Sehr geehrter Präses Dr. Dreyer, meine Damen und Herren,
ich bin geehrt, als Hamburger allemal, dass ich heute zum 338. Geburtstag der Handelskammer und ihrer Vorläuferstrukturen zu Ihnen sprechen darf. Ich bin es als Sozialdemokrat noch einmal mehr, wo ich doch befürchten muss, dass der eine oder andere annimmt: "Früher haben uns die Piraten das Leben schwer gemacht heute sprechen Sie zu unserem Geburtstag."
Wenn wir über die Zukunft unseres Landes sprechen, dann ist es notwendig, dass wir uns über Wachstum unterhalten. Wachstum für unser Land ist notwendig, wenn wir Wohlstand garantieren und Beschäftigung sichern wollen. Wachstum ist notwendig, wenn wir sicherstellen wollen, dass ohne all zu viel Abgabediskussion die Einnahmen und die Ausgaben von Staat und Sozialversicherung einigermaßen im Lot bleiben.
Wenn wir uns die Entwicklung in den letzten Jahren anschauen, dann sehen wir, dass die Wirtschaftsforschungsinstitute, die Sachverständigen, staatliche Statistiker, Landes- und Bundesregierungen sich allesamt immer wieder verschätzt haben. Mittlerweile haben wir - leider seit längerem - immer wieder die Situation erleben müssen, in der im Halbjahresabstand die jeweils günstigen Prognosen wieder nach unten korrigiert werden mussten. Und sehnsüchtig erwarten nicht nur Politikerinnen und Politiker, dass eines Tages die Prognosen einmal andersherum falsch sind. Jedenfalls können wir festhalten: Im vergangenen Jahr hatten wir ein nur bescheidenes Wachstum von rund 0,2 Prozent. Für das laufende Jahr gibt es noch eine Prognose der Bundesregierung auf Basis der alten Daten der Wirtschaftsforschungsinstitute, die von einem Wachstum von 1,5 Prozent ausgeht. Aber wer sich die neuesten Zahlen der Wirtschaftsforschungsinstitute angeschaut hat, der weiß auch, dass diese Prognose wohl nicht mehr zutreffen wird. Es wird sich wohl im Bereich zwischen 0,5 und 1,2 Prozent einpendeln.
Das ist nicht viel. Aber das ist auch keine Rezession. Und das ist auch innerhalb einer Reformdiskussion eine notwendige Feststellung. Ich glaube, dass wir uns etwas antun, wenn wir in einer schwierigen weltwirtschaftlichen Lage ein mühsam erreichtes, schmales Wachstum in eine Rezession uminterpretieren, fehlinterpretieren. Denn das hat Folgen auf das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten, auf das Verhalten von Unternehmerinnen und Unternehmern und auch des Staates. Darüber muss ich in diesem Kreis hier nicht viel sagen. Nur soviel: Kräftig investiert nur, wer Vertrauen in die Zukunft hat. Und diejenigen, die das, was heute nicht gut ist, noch schlechter machen oder reden, die tun niemandem einen Gefallen. Kassandras gibt es in unserem Lande genug. Wir brauchen mehr Optimisten, die realistisch an die Aufgaben herangehen, die jetzt vor uns liegen auch bei den Reformen, die anstehen. Die Zeit der herunter gezogenen Mundwinkel muss endlich Vergangenheit werden.
Wir haben ein Wachstum, aber es ist ein bescheidenes Wachstum, und das reicht uns nicht. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, was wir tun können, um Wachstumskräfte zu mobilisieren. Ein wichtiges Reformfeld ist der Arbeitsmarkt. Und ich glaube, dass da eine ganze Reihe von grundsätzlichen Diskussionen nötig sind, wenn wir uns verständigen wollen über Ziele, die in Deutschland und Europa für den Arbeitsmarkt verfolgt werden. Ich will ganz bewusst dabei ein Wort aufgreifen, das innerhalb der Diskussion in den letzten Jahren immer weniger eine Rolle gespielt hat den Begriff der Vollbeschäftigung. Wer sich in den letzten Jahren umgeschaut hat, und wer gelesen hat, was Sachverständige und auch Nicht-Sachverständige sagen, der stellt fest, dass Vollbeschäftigung für unmöglich erklärt worden ist. Das ist schwierig angesichts der Tatsache, dass die Politik gleichzeitig darüber diskutiert, wie sie wieder zu erreichen ist. Wie auch immer: Viele haben sich damit abgefunden, dass es Vollbeschäftigung angeblich nie wieder geben wird. Darin liegt ein gewaltiger Zynismus. Denn wir können sehen, dass andere Länder das Ziel erreicht haben, Vollbeschäftigung wieder herzustellen. Dabei hilft es auch nicht, zu sagen: Diese Länder sind aber viel kleiner. Nehmen wir Dänemark oder die Niederlande als zwei Beispiele: Dort hat man Reformkonzepte über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt. Und das hat dazu geführt, dass in einem Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren eine Lage wie die derzeit unsere zu Vollbeschäftigung gewandelt werden konnte. Und deshalb sollte Vollbeschäftigung weiterhin das ehrgeizige Ziel von Politik sein. Ein Ziel, das mit einer langfristigen Perspektive verfolgt werden muss.
Für den Gesetzgeber heißt das auch, dass er seriös bleiben soll und nicht verspricht, dass über einen Bundestagsbeschluss oder sonst etwas in kürzester Zeit sehr ehrgeizige Ziele erreicht werden. Ich war vor diesem Hintergrund sehr froh darüber, dass vor einiger Zeit die EU-Regierungschefs in Lissabon das Ziel Vollbeschäftigung in Europa festgelegt haben nicht von heute auf morgen, sondern langfristig. Das sollte auch ein Maßstab für deutsche Politik sein. Ein kleiner Hinweis für die deutsche Wirtschaft: Es ist dort auch das Ziel festgehalten, die Beschäftigungsquote anzuheben. Und dabei sind wir ganz weit hinten. Wir sind gemessen an dem Normalmaß der Menschen, die arbeitsfähig sind eines der Länder mit einer sehr geringen Beschäftigungsquote, nicht zu vergleichen mit anderen führenden Industrienationen. Und das liegt im Wesentlichen an wie ich meine falschen politischen und kulturellen Traditionen, die sich hier wirtschaftlich negativ auswirken.
Ich habe schon erwähnt: Es gibt diese positiven Beispiele für Länder, die es geschafft haben, Vollbeschäftigung wieder zu bekommen die Niederlande und Dänemark. Ich plädiere dafür, dass man sich diese Länder und das, was sie auf dem Feld der Beschäftigungspolitik gemacht haben, genau anschaut. Die Niederlande haben ihre politischen und gesellschaftlichen Prozesse über längere Zeiträume im Konsens entwickelt auch die Reformprozesse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Niederlande haben gleichzeitig kündigungs-rechtliche Regelungen, die härter sind als unsere. Aber es gibt, wenn man den dortigen Arbeitsmarkt betrachtet, Elemente von Flexibilisierung und Deregulierung, die wir in Deutschland lange nicht gekannt haben.
