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04.09.2015

Wir schützen alle, die Schutz suchen! Interview mit der Hamburger Morgenpost

Wir schützen alle, die Schutz suchen! Interview mit der Hamburger Morgenpost


Hamburger Morgenpost: Herr Scholz, welches war der schönste Moment Ihres Sommers?
 
Olaf Scholz: Einer war mein letzter dienstlicher Termin vor der Pause. Ich habe mir das Olympiastadion in München angeguckt. Dann sind meine Frau und ich auf Berge in Südtirol gestiegen. Auch das war schön.
 
Hamburger Morgenpost: Und der schlimmste Moment?
 
Olaf Scholz: Die vielen Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen, haben mich die ganze Zeit beschäftigt. Das Thema berührt mich.
 
Hamburger Morgenpost: Ist schon klar, wo die neuen großen Erstaufnahmen mit bis zu 3000 Plätzen entstehen werden?
 
Olaf Scholz: Wir identifizieren ständig neue Flächen für die Unterkünfte. Immer wenn wir konkret etwas zu einer Fläche sagen können, tun wir das.
 
Hamburger Morgenpost: Der Senat wird rund um das Thema Flüchtlinge viel gelobt. Wenn man sich aber mal in den Erstaufnahmen umhört, wird auch Unmut geäußert. Neulich sagte eine Mitarbeiterin aus der Dratelnstraße: Die Zustände sind schlimm und so etwas in einer Stadt wie Hamburg. Das kann doch nicht sein.
 
Olaf Scholz: Ich bin dankbar für das große Engagement derer, die dort tätig sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die ehrenamtlichen Helfer leisten wirklich Großes. Ich verstehe jeden, der sagt: Man könnte noch manches verbessern. Aber es ist so: 2011 hatten wir 400 Plätze in der Erstaufnahme und damals waren das genug. Heute melden sich täglich 200 bis 300 Menschen in Hamburg. Zum Ende dieses Jahres können es 30000 Plätze in der öffentlichen Unterbringung sein. Eine gigantische Aufgabe.
 
Hamburger Morgenpost: Es gibt Leute, die schlafen mit ihren Kindern seit Monaten in den Zelten…
 
Olaf Scholz: Was wollen Sie mit der Frage sagen? Dass Sie noch ein Kontingent Modulhäuser haben, das wir kaufen können? Ich kann mit bestem Gewissen sagen: Alle Kraft, die wir in Hamburg haben, setzen wir ein.
 
Hamburger Morgenpost: Sehen Sie ein Limit? Gibt es einen Punkt X, an dem man sagen muss: Das kann Hamburg nicht mehr schaffen?
 
Olaf Scholz: Die Frage stellt sich nicht. Die Verfassungslage in Deutschland ist eindeutig: Diejenigen, die Schutz vor politischer Verfolgung, vor Krieg suchen, bekommen diesen Schutz.
 
Hamburger Morgenpost: Ende des Jahres werden etwa 30.000 Flüchtlinge in Hamburg untergebracht sein. Werden die angepeilten 6000 Wohnungen, die pro Jahr gebaut werden sollen, noch reichen?
 
Olaf Scholz: Nein. Aber wir müssen die Dinge auseinanderhalten. Bis zum Jahresende werden wir zahlreiche neue Unterkunftsplätze schaffen und gleichzeitig werden wir mehr Wohnungen bauen.
 
Hamburger Morgenpost: Nennen Sie doch mal eine Zahl.
 
Olaf Scholz: Es wird viel mehr Wohnungen geben müssen. Allein im letzten Jahr wurden Genehmigungen für mehr als 10000 Wohnungen erteilt. Die entstehen natürlich nicht von heute auf morgen. Vor einigen Jahren hielten viele selbst die Zahl 6000 für nicht erreichbar. Das haben wir aber geschafft.
 
Hamburger Morgenpost: Wie werden die Flüchtlinge Hamburg verändern?
 
Olaf Scholz: Etwa 30 bis 40 Prozent der Hamburger haben einen Migrationshintergrund. Und wir haben gute Erfahrungen gemacht. Und das werden wir auch weiterhin. Ich war neulich zu Besuch bei einer syrischen Familie in einer Unterkunft. Ich habe mit den Kindern gesprochen beide sprachen akzentfrei Deutsch. Das zeigt zum Beispiel, dass unser Bildungssystem funktioniert.
 
Hamburger Morgenpost: Warum gibt es keine Fotos von Ihren Besuchen in Flüchtlingsunterkünften? 
 
Olaf Scholz: Ich gucke mir die Unterkünfte immer wieder an man muss gesehen haben, wie es ist. In den Messehallen, in den Zelten. Aber es geht darum, Eindrücke zu gewinnen. Und nicht um Politiker-PR.
 
Hamburger Morgenpost: Die Stadt muss unheimlich viel extra investieren, um die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Können wir uns angesichts dieser Situation ein Spaß-Event wie Olympia leisten?
 
Olaf Scholz: Andersherum ist es richtig. Wenn wir eine Dynamik haben, die Olympia in die Stadt bringen würde, können wir auch den Flüchtlingen eine gute Perspektive bieten. Es gibt ja nicht DEN einen Kuchen, den wir neu aufteilen müssen. Sondern um im Bild zu bleiben unsere Stadt gleicht mehr einem Hefeteig, der wächst.
 
Hamburger Morgenpost: Ihr Kollege aus Boston hatte offenbar Angst, dass der Hefeteig zusammenfällt. Und hat die Olympiabewerbung zurückgezogen. Liegt er falsch?
 
Olaf Scholz: In Boston gibt es ganz andere Strukturen. Wir haben verglichen mit amerikanischen Städten bezahlbaren Wohnraum. Und gegen die steigenden Mieten bauen wir schon jetzt an. Wir haben ein gebührenfreies Bildungssystem und eine gute Kinderbetreuung. Das gibt es dort nicht.
 
Hamburger Morgenpost: Wir können uns Olympia also im Gegensatz zu Boston leisten?
 
Olaf Scholz: Den Eindruck, dass Olympia einen Euro kostet, habe ich nie erweckt. Da werden hohe Investitionen getätigt. Ab 2020 gilt aber die Schuldenbremse. Wir werden uns für Olympia nicht verschulden.
 
Hamburger Morgenpost: Die Hamburger werden am 29. November entscheiden können, ob sie sich bewerben wollen oder nicht. Können Sie bis dahin konkret sagen, was da kostentechnisch auf uns zukommt?
 
Olaf Scholz: Ja. Wir haben Leute im Boot, die viel Erfahrung mit solchen Planungen haben.
 
Hamburger Morgenpost: Die waren hoffentlich nicht an der Planung der Elbphilharmonie beteiligt.
 
Olaf Scholz: Wir haben aus den Fehlern, die vor meiner Zeit als Bürgermeister gemacht wurden, gelernt. Deshalb wird sehr sorgfältig geplant.
 
Hamburger Morgenpost: Für übernächsten Sonnabend haben sich 3000 Rechte zum Tag der Patrioten in Hamburg angekündigt. Befürchten Sie Ausschreitungen?
 
Olaf Scholz: Ich bin sauer, dass Leute mit schlechter Gesinnung nach Hamburg kommen, um ihre schlechte Gesinnung herauszubrüllen. Und weil sie wohl nicht nur brüllen wollen, hat die Polizei jetzt den Aufzug verboten.
 
Das Interview führten Geli Tangermann, Renate Pinzke und Maik Koltermann.