Rede von Olaf Scholz anlässlich des SPD-Landesparteitages am 6. November 2009
"Liebe Genossinnen, liebe Genossen,
ich kandidiere heute wieder einmal als Landesvorsitzender der Hamburger SPD. Und ich glaube, dass ich kein großes Geheimnis verrate, wenn ich sage: Das war nicht mein Plan. Dass es so gekommen ist, hat ganz konkrete Ursachen, die wir alle kennen. Es hat etwas mit dem Wahlergebnis der Bundestagswahl zu tun und auch damit, dass Ingo Egloff mich am Tag nach der Wahl angerufen hat und mir gesagt hat, er wolle nicht mehr weitermachen. Und er bat mich, als Landesvorsitzender zu kandidieren. Ich habe im Laufe des Tages lange überlegt, was ich für einen Gegenvorschlag habe. Und ich habe die Kreisvorsitzenden gebeten, mich anzurufen und mir zu sagen, ob sie wollen, dass ich kandidiere. Alle haben gesagt: ja, so sei das. Und deshalb war es am Ende des Tages für mich klar, dass ich es tun werde, aus Gründen, die etwas mit Emotionen zu tun haben. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und sie bedeutet mir viel. Und für diese Stadt spielt es schon eine große Rolle, welche Entwicklung die Sozialdemokratische Partei nimmt. Die Partei, die für Hamburg und seine Geschichte und auch für den Wohlstand und das Zusammenleben in der Stadt so Großes vollbracht hat. Aber es ist bei mir auch so, dass ich eine Partei, in die ich mit 17 eingetreten bin, in einer schwierigen Situation nicht allein lassen kann. Und deshalb habe ich am Ende gesagt, ich mache das. Ich mache es aus Pflicht, ja, aber nicht nur aus Pflicht. Sondern mit all dem Engagement, das man braucht, um ein solches Amt wahrzunehmen. Vielleicht mit einem kleinen Vorteil: Wenn man ein Amt selber nicht dringend wollte, dann hat man vielleicht die Gelassenheit, die in einer großen Partei notwendig ist. Und die jedenfalls will ich euch gerne versprechen an den Tag zu legen, wenn ich die Partei hier in Hamburg führe.
Ich will mich bei Ingo Egloff bedanken. Nicht alle wissen, dass Ingo und ich uns schon sehr lange kennen. Wir waren schon bei den Jusos in der Sandkiste zusammen. Wir waren damals nicht immer einer Meinung, wobei ich nicht mehr genau weiß, worum es ging. Das wäre von uns heute wahrscheinlich auch nur noch mit einem gewissen Lachen zu ertragen, wenn wir es genau wüssten. Jedenfalls haben wir schon damals immer gut zusammengearbeitet. Und ich habe festgestellt, Ingo Egloff ist jemand, mit dem man befreundet sein kann, auf den man sich verlassen kann, der eine bestimmte Ruhe hat. Und wahrscheinlich war es diese Ruhe und seine Art, die es möglich gemacht hat, dass er in seiner Zeit als Landesvorsitzender dazu beigetragen hat, dass auch wenn nicht alle Probleme dieser Organisation gelöst werden konnten (denn wie sollte das auch gehen?) auch die Partei zur Ruhe gekommen ist und einen guten Wahlkampf geleistet hat. Danke Ingo für deine Arbeit!
Ich habe es schon gesagt: Was uns zusammenführt ist eine schwere Wahlniederlage, die die SPD bei der letzten Bundestagswahl erlitten hat. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Über dieses Ergebnis muss man diskutieren, das kann man nicht einfach abschütteln. Wir können jetzt nicht hingehen und sagen: wir stellen wir uns wieder auf und machen dann weiter wie vorher. Aus meiner Sicht muss nachdenklich diskutiert werden, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und auch indem wir sehr klar machen, dass es nicht sein kann, dass wir alle miteinander 10 Minuten nach Schluss der Wahllokale wissen, was wir 10 Minuten vorher nicht gewusst haben. Nun gibt es sicherlich einige Begabte unter uns, die wussten es schon immer. Ich habe auch mal zu denen gehört. Aber das ist jetzt auch anders geworden. Insofern will ich ausdrücklich sagen: Es ist sinnvoll, dass wir diskutieren, dass wir uns die Zeit nehmen und dass wir über das Gelungene sprechen und über das, was nicht so gelungen ist. 23 Prozent im Bund und ein nicht so viel besseres Wahlergebnis in Hamburg sind für uns gemessen an unserer Tradition eine Katastrophe. Man sollte es nicht beschönigen. Selbst wenn wir auch über das sprechen, was wir hinbekommen haben, sollten wir erkennen: Es kann auch nicht alles richtig gewesen sein. Es wäre eine falsche Schlussfolgerung, wenn wir zu dem Ergebnis kämen: vielleicht war die Werbeagentur falsch, vielleicht hat der eine oder andere das nicht genug erklärt. Gelegentlich müssen wir auch zugeben: Da war wohl manches nicht richtig und hat deshalb die Wählerinnen und Wähler nicht ausreichend überzeugt. Wir müssen auch politische Positionen verändern. Aber gerade weil uns in diesem Wahlkampf immer wieder die Fragen Kann man euch noch vertrauen? oder Seid ihr die, auf die wir immer gesetzt haben? begegnet sind, weil man über diese Fragen verloren gegangenes Vertrauen nicht über Nacht wiederherstellen kann, ist es wichtig, dass wir sorgfältig diskutieren. Dort, wo wir unsere Meinung verändern und weiterentwickeln, muss es immer klar sein, dass es das Ergebnis sorgfältiger Betrachtung in dieser Partei ist und nicht ein Schnellschuss wegen schlechter Umfragewerte. Wenn wir das mit diesem Ernst tun, dann bin ich nicht bange um unsere Zukunft, liebe Genossinnen und Genossen.
