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07.02.2010

Wir wollen bei der Bürgerschaftswahl 2012 wieder stärkste Partei werden.

Welt am Sonntag: Herr Scholz, zweifeln Sie eigentlich manchmal an Ihrer Menschenkenntnis?

 

Olaf Scholz: Oft. Aber wer tut das nicht? Nur überhebliche Menschen sind sicher, dass sie sich noch nie verschätzt haben.

 

Welt am Sonntag: Wir beziehen uns auf den Fall von Bülent Ciftlik. Der ehemalige SPD-Pressesprecher ist wegen des Verdachts angeklagt, eine Scheinehe gestiftet zu haben. Außerdem hat er der SPD-Führung gefälschte angebliche Polizeivermerke vorgelegt, um Parteifreunde in Misskredit zu bringen. Sie haben Ciftlik, der auch Bürgerschaftsabgeordneter der SPD ist, einmal als Referenten eingestellt. Haben Sie sich in ihm getäuscht?

 

Scholz: In wenigen Wochen werden wir wissen, was sich wirklich zugetragen hat. Es ist auch notwendig, dass die Richter eine Entscheidung fällen, denn das ist ja nicht mehr auszuhalten. Es ist klar, dass man nicht Mitglied der Bürgerschaft sein und eine Scheinehe anbahnen kann. Insofern wird da Klarheit entstehen. Es kann auch nicht sein, dass jemand in der SPD ist, der Urkunden gefälscht hat. Wir werden knallharte Konsequenzen ziehen. Ich bin nicht zimperlich.

 

Welt am Sonntag: Ciftlik war auch Pressesprecher zu der Zeit, in der die Stimmzettel bei der Mitgliederbefragung gestohlen wurden. Haben Sie die Hoffnung, auch diesen Skandal im Zuge der aktuellen Ermittlungen aufzuklären?

 

Scholz: Nein, diese Hoffnung habe ich nicht. Es ist der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, da etwas herauszufinden. Und wir haben es mit internen Ermittlungen auch nicht geschafft. Verdächtigungen und Vermutungen sind keine Beweise. Politisch haben wir das zusammen mit Mathias Petersen aufgearbeitet und gemeinsam abgeschlossen.

 

Welt am Sonntag: Die Hamburger SPD ist seit bald neun Jahren in der Opposition - und vor allem durch Intrigen und Skandale aufgefallen.

 

Scholz: Sie übertreiben maßlos. Vor allem: Wir sind so gut wie vollständig durch mit den Problemen, die es gab. Das wird auch Zeit. Die Hamburger SPD hat nämlich viele gute Leute. Ich könnte von heute auf morgen einen kompletten Senat einschließlich der Staatsräte besetzen aus den Führungsfiguren der SPD in den Kreisen, Bezirken, in der Bürgerschaft und im Vorstand. Das wären alles bessere Leute als die heutigen Amtsinhaber.

 

Welt am Sonntag: Und welcher Genosse würde in diesem Fall Bürgermeister?

 

Scholz: Das würden wir dann schnell entscheiden, da können Sie sicher sein.

 

Welt am Sonntag: Hört sich an, als sei die SPD in allerbester Verfassung. Diesen Eindruck hatten wir nicht.

 

Scholz: Natürlich ärgern mich die Ereignisse der letzten Zeit, weil sie den Blick dafür trüben, dass wir eine eigentlich gut aufgestellte Partei sind. Wenn dieser ganze Spuk in wenigen Wochen vorbei ist, dann marschieren wir voll auf unser Ziel zu. Und das heißt: Wir wollen bei der Bürgerschaftswahl 2012 wieder stärkste Partei werden.

 

Welt am Sonntag: Und mit welchem Thema wollen Sie das erreichen? Wer ist der Mensch, der die Hamburger wieder für die SPD begeistern soll?

 

Scholz: Wir werden auf mehreren Parteitagen unsere Positionen entwickeln und den Hamburgern genau sagen, was wir anders machen wollen. Da geht es zum Beispiel ums Wohnen in dieser Stadt. Nehmen wir die Tatsache, dass die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg zum ersten Mal unter 100 000 sinkt. Das waren vor knapp zehn Jahren 150 000. Dieser drastische Rückgang macht sich natürlich deutlich bei den Mieten bemerkbar. Dass der Wohnungsbau zum Erliegen gekommen ist, das war eine politische Entscheidung der CDU. Da ist ganz viel an sozialem Zusammenhalt in Hamburg verloren gegangen.

