"Wir brauchen einen entschiedeneren europäischen Kurs" Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
RND: Ist die internationale Beschwichtigungspolitik Angela Merkels dank des Verhaltens von US-Präsident Donald Trump gescheitert und welche Schlussfolgerung muss Deutschland, muss Europa aus der Lage ziehen, dass man sich nicht mehr auf die Trump-USA als Partner verlassen kann?
Olaf Scholz: Der Brexit, Putin, Erdogan, Trump und der Krieg in Syrien zeigen doch eines ganz deutlich: Europa bleibt international nur eine relevante Größe, wenn es seine Interessen gemeinsam wahrnimmt. Sonntags bekennen sich alle gerne zu Europas Werten wichtig ist aber, dass wir jeden Tag tatsächlich eine gemeinsame europäische Politik machen. Frankreich und Deutschland sollten im Zentrum dieses Europas stehen.
RND: Ist Angela Merkels Beschwichtigungspolitik gescheitert, oder steht die SPD windschnittig hinter und neben ihr?
Olaf Scholz: Mit Ausnahme von vier Jahren ist die SPD seit 1998 in der Bundesregierung vertreten. Es wäre merkwürdig, wenn wir jetzt den Eindruck erweckten, als sei die Regierungspolitik grundsätzlich falsch. Wahr ist aber, dass die Kanzlerin das europäische Projekt in den vergangenen Jahren nicht mit der gebotenen Kraft vorangetrieben hat. Immer wieder sind die notwendigen Schritte unterblieben. Als die Flüchtlinge in Spanien, Portugal, dann Italien und Griechenland ankamen, haben wir diese Staaten allein gelassen. Als die Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland kamen, wunderten wir uns, dass niemand an unserer Seite stand. Deutschland ist als starke Kraft in der Mitte Europas gefordert. Dieser Verantwortung wird man nicht gerecht, wenn man sich nur von Gipfeltermin zu Gipfeltermin hangelt.
RND: Was fehlt?
Olaf Scholz: Wir brauchen eine echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Und gerade für Südeuropa müssen wir reale Beschäftigungsperspektiven schaffen, damit junge Leute dort Chancen haben. Da brauchen wir einen entschiedeneren europäischen Kurs.
RND: Im Bierzelt von Trudering hat Angela Merkel womöglich die immerwährende Partnerschaft mit den USA relativiert. Man weiß es nicht genau. Hat die Kanzlerin einen für Sie erkennbaren internationalen Plan?
Olaf Scholz: Der G7-Gipfel hat keine vernünftigen Ergebnisse gebracht. Es hat sich gezeigt, dass die USA und Europa viele Dinge grundsätzlich unterschiedlich bewerten. Aus den Äußerungen im Bierzelt spricht viel Enttäuschung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es einen größeren Plan gibt. Man darf sich nicht darauf beschränken, Problemen nur möglichst aus dem Weg gehen zu wollen man muss sie lösen und dafür braucht man einen glaubwürdigen Bauplan für das Haus Europa.
RND: Kann die SPD eine Wahl gewinnen, wenn sie sagt, Deutschland muss Europa mit mehr Geld flott machen?
Olaf Scholz: Wir profitieren von Europa wie kein zweites Land. Deshalb halte ich die Debatte um mehr oder weniger Europa für typisch deutsch und eher langweilig. Als Freihandelszone funktioniert die EU fast perfekt, jetzt muss diese Gemeinschaft politischer werden, damit sie ihre politische Relevanz behält Dazu gehört die Außen- und Sicherheitspolitik, Sicherung der gemeinsamen Außengrenzen, aber auch die Migration und die gemeinsame Besteuerung von Unternehmen.
RND: Sie vergaßen den europäischen Finanzminister als Forderung?
Olaf Scholz: Den wollen inzwischen sowieso fast alle politischen Parteien.
RND: Wieso hat niemand in der SPD Herrn Schulz davor bewahrt, den von Ihnen vor einem Jahr prognostizierten Zehn-Prozent-Sprung im Fall eines überzeugenden Kanzlerkandidaten, also weg von Gabriel, innerhalb von ein paar Wochen wieder zu verspielen?
Olaf Scholz: Mit Martin Schulz hat die SPD neuen Mut geschöpft. Fast 18.000 oft junge, engagierte Mitglieder sind neu in die Partei eingetreten, davon können andere Parteien nur träumen. Und es hat sich bewahrheitet, was ich lange gesagt habe, dass die SPD mit der richtigen Aufstellung rasch zehn Prozentpunkte und mehr an Zustimmung gewinnen kann. Jetzt wird es darauf ankommen, den Wählerinnen und Wählern zu vermitteln, dass man der SPD die Regierungsgeschäfte getrost überlassen kann und Martin Schulz ein guter Kanzler sein wird. Unser Ehrgeiz jedenfalls ist geweckt.
RND: Knüpft die SPD mit dem Duo Schulz und Heil jetzt noch erkennbarer an den alten Kampf von Gerhard Schröder um die Mitte der Gesellschaft an?
Olaf Scholz: Jeder weiß, wofür ich politisch stehe. Die aktuelle Neuordnung hat aber einen sehr bedrückenden Grund: Erwin Sellering muss leider aus Krankheitsgründen sein Amt als Ministerpräsident niederlegen. Manuela Schwesig folgt ihm deshalb als Ministerpräsidentin und Katarina Barley ihr als Bundesministerin. Den Posten im Willy-Brandt-Haus übernimmt kommissarisch Hubertus Heil, weil der das aus dem Stand heraus kann. Und genau darum geht es jetzt.
RND: Dann muss ein glasklarer Trennungsstrich zur Linkspartei von Sahra Wagenknecht gezogen werden?
Olaf Scholz: Unser Ziel ist es, stärkste Fraktion zu werden. Und wer mit uns die Regierung des größten und wirtschaftlich stärksten Landes in der Mitte Europas stellen will, muss zu Europa stehen, zum Euro, zur Nato und allen Verpflichtungen, die damit einhergehen. Die Partei Die Linke, die ihre eigenen Konflikte noch nicht bearbeitet hat und in der Frau Wagenknecht AfD-Thesen vertritt, erfüllt diese Bedingung heute offensichtlich nicht. Die Grünen hatten ihre Grundkonflikte gelöst und ihre Personalfragen geregelt, bevor sie 1998 mit der SPD in die Regierung gingen.
RND: Gibt es Dinge, die Schulz besser kann als Angela Merkel?
Olaf Scholz: Er ist ein leidenschaftlicher Europäer
RND: Merkel ist das also nicht?
Olaf Scholz: er beherrscht die Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik so gut wie sie, er hat außerdem ein klares Konzept für eine leistungsfähige Volkswirtschaft und er ist Sozialdemokrat.
Das Interview führte Dieter Wonka.