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27.04.2009

"Wir dürfen die Krise nicht kaschieren"

Olaf Scholz im Interview mit dem Spiegel

 

SPIEGEL: Herr Scholz, die Konjunkturinstitute sagen die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit voraus, die Bundeskanzlerin dagegen hat vergangene Woche schon vom Ende der Talfahrt gesprochen. Wie schlimm wird es wirklich?

Scholz: Wir sind in einer verdammt schwierigen Situation, keine Frage. Doch fast alle, die sich an irgendeine Zukunftsaussage wagen, gehen davon aus, dass es im nächsten Jahr wieder aufwärtsgehen wird.

SPIEGEL: Die Institute sagen für 2009 einen Einbruch von sechs Prozent voraus, und auch im nächsten Jahr wird die Wirtschaft weiter schrumpfen. Woher nehmen Sie die Hoffnung?


Scholz: Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir seien über den Berg. Vor uns liegen noch viele Probleme, und die Arbeitslosigkeit wird steigen. Aber die Ökonomen sagen auch, dass wir uns nicht in einer langanhaltenden Wachstumsschwäche befinden wie zu Beginn des Jahrzehnts, sondern in einer Konjunkturkrise, die allerdings ungewöhnlich heftig ausfällt.

SPIEGEL: Die Ökonomen rechnen auch mit einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Das müsste Ihnen Sorgen machen.

Scholz: Mir macht jeder Job Sorge, der verlorengeht. Andererseits sehen wir, dass die Arbeitslosigkeit derzeit deutlich langsamer ansteigt, als es angesichts des Konjunktureinbruchs zu erwarten gewesen wäre. Das ist ein Erfolg unserer Entscheidung, die Kurzarbeit auszuweiten. Dadurch wurden mehrere hunderttausend Arbeitsplätze gesichert.

SPIEGEL: Fragt sich nur, wie lange das trägt. Wenn sich die Betriebe die Kurzarbeit nicht mehr leisten können, werden sie umso mehr Beschäftigte entlassen. Was wollen Sie dem entgegensetzen?

Scholz: Entlassungen sind auch nicht kostenlos. Wer entlässt, muss Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan führen. Er muss Abfindungen zahlen. Und wenn die Konjunktur wieder anzieht, muss er Geld ausgeben, um neue Beschäftigte zu finden. Da ist Kurzarbeit auch betriebswirtschaftlich oft die bessere Wahl. Ich sage ausdrücklich: Wir sehen Möglichkeiten, das Instrument noch attraktiver auszugestalten.

SPIEGEL: Was haben Sie vor?

 

Scholz: Wir können die Förderung der Kurzarbeit auf 24 Monate ausdehnen. Und es macht Sinn, die Sozialversicherungsbeiträge, die die Arbeitgeber für die ausgefallene Arbeit zahlen müssen, nach ein paar Monaten Kurzarbeit voll zu erstatten. Seit Beginn der Krise erstatten wir schon die Hälfte. Jetzt spricht viel dafür, die zweite Stufe zu etablieren.

SPIEGEL: Das bringt bestenfalls eine Atempause. Bei den großen Handelsketten sind Zehntausende Jobs in Gefahr. Unternehmen wie SAP oder ThyssenKrupp haben angekündigt, dass sie zahlreiche Arbeitsplätze streichen müssen. Wie weit reicht das Instrument der Kurzarbeit?

Scholz: Kurzarbeit ist das richtige Instrument für eine Konjunkturkrise. Sie ist nicht geeignet für Unternehmen, bei denen wir davon ausgehen müssen, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Es gibt leider Entlassungen, die sich nicht vermeiden lassen. Das müssen wir offen aussprechen - das gebietet die Ehrlichkeit.

SPIEGEL: Im Ergebnis, so lautet die Prognose vieler Ökonomen, werde die Arbeitslosenzahl im nächsten Jahr wieder der Marke von fünf Millionen zustreben. Halten Sie das für übertrieben?

