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23.03.2009

"Wie Herr Seehofer Frau Merkel auf der Nase herumtanzt, ist einfach unglaublich."

Interview im Vorwärts

 

Herr Minister, Millionen Deutsche sorgen sich angesichts der Weltwirtschaftskrise um Ihren Job. Zu Recht?

Olaf Scholz: Ja, zu Recht. Die Wirtschaftskrise ist weltweit und wirkt überall gleichzeitig. Es besteht die Gefahr, dass Millionen Arbeitnehmer ausbaden müssen, was einige verantwortungslose Manager hinterlassen haben. Wir werden alles dafür tun, damit es dazu nicht kommt.
 
Was kann die Politik tun, um Massenentlassungen zu verhindern?


Wir haben mit dem Bankenrettungspaket dafür gesorgt, dass das Bankensystem stabil bleibt. Nicht aus Liebe zu den Banken, sondern aus Verantwortung für uns alle. Wir haben zwei Konjunkturpakete verabschiedet, die ganz wesentlich die Handschrift von Frank-Walter Steinmeier und der SPD tragen. Und ich habe im letzten Jahr entschieden, Kurzarbeit nicht nur sechs sondern bis 18 Monate zu gewähren, damit möglichst viele Jobs erhalten bleiben.
 
Sind die Kurzarbeiter von heute die Arbeitslosen von morgen?

Nein. Die hohen Anmeldungen bei Kurzarbeit sind ein positives Zeichen in schwieriger Zeit. Die Unternehmen zeigen dadurch, sie wollen weiter mit den Beschäftigten arbeiten und sie nicht entlassen. Im übrigen: Kurzarbeit heißt meist, dass nur eine Schicht ausfällt, ein Tag pro Woche oder eine Woche pro Monat nicht gearbeitet wird. Aber nicht, dass die Räder still stehen.
 
Die Experten rechnen dennoch für 2009 mit einer deutlichen Zunahme der Arbeitslosigkeit.

Niemand kann sichere Prognosen machen. Aber wir können handeln. Wir sorgen mit umfangreichen Qualifizierungen dafür, dass die Arbeitnehmer fit gemacht werden für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Wir nutzen die Krise zum Aufbruch nach vorn.

Ein weiteres Problem ist die dramatisch einbrechende Zahl der Ausbildungsplätze...

... was sich da andeutet, halte ich für einen Riesenfehler. Wir müssen unsere Jugendlichen dringend ausbilden. Wir sind es ihnen schuldig, und wir brauchen sie als Fachkräftenachwuchs nach der Krise. Die Unternehmen haben zugesagt, weiter ausreichend auszubilden. Es kann nicht sein, dass das nun nicht mehr gilt. Ich habe darum gebeten, dass nun der Ausbildungspakt kurzfristig zu einer Sondersitzung zusammenkommt. Wir müssen mit allen Beteiligten über den Ernst der Lage sprechen.
 
In der Krise hoffen viele auf den Schutz des Sozialstaats. Erlebt dieser nun eine Renaissance? Oder kommt er unter Druck, weil er nicht mehr zu bezahlen ist?

Wir Sozialdemokraten haben bewiesen, dass der Sozialstaat finanzierbar ist und bleibt. Die Reformen der Regierung Schröder haben dafür gesorgt, dass wir mit Rücklagen von 16 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit und von 19 Milliarden Euro bei der Rentenversicherung in dieses Krisenjahr gehen können. Hätten wir diese Reformen nicht gemacht, dann müssten wir uns jetzt wirklich fürchten.
 
Mit unserem starken Sozialstaat wird uns die Krise also weniger hart treffen als beispielsweise Amerikaner oder Briten?

Mit Sicherheit. Weil wir zum Beispiel ein soziales Mietrecht haben, gibt es bei uns keine geplatzte Immobilienblase wie in den USA, England, Irland oder Spanien. Dort sind die Arbeitnehmer oft gezwungen, sich über ihre Verhältnisse zu verschulden, um Eigentum zu erwerben, weil es zu wenig bezahlbare Mietwohnungen gibt. In den USA gibt es keine umfassende Krankenversicherung und keine gute Altersversorgung. Im Gegensatz zu Deutschland. Wir konnten sogar die Renten erhöhen. Das schafft Stabilität und Nachfrage. Mancher Unternehmer weiß gar nicht, was er am deutschen Sozialstaat und der SPD hat.
 
Die SPD regiert Deutschland jetzt seit über zehn Jahren. Dabei haben auch Sozialdemokraten die nun so verhängnisvolle Liberalisierung und Deregulierung der Finanzwirtschaft vorangetrieben. Aus heutiger Sicht ein Anlass zur Selbstkritik?

Wir haben versucht, unser Land so aufzustellen, dass es im internationalen Wettbewerb mithalten kann. Wir haben immer gefordert, den ungezügelten Finanzmarktkapitalismus zu zügeln, schon lange bevor das wieder modern wurde. Peer Steinbrück erntete dafür beim G8-Gipfel in Heiligendamm nur ein müdes Lächeln. Heute beherrscht dieses Thema die weltweite Agenda. Die Fortschritte, die es jetzt im Kampf gegen Steueroasen gibt, sind ein direktes Ergebnis unserer Politik. Darauf können wir stolz sein.
 
Arbeitnehmer werden wegen des bloßen Verdachts 1,30 Euro unterschlagen zu haben entlassen, Manager verzocken Milliardenbeträge und bekommen dafür Boni und nach Entlassung Abfindungen in Millionenhöhe. Ist das gerecht?