Und das bedeutet natürlich, dass die vielen Veranstaltungen, die hier in Hamburg stattgefunden haben, dass der heutige Parteitag und der Parteitag in Dresden für unsere gesamte Partei nicht das Ende der Diskussionen sind, sondern ihr Anfang. Wir werden jetzt nicht schnell weitermachen können, sondern es wird überall in Deutschland, auch hier in Hamburg, Beratungen geben, wo wir uns zusammensetzen und über die Ursachen der Wahlniederlage sprechen. Wir werden sehr sorgfältig unsere gemeinsamen Schlüsse zu ziehen haben. Ich verspreche allen, die das einfordern, dass sie sich darauf verlassen können: hier wird nicht schnell zur Tagesordnung übergegangen.
Meine These das ist ja nur eine von vielen, die man haben kann meine These ist: wir waren schon ganz gut in den letzten 11 Jahren, wenn es darum ging, auf die Herausforderungen von weltwirtschaftlichen Veränderungen, Globalisierung und der Demografie zu reagieren. Wir haben es sogar geschafft, dass die sozialen Sicherungssysteme wieder finanzierbar sind und wieder funktionieren. Aber wir haben es gleichzeitig nicht hinbekommen, dass es jeder für sich aus seiner Perspektive auch als richtig empfindet, wenn er sein eigenes Leben betrachtet oder das von seinesgleichen. Wir leben in einer solidarischen Gesellschaft. Viele machen sich Sorgen, wie es anderen denn geht. Zu oft lautet die Antwort: Das haut nicht hin. Und deshalb werden wir die Frage beantworten müssen: Wie geht es eigentlich einer vierköpfigen Familie, einem Arbeitnehmerhaushalt? Was ist mit einer allein erziehenden Mutter? Wie funktioniert das Leben für ein Rentnerehepaar, das ein ganzes Leben lang Arbeit hinter sich hat? Das sind Fragen, auf die die Sozialdemokratische Partei eine Antwort geben muss durchaus pragmatisch. Aber so, dass unsere Vorschläge dazu beitragen, dass der, der sich anstrengt und sich Mühe gibt, sein Leben auch in den Griff bekommt. Dafür stehen wir als Sozialdemokratische Partei auch in der Zukunft.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie es war, als ich vor über 30 Jahren mit 17 in die SPD eintrat. Da kam ich in einen Distrikt und in Wohnbezirke, wie wir sie damals hatten. Ich habe einen konkreten Genossen im Blick, damals aus meiner Sicht älter ich glaube, der war jünger als ich jetzt. Wie dem auch sei, jedenfalls hat er mir gesagt: Olaf, das ist eine tolle Sache. Meine Frau musste nie arbeiten und die Kinder konnten eine gute Schule besuchen. Darauf war der Mann ganz stolz. Und wenn wir ehrlich sind einmal abgesehen davon, dass wir die Erwerbstätigkeit von Frauen heute positiver bewerten ist es doch tatsächlich so, dass gerade für die Arbeitnehmer-Mittelschichten in den letzten 20, 30 Jahren etwas schief gelaufen ist und dass wir deren Probleme besser lösen und beantworten müssen, liebe Genossinnen und Genossen.
Das ist nicht ein Thema der letzten elf Jahre, aber wir haben elf Jahre regiert und deshalb ist es ein Thema, das wir behandeln müssen, wenn wir über die Zukunft diskutieren. Meine persönliche Vermutung: Als wir 1998 an die Regierung kamen, haben die 16 Jahre Opposition uns auch die eine oder andere Illusion mitgebracht. Innovation und Gerechtigkeit, das war unser Slogan 1998. Ein guter Slogan, hinter dem wir uns noch heute versammeln können. Aber wahrscheinlich ist uns durch die 16 Jahre Kohl aus dem Blick geraten, dass da ein paar Dinge in der Gesellschaft stattgefunden haben, die man nicht einfach mit einem Regierungswechsel wieder rückgängig machen kann. Denn diese Schwierigkeiten für die Mittelschichten, für die Arbeitnehmer, die hat es schon vorher gegeben. Als Arbeitsrechtsanwalt habe ich ständig mit ihnen zu tun gehabt. Ständig gab es Aufträge zu verhindern, dass etwas beim Weihnachtsgeld gestrichen wird, bei der Sonderzahlung zum Urlaub und bei verschiedenen anderen Regelungen. Das war schon vorher im Gange. Und wer sich genau umschaut, der stellt auch fest, nicht nur in Deutschland, überall in Europa, in Nordamerika, in Japan, in Australien, Neuseeland, in all den Ländern, die man vor ein paar Jahrzehnten ungebrochen Industriestaaten genannt hätte, ist dieser Trend zu beobachten. Und deshalb ist es nicht einfach, eine Antwort zu geben. Aber die Sozialdemokratische Partei hat die erste Aufgabe, darüber nachzudenken, wie man diese Probleme lösen kann. Vielleicht nutzen wir die Zeit, damit wir bei der nächsten Regierungsübernahme nicht nur besser sind als die, die vorher dran waren, sondern auch einen sehr konkreten Plan haben, an dieser Lage etwas zu ändern, liebe Genossinnen und Genossen.
Immerhin, eines ist durch diese Zeit auch gelungen: Der Sozialstaat ist wieder plausibel geworden. Das meine ich ganz ernst. Denn vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren war eigentlich die Ansicht vorherrschend, dass es mit dem Sozialstaat in Deutschland nicht mehr lange gut geht. Und das hat sich geändert. Übrigens zu aller letzt auch noch einmal in der Krise, in der wir sehr deutlich zeigen konnten, dass man nur mit einem Sozialstaat eine so große Wirtschaftskrise bekämpfen kann. Es geht besser in Deutschland als anderswo, und gerade deshalb glauben die Menschen in diesem Lande wieder, dass der Sozialstaat eine Zukunft hat. Das ist etwas, was wir erreicht haben.
