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27.12.2002

Interview mit der WELT

 

DIE WELT: Nach einer Phase der Depression und lauter Kakophonie in den eigenen Reihen — durchschreitet die SPD ein Tal der Tränen?

 

Olaf Scholz: Wir haben den Tiefpunkt hinter uns gebracht, nun geht es aufwärts. Die Regierung handelt, Die Beschlüsse zu Hartz-Konzept, Beitragssicherungsgesetz und dem Schließen von Steuerschlupflöchern sind gefasst. Die Einigung über geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ist dabei beispielhaft für viele andere Beschlüsse, die uns nach vorn bringen,

 

 

Warum aber handelt die Regierung erst jetzt, warum ist erst jetzt ein roter Faden sichtbar?

 

Der rote Faden liegt doch bereits den Konzepten zu Grunde, auf deren Basis wir diskutiert haben und nun handeln. Wir senken Steuersätze, damit geht es 2004 und 2005 weiter. Der Spitzensteuersatz sinkt von 53 auf 42 Prozent, der Eingangssteuersatz sinkt von 25,9 Prozent auf 15,9 Prozent. Nicht zuletzt bei der Zinsabgeltungssteuer verbreitern wir die Bemessungsgrundlage, senken aber den Steuersatz.

 

 

Die Konjunkturaussichten trüben sich weiter ein. Wo wollen Sie kürzen und sparen, um einen 42-prozentigen Spitzensteuersatz zu kompensieren?

 

Den hatten wir schon finanziert, als die Steuerreform in der letzten Legislaturperiode Bundestag und Bundesrat passierte, Die Mindereinnahmen sind bereits in der Finanzplanung berücksichtigt.

 

 

Mit Blick auf Minijobs und Leiharbeit sind Sie auf einen neuen Kurs eingeschwenkt, der Union entgegengekommen - zum Ärger der Gewerkschaften, aber auch in Ihrer Fraktion.

 

Wir haben uns mit dem Hartz-Konzept auf die größte Arbeitsmarktreform in Deutschland verständigt. Der Arbeitsmarkt bleibt vom Kündigungsschutz geprägt. Daneben brauchen wir aber flexible Sektoren, die ausgebaut werden müssen, um alle Beschäftigungschancen zu nutzen. Um allen über 50-jährigen Arbeitslosen einen Wiedereinstieg zu verschaffen, haben wir jetzt ohne zeitliche Grenzen befristete Arbeitsverhältnisse ermöglicht. Erfolgreiche Gesellschaften wie die Niederlande haben uns gezeigt, welche Beschäftigungseffekte der Ausbau der Leiharbeit bewirkt. Deshalb holen wir die Leiharbeit aus der Schmuddelecke. Am Ziel wird die Leiharbeit statt einem Prozent fünf Prozent unseres Arbeitsmarktes ausmachen.

 

 

Außerdem schaffen Sie das 325-Euro-Gesetz ab, das in Ihrer Partei lange als unantastbar galt.

 

Wir reformieren das 325­Euro-Gesetz auf der Basis seiner Erfolge. Es ist damit immerhin gelungen, viele Betrügereien zu unterbinden. Jetzt kriegen wir endlich im Korridor zwischen 401 und 800 Euro eine Progressionszone wie sonst nur im Steuerrecht. Das war dringend erforderlich.

 

 

Die Union betont, mit diesem Gesetz werde eine Forderung ihres Wahlprogramms eins zu eins" umgesetzt. Stört das den Generalsekretär der SPD?

 

Nein, da zucken die Wähler genauso gelangweilt mit den Achseln wie wir.

 

 

Plötzlich streben Sie eine Zinsabgeltungssteuer an. Von der Vermögensteuer ist in der SPD nicht mehr die Rede.

 

Was nützt es, Steuern nur theoretisch zu erheben? Das ist doch der Fall, solange steuerpflichtige Bürger ihr Kapital ins Ausland schaffen. Dieses Vermögen, das bisher außerhalb der Grenzen schlummert, soll nun wieder in Deutschland besteuert werden. Diese Pläne zur Zinsabgeltungssteuer sind fastgenial. Sie sorgen dafür, dass der Staat mehr einnimmt, obwohl der Steuersatz für viele sinkt. Was soll man dagegen einwenden?

 

 

Warum kam der Plan zur Zinsabschlagsteuer nicht schon im Oktober oder November?

 

Wir haben uns immer an internationale Absprachen gehalten. Diese Absprachen sind jetzt vorangekommen. Damit kann eine jahrzehntelange Tradition der Besteuerung von Zinseinnahmen in Deutschland im europäischen Rahmen verändert werden. Wir fahren also keinen Sonderkurs, sondern entwickeln eine europäische Nor­malversion der Zinsabgeltungssteuer. Das stärkt den Finanzplatz Deutschland.

 

 

Die Schweiz bekommen Sie auch noch auf die europäische Seite? Oder bleibt sie als Fluchtziel für Kapital erhalten?