Ich will auf ein Thema zu sprechen kommen, das ich für eine notwendige deregulierende Maßnahme halte. Dieses Thema hat den deutschen Gesetzgeber im Dezember noch beschäftigt. Es geht um das Thema Leiharbeit. Auch in Deutschland haben viele Menschen über das Thema Leiharbeit gesprochen. Wenn man das zugehört hat, dann bekam man den Eindruck, es werde über etwas geredet, das nicht so ganz in Ordnung ist. Das ist eine Bewertung, die aus Arbeitnehmersicht vorgenommen wurde, und teilweise auch aus Sicht der Arbeitgeber und der entsprechenden Organisationen. Die Folgen dieser Einschätzung sind messbar: In Deutschland hat die Leiharbeit einen Anteil von rund einem Prozent, in den Niederlanden sind es fünf bis sechs. Das ist das normale Maß. In sofern kommt es darauf an, dass wir die Flexibilität, die uns in Zusammenhang mit der Leiharbeit geboten wird, auch nutzen und rechtliche Deregulierung zustande bringen. Das ist geschehen, und deshalb möchte ich darauf noch einmal das Augenmerk richten. Wir haben ein Gesetz geschaffen, das zum Beispiel vorschreibt, dass besondere Befristungsregularien bei der Leiharbeit abgeschafft werden. Dass zum Beispiel das Synchronisationsverbot - also das Verbot, jemanden bei einer Leiharbeitsfirma nur für einen Auftrag einzustellen - abgeschafft wird. Und das zum Beispiel auch weitere Regelungen abschafft, was etwa die Wiedereinstellung betrifft. Wer genau hinsieht, kann feststellen: Es gibt kaum noch Regelungen für unsere Leiharbeit. Und ich persönlich wäre dafür, dass wir diese Tatsache in einem zweiten Reformschritt für jeden erfassbar machen dadurch etwa, dass wir die wenigen restlichen Vorschriften in einem anderen Gesetz unterbringen.
Dass das geschehen ist, ist ein bisschen verdeckt worden durch die etwas missratene Diskussion über Tarifverträge für Leiharbeitnehmerinnen und arbeitnehmer, die uns im November und Dezember 2002 begleitet hat. Denn darüber wurde öffentlich diskutiert, über die restlichen Details aber gar nicht aber die sind entscheidend.
Übrigens: die großen Leiharbeitsfirmen haben da gar kein Problem. Sie haben ohnehin fast alle Tarifverträge und deshalb wird sich hier über etwas gefürchtet, das gar keinen Anlass zur Furcht gibt. Natürlich ist vorgesehen und das wird sich in Kürze erweisen dass für diejenigen, die als Langzeitarbeitslose unter besonderen Bedingungen vermittelt werden sollen, deutlich abgesenkte Regelungen gelten sollen, was das Gehalt betrifft. Ich erwähne das Beispiel der Leiharbeit, weil ich es für eine notwendige, mögliche und wünschbare Flexibilisierung unseres Arbeitsmarktes halte, die Beschäftigungschancen für die Zukunft verspricht.
Es gibt ein zweites gesetzliches Feld, das ich erwähnen möchte. Auch da ist etwas notwendig gewesen und auch geschehen. Es geht um die befristete Beschäftigung. Wir wissen, dass in Deutschland mit seiner Tradition des Kündigungsschutzes schon immer die Möglichkeit befristeter Beschäftigung bestand. Allerdings nach der Rechtsprechung schon des Reichsarbeitsgerichtes nur aus gutem Grund. Juristen sind da eigen - die sagen: Nur dann ist befristete Beschäftigung zulässig, wenn ein verständiger Arbeitgeber das auch so sieht und sich entsprechend verhält - was auch immer das zu bedeuten hat. Auch in diesem Bereich gibt es eine ganze Reihe von Regelungen, auch in diesem Bereich haben wir etwas bewegt - durch Neuregelungen in den achtziger Jahren in denen gesagt worden ist, dass zwei Jahre lang auch ohne Gründe befristet beschäftigt werden darf. Und damit war die gesamte Rechtsprechung für diesen Bereich überflüssig. Das Gesetz selbst war noch befristet, und die Regierung Schröder hat es in der vergangenen Legislaturperiode unbefristet verlängert. Erst im Dezember haben wir weitere gesetzliche Änderungen beschlossen. Zum Beispiel, dass über 50jährige ohne jede zeitliche Frist grundlos befristet angestellt werden können. Das bedeutet, dass gerade bei der Gruppe der älteren Arbeitnehmer, die neue Beschäftigung suchen, bestimmte Hemmnisse der Arbeitgeber, eine Einstellung zu versuchen, abgebaut sind. Ich sage es etwas vereinfachend: Arbeitgeber sind eher bereit, Menschen zu beschäftigen, weil sie das Risiko einer Beschäftigung wagen können.
Und die dritte Neuregelung, die wir in mehreren Anläufen schließlich gemeinsam mit dem Bundesrat zustande gebracht haben, ist eine vernünftige Neuregelung der betrieblichen Beschäftigung. Das, was wir jetzt erreicht haben, ist einmal etwas für den Bereich Leiharbeit oder geringfügige Beschäftigung. Darüber hinaus gibt es einen gewaltigen Fortschritt, für den ich streiten will, weil er sich auseinandersetzt mit einem besonderen Problem unseres Sozialstaats. Ich will ein Beispiel nennen: Wenn in England ein Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, der nicht krankenversichert wird, dann muss er sich seine Gesundheitsversorgung mitverdienen. Dafür steht ihm dann ein schlechtes staatliches Gesundheitssystem zur Verfügung. Das wirkt auf die Arbeitskraft nicht unmittelbar ein. Dass das dazu führt, dass viele Engländer nach Deutschland kommen, um hier schnell operiert zu werden, ist eine Nebensache. Aber es zeigt, dass das für geringqualifizierte Arbeitnehmer mit geringen Gehaltsaussichten eine einfachere Regelung ist, als das, was wir bei uns haben.
Deshalb brauchten wir schon immer eine sogenannte Progressionszone. Das heißt, dass ähnlich wie im Steuerrecht auch die Sozialversicherungsabgaben und die Belastungen für die Arbeitnehmer nur allmählich ansteigen. Das ist jetzt geschehen. Zwischen 401 und 800 Euro wird die Möglichkeit ab Anfang April geschaffen, dass es allmählich mehr wird, was an Beiträgen von den Arbeitnehmern zu zahlen ist, und wir hoffen, dass damit eine Reihe von Besonderheiten vom deutschen Arbeitsmarkt verschwindet, dass es nämlich zwischen den jetzt 325 Euro und etwas über 800 Euro praktisch niemanden mehr gibt, der zu einem solchen Gehalt beschäftigt ist. Das liegt an der entsprechenden Höhe der Abgaben wir haben damit eine hemmende Schwelle beseitigt.