Deshalb gibt es an dieser Stelle auch etwas über einen kleinen Sieg in der großen Niederlage zu berichten. Wenn man groß verloren hat, muss man die kleinen Siege ja hervorheben. Um ihre 33 Prozent zu bekommen übrigens auch für die Union das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 mussten die am Ende behaupten, dass sie all das schon immer gewollt hätten, was wir ihnen noch in dieser Legislaturperiode bis zuletzt mühsam abgerungen haben. Sie waren im Wahlkampf plötzlich für den Kündigungsschutz, für Mindestlöhne, für Mitbestimmung und für den Sozialstaat. Ich habe an manchen Diskussionen teilgenommen und gedacht, ich höre nicht recht. Das waren doch die gleichen, mit denen wir noch vor zwei Monaten über etwas ganz anderes geredet haben. Aber man muss, wenn man Politik versteht, dazu sagen: Das ist auch ein Erfolg. Sie sind ja nicht aus Einsicht so weit gekommen, diese Forderungen zu erheben, sondern gewissermaßen weil sie gemerkt haben, dass es nur so funktioniert. Und natürlich heißt das, dass wir jetzt, wo die neue Regierung gebildet worden ist, auch alle an ihren Wahlversprechen zu messen haben. Und da will ich ausdrücklich sagen, dass eine Lektüre des Koalitionsvertrages nichts weiter ist als eine Übersetzung von gebrochenen Wahlversprechen der Union, und das muss dann auch in der nächsten Zeit von uns herausgestellt werden.
Kündigungsschutz der war doch plötzlich so wichtig bei der Union im Wahlkampf. Und was machen sie? Ausweitung der befristeten Beschäftigung! Also was ist das anderes, als eine Infragestellung von Kündigungsschutz. Mindestlöhne die seien bei ihnen gut aufgehoben. Es solle, so hieß es, keine zusätzlichen geben, aber jene, die es gibt, sollen erhalten bleiben. Und was steht im Koalitionsvertrag? Zweimal Veto: einmal die Arbeitgeberverbände im Tarifausschuss und dann noch die FDP im Kabinett. Ich bin nicht sicher, ob von den Mindestlöhnen, die wir in Deutschland jetzt haben, in vier Jahren noch die meisten Bestand haben. Und auch das ist ein gebrochenes Wahlversprechen, was dort in diesem Vertrag zu lesen ist.
Mitbestimmung, so heißt es, wird in Deutschland nicht verändert, aber gleichzeitig wird eine europäische Privatgesellschaft bejubelt, so eine Art GmbH, bei der dann die ganzen Mitbestimmungsrechte in Deutschland nicht mehr gelten sollen. Und jeder, der so ein bisschen vom Arbeitsleben Ahnung hat und das sind die meisten von uns weiß: Wenn man bei der Mitbestimmung in den Eimer ein kleines Loch bohrt, dann fließt da das ganze Wasser durch. Und deshalb kann es sein, dass sie mit diesem politischem Konzept die gesamte Mitbestimmung in Deutschland infrage stellen. Auch das ist nicht in Ordnung, liebe Genossinnen und Genossen.
Und wie war das mit dem Sozialstaat? Wenn ich mir die Vereinbarungen zur Gesundheitspolitik durchlese, dann habe ich das Gefühl, dass das nicht dem entspricht, an das die Wähler gedacht haben, als sie ihr Kreuz bei der CDU gemacht haben. Der Arbeitgeberbeitrag wird eingefroren. Nun weiß jeder, wie das mit den Kosten im Gesundheitswesen ist. Selbst wenn man alles richtig macht und sehr sparsam ist teurer wird es auf alle Fälle, schon wegen des Fortschritts in der Medizin. Aber da steht jetzt drin, dass diese zusätzlichen Kosten immer die Arbeitnehmer tragen und niemand sonst. Und dann ist noch gesagt worden, es soll möglicherweise für Teile oder den gesamten Beitrag einen festen Betrag geben, unabhängig davon, was die einzelnen Arbeitnehmer verdienen. Ob es nun der Lagerarbeiter ist oder der Chef des Logistikkonzerns, alle zahlen das Gleiche. Das ist nicht in Ordnung und ehrlicherweise, wer hätte geglaubt, dass sie da wieder auftaucht, die Kopfpauschale aus dem Wahlkampf 2005?
Wir dürfen diese Dinge nicht unerwähnt lassen, das gilt natürlich auch für diesen Steuersenkungs-Rettungsfond. Die politische Sprache hat sich angewöhnt, das was man meint, nicht zu sagen. Übrigens ein schlechter Tipp. Wir sollten davon wegkommen. Jedenfalls haben die gesagt, sie müssten Milliarden aufnehmen, um die Sozialversicherung zu stabilisieren, und das wird dann ein Arbeitnehmer-Rettungsfond. Ein Schutzschirm für Arbeitnehmer. Die Kosten sind schon im Bundeshaushalt von Peer Steinbrück ausgewiesen, ohne Schutzschirm. Dass es teuer ist, in einer Krise zu sein, wusste man schon vorher. Deshalb dient er auch nicht den Arbeitnehmern, sondern er dient dazu, unbezahlbare Steuersenkungen für Leute mit gutem Einkommen zu finanzieren. Und um hinterher, wenn die Rechnung bezahlt wird, den Arbeitnehmern zu sagen: das war ja für euch und ihr müsst jetzt die Zeche zahlen bei den sozialen Sicherungsleistungen. Das ist nicht in Ordnung, und das werden wir auch kritisieren.
Wenn man sich die ganze zusätzliche Staatsverschuldung anguckt, gibt es einen Lehrsatz, von dem ich glaube, dass dieser in Zukunft dem entspricht, was die meisten denken: Die Schwarzen können nicht mit Geld umgehen.
Und neben dem Vielen, was alles vereinbart wurde, gibt es ein Thema, über das hier auch gesprochen werden muss. Gerade in Hamburg, das umzingelt ist von Atomkraftwerken. Die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ist ein Schlag gegen die Erneuerung der Energiewirtschaft in Deutschland, gegen eine ökologische Modernisierung unseres Landes und gegen die Sicherheit der Menschen in diesem Land.