Scholz: Wir tun, was wir tun müssen, damit die düsteren Prognosen nicht wahr werden. Wir haben in der Vergangenheit die Arbeitslosenzahl von über fünf Millionen auf unter drei Millionen bekommen. Der beste Wert seit 16 Jahren - wer hätte das gedacht? Ein ganzes Land hatte sich damit abgefunden, dass Millionen Bürger ohne Arbeit sind; mit diesem Zynismus haben wir Schluss gemacht.

SPIEGEL: Und Sie wollen allein mit verlängerter Kurzarbeit ein erneutes Abgleiten in diese Agonie verhindern?


Scholz: Nein, neben diesen Maßnahmen werden wir dafür sorgen, dass den Arbeitsuchenden genügend Arbeitsvermittler zur Verfügung stehen, damit sie schnell einen neuen Job finden. Denn auch in der Krise gibt es offene Stellen. Weniger als sonst, aber immerhin so viele, dass es sich lohnt, alle Bemühungen auf die Vermittlung zu konzentrieren. Wir fördern Qualifizierung. Außerdem plädiere ich dafür, die Mitarbeiterbeteiligung auszubauen.

SPIEGEL: Wie wollen Sie damit Stellenabbau verhindern?

Scholz: Es gibt Betriebe, die in der aktuellen Krise von ihren Mitarbeitern Lohnverzicht fordern, um Arbeitsplätze zu erhalten. Oft ist so etwas nicht nötig. Wo es aber doch erforderlich ist, sollten die Arbeitgeber darüber nachdenken, die Beschäftigten im Gegenzug am Kapital ihres Unternehmens zu beteiligen. Der Staat muss dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, gegebenenfalls durch eine bessere steuerliche Förderung.

SPIEGEL: Die Arbeitgeber der Metallindustrie wollen im großen Stil Beschäftigungsgesellschaften schaffen, in die Unternehmen ihre Fachkräfte entlassen können, um sie möglicherweise am Ende der Krise wieder einzustellen. Eine gute Idee?

Scholz: Solche Transfergesellschaften stehen bereits heute denjenigen Unternehmen zur Verfügung, die dauerhaft die Zahl ihrer Arbeitsplätze reduzieren müssen. Wir fördern solche Transfergesellschaften bis zu zwölf Monate, wenn dort die ehemaligen Mitarbeiter qualifiziert werden oder einen besonderen Vermittlungsservice erhalten. Das ist auch vernünftig. Aber ich bin strikt dagegen, dieses Instrument einzusetzen, um auf einen vorübergehenden Beschäftigungsrückgang zu reagieren. Wer in eine Transfergesellschaft geht, verliert seinen Arbeitsplatz. Da ist Kurzarbeit besser.

SPIEGEL: In vielen Fällen lautet die Alternative aber: Transfergesellschaft oder Arbeitslosigkeit. Wie fällt da Ihre Antwort aus?


Scholz: Wir dürfen die Krise nicht kaschieren. Instrumente, die letztlich dazu dienen, einen dauerhaften Personalabbau und unvermeidbare Arbeitslosigkeit nicht sichtbar werden zu lassen, zerstören das Vertrauen. Aber wir brauchen das Vertrauen der Bürger in die Politik, denn wir müssen gewaltige Mittel einsetzen.

SPIEGEL: Gewerkschafter fordern, künftig wieder länger Arbeitslosengeld I zu zahlen, bevor die Betroffenen in Hartz IV rutschen. Was halten Sie davon?

Scholz: Wenig. Wir müssen alle Kraft darauf verwenden, Arbeitsplätze zu erhalten. Und wir werden dafür viel Geld brauchen.

 

SPIEGEL: Die Krise wird ein gewaltiges Loch in die Kasse der Bundesagentur reißen, das durch ein Darlehen des Bundes gefüllt wird. Allerdings muss dieser Kredit irgendwann zurückgezahlt werden. Wie soll das geschehen?

Scholz: Zunächst wird die Bundesagentur im nächsten Jahr stark beansprucht, ebenso wie der Bundeshaushalt. Andererseits wissen wir aus der Erfahrung der vergangenen Jahre, dass bei guter Konjunktur auch die Einnahmen rasch wieder steigen. Das kann uns wieder gelingen, wenn wir diszipliniert bleiben. Ich plädiere deshalb dafür, dass wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung langfristig stabilisieren.

