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15.05.2009

Wir wollen aus Entmutigung Ermutigung machen

KLARER KURS: Herr Minister, die neue Maßnahme Unterstützte Beschäftigung startet in diesen Tagen. Glauben Sie, dass dadurch viele Menschen mit geistiger Behinderung den Zugang zum Arbeitsmarkt finden werden? 

 

OLAF SCHOLZ: Wir wollten, dass Menschen mit Behinderung trotz ihrer Einschränkungen am Arbeitsleben teilnehmen können. Aus meiner Sicht ist dieses Modell ein großer Fortschritt, ein wichtiger und sehr schöner Bestandteil des Paradigmenwechsels, den wir im Bereich der Behindertenpolitik vorgenommen haben. Schritt für Schritt soll aus einer Politik der Fürsorge für die Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung eine Politik der Teilhabe werden. Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, und die Integration in den Arbeitsmarkt ist dabei ein sehr wichtiger Bestandteil.

 

KLARER KURS: Glauben Sie, dass geistig behinderte Menschen uneingeschränkt im Arbeitsmarkt tätig sein können? 

 

OLAF SCHOLZ: Ich bin mir deshalb so sicher, weil ich es selbst gesehen habe und viele kenne, bei denen das so ist. Sicher ist es für jeden unterschiedlich, weil es immer unterschiedliche Bedingungen gibt. Aber es zeigt sich an den Erfolgen, die z.B. bei der Hamburger Arbeitsassistenz und auch anderswo erzielt worden sind, dass es geht und dass es jede Anstrengung, jede Mühe wert ist, einen Weg zu finden, wie es gehen kann.  

 

KLARER KURS: Wird also Inklusion im Arbeitsleben jetzt der Normalfall?

 

OLAF SCHOLZ: Es ist ein wichtiger Schritt, aber es dauert sicher bis wir soweit sind. Wir haben die vielen Brücken, die gebaut worden sind, aus darauf gar nicht ausgerichteten Gesetzen einen Weg für die Unterstützte Beschäftigung zu bahnen, ersetzt durch ein ganz offensiv ausgerichtetes Modell. Bisher musste das Persönliche Budget herhalten, um sicher zu stellen, dass man eine Unterstützte Beschäftigung organisieren kann. Jetzt haben wir die Unterstützte Beschäftigung in der Arbeitsmarktförderung untergebracht. Auf dieser Basis kann man seinen Teilhabeanspruch direkt geltend machen. Das ist für unser Land vielleicht ein kleiner, aber für alle Betroffenen ein ganz großer Fortschritt.  

 

KLARER KURS: Entschuldigen Sie die Skepsis, aber es ist oft von einer Verhinderung von Fehlbelegungen in der Werkstatt und von Vorab-Diagnosen die Rede. Geht es wirklich um eine freie Wahl für alle oder darum, die in der Werkstatt Fehlplazierten herauszufischen?  

 

OLAF SCHOLZ: Werkstätten leisten eine großartige Arbeit. Gleichzeitig sollen aber im Rahmen des Paradigmenwechsels alle diejenigen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein wollen, das auch tun können. Das war bisher in unserem Fördersystem gar nicht vorgesehen. Man hat das wirklich erst neu in den Blick genommen. Ohne ehrgeizige Initiativen wie die Hamburger Arbeitsassistenz wäre es wohl gar nicht zu diesem eigenständigen Anspruch auf Unterstützte Beschäftigung gekommen. Behinderte Bürgerinnen und Bürger können diese Förderung direkt beanspruchen und müssen nicht erst so einsortiert werden, als ob sie ohne die Förderung einer Werkstatt nicht zu Rande kämen. Für manche geht es eben ohne und deshalb brauchen sie nicht erst als werkstattbedürftig qualifiziert werden.  

 

KLARER KURS: Hat denn jeder, der Anspruch auf einen Werkstattplatz hat, die freie Wahl, in die zu Werkstatt gehen oder die Unterstützte Beschäftigung zu wählen?  

 

OLAF SCHOLZ: Wer in die Werkstatt will, der hat auch künftig das Recht dazu. Wenn nicht, wird man miteinander herausfinden müssen, wie das funktioniert. Wir werden jeden, der den Wunsch hat, mit den bestehenden Mitteln auch auf diesen Weg bringen. Da bin ich ganz entschieden. Es ist mein persönlicher Ehrgeiz, dafür zu sorgen, dass niemand, der in Richtung erster Arbeitsmarkt gehen will, davon abgehalten wird. Selbst in engagierten Institutionen finden Entmutigungsprozesse statt und es ist die Absicht des Gesetzgebers, aus Entmutigung Ermutigung zu machen. Der Gesetzgeber kann immer nur einen Rahmen festlegen, für die Umsetzung in der Praxis sind die Verwaltungen vor Ort verantwortlich. Eine veränderte Praxis dieser Verwaltungen ist daher das Ziel der Unterstützten Beschäftigung.  

 

KLARER KURS: Sehen Sie auch dauerhafte Unterstützungsleistungen vor?  

 

OLAF SCHOLZ: Ich kann mir vorstellen, dass es dauerhafte Unterstützungsleistungen gibt, wenn sie notwendig sind. Ich habe schon gesagt: Minderleistungsausgleich ist möglich und es wird Fälle geben, wo das über lange Zeit unabdingbar ist.  

 

KLARER KURS: Wie viele Menschen, die jetzt in die Werkstatt gehen, könnten nach Ihrer Prognose mit diesem Instrumentarium vermittelt werden?  

 

OLAF SCHOLZ: Ich kann keine Zahlen nennen. Aber z.B. die Geschichte der Hamburger Arbeitsassistenz zeigt, dass viel mehr Menschen am Arbeitsleben teilhaben können, als alle vorher gedacht haben. Weil es jetzt ein allgemeines, für jeden Mann und jede Frau zugängliches Instrument gibt, werden noch einmal viele ihre neuen Möglichkeiten entdecken und sich am Ende sehr viel mehr am Arbeitsmarkt beteiligen.  

 

KLARER KURS: Was wird in künftig der Stellenwert der Werkstätten sein?  

 

OLAF SCHOLZ: Werkstätten haben eine wichtige Aufgabe in unserem System. Sie werden weiterhin für diejenigen da sein, die einen anderen Weg nicht gehen wollen oder nicht gehen können. Und wir werden sie auch weiterhin darin unterstützen.  

 

KLARER KURS: Werden Sie mit Ihren Mitteln, mit den Mitteln des Bundesministeriums, auch die Arbeit der Fachdienste unterstützen, etwa mit Informationen, Pressekampagnen oder was sonst denkbar ist?  

 

OLAF SCHOLZ: Da können Sie ganz sicher sein.  

 

KLARER KURS: Vielen Dank, Herr Minister.  

 

 

Interview Klarer Kurs, Magazin für berufliche Teilhabe, Heft 2, 2009, 2. Jg., S. 19.