Vermutlich hat der eine oder andere im Keller noch immer diese kleinen Atomkraft Nein Danke-Sticker. Mal wieder polieren. Und vielleicht eine Sache nicht vergessen, es wird ja ab und zu verheimlicht: Der Bürgermeister dieser Stadt ist Mitglied der CDU. Sorry. Das muss man mal sagen. Und wenn nun der Ausstieg aus dem Ausstieg begonnen werden soll, dann passiert das mit seinem Willen und entspricht dem, was er für politisch richtig hält. Und der Ausbau der Atomkraft statt deren Abbau, für Hamburg die schädlichste Entscheidung, die man sich überhaupt vorstellen kann, geschieht auf Wunsch der CDU, die in dieser Stadt regiert.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir sind jetzt auch im Bund in der Opposition. Und ich bin dafür, dass wir die Zeit nutzen uns darauf zu konzentrieren, was die Grunddynamik einer politischen Partei ausmacht. Ihre Eigenschaft als Trägerin einer politischen Idee. Das sind nicht meine Worte, sondern die aus einer Zuschrift eines nicht aktiven Parteimitgliedes nach der Wahlniederlage, die mich sehr beeindruckt haben. Und er hat noch ein paar andere tolle Dinge gesagt, die will ich euch auch nicht vorenthalten. Der Weg für die SPD ist offen, wenn wir uns auf eine breite Meinungsbildung konzentrieren. Wir müssen um Meinungen ringen, fernab jeder Postenverteilung. Jetzt gilt es, Ideen nach vorne zu bringen. Indem man miteinander redet, immer wieder, geduldig, beharrlich, in großen Reden und in kleinen Vier-Augen-Gesprächen und versucht, andere von diesen Ideen zu überzeugen. Jetzt gilt es, für pure Meinung zu kämpfen und Ideen nicht nur zu entwickeln, sondern auch beharrlich, aber nicht aggressiv, sondern mit Geduld zu vertreten. Recht hat er. Das ist die Kraft die wir jetzt brauchen.
Dies gilt übrigens auch alles für die Hamburger SPD. Denn dass das Wahlergebnis hier auch hausgemachte Teile hat, muss nicht verheimlicht werden. Da gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die aufgezählt werden können. Ich habe gar keine Lust, es vollständig zu machen, die Presse tut es ohnehin. Aber eines möchte ich herausgreifen: den Diebstahl der Stimmzettel. Das ist ganz sicher eine der schlimmsten moralischen Katastrophen unserer Partei. Und auch wenn wir nun aus allem gelernt haben, wir werden nicht herausfinden, wer es war. Wobei ich ausdrücklich sagen will, wer auch immer es ist, ob er hier im Saal sitzt oder anderswo. Wenn wir das jedoch einmal herausbekommen sollten, wird es keine drei Minuten dauern bis er aus der Partei ausgeschlossen wird.
Es ist schlimm, auch für Mathias Petersen, der damals kandidiert hat und sicher davon ausgehen konnte, dass er die Mehrheit erhalten hätte und es dann hätte versuchen können mit einer Bürgermeister-Kandidatur. Das treibt einen um. Damit muss man auch wenn es ein wenig pathetisch klingt ein ganzes Leben umgehen. Das ist nicht leicht, das will ich ausdrücklich sagen. Daher bin ich sehr froh, dass Mathias und ich in einer sehr freundschaftlichen Weise über die Frage gesprochen haben Wie gelingt es uns, dass diese Sache für die Hamburger SPD ein Ende findet? Kein gutes, das gelingt nicht vollständig, aber doch zumindest in der Hinsicht, dass wir das getan haben, was man tun muss, um gemeinsam wieder nach vorne blicken zu können ohne dass es uns nicht immer wieder, Woche für Woche, Monat für Monat, erneut ereilt. Wir haben Harald Muras, der heute auch hier ist, gebeten, einen Bericht zu schreiben. Und zwar über das, was politisch wirklich interessant ist: Wie kann es kommen, dass ganz unterschiedliche Leute sich so miteinander verhaken, dass nichts mehr geht? Dies war Ende 2006/Anfang 2007 die Situation der Hamburger SPD. Es ist sehr erfreulich, dass Harald Muras sich dazu bereit erklärt hat. Ich bin sicher, er wird einen Bericht schreiben, der nicht bequem ist. Wenn er bequem wäre, dann wäre er überflüssig. Mathias und ich haben die Vereinbarung geschlossen, dass wir, wenn dieser Bericht vorliegt, vor die Hamburger SPD sowie die Presse treten und sagen: nun ist es gut, was wir tun konnten, haben wir getan, jetzt geht es nur noch um die Zukunft, liebe Genossinnen und Genossen.
Für uns hat dies aber auch eine praktische Bedeutung. Es muss Schluss sein mit Proporz-Kämpfen um Posten und ähnliche Dinge. Dies darf nicht im Vordergrund stehen, daher muss Schluss sein damit. Ich glaube, dass das funktionieren kann, da bin ich von großem Optimismus getragen. Ich habe kandidiert, weil mir viele gesagt haben, ich müsse das machen, da sie hoffen, dass jetzt eine gute Entwicklung gelingt. Aber es funktioniert nicht, wenn ich das so einfach völlig allein mache und alle anderen schauen zu. Wenn jetzt jeder das Gefühl hat, er kauft sich mal eine Tüte Chips, noch Erdnuss-Flips dazu, schaltet den Fernseher ein und guckt mal wie das so läuft, dann wird das nichts. Davon wird man erstens dicker und unbeweglich, zweitens klappt es nicht. Es kann nur funktionieren, wenn wir das als gemeinsame Veranstaltung begreifen, wenn alle mithelfen und ich nicht allein gelassen werde, sondern wir gemeinsam sagen: Wir zeigen den Hamburgerinnen und Hamburgern, wer wir sind. Nämlich die Partei mit einer langen Tradition, die um die Zukunft dieser Stadt ringt. Und das werden wir im nächsten Jahr allen zeigen.
Im nächsten Jahr geht es nicht um Politiker, sondern um Politik. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, für ein solidarisches Hamburg Vorschläge zu machen. Wir sollten das jedoch nicht nur unter uns diskutieren und dabei im eigenen Saft schmoren. Ich bin dafür, nach draußen zu gehen und mit vielen anderen zu diskutieren: Was ist zu tun, damit Hamburg eine bessere Entwicklung nimmt, als es in den vergangenen Jahren seit 2001 der Fall war?