 

Welt am Sonntag: Mit Wohnungsbau- und Sozialpolitik allein wird es wohl nicht gehen.

 

Scholz: Nein, nehmen Sie zum Beispiel auch die Innere Sicherheit. Der Senat hat die zentrale Verwaltung bei der Polizei aufgebläht, und in den Polizeikommissariaten fehlen die Leute. Es werden viele Dinge nicht aufgeklärt, über die man sich Sorgen machen muss. Etwa der Angriff auf die Polizeiwache Lerchenstraße. Man hat insgesamt nicht das Gefühl, dass die Dinge hier gut bestellt sind. Dasselbe gilt für die an allen Ecken aus dem Ruder laufenden Kosten bei großen Projekten. Die Elbphilharmonie ist ja nur ein Beispiel. Wir wollen herausfinden, wie es zu diesen Kostenexplosionen gekommen ist - und ob der Senat nicht hätte vorher wissen können und müssen, wie teuer es wird, wenn er denn sorgfältig gearbeitet hätte. Und zu allem Überfluss haben wir derzeit eine Landesregierung, die die wirtschaftsfeindlichste Politik seit 1946 in Hamburg macht.

 

Welt am Sonntag: Woran machen Sie das fest?

 

Scholz: Etwa an der Hafenpolitik des Senates. Ich war immer gegen den Versuch, die HHLA zu verkaufen. Aber weltweit einen Prospekt zu versenden, wo für Millioneninvestitionen geworben wird, und dann kurz danach zu sagen, ach nee, das haben wir uns jetzt anders überlegt - das ist eine Planlosigkeit, mit der dieser Senat das Image Hamburgs über viele, viele Jahre beschädigt hat. Und zwar weltweit. Das gleiche gilt für Moorburg. Erst bittet der Senat Vattenfall, doppelt so groß zu bauen, wie die das wollten. Und nach der Wahl unterschreibt man dann eine Koalitionsvereinbarung, in der steht, das kann man auch sein lassen. So etwas kann man nicht gerade als effiziente Wirtschaftspolitik bezeichnen.

 

Welt am Sonntag: Was würde denn die SPD in der Hafenpolitik anders machen?

 

Scholz: Grundsätzlich hätte sich kein Sozialdemokrat in die absurde Idee "Der Hafen finanziert den Hafen" verrannt, wie Schwarz-Grün das jetzt propagiert. Da geht es darum, dass wir in die Infrastruktur unseres Kern-Industriegebietes Geld investieren müssen, das ist uns immer klar gewesen. Das, was Schwarz-Grün mit dem Hafen macht, hätte die Hamburger Öffentlichkeit, das hätten auch die Medien der SPD niemals erlaubt - und zu Recht nicht.

 

Welt am Sonntag: Ein anderes Thema, das die Hamburger sehr beschäftigt, ist die Bildungspolitik. Sie sind jetzt im Hintergrund mit in die Verhandlungen eingetreten. Weiß die SPD eigentlich mittlerweile selbst, was sie in der Schulpolitik will?

 

Scholz: Wir haben klare Beschlüsse gefasst. Wir wollen zum Beispiel, dass es eine gute Stadtteilschule gibt. Wir wollen auch, dass jede Stadtteilschule eine Oberstufe hat, weil das sonst keine wirkliche Alternative ist. Denn die Stadtteilschule hat ja nur dann Erfolg, wenn es Eltern gibt, die ihr Kind mit Gymnasialempfehlung auf die Stadtteilschule schicken. Wir sind für den Erhalt des Elternwahlrechts. Was die Einführung der Primarschule angeht, hat es in der Tat unterschiedliche Einschätzungen in der SPD gegeben. Aber es gibt auch klare Beschlüsse. Wir sind gegen die Einführung der Primarschule.

 

Welt am Sonntag: Wie soll das zum Ziel der SPD passen, langfristig eine Schule für alle einzuführen?