 

Ob wir die Schweiz noch auf unsere, die europäische Seite kriegen, weiß ich nicht. Es ist aber auch nicht einfach, einen schlechten Ruf zu haben.

 

 

Das Wort Vermögensteuer scheint in der SPD plötzlich tabu. Darf man den Begriff noch verwenden?

 

Man darf ihn noch verwenden. Doch eine Steuer, die man nur fordert, aber nicht bekommt, hilft wenig weiter Wir haben uns für eine andere, mehrheitsfähige Steuer entschieden, die uns Mehreinnahmen für Bildung und Forschung sichert.

 

 

Aber werden damit nicht all jene in der SPD düpiert, die stets eine Vermögensteuer wollten?

 

Den Befürwortern geht es um die Sache Bildung und nicht um das Instrument Vermögensteuer.

 

 

Wird nach den Landtagswahlen am 2. Februar die Mehrwertsteuer erhöht?

 

Wir werden die Mehrwertsteuer nicht erhöhen, weder vor noch nach den Wahlen. Eine solche Erhöhung könnte ohnehin nur mit dem Bundesrat beschlossen werden. Sollte also die Opposition solche Pläne schmieden, sollte sie diese jetzt offen legen.

 

 

Friedrich Merz fordert, Zuschläge für Nacht-, Sonntags-und Feiertagsarbeit zu besteuern. Wäre dieser Vorschlag nicht ein Weg, um Millionen in die Kassen von Hans Eichel zu spülen?

 

Das ist ein schlechter Vorschlag. So etwas machen Sozialdemokraten nicht mit. Aber Herr Merz steigt in meinem Ansehen, weil er immer mal wieder die Wahrheit sagt. In Wahrheit wollte die Union diese Zuschläge schon immer besteuern. Im Wahlkampf hat Herr Stoiber dies noch von sich gewiesen. Jetzt also entlarvt der Merz den Stoiber.

 

 

In der Öffentlichkeit sind allein Herr Gabriel und Herr Koch präsent. Selbst in der SPD gilt Herr Bökel als blass. Fürchten Sie in Hessen eine erneute Niederlage?

 

Erst einmal ist es gut, dass Sigmar Gabriel im Zentrum des Interesses steht. Wer will schon, dass ein Herr Wulff Niedersachsen regiert? Herr Koch ist vor allem präsent auf Grund seiner ständigen Entgleisungen, die kein Zufall sind, denn er ist ein sehr berechnender Politiker. Wer in Hessen seriös regiert werden will, wählt Bökel.

 

 

Wie wollen Sie denn nun Ihre wahlkampfmüde Mitgliedschaft motivieren?

 

Die Wende zum Jahresende bringt uns einen neuen Schub. Um die Motivation sorge ich mich daher nicht. Die Opposition agiert konzeptlos und zerstritten. In der Union zeigt dabei ein neuer, mächtiger und erzkonservativer Flügel sein Gesicht. Herr Merz als sein wichtigster Repräsentant verkündet, er hätte in einer Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz Parteichefin Merkel geschlagen. Merz beklagt, 16 Jahre habe Herr Blüm die CDU-Parteitage beherrscht, der CDU habe der Kompass gefehlt. Merz will sich von der sozialen Marktwirtschaft verabschieden. Ich glaube, wir müssen uns da auf einiges gefasst machen -und Frau Merkel wohl auch.

 

 

Nun ist das Verhältnis zwischen SPD und Grünen in Berlin nicht eben gut. Die Grünen sehen sich als Reformmotor und klagen über die SPD als Betonfraktion. Sehen Sie diese Aufteilung auch so?

 

Nein. Die SPD wird sich von niemandem den Modernisierungsschneid abkaufen lassen. Wir akzeptieren eine solche Aufteilung nicht. Die SPD hat seit 1998 eine konsequente Reformpolitik betrieben. Die setzen wir nun fort.

 

 

Nach dem Scheitern des Zuwanderungsgesetzes werden Sie um einen Kompromiss mit der Union nicht herumkommen. Steht Ihnen damit neuer Streit mit den Grünen über deren Prestigeobjekt ins Haus?

 

Wir bringen das Gesetz wieder ein. Fast alle sind dafür: Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen und viele mehr. Hätte Herr Stoiber nicht versucht, mit der Blockade dieser Reform Bundeskanzler zu werden, wäre das Gesetz so, wie es ist mit CDU-Stimmen be­schlossen worden. Die Menschen wollen kein Polittheater, sondern dass Gesetze, über die eigentlich alle einig sind, auch beschlossen werden.

 

 

Das Bundeskabinett hat einen Altersdurchschnitt von 57 Jahren. Das Durchschnittsalter im SPD-Präsidium beträgt über 60 Jahre. Wo bleiben die Jüngeren in der SPD?

 

Wir haben seit der Wahl viele neue Abgeordnete in der Fraktion, die recht jung sind. Viele Jüngere sind als Staatssekretäre neu in der Regierung. Und der Parteivorstand der SPD ist deutlich jünger als das Präsidium. Wir werden diese Verjüngung fortsetzen.

 

 

Das Interview führte Daniel Friedrich Sturm.