Am meisten ärgert mich, dass es verborgen geblieben ist, dass die Hamburger SPD viele gute Leute hat. Ich kenne unglaublich viele in dieser Partei, bei denen ich nicht die geringsten Bedenken hätte, ihnen in Hamburg eine Regierungsverantwortung nicht gleich immer die höchste aber doch Verantwortung im Bereich der Landesregierung zuzutrauen. Sie könnten es besser als die, die das heute machen. Und da muss ich mich nur umschauen: die Kreisvorsitzenden, die Bezirksamtsleiter, die Vorsitzenden der Landesorganisation, die Spitze der Fraktion, bei jedem habe ich das Gefühl, es wäre richtig, wenn wir sagen: Die haben Verantwortung für diese Stadt. Warum halten wir das geheim? Lasst uns das in den Vordergrund stellen und nicht das Hickhack untereinander.
Und das hat übrigens auch eine klare Konsequenz. Wer im Jahre 2012 die Spitzenkandidatur für die Hamburger SPD die Ehre hat anzunehmen, entscheiden wir irgendwann 2011. Und ich glaube, es ist völlig falsch, wenn wir über mögliche andere Zeitpunkte diskutieren. Jetzt müssen wir vorerst beweisen, was wir können. Im Anschluss finden wir auch jemanden, der das für uns nach vorne bringen kann.
Und wir wollen angreifen. Bei der nächsten Bürgerschaftswahl wird Herr von Beust zehn Jahre regieren. Da ist kein Schwung mehr drin, irgendwann überwiegt allmählich der Verdruss. Daher ist es durchaus sinnvoll, sich einmal Gedanken zu machen: Sind die eigentlich gut? Haben die was geleistet? Es gibt ja ein paar Dinge, an denen man die Leistung der Bundesländer in Deutschland messen kann. Es ist relativ klar, wofür sie zuständig sind. Das sind ja nicht Reden, das sind Taten. Etwa im Bereich der Wirtschaftsentwicklung, im Bereich des sozialen Zusammenhalts, bei der Inneren Sicherheit, bei der Bildung sowie beim Haushalt. Und wenn man ehrlich ist: Die Bilanz des Senats ist schlecht. Ich will das nicht umfassend zu allen Themen erläutern, aber ich möchte einige herausgreifen: Ich nenne ausdrücklich Wirtschaft und Hafen. Unterhält man sich mit Leuten aus der Wirtschaft, Michael Neumann hat das gleiche Vergnügen wie ich, dann haben wir eine etwas merkwürdige Situation. Wenn keine Kameras da sind und weit und breit kein Journalist sichtbar ist, dann schimpfen sie auf diesen Senat wie die Rohrspatzen. Das schlechte Reden über die Wirtschaftspolitik dieses Senats bei Cocktailempfängen habe ich satt. Die Leute sollen es auch einmal laut sagen, liebe Genossinnen und Genossen.
Und ehrlicherweise, ich glaube, es ist nicht überheblich wenn man sagt, wir waren besser.
Zum Thema Hafen lesen wir jetzt Meldungen über die Hamburg Port Authority. Möglicherweise hat sie nicht genug Geld und bekommt Schwierigkeiten. Dem Hafen fehlt in der Wirtschaftskrise Geld, das kann man sich schon vorstellen. Aber es ist auch eine politische Entscheidung getroffen worden. Eine sehr ideologische, das möchte ich ausdrücklich sagen. Der Hafen finanziert den Hafen. Wenn sozialdemokratische Bürgermeister diese Aussage getroffen hätten, wären sie von der gesamten Öffentlichkeit aus dieser Stadt gejagt worden. Es fehlen Jahr für Jahr 100 Millionen. Aber es gibt ja noch eine Milliarde, weil man etwas verkauft hat. Dieses Geld kann man noch nehmen, aber was geschieht, wenn die Milliarde weg ist? Da gibt es kein Konzept und der Zeitpunkt liegt nicht zufällig außerhalb dieser Legislaturperiode. Dieses Problem soll uns hinterlassen werden. Aber ich sage ausdrücklich, im Kern ist das eine falsche Entscheidung, die dort getroffen worden ist. Für die Wirtschaft dieser Stadt ist der Hafen nicht alles. Aber der Hafen ist die Grundlage für all das, was in Hamburg gut gelungen ist.
Dies gilt übrigens auch für Dinge, die man gar nicht mehr damit in Verbindung bringt. Was wäre zum Beispiel Airbus ohne eine Schiffbautradition in Hamburg, die die Luftfahrtindustrie an diesem Standort erst möglich gemacht hat? Gleiches gilt für die Lufthansa-Technik. Viele andere Industrie- und sonstige Wirtschaftszweige sind aus diesem Kern entstanden. Deshalb werden wir nicht gut beraten sein, wenn wir so weitermachen, wie die das tun. Gleiches gilt auch für ein anderes, sehr schwieriges Thema: Elbvertiefung. Kein Sozialdemokrat hätte sich so nachlässig um die Frage gekümmert, was mit der Schiffsanlandung in Hamburg in Zukunft sein wird, wie die CDU-Senate.
Ein weiteres Beispiel ist das zweite große Thema in dieser Stadt, die Frage des sozialen Zusammenhalts. Dazu ließe sich vieles nennen, ich greife nur eines heraus: Die Frage, wie man mit der Wohnungssituation umgeht. Für das, wofür man sich anderswo ein Haus mit 130 Quadratmetern kaufen kann, bekommt man in Hamburg in einigen Gegenden gerade eine Zweizimmerwohnung. Es ist wichtig, dass es Mietwohnungen gibt und Möglichkeiten für jeden, völlig gleich was er verdient, eine vernünftige und faire Wohnung zu finden. Da haben wir eine gute Tradition mit den Genossenschaften, mit den öffentlichen Wohnungsunternehmen, aber auch mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Eine Zahl sollte dabei gesagt werden laut. 2001 hatten wir 153.000 Sozialwohnungen, im nächsten Jahr werden wir unter 100.000 Sozialwohnungen in dieser Stadt haben und es geht weiter abwärts. Als die CDU die Regierung übernahm, dachten alle: Das ist nicht so schlimm. Und dann wurden einfach keine neuen Sozialwohnungen mehr gebaut. Es gab immerhin noch die Wohnungen, die vorher da waren, die dann Stück für Stück aus der Belegungsbindung fallen. Nach einiger Zeit merkt man es. Man merkt es an einer solchen Zahl von unter 100.000 Sozialwohnungen, die im nächsten Jahr erreicht werden wird. Ich halte das für einen politischen und sozialen Skandal in einer Stadt wie Hamburg!