Wenn es um den deutschen Arbeitsmarkt geht und um das, was an Problemen existiert, dann gibt es eines, das aus jedem benchmarking herauskommt, das man immer wieder erkennen kann und das jetzt unbedingt angegangen werden muss: Das ist die Vermittlung von Arbeitslosen. Die Bundesanstalt für Arbeit ist entstanden aus einem Konsens und einer Überlegung heraus, die mit Vermittlung nur sehr wenig zu tun hat. Eigentlich war die Behörde ausschließlich ausgerichtet auf die Zahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und sonstigen Leistungen. Vermittlung das sieht man schon an der Anzahl der Beschäftigten, die in der Bundesanstalt für Arbeit damit beschäftigt sind war eher eine Sache am Rande. Das war vielleicht in den Zeiten, in denen diese Behörde entstanden ist, nicht weiter dramatisch. Denn Deutschland war groß geworden in Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder. Aber die Probleme sind heute andere: Jemand, der heute arbeitslos wird, muss möglicherweise etwas sehr unangenehmes lernen und dabei braucht er Hilfe: Er muss möglicherweise lernen, dass er in der Branche, in der er bisher tätig war, keine berufliche Chance mehr hat. Das ist sehr hart für diese Menschen. Und deshalb ist es mindestens genau so wichtig, dass diese Menschen gesagt bekommen, wo ihre Perspektiven sind. Sie müssen ein Ziel haben, und sie müssen auch wissen, wie sie zu diesem Ziel kommen. Deshalb haben wir die Vermittlung von Arbeitslosen jetzt in den Vordergrund gerückt. Wir haben dafür gesorgt, dass aus der Bundesanstalt für Arbeit ein modernes, auf Service ausgerichtetes Unternehmen wird, mit Job-Centern und anderen Dingen. Vermittlung steht im Vordergrund mit aller Schnelligkeit und aller Härte, die man sich in diesem Zusammenhang vorstellen kann.
Selbstverständlich gehört zu besserer Vermittlung auch, dass wir einen Grundkonsens schaffen: Nämlich die Überzeugung, dass es immer und ich betone: immer - besser ist, eine Arbeit zu haben als arbeitslos zu sein. Und dass deshalb jemand, der über längere Zeit arbeitslos ist über die Frage der Qualität oder den Preis seiner Arbeit größere Flexibilität zeigen muss als bisher von unseren sozialen Sicherungssystemen erwartet worden ist. Weil sich die öffentliche Diskussion auf die Probleme derer konzentriert hat, die sich hier im Saal versammelt haben, ist ein bisschen in den Hintergrund getreten, dass wir mit den Dezember-Reformen auch massive Einschnitte bei den Leistungen für Arbeitslose vorgenommen haben. Über den Daumen gepeilt nehmen wir den Empfängern von Arbeitslosenhilfe also den Menschen, die über zwölf Monate arbeitslos sind etwa 2,5 Mrd. Euro von dem weg, was sie sonst bekommen hätten. Ich schätze, dass ungefähr ein Drittel der bisherigen Arbeitslosenhilfeempfänger wegen der Anrechnung von Familieneinkommen oder Vermögen keine weiteren Leistungen mehr bekommen werden, wenn die jetzigen Bescheide ausgelaufen sind. Und ich schätze auch, dass ein weiteres Drittel weitaus weniger bekommen wird als bisher. Das ist bitter, und ich denke, das ist kein Grund für klammheimliche Freude. Wir haben eine massive Reform durchgesetzt, und wir haben das nicht gemacht, weil uns nichts besseres eingefallen ist oder weil uns das Spaß macht, sondern weil wir glauben, dass diese Reform arbeitsmarktpolitisch notwendig und richtig ist.
In diesen Zusammenhang gehört auch das, was Peter Hartz mit seinen Überlegungen zu Personal-Serviceagenturen vorgeschlagen hat. Das ist so etwas wie eine vermittlungsorientierte Leiharbeit. Es gibt das Vorurteil, dass ältere Menschen für Arbeitgeber nicht mehr viel leisten können. Und die Tatsache, dass viele Leute das wirklich glauben, führt dazu, dass sich ein motivierter älterer Arbeitsloser immer wieder bewirbt, dass er aber keine Chance bekommt. Viele von denen können aber vorausgesetzt, sie können mit einem Arbeitgeber einmal in Kontakt kommen beweisen, dass die Sache bei ihnen ganz anders aussieht. Und aus dieser Überlegung und dieser Erfahrung heraus hat Peter Hartz vorgeschlagen, Unternehmen Menschen als Leihkräfte anzubieten, die schon seit längerem arbeitslos sind aber anders als bei der üblichen Leiharbeit mit der Perspektive, dass die Unternehmen ihre neuen Arbeitskräfte behalten. Das wäre ein gewaltiger Fortschritt. Ich habe mich das will ich ganz offen sagen sehr geärgert über manche polemische Diskussion zu diesem Thema. Zum Beispiel über die Aussage, wir würden die Arbeitslosigkeit dadurch reduzieren, dass man die Arbeitslosen alle beim Staat anstellt. Das Gegenteil ist der Fall nämlich eine massive und intensive Arbeitsvermittlung.
Ein weiterer Punkt sind die privaten Arbeitsvermittlungen. Wir haben die private Arbeitsvermittlung voraussetzungsfrei zugelassen. Und das ist ein weiterer Schritt, von dem ich mir eine Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt erhoffe. Da ist allerdings jetzt auch unternehmerische Initiative gefragt. Da müssen jetzt diejenigen ran, die mit dieser neuen Chance Geld verdienen wollen. Wer weiß, dass in den Niederlanden die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit fast ausschließlich eine Sache privater Unternehmen ist Transferzahlungen sind das einzige, was von Seiten des Staates vorgenommen wird der weiß, welche Chancen darin liegen. Aber da müssen sich jetzt die entsprechenden Unternehmen gründen und ihre Dienstleistung auch anbieten.
