arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

08.09.2010

Wenn der Betrieb der alten Kraftwerke jetzt nochmal verlängert wird, dann verdienen einige sehr viel Geld.

Weserkurier: Herr Scholz, ihr Parteifreund und ehemaliger Erster Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, hat jetzt gesagt, die SPD tue Thilo Sarrazin unrecht. Hat Herr von Dohnanyi damit nicht recht?

 

Olaf Scholz: Wir haben ein ordentliches Verfahren in der SPD, um über die Frage der Mitgliedschaft zu entscheiden. Insofern muss sich keiner Sorgen machen. In der Sache ist es so, dass wir als Sozialdemokraten der festen Überzeugung sind, dass niemand an die Fesseln seiner Herkunft gebunden ist. Die SPD ist entstanden, um diese Verhältnisse zu ändern und war sehr erfolgreich. Wenn es so geblieben wäre, wie zur Entstehungszeit der Sozialdemokratie vor bald zwei Jahrhunderten, würden nur wenige im Land ordentliche Schulabschlüsse haben und auch die Arbeits- und Lebensbedingungen wären ganz anders. In den unteren Schichten steckte ganz viel Potenzial. Das ist auch heute noch so.

 

Sie haben gerade auf dem Podium hier in Bremen von einer Milieuverengung in der Politik gesprochen und darauf hingewiesen, dass im Bundestag fast nur noch Akademiker mit ihren Lebensbedingungen sind. Erlebt die Politik insgesamt und die SPD in der Auseinandersetzung um Sarrazin nicht genau das? Eine Mehrheit der Bevölkerung und der SPD-Basis sieht den Fall komplett anders als die SPD-Spitze und will nicht, dass Sarrazin ausgeschlossen wird.

 

Diese These ist doch recht weit hergeholt. Die Meinungen sind in allen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich. Klar ist: Wenn fast der ganze Bundestag und die Journalisten aus dem ziemlich kleinen Milieu der akademischen Mittelschicht kommen, ist die Gefahr groß, dass das Gefühl für die Ansichten vieler Bürger verloren geht. Deshalb bin ich auch für Volksentscheide auf Bundes- und Länderebene, die vielleicht auch den einen oder anderen Politiker aus der Binnensicht der politischen Milieus auf den Boden der Tatsachen holt. Im Übrigen: Jeder, der über die Köpfe der Bürger unseres Landes hinweg spricht, macht etwas falsch. Es ist nie ein Problem, Fehlentwicklungen zu beschreiben und auch laut zu benennen. Aber dabei darf die Grenze zum Ressentiment nicht überschritten werden. Wer diesseits dieser Grenze bleibt, der wird auch ernst genommen.

 

Der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky, fordert eine Kita-Pflicht ab dem ersten Lebensjahr. Der Regierende Bürgermeister Berlins fordert ebenfalls eine Kita-Pflicht. Können Sie das für Hamburg oder gar bundesweit ab dem ersten Jahr nachvollziehen?


Wir müssen uns sehr um die Entwicklung junger Leute bemühen. Und da müssen wir auch bereits vor der Schule ansetzen. Dazu gehört auch ein flächendeckendes Angebot von Krippen und Kindergärten das bezahlbar ist. In Rheinland-Pfalz ist es gelungen, so etwas Stück für Stück kostenlos anzubieten. So wird es ja auch hier in Bremen vorangetrieben.

 

In der Diskussion um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hat Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel der Bundesregierung vorgeworfen, sie sei käuflich. Vergreift er sich da nicht etwas im Ton? Das beschreibt ja drastisch ein sehr konkretes Geschäft zweier Seiten.


Das wirtschaftliche Interesse, das hinter der Entscheidung der Regierung steht, ist doch offensichtlich. Es hat in Deutschland ein langfristig angelegtes Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie gegeben. Damit war schon eine ganze Reihe von Vergünstigungen für die Energieunternehmen verbunden. Sie wurden von der Pflicht zur Wiederaufbereitung entbunden. Es wurde ihnen erlaubt, wegen der immer noch ungelösten Endlagerfrage, Zwischenlager an den Kraftwerken einzurichten und damit der Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke überhaupt ermöglicht. Abgerundet wurde das mit einem Vertrag zwischen Staat und Atomwirtschaft. Wenn der Betrieb der alten Kraftwerke jetzt nochmal verlängert wird, dann verdienen einige sehr viel Geld und es unterbleiben die Investitionen, die notwendig sind, um den Bestand an Energieerzeugungskapazitäten so zu modernisieren, dass wir irgendwann nicht mehr abhängig von den alten Formen der Energieerzeugung sind. Das wird alles verbaut. Und dieses wirtschaftliche Interesse zu thematisieren, halte ich für absolut notwendig.

 

Aber nochmal: Der Begriff der Käuflichkeit ist doch sehr drastisch.


Viele Bürger werden das ähnlich gesehen haben, als mit den Unternehmen verhandelt wurde, wie viel sie für die zusätzlichen Gewinne zu zahlen bereit sind. Das war ein schlechtes Schauspiel. Niemand kein Bürger sonst kann so mit dem Staat über seine Steuerlast verhandeln.

 

Kann die SPD schon jetzt den Ausstieg aus dem späteren Ausstieg der Atomkraft verkünden?


Wenn es überhaupt dazu kommt. Wir werden alles versuchen, um eine solche Entscheidung über den Bundesrat zu verhindern, notfalls auch mit dem Bundesverfassungsgericht. Aber sollte es dennoch zur Verlängerung der Laufzeiten kommen, wird eine sozialdemokratische Regierung die wieder rückgängig machen.  

 

 

Das Interview führte Jan-Philipp Hein. Eine Zusammenfassung finden sie auch unter www.weser-kurier.de.