SPIEGEL: Auf welchem Niveau?

 

Scholz: Wenn wir die Zahlen des vergangenen Jahres zum Maßstab machen, wäre ein Beitragssatz von drei Prozent des Bruttolohns langfristig ausreichend. Dann würden wir in guten Zeiten Rücklagen erwirtschaften, mit denen wir Konjunkturkrisen gut überbrücken könnten.

SPIEGEL: Eine Beitragserhöhung, um die Schulden der Bundesagentur auszugleichen, lehnen Sie ab?

Scholz: Definitiv. Es wäre völlig falsch, in einer Krise Betriebe und Beschäftigte durch eine Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags zusätzlich zu belasten. Deshalb ist es die beste Lösung, dass der Bund seine Forderungen so lange zurückstellt, bis die Finanzen der Arbeitsagentur wieder ausgeglichen sind.

 

SPIEGEL: Sie setzen auf das Prinzip Hoffnung - wie die SPD in ihrem Wahlprogramm.

Scholz: The Audacity of Hope" ist kein schlechtes Prinzip. Was meinen Sie?

SPIEGEL: Die SPD verspricht beträchtliche Steuerentlastungen für Gering- und Durchschnittsverdiener. Wie soll das gehen, in Zeiten der Krise?

Scholz: Klare Antwort: Es geht, weil wir eine Deckung vorgesehen haben. Diejenigen, die als Single mehr als 125000 Euro oder als Ehepaar mehr als 250 000 Euro im Jahr verdienen, sollen einen größeren Beitrag zur Finanzierung der notwendigen Staatsaufgaben in Deutschland leisten. Ich nehme an, dass alle dafür sind, auch der SPIEGEL. Denn als US-Präsident Barack Obama ein ganz ähnliches Konzept in seinen Wahlreden vorgestellt hat, fanden das alle ein klasse Programm.

SPIEGEL: Was Sie den Reichen wegnehmen, wird niemals ausreichen, die versprochenen Steuergeschenke zu finanzieren. Werden am Ende nicht noch mehr Staatsschulden stehen?

Scholz: Nein. Wir haben ein Gesamtkonzept vorgelegt, zu dem auch eine bessere Bekämpfung der Steuerhinterziehung und die Einführung einer Börsenumsatzsteuer gehören, die es zum Beispiel am Finanzplatz London längst gibt.

SPIEGEL: Bis vor kurzem wollte die SPD nicht die Steuern senken, sondern die Sozialbeiträge. Schließlich hat die Hälfte der Steuerpflichtigen so geringe Einkommen, dass sie gar keine oder kaum Steuern zahlen. Was sie wirklich belastet, sind die Sozialbeiträge. Warum hat sich Ihre Partei von diesem Konzept verabschiedet?

 

Scholz: Wir haben uns von diesem Konzept nicht verabschiedet. Im Gegenteil, wir haben an vielen Stellen die Sozialbeiträge gesenkt, nicht zuletzt durch Zuschüsse aus dem Haushalt. Im Konjunkturpaket stecken neun Milliarden Euro für die Krankenkassen. Aber wir müssen realistisch sein. Angesichts der Konjunkturkrise können wir den Bürgern nur solche Entlastungen versprechen, die durch zusätzliche Einnahmen ausgeglichen werden.

 

SPIEGEL: Wäre es angesichts dieser Krise und ihrer immensen Kosten nicht angebracht, im Wahlkampf auf jegliche Versprechungen von Steuer- und Abgabensenkungen zu verzichten?

 

Scholz: In den vergangenen Jahren haben die Einkommensunterschiede erschreckend zugenommen. Auch der SPIEGEL hat seitenlang beschrieben, wie die Kluft zwischen Arm und Reich gewachsen ist. Wir haben uns das zu Herzen genommen: Diejenigen, die in den letzten Jahren so profitiert haben, sollen einen Sonderbeitrag zur Bewältigung der Krise zahlen, und es ist gut, wenn diejenigen etwas entlastet werden, die am unteren Ende der Einkommensskala stehen.