Wenn wir noch einen Moment beim Thema Beschäftigung bleiben, dann geht es natürlich nicht nur um Arbeitnehmer. Es geht auch um Unternehmensneugründungen und Selbstständigkeit. Da sind viele Hemmnisse, viele Hürden, die weg müssen oder die zumindest niedriger werden müssen. Deshalb gibt es einen Vorschlag aus der Wiesbadener Erklärung der SPD, die wir Anfang Januar verabschiedet haben. Es geht um den so genannten small business act. Wir wollen ein Gesetz schaffen, mit dem wir kleinen Betrieben die Möglichkeit geben, gleich loszulegen. Sie sollen sich nicht aufreiben in einem Wust von bürokratischen Vorschriften. Unsere Idee ist, dass es in den ersten drei Jahren bis zu einem Betrag von 35.000 Euro möglich ist, dass man gleichzeitig seine Buchhaltung darauf beschränkt, dem Staat mitzuteilen, etwa die Hälfte der Einnahmen entsprächen den Kosten. Dadurch versprechen wir uns einen Schub an Beschäftigungsinitiative. Sofort losgehen kann es bis zu einem Betrag von 17.500 Euro, sogar rückwirkend seit dem 1. Januar dieses Jahres. Die Grenze ist nicht willkürlich festgelegt sondern Resultat europarechtlicher Vorschriften. Um höher gehen zu können, brauchen wir eine Genehmigung wir hoffen, die im Laufe des Jahres zu bekommen.
Wir sind auch daran gegangen, etwas zu deregulieren, was bislang nicht so intensiv diskutiert wird da geht es um Kammerbeiträge und Zwangsmitgliedschaft: In den ersten drei Jahren sollen keine Beiträge zu Handwerks- und Handelskammer anfallen. Auch das ist ein Punkt, von dem wir glauben, dass er zu mehr Bewegung, zu mehr Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt führt.
Es gibt eine weitere Überlegung. Dabei geht es um die Frage: Was macht eigentlich der Handwerksgeselle, der ein Unternehmen gründen will? Wenn er alle anderen Gesetze auch beachtet die Handwerksordnung ist möglicherweise nicht auf seiner Seite. Man kann sagen, dass der derzeitige Zustand dazu beiträgt, dass Beschäftigung nicht in dem Maße stattfindet, wie es sein könnte. Warum ist es eigentlich um es vorsichtig zu sagen Schwarzarbeit, wenn den rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend ein Friseurgeselle die Dienstleistung anbietet, den Menschen bei ihnen zu Hause die Haare zu schneiden? Das passiert heute auch verdeckt. Denn niemand würde die Genehmigung bekommen, eine solche Dienstleistung so anzubieten. Was ist mit dem Komplex der Wohnungsrenovierung, gestrichene Wände und so weiter? Da könnte es mehr Bewegung geben, und wenn es um eine Privatwohnung geht, bräuchte auch kein Kommando mit zehn Leuten einzufallen. Weil wir aber ich meine das ganz ernst wissen, was wir am Handwerk haben, an seinen Ansprüchen und seiner Qualität, wollen wir das nicht einfach links liegen lassen. Deshalb haben wir uns mit den Verantwortlichen unterhalten und gefragt, was wir denn machen können. Fest steht zumindest: Auch hier muss etwas passieren, damit mehr Beschäftigung entsteht. Wenn wir es nicht tun, dann tut es die EU, und der Zustand ist ja auch schwer auszuhalten, dass der französische Handwerker etwas tut, was seinem deutschen Kollegen verboten ist.
Ich-AG ist ein Stichwort, das dazu gehört. Das ist im weitesten Sinne mit dem vergleichbar, was ich eben ausgeführt habe. Mit der Ergänzung, dass es für Langzeitarbeitslose möglich ist, für drei Jahre einen Zuschuss zu bekommen statt des Arbeitslosengeldes - wenn sie sich selbstständig machen. Auch das dürfte ein Mehr an Beschäftigung schaffen.
Ich habe jetzt ein ganzes Feld von Dingen und Neuerungen dargestellt, die jetzt auf den Arbeitsmarkt einwirken können. Die Abschaffung von regulierenden Vorschriften ist es im Dezember des letzten Jahres viel weiter gegangen viel weiter als mancher vermutet hat. Und wir hoffen das alles das, was wir als Ziele vorhergesagt haben nun auch stimmt und zur Mehrbeschäftigung führt. Ich selber bin überzeugt davon.
Ich will eine Bemerkung zu dem machen, was heute in der Presse stand. Dort ist daraufhingewiesen worden, dass Deutschland die geringste Steuerquote in Europa hat. Dass in den Industrieländern nur noch Japan unter uns liegt, was die Steuerquote betrifft. Das ist bemerkenswert und auf die offiziellen Daten der OECD zurückzuführen. Das hat also nicht der deutsche Finanzminister erfunden. Ich finde wichtig, darauf noch einmal hinzuweisen.
Wir haben also eine der geringsten Steuerquoten in Europa. Und das wird noch zunehmen, da die Steuersätze ja weiter sinken. Aber - das muss gerechterweise gesagt werden - wenn man Steuer- und Sozialversicherungsabgaben zusammenrechnet und die Steuer- und Abgabenquote ermisst, stehen wir nicht ganz so gut da. Allerdings auch nicht so schlecht, wie es scheint wenn man in manche deutsche Zeitung schaut. Es gibt zwar Länder, die stehen besser da: Irland etwa und die Schweiz, aber viel mehr sind es nicht. Trotzdem und dass will ich ausdrücklich sagen, gibt es Reformbedarf. Und ich bitte Sie deshalb zu beachten - weil wir die Bundesstatistik ja anders rechnen als die OECD - dass wir gesagt haben wir wollen die Steuern und Abgabenquote auf 40% senken. Nach den bisherigen Rechnungen sind es mehr nämlich etwa 41,5 % in 2001 und 1998 waren dies noch 42,4% - also sind wir vorangekommen. Dass das schwierig ist, hat man am Unvermögen unser Vorgängerregierung gesehen. Denn gerade dort ist die Steuer- und Abgabenquote gestiegen, wie lange nicht mehr. Und in diesem Zeitraum von 1982 bis 1998 - sind die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von 32 auf 42 Prozent gestiegen.
Ich sage das nicht, weil ich keinen weiteren Reformbedarf sehe. Im Gegenteil. Aber ich muss das sagen, um die Ausgangslage auch genau zu beschreiben. Wir müssen etwas tun, damit die Sozialversicherungsbeiträge nicht weiter in die Höhe steigen. Das ist wichtig - auch angesichts der demographischen Probleme, die wir noch bekommen.