Neu gebaut werden muss immer. Da muss man es sich auch trauen, Konflikte einzugehen, Flächen auszuweisen. Mindestens 5.000 Wohnungen brauchen wir jedes Jahr. Und es gibt viel weniger, als es vor einigen Jahren gab, weil nicht mehr genug neu gebaut wird. Da darf man sich über steigende Mietpreise und über Wohnungsmangel nicht wundern. Man darf sich auch nicht über die Jubelmeldung wundern, die in dieser Woche in den Hamburger Zeitungen zu lesen war: die Immobilienpreise in Hamburg steigen ja warum wohl? Weil nicht genug nachgebaut wird. Ich möchte betonen, dass wir auch weiter geförderten Wohnungsbau brauchen. Das Ziel, das wir benannt haben ist das, was früher die Regel war. Weniger als 2.000 geförderte neue Wohnungen pro Jahr kann es nicht geben, sonst können sich einige in dieser Stadt die Wohnungen nicht mehr leisten, liebe Genossinnen und Genossen.
Vielleicht passt ja dazu die Meldung aus dem Koalitionsvertrag. Das Mieterwohnrecht soll verschlechtert werden. Man wundert sich nicht so sehr bei den Koalitionsparteien, aber eine Meldung sollten wir in Hamburg an dieser Stelle doch weitersagen. Sorry, dass ich es schon wieder tue. Die CDU ist die Partei des Bürgermeisters. Und wenn es den Mietern in Hamburg schlecht geht, dann ist es die Partei der er angehört, die dafür Verantwortung tragen wird.
Gott sei Dank ist diese Diskussion jetzt hochgekommen. Und dazu haben noch viele andere beigetragen. Künstler zum Beispiel. Die Diskussionen im und um das Gängeviertel sind sehr bemerkenswert. Wir sind eine Partei mit einer guten Regierungstradition, deshalb wollen wir es uns nicht zu einfach machen. Nicht jede Forderung, die da aufgestellt wird, ist auch unsere. Und nicht jede Initiative, die sich dahinter gestellt hat, unterstützen wir. Aber in dem Manifest, das die Künstlerinitiative aufgeschrieben hat, liegt so viel Wahrheit, dass man sie auch weitersagen muss. Ich habe mir ein paar Dinge aufgeschrieben, von denen ich glaube, die könnten auch gut in einem sozialdemokratischen Programm stehen. Ich will sie euch einmal vortragen: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketingkategorien zu sprechen. Es wird kritisiert, dass die Armen, die Alten, die migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen müssen. Und es wird gesagt: Wir glauben, eure wachsende Stadt ist in Wahrheit die segregierte Stadt wie im 19. Jahrhundert: die Promenade den gut Situierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb. Das Gerede von den pulsierenden Szenen steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Und zuletzt: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Recht haben sie, liebe Genossinnen und Genossen.
Ja, dann gibt es noch ein Thema, das zur Landespolitik gehört, das uns sehr bewegt, mich auch. Die Innere Sicherheit. Ich erinnere mich da noch an eine Diskussion vor 2001. Und deshalb will ich einmal sagen, was über die Hamburger Polizei so gemeldet wird. Es werden Stellen gestrichen bei einem CDU-Senat. 226 bei den Polizeikommissariaten, da, wo man der Polizei begegnet. Es sollen hundert bürgernahe Polizisten gestrichen werden. Laut Polizeigewerkschaft fehlen 100 Polizisten im Streifendienst. Die DGP, die Eingreifgruppe für Brennpunkte, wird aufgelöst, um die Engpässe auf den Streifenwagen und in den Kommissariaten zu lösen. Und die Polizeipräsenz auf der Straße geht zurück. Liebe Genossinnen und Genossen, das werden wir einer konservativen Regierung nicht durchgehen lassen. Das muss geändert werden!
Jetzt kommt das Thema Bildung. Auch das ist eine zentrale Aufgabe der Landespolitik. Bildung ist Ländersache. Und wenn es schlecht läuft, dann ist nicht die Bundesregierung schuld oder sonst jemand, sondern die Landesregierung. Und das ist in Hamburg der Senat. Und es läuft schlecht bei der Bildung in Hamburg. Viel zu viele junge Leute jedes Jahr sind es rund 1.400 verlassen die Schulen ohne Schulabschluss. Viel zu wenige, auch von denen die einen Abschluss haben, werden von der Arbeitsagentur als ausbildungsfähige und willige Bewerber anerkannt. Insgesamt entlassen Hamburgs Schulen jedes Jahr 4.000 so genannte Risikoschüler mit so geringer Bildung, dass sie keine Chance auf ein selbst bestimmtes Leben in unserer Gesellschaft und der Arbeitswelt haben. Ein Armutszeugnis für die Bildungspolitik dieser Landesregierung.
Für mich ist völlig klar, dass jeder einen Ausbildungsplatz braucht, um eine Chance im Arbeitsleben zu haben. Heute mehr als früher. Und es ist deshalb auch schlimm, dass die Ausbildungszahlen gesunken sind. Es gefällt mir übrigens nicht, wie da immer fröhlich in die Kameras gelächelt wird, alle Probleme seien gelöst, und zu Hause sitzen junge Leute, die keine Lehrstelle gefunden haben, mit ihren Eltern und Großeltern, und verstehen die Welt nicht mehr. Es gibt nicht genügend Ausbildungsplätze für die jungen Leute und deshalb sage ich: Unser Ziel muss sein, dass niemand ohne Ausbildung bleibt.
Und wir müssen garantieren, dass jeder mindestens mit einem Ausbildungsabschluss oder mit Abitur durchs Leben gehen kann. Das wäre ein ehrgeiziges Ziel für die Hamburger Politik. Und für das eine will ich sagen: Ich bin dafür, dass die Zukunft der Hamburger Berufsausbildung eines der Themen der SPD im nächsten Jahr sein wird. Es ist eine wichtige Herausforderung, der wir uns stellen sollten.
