Interview mit der WELT am SONNTAG
WELT am SONNTAG: Die Hamburger SPD hat innerhalb von fünf Monaten 16 Prozent an Zustimmung verloren. Müssen Sie als Landeschef jetzt nicht zurücktreten?
Olaf Scholz: Quatsch. Die SPD hat am 22. September 2002 die Bundestagswahl gewonnen. Das war auch mit einem guten Ergebnis in Hamburg verbunden. Jetzt drückt die bundespolitische Stimmung die Werte. Das lässt sich nur durch harte Arbeit wieder in Ordnung bringen.
An der Parteibasis herrscht inzwischen Unruhe.
Wenn es der SPD schlecht geht, machen sich alle in der Partei Sorgen. Das ist völlig in Ordnung.
Sie sind Generalsekretär Ihrer Partei. Muss der Hamburger Landesverband das jetzt ausbaden?
Das glaube ich nicht. Wir haben 2005 Neuwahlen, und dann wird der jetzige Senat wegen schlechter Arbeit abgewählt.
Die Vorsitzenden anderer Landesverbände äußern inzwischen Kritik am Kanzler Gerhard Schröder. Als Generalsekretär sind Ihnen die Hände gebunden.
Alle können das, was notwendig ist, sagen. Ich auch.
Müssen Sie als Generalsekretär aber nicht kritischer gegenüber den Kanzler sein, der im Tagesgeschäft die reine Lehre" nicht hochhalten kann?
Niemand kann die reine Lehre hochhalten.
Wenn zwischen Sie und dem Kanzler kein Blatt Papier passt: Was kann der Generalsekretär tun, damit die SPD aus dem Tal herauskommt?
Wir müssen uns stärker zu unserem Reformkurs bekennen und durch Taten überzeugen. Das ist etwas Ernsthaftes und nichts für schnelle Sprüche. Unter anderem soll die Debatte über ein neues Programm den roten Faden unserer Politik erkennbar machen. Wir müssen zum Beispiel erklären, dass die sozialen Sicherungssysteme schnell und entschlossen reformiert werden müssen. Wir wollen mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt bei Wahrung der Arbeitnehmerrechte. Wir werden 2004 und 2005 die Steuern für Arbeitnehmer, Familien und Mittelstand noch mal senken. Und wir wollen kurzfristig weiter alles tun, um einen Krieg im Irak zu verhindern. Das war eine Auswahl an Zielen und Themen, mit denen wir wieder nach oben kommen werden.
In Hamburg steigt die Zustimmung zum bürgerlichen Senat, die SPD dagegen verliert. Wie wollen Sie als Landesvorsitzender Ihren Verband aus dieser Lage herausführen?
Wir haben uns in der Bildungspolitik bereits neu aufgestellt und werden das Anfang April bei der Inneren Sicherheit tun. Das zeigt: Wir können es besser als der Senat, der viele Wahlversprechungen nicht erfüllt hat. Kein Senator sollte sich mit Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse in Sicherheit wiegen. Wenn sich das Blatt bundespolitisch wendet, werden wir sehen, dass die Stimmung für den Senat keineswegs gut ist.
Wofür steht die Hamburger SPD in der Bildungspolitik und bei der Inneren Sicherheit?
Im Bildungsbereich fordern wir mehr Qualität und mehr Leistung als in der Vergangenheit. Zugleich müssen alle Kinder gute Chancen auf eine solide Ausbildung haben. Zudem brauchen Hamburgs Eltern und Kinder mehr Kindergärten. Deshalb haben wir eine Volksinitiative gestartet. Mehr als 20 000 Unterschriften zeigen, dass die SPD in der Lage ist, Menschen zu mobilisieren. In der Frage der Inneren Sicherheit wollen wir eine starke Polizei und effizient arbeitende Strafgerichte und lassen uns nicht durch Vorurteile leiten wie Innensenator Schill.
Sie haben gerade den Kurswechsel beschrieben, den die SPD im vergangenen Jahr vollzogen hat. Die Wähler honorieren das bislang nicht.
Die Menschen nehmen das sehr wohl zur Kenntnis und werden es bei der Bürgerschaftswahl 2005 berücksichtigen. Dass wir jetzt eine schwere Zeit erleben, weiß jeder.
Es hat in den vergangenen Tagen Forderungen gegeben, den SPD-Herausforderer für Bürgermeister Ole von Beust nicht wie geplant Anfang 2005, sondern Anfang kommenden Jahres zu wählen. Sie waren dagegen. Warum?
Es gibt in schwierigen Situationen immer alle möglichen Forderungen. Allerdings sollte man diese Entscheidung treffen, wenn abzusehen ist, wer gewinnen könnte. Das hat man im vergangenen Jahr bei der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der Union erleben können und 1998 bei der SPD. Hätten wir schon jetzt einen Spitzenkandidaten nominiert, hätte er oder sie angesichts der Umfragewerte große Schwierigkeiten. Jetzt gilt: Cool bleiben, Nerven behalten.
Das könnte dazu führen, dass vor allem über die Spitzenkandidatenlosigkeit der SPD debattiert wird, anstatt über inhaltliche Veränderungen.
Diese Sorge habe ich nicht. Im übrigen ist es doch Klasse, wenn die Hamburger Medien wild darüber spekulieren, wer Ole von Beust schlagen wird.
Ihr Finanzexperte Werner Dobritz hat dem Senat bei der Finanzpolitik eine informelle große Koalition angeboten. Können Sie sich damit anfreunden?
Ja, tatsächlich ist in der Finanzpolitik eine Zusammenarbeit dringend erforderlich. Da gibt es einiges einzulösen. Alles, was Finanzsenator Wolfgang Peiner gesagt hat, widerspricht Ankündigungen der Unions-Ministerpräsidenten - also auch des Hamburger Bürgermeisters - in Bezug auf ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat. Peiner fordert eine Verbesserung der Einnahmesituation von Länder- und Gemeinden. Die Länderchefs der Union wollen aber entsprechende Vorschläge im Bundesrat ablehnen. Das wird noch spannend.
Sollte die SPD auch auf anderen Gebieten enger mit dem Senat zusammenarbeiten?
Berührungsängste hatten wir noch nie. Man muss es aber nicht übertreiben.
Das Interview führte Oliver Schirg.