Ein wichtiger Bereich in diesem Zusammenhang ist die Rente. Da ist bereits in der vergangenen Legislaturperiode viel geschehen. Die Rentenreform, die der damalige Minister Walter Riester auf den Weg gebracht hat, hatte zwei Bestandteile: Das eine ist die Begrenzung des Rentenanstieges. Acht Jahre lang wird wegen der Möglichkeit privater Altersvorsorge die von der Lohnentwicklung abhängige Rentenerhöhung um 0,5 Prozent gesenkt. Das ist im Endeffekt eine Senkung von 4 Prozent. Das wird dazu führen, dass wir mit den Beiträgen zur Rentenversicherung besser hinkommen, als wir gedacht haben. Ein Hinweis: Ohne diese Reform hätten wir heute einen Beitragssatz von rund 21 Prozent. Wir sind derzeit unter 20 Prozent. Aber es bleibt noch etwas zu tun, was die Rente betrifft. Und deshalb sind wir froh, dass die Kommission aus Professor Rürup und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern jetzt bis zum Sommer einen Vorschlag erarbeitet, wie es denn langfristig weitergehen soll. Diesen Vorschlag werden wir umsetzen, mit dem Ziel, einen Anstieg der Rentenbeiträge zu verhindern. Das ist eine langfristig angelegte Sache. Wer internationale Zeitungen liest nehmen wir die Financial Times in der englischen Ausgabe der wird feststellen, dass fast kein europäisches Land seine rentenpolitischen Probleme gelöst hat. Der wird aber auch feststellen, dass wir im internationalen Vergleich eine ordentliche Position haben. Da gibt es Länder, die haben eine gesetzliche Altersgrenze von 60 Jahren, und die haben eine ganze Reihe von Problemen, von denen wir froh sind, dass wir sie nicht haben.
Es wird einiges geschehen beim Thema Gesundheit und Gesundheitspolitik. Wir haben im letzten Jahr die Reißleine gezogen. Jetzt wird die Ministerin ihre Vorschläge vorlegen für das, was im Gesundheitswesen für mehr Wettbewerb sorgen soll. Das wird und spätestens im Frühjahr beschäftigen. Hier geht es zunächst darum, Unerklärliches zu beenden. Dass zum Beispiel ein bestimmtes Medikament in Hamburg das zehnfache dessen kostet, was ein Mensch für das gleiche Medikament in London bezahlen muss wohlgemerkt: für das gleiche Medikament, von der gleichen Firma! Da gibt es viele Dinge, die man bewegen kann, um mehr Spielraum zu schaffen. Und auch das soll dafür sorgen, dass wir die Entwicklung bei den Beiträgen im Griff behalten. Es gibt auch wenn da manche widersprechen nach wie vor ein Überangebot. Es gibt Sachen, die zu Unrecht versprochen, angeboten und geleistet werden. Das muss weg! Und das ist ein schmerzhafter Prozess, für alle Beteiligten wohlgemerkt. Denn Menschen, die man persönlich gut kennt, werden weniger Geschäfte machen, und die werden sich melden, weil es um ziemlich viel Geld geht. Das deutsche Gesundheitssystem hat einen Umsatz von jährlich rund 300 Milliarden Euro! Das ist mehr, als manche veritable Industrie in diesem Lande zustande bringt. Und man kann sich vorstellen, was passiert, wenn diese Summe, dieser Umsatz, dieses Einkommen von so viel Planwirtschaft abhängig ist, wie das im deutschen Gesundheitswesen der Fall ist.
Auch hier geht es darum und die Kommission um Professor Rürup hat sich das vorgenommen die notwendigen Schritte zu tun, um eine Beitragsstabilisierung zu erreichen. Das meiste Geld, wenn ich das so sagen darf, ist im Gesundheitsbereich zu holen. Wieder ein Blick nach England: Da gibt es nicht genug Geld im Gesundheitswesen, und deshalb müssen sich Patienten im Ausland behandeln lassen. Wir haben viel Geld im Gesundheitswesen und müssen mit diesem Geld auch die angemessenen Ergebnisse erzielen. Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir zur Verfügung haben das ist die Kernbotschaft.
Ich will ein weiteres Feld für Wachstum umschreiben. Das ist der Bereich der Steuerpolitik und ich will das nicht fehldeuten in Richtung wachsender Steuereinnahmen und wachsender Abgabenlast für die Menschen. Das Gegenteil ist der Fall. Auch in der Steuerpolitik ist in der Vergangenheit viel passiert. Wir haben eine Körperschaftssteuer auf den Weg gebracht. Es ist eine unternehmensfreundliche Steuerreform. Wir haben dabei das Ziel verfolgt, dass die Unternehmen besser zurecht kommen. Leider ist das nicht von allen auch so wahrgenommen worden. Wir haben die Steuersätze gesenkt, und das wird noch weiter gehen.
Die eigentliche Entscheidung der Koalitionsregierung war dabei, die Steuersätze trotz problematischer Finanzlage weiter zu senken. Das wird auch geschehen. Und am Ende wird es so sein, dass der Spitzensteuersatz, der zum Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl bei 52 Prozent lag, bei 42 Prozent liegen wird. Und der Eingangssteuersatz wird zum Ende der Steuerreform bei 15 Prozent liegen der lag bei Helmut Kohl noch bei 25,8 Prozent. Das bedeutet: Viele Menschen, aber auch viele kleine und mittelständische Unternehmen haben in Zukunft mehr Geld. Und der Staat hat weniger. Das wollen wir so. Es gibt das Problem der Gewerbesteuer heute nicht mehr in dem Maß, in dem das Problem früher bestand. Ein großes Problem ist mit der pauschalierten Anwendung der Gewerbesteuer auf die Einkommenssteuer kleiner geworden.
Ich will zum Abschluss dieses Komplexes ein Thema ansprechen, das die Diskussion im Dezember geprägt hat: Wir haben als Bundesregierung nie vorgehabt, eine Vermögenssteuer einzuführen. Das kann ich so deutlich sagen, weil ich an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen habe. Aber wir haben die Diskussion um das Für und Wider einer Vermögenssteuer nutzen können, um etwas zu tun, was den Vorwurf der Reformunfähigkeit - wie ich finde - eindrucksvoll widerlegt: Wir werden eine Zinsabgeltungssteuer auf den Weg bringen, die wird pauschal bei 25 Prozent liegen. Wir glauben, dass damit mehr Vermögen deklariert werden, als es heute der Fall ist. Das ganze ist auch verbunden mit einer zeitlich befristeten Amnestieregelung für diejenigen, die sich in der Vergangenheit nicht immer ganz richtig verhalten haben.
Wir wollen den Mittelstand stärken. Wir wollen den rund 3,3 Millionen mittelständischen Betrieben helfen. 70 Prozent der Beschäftigten kommen aus diesem Bereich. Alle Reformen, die ich bisher genannt habe, werden in diesem Bereich etwas nützen. Aber wir brauchen noch weitere Reformen, die für den Mittelstand und den Wachstum in unserer Gesellschaft von Bedeutung sind.