Schon an diesen bedrückenden Fakten erkennt man: Bei der Bildung ist etwas zu tun. Darüber ist in den letzten Jahren in Hamburg diskutiert und auch in einer Enquete-Kommission debattiert worden. Auch wir haben auf einem Parteitag eine bessere Bildungslandschaft für Hamburg entwickelt. Der Senat der Union und der Grünen hat nun eine Reform beschlossen. Die hat, das wollen wir auch hier sagen, gute Bestandteile. Die Schaffung von Stadtteilschulen ist die wichtigste Verbesserung. Die Abschaffung des Sitzenbleibens ist gut. Das haben wir hier gefordert. Die Einführung einer Berufsoberschule ist ein Fortschritt. Und die Etablierung von Bildungskonferenzen ist richtig. Alles das haben wir selbst gefordert und wird von uns unterstützt.
Bildungspolitik ich glaube da sollte sich niemand etwas vormachen ist auch ein Thema mit Emotionen. Jeder weiß das und niemand ist davon frei, auch ich nicht. Meine Emotionen stammen noch aus meiner Grundschulzeit. Als Schüler der Grundschule in Großlohe habe ich erlebt, dass mit mir nur eine Handvoll auf das Gymnasium wechseln durfte. Und bis heute weiß ich noch den Namen eines begabten Mitschülers, der nicht durfte, obwohl er sehr gut war und wollte. Seine Tränen werde ich nie vergessen und sie sind die sehr emotionale Basis meines bildungspolitischen Engagements. Weil es allen so geht den Schülern, den Eltern sowie den Großeltern - und weil Bildung so wichtig ist für die Zukunft von jedem und jeder einzelnen darum ist in der Bildungspolitik nichts so wichtig wie ein parteiübergreifender Konsens, der Regierung und Opposition einschließt. Das hat der Senat nicht gewollt. Da ist der Bürgermeister seiner Aufgabe nicht gerecht geworden. Er hätte sich am Bremer Bürgermeister ein Beispiel nehmen sollen. Der Senat der Hansestadt Hamburg hätte vom Senat der Hansestadt Bremen lernen können. Dort hat der Senat der SPD und der Grünen mit der CDU in der Opposition den Konsens gesucht und gefunden. Ich sage ausdrücklich, das wäre in Hamburg auch gegangen, unsere Hand war ausgestreckt.
Darum will ich etwas zu unserer Haltung zu dieser Reform anmerken. Dass wir die Schaffung der Stadtteilschule unterstützen, habe ich schon gesagt. Aber wir haben nicht den Eindruck, dass alles dafür getan wird, dass diese Schulform so erfolgreich wird, dass Eltern, deren Kind eine Gymnasial-Empfehlung hat, das Kind auf diese Schule schicken, ohne dass sie das Gefühl haben, ihrem Kind eine Zukunftschance zu verwehren. Wir wollen aber, dass die Stadtteilschulen so gut sind. Deshalb wollen wir, dass man auf jeder Stadtteilschule sein Abitur machen kann. Wir wollen keine Stadtteilschulen, die mit der 10. Klasse enden. Deshalb wollen wir, dass jede Stadtteilschule eine eigene Oberstufe bekommt. Und wer beim nächsten Mal SPD wählt, wird das auch bekommen.
Mit der Schulreform ist die Abschaffung des Elternwahlrechts verbunden. Das, liebe Genossinnen und Genossen, ist eine törichte, eine bornierte Entscheidung. Die Eltern werden bevormundet und es verstärkt die soziale Selektion, die Kinder aus bildungsfernen Schichten bekommen nämlich viel seltener eine Gymnasial-Empfehlung als alle anderen. Und, das muss man immer sagen, sie machen trotzdem Abitur.
Zwei Beispiele aus Altona: Das Christianeum, das überregional bekannt ist, besuchen nur ein Prozent ohne Gymnasialempfehlung am Goethe-Gymnasium in Lurup sind es 31 Prozent. Davon machen die meisten Abitur. Die Abschaffung des Elternwahlrechts ist deshalb sozial ungerecht. Und wenn der Senat das nicht wieder rückgängig macht, gilt auch hier: Wer beim nächsten Mal SPD wählt, wählt auch die Wiedereinführung des Elternwahlrechts.
Im Schulgesetz wurde das Büchergeld neu verankert. Das ist ein weiterer Schlag gegen den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt und darum werden wir das Büchergeld auch wieder abschaffen. Und lasst mich das auch gleich dazusagen: Die Studiengebühren gehören auch abgeschafft.
Zur Schulreform gehört auch die Einführung der Primarschule. Liebe Genossinnen und Genossen, auch wir haben darüber diskutiert und wir haben, nicht einhellig, aber mit breiter Mehrheit, diesen Schritt abgelehnt. Wichtigster Grund für die Ablehnung: gut gemeint ist noch nicht gut gemacht. Die Umsetzung der übrigen Schulreformen ist schon eine gigantische Aufgabe. Die Primarschule gleichzeitig einzuführen kann dazu führen, dass die neuen Stadtteilschulen nicht ausreichend gefördert werden. Manche Schulen werden über Jahre auf mehrere Standorte verteilt sein. Es drohen Wanderlehrer und Wanderklassen, viel Geld wird jetzt in neue Schulbauten und für die neuen Schulen ausgegeben. Wir finden erst einmal Investitionen in die Qualität der Schulen gut. Aber wenn die Primarschulen nicht gut genug sind, verstärken sie das Auseinanderdriften der Stadt. Am Ende der 4. Klasse betragen die Lerndifferenzen an den Grundschulen verschiedener Stadtteile heute über ein Jahr. Was ist, wenn das am Ende der 6. Klasse so bleibt oder noch schlimmer wird? Wenn es dann auch noch eine privilegierte Primarschule mit Gymnasialgängen geben soll, kann dies dazu führen, dass die Schüler nicht erst nach der 4. wie heute sondern schon vor der 1. Klasse getrennt werden, und das ist etwas völlig Unakzeptables.