Nein, und deshalb haben wir ja Restriktionen bei den Managergehältern beschlossen. Leider hat die Union verhindert, dass wir die Spitzengehälter begrenzen. Es waren übrigens wir Sozialdemokraten, die in der Regierung Schröder durchgesetzt haben, dass Vorstandsgehälter überhaupt veröffentlicht werden müssen, gegen den Widerstand von Union und FDP. Diese beiden Parteien verhindern auch, dass wir den Kündigungsschutz verbessern. Wir Sozialdemokraten konnten immerhin dafür sorgen, dass der Kündigungsschutz nicht weiter aufgeweicht wird.
 
Kommt angesichts der Weltwirtschaftskrise die deutsche Mitbestimmung unter Druck?

Im Gegenteil, wir setzen auf den Ausbau der Mitbestimmung. Immer mehr Unternehmen erkennen jetzt, was für ein Standortvorteil die Mitbestimmung ist. So hat es zuletzt der Chef von Siemens erklärt. Die SPD hat dafür gesorgt, dass die deutsche Mitbestimmung auch bei der Fusion mit europäischen Unternehmen erhalten bleibt. Wir haben die europäischen Betriebsräte stärker gemacht. Gemeinsam mit den Gewerkschaften kämpfen wir weiter an dieser Front.
 
Inwieweit ist Lohnverzicht, wie er etwa bei Opel diskutiert wird, ein Ausweg aus der Krise?


Generell ist das keine sinnvolle Option. Wenn die Gewerkschaften vorübergehenden Lohnverzicht im Einzelfall für hilfreich halten, wie jetzt bei Opel, dann vertrauen wir auf Ihre Urteilskraft.
 
Wie sehr sind Unternehmensbeteiligungen des Staates oder gar Verstaatlichungen wie bei HRE diskutiert eine sinnvolle Antwort auf die Krise?

Der Staat beteiligt sich nur an den Banken, die sonst nicht mehr funktionieren würden. So wollen wir auch sicherstellen, dass der Steuerzahler sein Geld wieder bekommt und dass die Sanierung erfolgreich wird.
 
Der Mindestlohn ist ein zentrales Ziel der SPD. Wie ist bisher die sozialdemokratische Bilanz im Kampf gegen die Union für den Mindestlohn?

Die Union hatte in ihrem Wahlprogramm ein klares Nein zum Mindestlohn. Dennoch haben wir Sozialdemokraten es in der Großen Koalition geschafft, die Zahl der Arbeitnehmer, die vom Mindestlohn geschützt werden, auf über vier Millionen Arbeitnehmer zu verfünffachen. Es stimmt also, wenn Herr Merz und andere sagen, die SPD bestimme die Richtung der Regierungspolitik. Das ist auch gut so. Nebenbei bemerkt: Wenn wir mit der Union Mindestlöhne durchsetzen können, trauen wir uns das auch in einer Ampel-Koalition mit der FDP zu.
 
Die Union blockiert die Aufnahme der Zeitarbeiter in den Mindestlohn. Wie geht es hier weiter?

Die Union hat mit uns eine Lohnuntergrenze für Zeitarbeiter vereinbart. Sie steht im Wort. Vor einem Wortbruch kann ich die Union nur warnen. Das würde ihr schlecht bekommen.
 
Zur Zeit ist die SPD geschlossen und steigt in den Umfragen, die Union ist zerstritten und fällt in der Wählergunst. Lange sah es genau umgekehrt aus. Wie kam es zu dieser Umkehrung?

Die SPD spürt, jetzt ist die Zeit für sozialdemokratische Antworten. Das gibt uns Auftrieb. Und der politische Gegner spürt es auch. Deshalb wird er nervös und zerstreitet sich immer mehr. Wie Herr Seehofer Frau Merkel auf der Nase herumtanzt, ist einfach unglaublich. Unter einem sozialdemokratischen Kanzler wäre so etwas undenkbar. Höchste Zeit für den Kanzlerwechsel mit Frank-Walter Steinmeier.
 
Was sind die zentralen Botschaften, mit denen die SPD beim Wähler punkten will?

Erstens: Wer sich anstrengt, muss etwas davon haben. Wir kämpfen für ordentliche Gehälter der Arbeitnehmer und für ihren Schutz vor Dumpinglöhnen. Zweitens: Wer sich Mühe gibt, darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Deshalb kämpfen wir für einen gleichberechtigten Zugang aller zur Bildung. Ein Ergebnis ist der von mir durchgesetzte Rechtsanspruch auf einen Schulabschluss. Und drittens: Niemand darf am Wegesrand zurück bleiben. Wir sorgen dafür, dass auch Menschen mit schlechten Startchancen, mit Krankheit oder Behinderung eine Perspektive auf Teilhabe und Integration bekommen.
 
Was würde es für die Menschen in Deutschland bedeuten, wenn Union und FDP nach der Wahl eine Mehrheit bekämen?

Die Union ist nicht mehr die CDU früherer Jahrzehnte, die immer noch eine soziale Komponente hatte. Tatsächlich haben bei den Funktionären, diejenigen die Mehrheit, die für die Wahl 2005 einen Abbau sozialer Regeln in das Wahlprogramm geschrieben hatten. Und die FDP ist nicht mehr die, die 1976 mit uns die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten großer Unternehmen beschlossen hat. Als Partner einer von der SPD bestimmten Regierung sind sie beide genießbar. Alleine in der Regierung würden die Funktionärsmehrheiten dieser Parteien, soziale Errungenschaften in Frage stellen, dass selbst vielen ihrer Wähler, Hören und Sehen verginge. Für viele Jahre gilt: Nur wenn die SPD die Regierungslinie bestimmt, ist das zu vermeiden. 


Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite des Vorwärts.