Eines der ganz wichtigen Themen in diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht die Mittelstandsfinanzierung. Herr Präses, Sie mögen es mir verzeihen: Aus der Sicht der mittelständischen Unternehmen ziehen sich die Banken immer mehr aus der Finanzierung des Mittelstandes zurück auch die Banken, von denen man das nicht gedacht hätte. Das betrifft bundesweit zum Beispiel die Sparkassen und Volksbanken. Ein wichtiges Stichwort, das deshalb jeder Mittelständler sagen kann, ist Basel II ein Politiker-Unwort, das jeder kennt. Da ist etwas passiert, was ich sehr bedauerlich finde, und das ich als Sozialdemokrat ausdrücklich anders formuliert hätte. Ich glaube, es ist ein großes Problem für unser Land, dass der Aktienmarkt als Instrument der Unternehmensfinanzierung auch der mittelständischen Unternehmen so wenig zur Geltung kommt. Als die new economy so erfolgreich war, da gab es eine kurze Phase, in der man die Hoffnung haben konnte, das ändert sich jetzt. Aber auch dadurch, dass wir einen unglaublichen Boom zu verzeichnen hatten und viele nur noch Dollar-Zeichen in den Augen hatten, wurde der Absturz so schlimm. Da hat dann viele Unternehmer der Mut verlassen - auch der Mut, Unternehmensfinanzierung über Aktien zu verfolgen. - Basel II ist meiner Ansicht in Wirklichkeit gar kein Problem. Wir haben vor, zu helfen, indem wir eine Mittelstandsbank schaffen, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die deutsche Ausgleichsbank verschmelzen, und das, was an Fördermitteln existiert, dort zu verbinden.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Impuls, und wir müssen ihn weitertreiben. In anderen Ländern ist das gelungen. Ich glaube es liegt an vielen Problemen, die etwas zu tun haben mit den Kosten der Kreditvergabe und mit den Regelungen, die dazu existieren. Es muss ein Fließbandprodukt Mittelstandskredit von Seiten der Banken geben, das einfach und schnell vergeben werden kann. Da besteht jetzt Innovationsbedarf, und ich glaube, dass wir uns da von anderen etwas abschauen können. Es wäre schön, wenn das schnell klappen würde.
Es gibt noch eine ganze Reihen von Problemen, die ich nur erwähnen will: Generationswechsel, Zahlungsmoral ein ganz großes Problem für kleine Unternehmen -, und natürlich auch die Frage: Was tun wir für den Konsum? ich nenne das Stichwort Ladenschlussgesetz. Sie wissen, dass wir die Ladenöffnungszeiten an Sonnabenden auf 20 Uhr erweitern wollen, das soll geschehen, und auch davon erwarten wir positive Impulse.
Für Wachstum in Deutschland ist eine weitere Sache von großer Bedeutung: eine Außenwirtschaftsoffensive. Wir wollen da unterstützen, in dem wir das Netz der Auslandshandelskammern ausweiten, die bestehenden Einrichtungen verbessern, die Messen fördern und das auf die mittelständischen Unternehmen konzentrieren.
Wachstum hat auch etwas zu tun mit Zukunftstechnologien, und da ließe sich jetzt eine lange Liste aufzählen. Wichtig ist aus Hamburger Sicht dass nicht alle das gleiche haben, sondern dass man die jeweiligen Stärken fördert. Das gilt für Deutschland, das gilt auch für Hamburg. Zu Zukunftstechnologien gehört auch die Bereitschaft, dass man ein Wagnis auf sich nimmt, dass man auf Dinge setzt, die technisch möglich sind. Ich will deshalb das Thema Transrapid ausdrücklich ansprechen. Etwas trauen müssen sich Staat und Wirtschaft. Als reines Staatsprodukt, als Staatsbahn, ist der Transrapid verloren. Das wird in der laufenden Diskussion manchmal vergessen. Und deshalb war ich persönlich sehr betrübt nicht nur, weil ich als Abgeordneter ständig zwischen Berlin und Hamburg hin- und herfahren musste dass die Transrapid-Verbindung Hamburg-Berlin nichts geworden ist. Ich habe das auch bedauert, weil ich die wirtschaftlich-technischen Chancen eines solchen Projektes ganz gut einschätzen konnte.
Damals waren es 6,1 Millionen Mark, die bereitgestellt worden waren. Aber die deutsche Wirtschaft hat gesagt, das reicht uns nicht. Und wenn wir jetzt die Diskussion nach dem großen Erfolg des Projekts in Shanghai betrachten, dann merkt man auch, wie kleinmütig manche sind, wenn es um die Projekte in Nordrhein-Westfalen und Bayern geht. Auch da sind die Nachschlag-Forderungen der Wirtschaft schon jetzt enorm hoch. Ich glaube aber, dass ein Transrapid-Projekt als Staatsbahn wenig erfolgreich ist. Wir müssen helfen, mit ziemlich viel Geld. Aber es muss am Ende eine privatwirtschaftliche Aktivität sein, die sich rechnet. Sonst wird das nämlich nichts mit den Exporterfolgen. Zumal man davon ausgehen kann, dass Verkehrstechnologie in der globalen, von Austausch und Verkehr geprägten Welt immer weniger eine Sache des Staates, sondern immer mehr eine Sache der Privatwirtschaft wird. Das ist also eine Sache, die sich am Ende rentieren muss. Es ist ja vielleicht kein Zufall, dass China das Land ist, das uns hilft, aus dem Investitions-Startproblem heraus zu kommen. Wir brauchen wenn das Projekt in Deutschland etwas werden soll einen großen Mut der privatwirtschaftlichen Investoren. Ich will das gern unterstützen.
Vielleicht haben wir Glück: Im Rahmen der Städteverbindungen innerhalb der Niederlande ist eine internationale Erweiterung möglich. Da muss Hamburg gemeinsam mit den anderen Engagierten ganz vorn sein, wenn die Diskussion losgeht. Wir müssen dann dafür sorgen, dass Hamburg in ein solches Netz eingebunden wird. Aber ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: Der Mut ist nicht nur vom Staat gefordert sondern auch von den privaten Investoren. Risiko muss man zu tragen bereit sein sonst wäre schon in der Vergangenheit manches Projekt nicht zustande gekommen.