 

Scholz: Die ganze Reform leidet darunter, dass der schwarz-grüne Senat zu viel zu schnell umsetzen will. Das ist nicht vernünftig. Jetzt ist es unsere Aufgabe als Oppositionspartei, dafür zu sorgen, dass es langfristig Klarheit für die Eltern gibt. Wir sind bereit zu einem Zehnjahresvertrag, in dem Regierung und Opposition sich verständigen über die künftige Entwicklung der Schulstruktur, so dass Eltern und Kinder wissen, woran sie sind. Ein solcher Vertrag erleichterte auch eine Verständigung zwischen Initiative und Senat, weil nicht alles in dieser Legislaturperiode fertig sein muss. Künftige Regierungen müssten sich an die Absprachen halten.

 

Welt am Sonntag: Ist das nicht ein etwas merkwürdiges Konstrukt in einer parlamentarischen Demokratie?

 

Scholz: Nein, warum? So etwas gibt es zum Beispiel in Bremen. Wir werfen dem Bürgermeister vor, dass er nicht bereit gewesen ist, mit allen gemeinsam eine Lösung zu finden. Wir wären dazu bereit gewesen. Ich bin sicher, dass es dann auch nicht zum Volksbegehren gekommen wäre.

 

Welt am Sonntag: Möglich, aber was will die SPD denn außer dem Elternwahlrecht?

 

Scholz: Ich will jetzt ganz bewusst nicht öffentlich mit Vorschlägen die Verhandlungen erschweren. Wir führen derzeit gute vertrauliche Gespräche. Alle müssen wissen: Wir sind bereit, einen Kompromiss mitzutragen und mit umzusetzen - unabhängig davon, was bei der nächsten Wahl herauskommt. Ich will, dass in den Stadtteilen, die nicht so gut dastehen, die Schulen die herausragenden Orte sind. Die Schule in Billstedt oder Hamm und Horn muss ein Palast sein, wo alle gerne hingehen, wo alle eingeladen sind, aus sich und ihrem Leben etwas zu machen. Erst wenn wir das schaffen, haben wir wirklich etwas erreicht.

 

Welt am Sonntag: Über eine Frage sind Sie vorhin hinweg gegangen. Deswegen noch mal: Mit welchem Menschen wollen Sie die Hamburger wieder für die SPD einnehmen? Sprich: Wer könnte denn ihr Kandidat 2012 werden?

 

Scholz: Wir werden unseren Kandidaten im September 2011 bei einem Parteitag aufstellen.

 

Welt am Sonntag: Und wann beginnt dann die traditionell zelebrierte SPD-Mitgliederbefragung zu diesem Thema?

 

Scholz: Wir haben uns darauf verständigt, dass der Parteivorsitzende einen Vorschlag machen wird, der gut vorbereitet ist - und der die Unterstützung der Parteiführung und der Mitglieder haben wird.

 

Welt am Sonntag: Soll das heißen: Es wird keine Mitgliederbefragung geben?

 

Scholz: Ich habe mit allen gesprochen. Und wir sind uns alle einig: Ich mache einen Vorschlag. Das Weitere sehen wir dann.

 

Welt am Sonntag: Laut Satzung kann die Befragung von Mitgliedern erzwungen werden.

 

Scholz: Was wird dann machen, sehen wir dann. Aber wir sind uns einig: Den Vorschlag mache ich.

 

Welt am Sonntag: Wäre es über die Maßen ruchlos, wenn ein Parteichef sich selbst vorschlüge?

 

Scholz: Als ich gebeten wurde, als Landesvorsitzender zu kandidieren, hatte ich nicht geplant, das zu tun. Das gibt mir eine große Gelassenheit und eine große Entschiedenheit, kein Problem ungelöst zu lassen.

 

Welt am Sonntag: Das war eine Antwort auf eine Frage, die wir nicht gestellt hatten - und dafür keine auf unsere Frage.

 

Scholz: Es ist jetzt einfach nicht die Zeit, über diese Frage nachzudenken. Ständig über Personen zu reden bringt nichts. Uns nichts und den Hamburgern auch nicht. Wir werden die Fehler des Senates aufzeigen und unsere politischen Alternativen anbieten. Das ist jetzt unsere Aufgabe. Und diese Aufgabe werden wir erfüllen.

 

Das Gespräch führten Per Hinrichs und Jens Meyer-Wellmann.

 

Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Welt.