Wir sehen das am Beispiel von Uber. Uber ist der Name eines Netzwerks zur Bestellung von Taxileistungen. Die Idee, das per App (UberPOP) zu machen, ist technisch innovativ. Aber Uber ist auch ein Geschäftsmodell, das auf Kosten von anderen geht. Es untergräbt die Regeln der sozialen Sicherheit und der Verkehrssicherheit. Deshalb haben fast alle deutschen Bundesländer diese Form  der Vermittlung verboten. Inzwischen gibt es zum Beispiel mit Mytaxi eine vernünftigere Alternative.

Je freier Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitnehmer die Grenzen passieren, desto robuster muss der Sozialstaat seine Bürger schützen. Das gilt auch innerhalb der Europäischen Union. In einer Freihandelszone wie dem EU-Binnenmarkt, der sich aktuell über 28 verschiedene Sozialstaaten hinweg erstreckt, mit über 500 Millionen EU-Bürgern, ist das eine enorme Herausforderung. Es ist deshalb zum Beispiel wichtig, darauf zu drängen, dass für soziale Leistungen primär das EU-Land zuständig ist, aus dem die Arbeitnehmer kommen. Freizügigkeit heißt, sich überall Arbeit suchen zu können, aber ist nicht die Wahl des Sozialstaates. Das Land, in das die EU-Bürger wandern um zu arbeiten, kann erst einspringen, wenn es dort auch schon eine längere Zeit der Erwerbstätigkeit gab.

In Großbritannien hat die Stimmung gegen die Globalisierung dazu geführt, dass eine Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler gegen die EU gestimmt hat. Leider sind die meisten, die Nein gesagt haben, nun die ersten, die darunter leiden: Denn Nahrungsmittel und viele Dinge des Alltags werden im Ausland produziert. Der sinkende Wert des Pfundes macht Importe teurer und gefährdet die Jobs, die vom Export abhängig sind.

Kein Land kann aus der Globalisierung austreten. Kein Politiker kann sein Land groß machen, in dem er es in die Ecke stellt. Zusammenarbeit und Wettbewerb sind keine Gegensätze.

Die beste Chance, die wir haben, uns in einer Welt von bald neun oder zehn Milliarden Menschen durchzusetzen, ist eine verstärkte Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Gemeinsam können wir auf Augenhöhe mit den USA, mit China und Russland sprechen. Auf globaler Ebene würde niemand auf Walonen, Bayern oder Tiroler achten, wenn deren Nationalstaaten nicht Mitglied der Europäischen Union wären. Die Europäische Union ist unser Kraftverstärker in der Globalisierung.

Globalisierung ist für manche auch die Chiffre für eine neue Unübersichtlichkeit. Denn nicht alle Faktoren können wir von unserem Land aus beeinflussen. Und manche sind schon frustriert, wenn wir in den Verhandlungen nicht das Maximum erreichen. Das ist verständlich, aber kein Argument dafür, den Konsens nicht mehr zu suchen. Wir brauchen in diesem Prozess eine klare Orientierung. Und wir dürfen nicht müde werden, das zu erklären, wofür wir stehen und wofür wir Politik machen. Deutschland ist das Land der Kompromisse. Wir haben ein starkes demokratisches Gemeinwesen und einen an vielen Stellen sehr gut funktionierenden Ausgleich zwischen Wirtschaft und Bürgern.

Wir können die Welt nicht mit Sprüchen verbessern. Schon mal gar nicht die ökonomische Dynamik außer Kraft setzen. Aber wir können eine Parteilichkeit für unsere Bürger zeigen und dafür sorgen, dass die positiven Effekte der Globalisierung besser verteilt werden. Wenn der Markt versagt, müssen wir darauf antworten. Wenn unsere Bürger um ihren Arbeitsplatz bangen, weil andere soziale Standards unterlaufen oder Verbraucher gefährden, müssen wir auf Handelsverträge drängen, die das verhindern. Das schaffen wir nur gemeinsam mit der Europäischen Union.

Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.