Meine Damen und Herren,
eines wächst in Deutschland nicht: die Bevölkerung. Bis 2030 wird die Bevölkerung in Deutschland wenn die Zuwanderungszahlen sich nicht verändern um 4- bis 8 Millionen Menschen kleiner sein. Das ist ein großes Problem, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den Staat. Denn er nimmt weniger ein, weniger für die sozialen Sicherungssysteme, für die Infrastruktur, für alles, an das wir uns gewöhnt haben. Dass das in Deutschland so ist, liegt zu einem ganz großen Teil an uns selber. Denn im Vergleich der entwickelten Industrieländer haben wir eine der geringsten Geburtenraten. Nun bin ich nicht der Ansicht, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen, primär eine bevölkerungspolitische oder staatliche Angelegenheit ist. Wer sich für Kinder entscheidet, tut dies aus Zuneigung oder aus committement gegenüber den jungen Menschen. Aber bestimmt nicht, weil man an politische Probleme und an die eigene Rente denkt. Dennoch: Deutschland hat eine Geburtenrate von 1,2 bis 1.3 im Vergleich: Frankreich liegt bei 2, Norwegen sogar über 2. Und wir liegen auch hinter vielen anderen europäischen Ländern, auch hinter den USA. Die spannende Frage: Woran liegt das? Die Antwort ist ganz einfach: In keinem Land Europas wird es Menschen schwieriger gemacht, Kinder zu haben, als in Deutschland. In keinem Land Europas ist es so, dass Eltern, die beide arbeiten wollen, im Prinzip kaum die Möglichkeit haben, das zu organisieren weil sie nur sehr schwer Betreuungsmöglichkeiten in Kindergärten oder Kindertagesstätten finden. Das ist ein wichtiges Investitionshemmnis. Ich weiß von Unternehmensberatern, dass wir auch vor diesem Hintergrund Probleme bekommen -weil nämlich die internationalen Manager und die Firmen, die über Ansiedlungen diskutieren, nicht wollen, dass Frauen arbeitslos werden, wenn die Familien nach Deutschland ziehen.
An diesem Problem müssen wir etwas ändern. Ich glaube deshalb, dass es ein guter Schritt ist, dass die Bundesregierung 4 Mrd. Euro ausgeben will für Ganztagsschulen und 1,5 Mrd. für eine Ausweitung der Kinderbetreuung in Deutschland. Das ist dann auch Aufgabe der Kommunen, aber mit der Entscheidung der Bundesregierung ist ein Signal gegeben worden, in welche Richtung es jetzt gehen soll. Der Satz jedenfalls, dass Industrieländer zwingend geringe Geburtenraten haben ein Satz, der noch in meinen Schulbüchern stand der stimmt nicht. Und wer das bewiesen haben möchte, der muss nur ins europäische Ausland blicken. Wir haben das Problem. Wir gemeinsam mit Spanien und Japan. Da gibt es allerdings auch Traditionen, die ich hier nicht erläutern will, die diese negative Entwicklung fördern.
Wer diese Frage diskutiert, kommt am Thema Zuwanderung nicht vorbei. Ich bin sehr betrübt darüber, dass ein Gesetz entstanden im Konsens zwischen Kirchen, Wirtschaft und Gewerkschaften der Polemik im Bundestagswahlkampf zum Opfer gefallen ist. Wir brauchen eine vernünftige Regelung für die Zuwanderung. Ich hoffe sehr, dass uns diese Regelung im zweiten Anlauf gelingt. Denn sonst werden wir große wirtschaftliche Schwierigkeiten bekommen, die wir uns gar nicht ausmalen können. Wir werden den Bevölkerungsverlust, den ich vorhin angesprochen habe, nicht allein durch Zuwanderung auffangen können. Wer so etwas sagt, der irrt sich gewaltig.
Ich will etwas sagen über die Absurdität des deutschen Ausländerrechts. Es gibt auch bei uns viele ausländische Studierende, die sich hier in Studiengängen qualifizieren. Das sind Leute, die kommen zum Beispiel aus China, die sind hochqualifiziert in Studiengängen, die hier angeboten werden. Und die würden gern sofort nach dem Studium hier eine Arbeit aufnehmen. Und es gibt viele Arbeitgeber, die diesen Leuten gern sofort eine gut bezahlte Arbeit geben würden. Das erlaubt das Gesetz aber nicht. Weil zumindest indirekt gesagt wird, das Studium sei eine Art Entwicklungshilfe, und die Absolventen mögen jetzt doch zurück in ihr Heimatland gehen. Das tun die aber nicht. Die gehen in die USA und werden da reich. Das ist keine kluge Politik. Im Gegenteil: Das ist absurd. Das heißt: Wir dürfen uns nicht allein auf Zuwanderung verlassen. Wir müssen auch etwas dafür tun, dass die Menschen, die sich hier qualifiziert haben, mit ihren Kenntnissen und ihren Qualifikationen auf dem Arbeitmarkt etwas anfangen können.
Wovor ich mich fürchte das ist eine Situation im Jahr 2007 oder 2008. Wir wissen, dass wir in diesen Jahren einen Arbeitskräftemangel haben werden. Aus der Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung kann man das vorhersehen. Trotz aller Befürchtungen, die wir heute haben: Es wird einen Mangel an Arbeitskräften geben. Und die Schreckensvision als Politiker, als Mensch, der ein Anliegen verfolgt, das ist die: Dass wir im Jahr 2007 oder 2008 eine hohe Arbeitslosigkeit haben und gleichzeitig Massendemonstrationen des Industrie- und Handelskammertages für mehr Zuwanderung. Weil man nämlich die Arbeitplätze, die man hat, nicht besetzen kann und nicht besetzen will mit denen, die da sind. Deshalb spielen die Themen, die wir vorhin diskutiert haben, employ abilitiy - also Beschäftigungsfähigkeit - Flexibilität der Beschäftigten, auch auf Angebote einzugehen, Bildung und Ausbildung eine zentrale Rolle. Keine Gesellschaft kann eine solche Situation politisch aushalten, dass es eine große Zahl von Arbeitslosen gibt und gleichzeitig einen Mangel an Arbeitskräften. Deshalb ist alles, was wir im Zusammenhang mit Reformen von Arbeitsmarkt und Bildung diskutieren, von großer Bedeutung.
Ich will noch ein paar Sätze sagen zu Hamburg und zu dem, was das Gesagte für unsere Stadt bedeutet: Hamburg hat heute 1,7 Millionen Einwohner. Es waren schon mal mehr. Im Zeitraum zwischen dem Anfang der 70er bis Mitte der 80er Jahre haben wir fast 220.000 Einwohner verloren. Die Zahl ist in den letzten Jahren wieder leicht angestiegen - auch als Folge der Deutschen Einheit. Aber die Tatsache, dass wir heute wieder nahezu die Bevölkerungszahl des Jahres 1970 haben, haben wir fast ausschließlich der Zuwanderung zu verdanken. Übrigens zum großen Teil aus Ländern außerhalb der Europäischen Union. Das ist ein Aspekt, der häufig vergessen wird, wenn wir über das Thema Wachsende Stadt diskutieren.
Die Bevölkerung in Hamburg nimmt ab, weil wir in Hamburg zu wenig Kinder haben das war schon immer so. Wenn wir uns die Bevölkerungsstruktur ansehen, dann stellen wir fest: Es gibt viele Menschen im erwerbsfähigen Alter, weniger Alte und ganz wenige Junge.
