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07.08.2013

60 Jahre Gerechter unter den Völkern

60 Jahre Gerechter unter den Völkern

Exzellenz,
sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrter Herr Professor Reemtsma,
sehr geehrte Frau Müller,
sehr geehrter Herr Rav-On,
sehr geehrte Vertreterin und Vertreter der Religionsgemeinschaften,
sehr geehrte Damen und Herren des Konsularischen Korps
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Die Gerechten unter den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt.

In diese Verheißung hat die jüdische Religion lange bevor Christen und Muslime ihre eigenen Wege in das Paradies suchten alle Gerechten einbezogen.
Nicht nur die Strenggläubigen, die den kompletten Kanon ihrer religiösen Vorschriften befolgten. Sondern alle, wo auch immer auf der Welt sie lebten, in welcher Sprache auch immer sie redeten. Alle, die im Einklang mit sieben wesentlichen ethischen Grundsätzen lebten, die Gott mit Noah vereinbart hatte, vor und nach der großen Flut und dem Neubeginn.

Ein Gerechter unter den Völkern zu sein welch eine einfache, oder doch: überschaubare Aufgabe seitdem. Eigentlich. Denn sie erfordert nicht viel mehr als: die, unter denen man lebt, als seinesgleichen zu respektieren und ihnen keinen Schaden zuzufügen.  

Ein Gerechter unter den Völkern zu sein welch eine schwere Aufgabe hingegen, unter Bedingungen, in denen die Zivilisation gebrochen, Ungleichheit postuliert, Verfolgung und massenhafter Mord von Staats wegen begangen werden.

Für den Senat und die Bürgerschaft der Stadt Hamburg will ich heute an sieben Frauen und Männer erinnern, denen das dennoch gelungen ist, die sich in Hamburg, oder als ehemalige Bewohner unserer Stadt, in der Zeit der Rechtlosigkeit als Gerechte unter den Völkern bewährt haben. Einige ihrer direkten Nachfahren begrüße ich heute unter uns.

Elisabeth Flügge war Lehrerin in Hamburg. Sie organisierte schon in den letzten Vorkriegsjahren, um den Preis einer Strafversetzung, Ferienaufenthalte für jüdische Schüler, die nicht an Schulausflügen teilnehmen durften. Ab dem Sommer 1943 versteckte sie ein so genanntes gemischtrassiges Paar und deren erwachsenen Sohn in ihrem Haus.

Elli Fullmann, Witwe mit vier Kindern, vor den Bombenangrifen aus Hamburg nach Sachsen geflüchtet, verbarg in den letzten Kriegswochen eine junge Jüdin, der es gelungen war, aus einem Transportzug Richtung Flossenbürg zu entkommen.

Eberhard Helmrich, geboren in Hamburg, Major der Wehrmacht, nutzte seine Position als Kreis-Zuständiger für Landwirtschaft im besetzten Polen dazu, vom Hungertod bedrohte jüdische Krankenhauspatienten mit Nahrung zu versorgen, 130 Personen angeblich kriegswichtige Arbeit zu verschaffen und etliche junge Frauen mit falschen Papieren, als ukrainische Hausmädchen getarnt, nach Deutschland zu schicken, wo sie überlebten.

Gustav Schröder, Kapitän des Schiffes St. Louis, sollte 1939 mit 900 jüdischen Passagieren nach Hamburg zurückkehren, nachdem Kuba und die USA sie nicht hatten aufnehmen wollen. Er lehnte das ab, verzögerte die Fahrt und erreichte, dass alle in Antwerpen von Bord gehen und viele später in unbesetzten Ländern der Shoah entkommen konnten.

Helene von Schell gelang es, eine jüdische Familie von vier Personen ab Dezember 1942 bis zum Kriegsende heimlich in ihrer Berliner Ein-Zimmer-Wohnung unterzubringen, obwohl ein Nazi-Funktionär mit im Haus wohnte. Die gebürtige Hamburgerin lebte in der Küche und teilte ihre Lebensmittelrationen.

Ernst Richard Moser, Geschäftsmann in Hamburg, konnte bei der Gestapo die Freilassung seines jüdischen Angestellten aus einem KZ erwirken und seine Emigration möglich machen. Er versorgte später dessen Eltern heimlich mit Lebensmitteln und Geld und brachte weitere Verfolgte in seinem Landsitz in Mecklenburg unter.

Schließlich Hans von Dohnanyi, geboren in Wien, später als junger Wissenschaftler in Hamburg, der im Dritten Reich als Jurist gute Karrierechancen hatte, seine dabei gewonnenen Einsichten und sein Insiderwissen aber bald nutzte, bedrohte jüdische Deutsche zu warnen, ihnen zu helfen, etliche in das neutrale Ausland zu bringen und zunehmend aktiven Widerstand gegen das Regime zu leisten. Als Mitglied der Verschwörungen gegen Hitler ist er wenige Wochen vor Kriegsende hingerichtet worden.

Meine Damen und Herren,
Als der Staat Israel vor sechzig Jahren, schon kurze Zeit nach der Shoah, die Gedenkstätte Yad Vashem beauftragte, unter nicht-jüdischen Menschen nach Gerechten unter den Völkern zu forschen, sie als solche anzuerkennen und zu ehren, waren die Kriterien streng. Es genügte und genügt nicht, dass jemand kein Mittäter, kein Nutznießer, kein Leugner des Mordes an den Juden war. Gewissensqualen erlitten, aber mit sich selbst abgemacht zu haben, reichte nicht, und auch der aktive, aber auf Grund der eigenen Position risikoarme Einsatz für verfolgte Juden zählte wenig, erst recht, wenn womöglich eine Gegenleistung erwartet wurde.

Verlangt war eine bezeugte aktive Beteiligung an der Rettung jüdischer Personen unter hohem Risiko für den Retter selbst, ohne Eigennutz. 

Das machte und macht Sinn, auch deshalb, weil das nachträgliche Erforschen, Prüfen und Bewerten einer Gesinnung wenig Sinn macht. Was hat einer getan, unterlassen, gesagt, verschwiegen, wem hat er geholfen, wem geschadet? Es sind im Grunde nur wenige entscheidende Fragen, die ein Mensch in der Lage sein muss zu beantworten, und zu verantworten.

In zivilen Zeiten muss sich niemand als Held beweisen, um ein Gerechter im eigenen Dorf oder Stadtviertel zu sein. Das eigene Gewissen zu befragen, ohne das geht es nie. Zivilcourage, die kann der Alltag unter Umständen erfordern. Ich freue mich, dass zu den nicht einfachen Implikationen dieses einfach klingenden Begriffs gleich Herr Professor Reemtsma zu uns sprechen wird.

Nie wieder dem Zivilisationsbruch, nie wieder dem Rassendünkel und was aus ihm folgt eine Chance zu geben, das ist die Aufgabe von uns Nachgeborenen, die wir uns nicht als Gerechte unter den Völkern unter Einsatz von bürgerlicher Existenz, Gesundheit und Leben bewähren mussten.

Senat und Bürgerschaft der Stadt Hamburg danken Yad Vashem Jerusalem und dem Freundeskreis Yad Vashem in Deutschland (e. V.) und allen, die mitwirken, die Erinnerung an die Opfer und ihre Zeit, und auch an die wachzuhalten, die nicht mitgetan, nicht zugeschaut, sondern als Gerechte unter den Völkern geholfen haben.

 

Es gilt das gesprochene Wort.