Olaf Scholz im Interview mit dem Tagesspiegel
Herr Scholz, warum veranstaltet die SPD einen Sonderparteitag, auf dem in den strittigen Fragen so gut wie nichts entschieden wird?
Ihre Frage geht ins Leere. Wir werden wichtige Beschlüsse zur Arbeitsmarktpolitik sowie zur Wirtschafts- und Finanzpolitik fassen. Wir werden damit zeigen, wie Deutschland besser regiert werden kann. Es geht um eine solide Haushaltsführung, mehr Geld für die Kommunen und für Bildung.
Das Streitthema Rente mit 67 soll an eine Kommission verwiesen werden, bei Ihrem Steuerkonzept bleibt offen, ob die Mittelschicht entlastet wird. Warum so verzagt?
Wir sind überhaupt nicht verzagt, sondern wir nehmen uns Zeit für eine ernsthafte und sorgfältige Diskussion. Bei der Rente ist unsere Position im Grundsatz klar: Mit der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre kann erst begonnen werden, wenn die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 60 bis 64 Jahren auf 50 Prozent gestiegen ist. Heute sind es erst 21,5 Prozent. Sollte die Bundesregierung 2012 mit der Anhebung beginnen wollen, wird die SPD-Bundestagsfraktion beantragen, diesen Irrsinn zu stoppen.
Können Sie uns erklären, warum der SPD-Vorstand sich erst auf Steuerbelastungen in Höhe von fünf Milliarden festgelegt hat, diese Zahl in der Beschlussempfehlung an die Parteitagsdelegierten jetzt aber nicht mehr auftaucht?
Erst setzt man die Eckdaten, dann macht man die Feinarbeit. Fest steht, dass wir den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Euro für Ledige und 200 000 Euro für Verheiratete erhöhen wollen. Über den Verlauf des Steuertarifs werden wir 2011 entscheiden. Und natürlich geht es auch um Steuereinnahmen.
Das heißt, keine breiten Entlastungen für mittlere Einkommen?
Entlastungen sind für einige möglich, aber zugegebenermaßen begrenzt. Jeder Politiker, der milliardenschwere Steuerentlastungen verspricht, wird zu Recht nicht ernst genommen.
Warum hakt die SPD das Thema Integration mit einer Diskussionsrunde vor Beginn des Parteitages ab, obwohl die Probleme im Zusammenleben mit Migranten auch die SPD-Anhängerschaft umtreiben?
Was soll der Formalismus? Wir diskutieren darüber, das ist die Hauptsache. Wichtigste Voraussetzung für eine bessere Integration sind gute Deutschkenntnisse der Migranten. Hier hat die Bundesregierung in beispielloser Weise versagt. Zehntausende wollen in diesem Jahr freiwillig an Sprach- und Integrationskursen teilnehmen, können das aber nicht, weil das Bundesamt für Migration Wartefristen verhängt hat. Dass es solche Kurse heute überhaupt gibt, ist übrigens Ergebnis sozialdemokratischer Regierungspolitik. Grundsätzlich gilt in der Integrationsdebatte: Es darf über jedes Problem gesprochen, aber nie mit Ressentiments gespielt werden.
SPD-Chef Gabriel sagt, Integrationsverweigerer müssten Deutschland verlassen. Einverstanden?
Sigmar Gabriel fordert keine Gesetzesänderung, da haben Sie ihn missverstanden.
Nach geltender Rechtslage können aber nur schwere Straftäter abgeschoben werden.
Wir sollten uns darauf konzentrieren, ausnahmslos alle zur Aufnahme von Sprachkursen zu bewegen. Um dies durchzusetzen, stehen Sanktionen wie die Kürzung von Transferleistungen zur Verfügung.
Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, erklärt Multikulti für gescheitert, der für Integration zuständige SPD-Vizevorsitzende Klaus Wowereit sagt das Gegenteil. Ist die SPD beim Thema Integration eine gespaltene Partei?
Nein. Für die überwiegende Zahl der Migranten funktioniert die Integration. Es gibt aber auch Stadtteile und Gegenden, in denen sich manche Gruppen in Parallelgesellschaften verabschieden. Damit dürfen wir uns niemals abfinden.
Das Kopftuch gilt auch vielen Sozialdemokraten als Symbol der Unterdrückung der Frauen. Muss es an Schulen und im öffentlichen Dienst verboten werden?
Wenn muslimische Lehrerinnen ein Hochschulstudium an einer deutschen Universität abgeschlossen haben, können sie meinetwegen auch ein Kopftuch tragen. Denn dann ist sichergestellt, dass der Unterricht vernünftig abläuft.
Darf ein Staat, für den die Gleichberechtigung von Mann und Frau Verfassungsrang hat, zulassen, dass muslimische Frauen unter die Burka gezwungen werden?
Die Burka ist ein Symbol für die Unterdrückung von Frauen und das sollte man durchaus laut sagen. Ich bin aber skeptisch, dass ein Burkaverbot mit unserer Verfassung vereinbar wäre.
Hier können Sie das Interview auf der Seite des Tagesspiegel nachlesen.