Was ich aber auf keinen Fall für eine richtige Vision für die Kernstadt Hamburg halte, dass ist die Vorstellung, wir könnten die Hamburger Probleme lösen, wenn wir dem Umland ein paar Leute wegnehmen. Denn Hamburg als Metropolregion ist so stark, weil wir ein starkes Umland haben und da soll Lübeck ruhig dazu gehören. Aber Hamburg ist nicht stark, weil es sich auf seine 1,7 Millionen Einwohner beschränkt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kooperation mit dem Umland für die Metropole Hamburg wie für den Wirtschaftsraum von ganz großer Bedeutung ist.
Natürlich freue ich mich als Hamburger über jeden, der sein Reihenhaus nicht in Schleswig-Holstein baut. Und es ist richtig, das wir in der Vergangenheit Regierungsprogramme hatten, um etwa den Reihenhausbau zu forcieren. Wir wollen eine attraktive Stadt, und dazu gehören die Theater, die AOL-Arena und die Museen. Und dazu gehören auch die Olympischen Spiele. Olympia in Hamburg das ist eine großartige Vorstellung, und ich habe in meiner kurzen Zeit als Senator die ersten Anfänge dieses Projektes miterleben können. An diesem Punkt eine Zwischenbemerkung: Dass ich mich für die Olympiabewerbung Hamburgs einsetze, sieht man daran, dass ich schon für das Projekt war, als ein Politiker in Hamburg stattdessen für die Internationale Gartenbauausstellung und ein anderer für Leipzig war....
Sehr geehrter Präses Dr. Dreyer, meine Damen und Herren,
ich meine, dass wir ein Nullsummenspiel betreiben würden, wenn wir als Hamburger in unserer Metropolregion auf Kosten des Umlandes wachsen wollten. Aber wir müssen in jedem Falle eine kinderfreundliche Stadt werden. Das ist wahrscheinlich der wichtigste Punkt, den wir uns vornehmen müssen, damit wir ein bisschen besser vorankommen in der Frage, wie wir das Problem fehlender Menschen für unsere Arbeitsplätze lösen. Deshalb brauchen wir mehr Möglichkeiten zur Betreuung und zwar das unterstreiche ich ganz besonders - nur so viel, wie die Menschen, die Eltern in Hamburg auch haben wollen. In jedem Falle ist das aber viel mehr, als das, was wir derzeit haben.
Wie absurd die derzeitige Situation ist, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch merken, wenn es um die Frage der Reihenfolge bei der Vergabe von Plätzen in Kindertagesstätten geht. Da wird es dann einen Katalog geben. In dem steht erstens: Sozialhilfeempfänger. Zweitens: Alleinerziehende. Drittens: Kinder von Eltern mit Sprachproblemen. Viertens: Berufstätige Eltern. Das ist Resultat des Mangels und der falschen Ausrichtung, weil die Eltern etwas ganz anderes haben wollen.
Wir sollten uns keine Illusionen machen: Das alles wird ebenso mit dem Thema Zuwanderung zu tun haben. Und deshalb möchte ich den konservativen Wissenschaftler Meinhard Miegel zitieren, der zu diesem Thema bei einer Tagung der HHLA etwas gesagt hat, was ich Ihnen nicht vorenthalten will:
Hamburg hat folgende Optionen: Entweder es stellt sich auf eine rasch schwindende Bevölkerung ein das Konzept wachsende Stadt war da mal so eine Idee oder es hält seine Bevölkerungszahl, verarmt aber, weil all zu viele nicht integrierte Zuwanderer nur unzulängliche Beiträge zur Wertschöpfung leisten. Oder Hamburg erbringt Integrationsanstrengungen, die quantitativ weit über das hinaus gehen, was bisher unter Integrationsanstrengungen verstanden worden ist. So weit Professor Miegel.
Was er sagt, das heißt, dass wir bei der Frage unseres Bildungswesens fachlich, qualitativ und quantitativ Investitionen brauchen, die über das jetzige Maß weit hinaus gehen. Miegel hat ausgerechnet, was Hamburg eigentlich hätte aufwenden müssen, wenn es die Zahl der Berufstätigen aus der eigenen Kinderzahl geschöpft und die alle ausgebildet hätte: Jedes Jahr wären 1,5 Mrd. Euro mehr für Schule und Bildung nötig gewesen. Sie wissen, was diese Summe bedeutet.
Ich glaube, dass wir über die zukünftige Entwicklung Hamburgs, über seine Einwohnerzahl, seine Wirtschaftskraft diskutieren müssen als ernsthafte Angelegenheit, als ein Thema, das sehr viel mit Zukunft zu tun hat.
Wenn wir über Wachstum diskutieren, dann darf auch der Blick nicht fehlen auf die Erweiterung der Europäischen Union. Das, was in diesem Jahr stattfindet, ist ein bemerkenswerter Vorgang. Die EU wächst um etwa 100 Millionen Menschen. Fast 500 Millionen Menschen werden dann im Wirtschaftsraum sein. Die Verhandlungen waren so, dass alle alles nehmen müssen. Es gibt keine opting-out-Möglichkeiten, wie sie für die alten Vertragsstaaten existiert haben. Bis zum Euro, den Umwelt- und Sozialstandards und den wirtschaftsrechtlichen Regelungen ist alles unverändert durchgesetzt worden. Deutschland rückt in die Mitte der EU. Und was für ein Wachstumsimpuls entsteht, wenn man vom Rand in die Mitte rückt, das hat Hamburg gemerkt, als die Deutsche Einheit endlich wieder vollzogen werden konnte. Das war der Wirtschaftsboom, den man dann auch an den Bevölkerungszahlen ablesen konnte, über die ich vorhin gesprochen habe.
Der Handel mit den Beitrittsländern hat sich seit 1995 verdoppelt. Er beträgt heute ungefähr 140 Mrd. Euro, das ist ungefähr die Größenordnung, die für den Austausch mit den USA gilt. Und die Wachstumsrate liegt bei rund 50 Prozent. Für uns wurde gesagt, diese Entwicklung könne unser Wirtschaftswachstum um rund 0,5 Prozent steigern. Bei den Größenordnungen, über die wir derzeit diskutieren, wird klar, was diese 0,5 Prozent bedeutet.
Ich glaube, dies ist der wichtigste Prozess der nächsten Jahre. Hamburg gehört für mich zu den größten Profiteuren dieses Prozesses. Wir sollten den Menschen jetzt Mut dabei machen. Wir sollten ihnen jetzt sagen, dass es gut ist, dass der Urlaubsstrand auf Costa Rica nicht mehr leichter zu erreichen ist als das Moldau-Ufer in Prag so wie es zu den Zeiten des Eisernern Vorhangs gewesen ist. Wir werden von diesem Prozess des Zusammenwachsens wirtschaftlich, kulturell und politisch profitieren. Diese Chance und alle anderen Wachstumschancen, die uns jetzt zur Verfügung stehen, sollten wir nutzen.
Vielen Dank.
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20.01.2003