Gleichwohl die Bürgerschaft hat ihre Entscheidung gefällt. Und natürlich gilt, was der Fraktionsvorsitzende Michael Neumann und unser Bildungssprecher Ties Rabe schon oft gesagt haben. Wenn sie einmal eingeführt ist, kann kein verantwortlicher Politiker erneut das Unterste nach oben kehren wollen und sie wieder rückgängig machen. Aber soweit sind wir noch nicht. Die Schulen sind noch nicht eingeführt und dann ist da noch das Volksbegehren und der Volksentscheid vielleicht. Wir wissen nicht, wie das ausgeht. Zu den Volksinitiativen und Volksbegehren im Bildungsbereich hat der Landesvorstand schon vor langer Zeit eine Entscheidung getroffen. Wir beteiligen uns an ihnen als Partei nicht. Das haben wir beschlossen zur Initiative Eine Schule für Alle und zur Initiative Wir wollen Lernen. Klar, bei beiden gibt es SPD-Mitglieder, die unterschreiben und sammeln, und ich sage ausdrücklich, das ist auch in Ordnung. Für die Sozialdemokratische Partei als Ganzes gilt das aber nicht. Aus dem Grund übrigens, den ich vorhin angesprochen habe. Wir brauchen einen überparteilichen Konsens. Und wir sind immer noch dazu bereit, wie in Bremen, eine viele Jahre geltende Vereinbarung zur Schulentwicklung abzuschließen. Meine Aufforderung an den Bürgermeister, falls das Volksbegehren Erfolg haben sollte: Nutzen Sie die noch einmal entstandene Gelegenheit für einen solchen übergreifenden Konsens in der Bildungspolitik. Reden Sie mit der Initiative. Und wenn Sie das wollen, kommen der Oppositionsführer Michael Neumann und ich zu Ihnen ins Rathaus und helfen mit, einen solchen Konsens zu finden.
Niemand wird sich vollständig durchsetzen können. Über alles wird gesprochen werden müssen. Aber auch der Senat wird sich bewegen müssen, zum Beispiel beim Elternwahlrecht. Wir wissen nicht, ob der Bürgermeister die Größe zu einem solchen Schritt besitzt. Wenn nicht, dann ist das schlecht. Für uns aber gilt: Wir werden, wenn wir wieder Regierungsverantwortung haben, einen solchen Konsens versuchen. Und den genervten Schülern und Eltern versprechen wir dann zehn Jahre keine neuen Schul-Strukturmaßnahmen, sondern zehn Jahre Verbesserung der Qualität der Bildung.
Es gibt noch ein Thema der Landespolitik über das kurz gesprochen werden muss, bei dem der Senat den Test nicht besteht. Das ist die Haushaltspolitik. Der Umgang mit unserem Geld. 26 Milliarden Euro Schulden haben wir heute, 32 Milliarden sollen es werden. Dazu gibt es auch noch einen Schattenhaushalt. Etwas, was sich die neue Bundesregierung gerade nicht traut, weil alle so empört waren. Und da werden Dinge gemacht, die man sehr problematisch finden muss, wie zum Beispiel mehr Geld aufzunehmen als man jetzt braucht, damit man über spätere Haushalte sagen kann, sie seien ausgeglichen. Wenn jeder von uns so rechnen würde, dann wären wir ziemlich schnell pleite, liebe Genossinnen und Genossen.
Und im Übrigen ist die Haushaltslage ja nicht nur das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung. Klar, die wirkt sich ziemlich massiv aus. Aber sie ist auch das Ergebnis von Dingen, über die man sich Fragen stellen muss. HSH. Größenwahnsinn nicht nur einer Bank, sondern auch von den hier verantwortlichen Politikern. Und das muss doch politisch beantwortet werden, wenn die ganze Stadt dafür bezahlen muss mit Milliarden und nicht mit Millionen.
Und da sind die Prestige-Projekte. Das las sich anfangs, als der Elan noch da war, ganz gut. Große Gesten. Man darf jetzt nicht immer so kleinlich sein. Große Geste. Ich meine, wie kleinlich haben Ortwin Runde und Thomas Mirow über die Frage Volksparkstadion verhandelt. Wie bekommen wir das, ohne viel dazuzuzahlen? Mit so etwas halten die sich hier gar nicht auf.
He, was kostet die Welt? Nur es ist irgendwie so, wie das die Eltern den Kindern sagen. Wenn das Geld weg ist, ist es weg. Und wenn man es in den guten Zeiten nicht beiseite tut und beiseite tun ist bei so überschuldeten Haushalten, wie wir sie überall in Deutschland haben, ja schon ein euphemistisches Wort also, jedenfalls vernünftigerweise nicht ausgibt, dann hat man in einer solchen Situation ganz große Probleme. Und ich sage ausdrücklich: Man muss auch Geld ausgeben, investieren. In die Bildung zum Beispiel. Wir sind dafür. Aber was man nicht machen kann, ist unsparsam sein, nicht darauf zu achten, ob es nun vernünftig ist, wie man Geld ausgibt. Weil die eine Million zur anderen kommt, die einen hundert Millionen zu den nächsten und die eine Milliarde zur anderen und am Ende ist man hoffnungslos eingeschränkt und kann gar keine Politik mehr machen. Und das ist hier alles selbst verschuldet.
He, was kostet die Welt? So ist ja auch über die Elb-Philharmonie entschieden worden. Schöne Sache. Ich gehe da mal hin. Ich lade euch alle ein. Aber, liebe Genossinnen und Genossen, das kostet ja immer mehr. Im Augenblick wird gesagt, so 370 Millionen. Aber alle gehen davon aus, das werden schon 500 Millionen Euro am Ende des Tages werden. Vielleicht muss man das einmal übersetzen. 500 Millionen Euro waren mal eine Milliarde DM. Das hätte sich ein sozialdemokratischer Senat mal für ein Haus erlauben sollen.
Ich komme übrigens zu einer Feststellung zurück, die es eingangs schon einmal gab: Die Schwarzen können nicht mit Geld umgehen.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir stehen im Augenblick nicht besonders gut da. Keine Frage. Aber in schwierigen Zeiten muss man zusammenhalten und etwas wagen. Wir und das ist unser Ziel wollen 2012 in Hamburg wieder regieren. Der Bürgermeister von Beust ist schlagbar, machen wir uns an die Arbeit.