 

SPIEGEL: Irgendjemand muss aber für die Kosten der Krise aufkommen, oder wollen Sie die ausschließlich auf Pump finanzieren?

Scholz: Wer Schulden macht, um Steuern zu senken oder Leistungen abzubauen, sagt nicht, wer am Ende die Rechnung bezahlt. Das ist ein Problem für die Demokratie. Deshalb finde ich es richtig, dass sich die Regierung verpflichtet hat, die Defizite aus der Krise rasch wieder abzubauen. Das wird aber nur gelingen, wenn wir strikte Haushaltsdisziplin wahren und keine ungedeckten Schecks verteilen.

SPIEGEL: Darin tun Sie sich doch gerade hervor. Die SPD will zum Beispiel die staatliche Förderung der Altersteilzeit erhalten. Das kostet die Bundesagentur Milliarden und belebt die unselige Praxis der Frühverrentung.

Scholz: Wir wollen die Altersteilzeit nur für eine Übergangsperiode von einigen Jahren verlängern. Das ist auch sinnvoll: Schließlich sieht das Konzept vor, dass für jeden Mitarbeiter, der mit staatlicher Förderung in Altersteilzeit geht, ein Auszubildender eingestellt werden muss. Das ist vernünftig, weil wir in den kommenden fünf Jahren mit einem Mangel an Ausbildungsplätzen rechnen. Erst danach kehrt sich das Verhältnis um. Und bis dahin ist es sinnvoll, eine Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt zu bauen.

SPIEGEL: Die CDU positioniert sich als Partei der wirtschaftlichen Leistungsträger, während Ihre Partei die sozial Beladenen irgendwie zu bedienen versucht - gerät die SPD in eine strategische Falle?


Scholz: Das hätte die CDU gern. Die SPD setzt auf die wahren Leistungsträger dieser Gesellschaft, die breite Mittelschicht der Arbeiter und Angestellten, viele Tag und Nacht arbeitende Selbständige. Das bedeutet gerade nicht, wie man in Kreisen der FDP und CDU meint, dass der Spitzensteuersatz gesenkt werden muss. Es bedeutet, dafür zu sorgen, dass die Leute in einem jahrzehntelangen Arbeitsleben gut zurechtkommen. Das hat auch zu tun mit einer Absicherung des Lebensstandards nach unten, nicht zuletzt durch Mindestlöhne.

SPIEGEL: FDP-Chef Guido Westerwelle hat erklärt, dass mit diesem Programm eine Ampelkoalition ausgeschlossen sei.

 

Scholz: Da warten wir mal getrost den Wahlabend ab. Es ist doch so: Die SPD ist die einzige Partei, die mehrere Optionen auf eine Regierungsbildung in Deutschland hat. Wir haben schon mit der FDP, mit den Grünen und mit der CDU regiert. Wir wollen einen sozialdemokratischen Kanzler, am liebsten selbstverständlich mit den Grünen. Wir würden es auch in einer Regierung mit FDP und Grünen hinkriegen.


SPIEGEL: Mit diesem Programm?

Scholz: Die FDP hat in der Vergangenheit mit uns schon die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten großer Unternehmen beschlossen. Ich habe in der Großen Koalition die Zahl der Mindestlöhne verfünffacht, obwohl das der CDU nicht gepasst hat. Warum soll ich sie dann nicht mit Herrn Westerwelle verdreifachen können? Wir haben im Übrigen die Möglichkeit, auch eine Große Koalition zu bilden; aber diesmal besser mit einem sozialdemokratischen Kanzler.

SPIEGEL: Träumen kann man ja mal. Aber selbst wenn es so käme, müssten die Bürger auf Sie als Arbeitsminister wohl verzichten. Wir hören, Sie wollen lieber Fraktionsvorsitzender werden.

 

Scholz: Ach, was Sie so hören. Mein geheimer Plan ist es, die 16-jährige Amtszeit von Norbert Blüm als Arbeitsminister zu toppen - und zwar in verschiedenen Regierungskonstellationen.

SPIEGEL: Herr Scholz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.