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12.11.2012

60 Jahre Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg

60 Jahre Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg

 

Sehr geehrter Herr van der Vegt, 

sehr geehrte Frau Göbel, 

sehr geehrter Herr Stier, 

meine sehr geehrten Damen und Herren, 

 

im Namen des Senats heiße ich Sie herzlich willkommen zur Feier des 60. Geburtstags der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg. Es ist ein Datum, über das ich mich als Hamburger sehr freue nicht nur als Erster Bürgermeister, sondern als auch Bürger dieser Stadt. 

 

Denn was sich so schnörkellos nennt christlich-jüdische Zusammenarbeit , bezeichnet einen Grundgedanken, dessen gesellschaftlicher Wert nicht hoch genug einzuschätzen ist: das Zusammenwirken von Angehörigen beider Religionen im Geist des Respekts. 

 

Der Aufbruch der Gesellschaft sieben Jahre nach dem Grauen von Holocaust und Weltkrieg war eine große Tat entstanden aus innerer Notwendigkeit. 

 

Diesen Hamburger Verein über nun schon sechs Jahrzehnte zu entwickeln, ist beeindruckend, und dafür gebührt Ihnen Dank. 

 

Nach drei Jahren Vorarbeit hatte 1952 alles begonnen: Damals schloss sich die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit mit der von dem Hamburger Journalisten Erich Lüth initiierten Aktion Friede mit Israel zusammen. Sie, Herr van der Vegt, haben ihn bereits als einen Querdenker beschrieben, den dieses Etikett herzlich wenig störte. 

 

Juristen verbinden mit dem Namen Erich Lüth hierzulande eine der bekanntesten und wichtigsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten. Er hatte sich als einer von wenigen öffentlich über den Filmregisseur Veit Harlan empört, der für sein Wirken in der NS-Zeit und insbesondere den Hetzfilm Jud Süß nie bestraft worden war. 

 

Stattdessen untersagten mehrere Zivilgerichte Erich Lüth, zum Boykott von Harlans Nachkriegsfilmen aufzurufen. Lüth legte daraufhin in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein, berief sich auf die Meinungsfreiheit und wurde 1958 mit einem epochemachenden Urteil bestätigt. 

 

Doch weit mehr als der Streit war Lüths Sache der Friede. Sein Ziel war die Versöhnung mit den überlebenden Juden, und er haderte mit der nach seiner Ansicht dabei viel zu wenig engagierten Bundesregierung. 

 

In gewisser Weise stellvertretend handelte Lüth selbst durch seine Publikationen: Berühmt geworden ist sein von mehreren Zeitungen veröffentlichter Aufsatz Wir bitten Israel um Frieden, der das ratlose Schweigen im Umgang mit den jüdischen Überlebenden durchbrach. Es folgten die Schriften Versöhnung mit den Juden und Durch Wahrheit zum Frieden.

 

Der Pazifist Erich Lüth war mit Unterbrechungen von 1946 bis 1964 Direktor der Staatlichen Pressestelle Hamburg unter den Bürgermeistern Max Brauer und Paul Nevermann. 

 

Wer seine Texte mit heutigen Augen liest, wird die glühende Leidenschaft spüren, mit der er sein Anliegen die Versöhnung der Völker und Religionen vertrat. Lüth war im besten Sinne ein Träumer der Demokratie, der sich erlaubte, eine seiner Publikationen Welt ohne Hass? zu überschreiben am Ende des Titels mit Fragezeichen, aber einem Fragezeichen der Hoffnung. 

 

Unsere Aufgabe ist es, schrieb Lüth zu dieser Zeit, dem deutschen Namen, der sich mit der Geschichte des deutschen Volkes und des deutschen Geistes verbindet, für die überlebenden Juden einen neuen Inhalt zu geben, damit sie in unserem Lande wieder frei aufatmen können. 

 

Und er gewann Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Carlo Schmid, Axel Eggebrecht und Eugen Kogon für sein Anliegen, das zunehmend ins Bewusstsein des Nachkriegsdeutschlands drang. 

 

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Der Umgang der Religionsgruppen hat sich anfangs in großer Befangenheit, dann zunehmend unaufgeregter entwickelt. Deutschland und Israel sind befreundet, und jüdisches Leben findet auf unspektakuläre, oft selbstverständliche Weise wieder statt. 

 

Trotzdem ist der Alltag der jüdischen Gemeinden in Deutschland noch längst kein ganz normaler solange unsere Synagogen Polizeischutz und Videokameras brauchen. Dessen sollten sich alle hier Lebenden stets bewusst sein und, wo immer es angebracht ist, aufstehen gegen den rechten Ungeist. 

 

Das bleibt für mich eine Frage des Anstands und kann im demokratischen Hamburg auch gar nicht anders sein damit wir zu der Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens kommen, ohne die unsere Gesellschaft nicht wirklich gesund ist. 

 

Mehr als 100 Religionsgemeinschaften gibt es in Hamburg. Wir tolerieren es nicht, wenn unter dem Deckmantel politischer oder religiöser Bekenntnisse Hass geschürt wird weder gegen Juden noch gegen Christen oder Andersgläubige. 

 

Hamburg ist für alle seine Bürgerinnen und Bürger da und wacht darüber, dass sich alle im Geist von Freiheit und friedlichem Zusammenleben in gegenseitiger Achtung so entwickeln, wie es ihnen entspricht. Das jüdische Gemeindezentrum gehört zu unserer Stadt heute ebenso natürlicherweise wie die jüdische Schule, die jüdische Kindertagesstätte und die koscheren Restaurants am Grindel und anderswo. Und wir unterstützen alle Bestrebungen, die den Respekt voreinander zum Ziel haben, wie es sich für eine demokratische Gesellschaft gehört. 

 

Die ab morgen hier im Rathaus zu sehende Ausstellung 60 Jahre in Hamburg zeigt, dass eine tolerante Gesellschaft nicht von alleine entsteht, sondern erarbeitet werden will: durch Dialog und Aufklärung, den unverstellten Blick auf die gemeinsame Geschichte, durch die Bereitschaft zum offenen aufeinander Zugehen. 

 

Denn Scheuklappen gibt es nach wie vor. Bis heute ist beispielsweise immer wieder von den Verbrechen der Deutschen an den Juden zu lesen, was nicht nur sprachlich unsauber ist, sondern die gesellschaftliche Ausgrenzung jüdischer Bürgerinnen und Bürger faktisch fortschreibt, wenn wohl auch meist unbedacht. Tatsächlich waren die Judenmörder, ihre Helfer und Helfershelfer Christen und verstießen damals zugleich gegen elementare Grundgedanken des christlichen Glaubens. Auch diese Tatsache macht das Anliegen der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit so ehrenwert und so anspruchsvoll. 

 

Wie aktuell das Anliegen der gegenseitigen Verständigung ist, zeigt übrigens die jüngste Debatte um die religiöse Beschneidung. Immerhin haben wir zu einer breit getragenen politischen Lösung gefunden: In der Bundesratssitzung vor zehn Tagen hat Hamburg den Gesetzesentwurf der Bundesregierung unterstützt, der eine Klarstellung der Rechtslage im Sinne der Freiheit der Religionsausübung bringen wird. 

 

Meine Damen und Herren, 

 

für Erich Lüth, der 1989 verstorben ist, war die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, wie er sich ausdrückte, kein konventioneller Verein, sondern immer eine Bewegung. Bis heute spielen die Gesellschaft und ihre mehr als 80 im Deutschen Koordinierungsrat zusammengefassten Schwesterorganisationen eine wichtige Rolle in der Annäherung zwischen Christen und Juden mit Vorträgen und Veröffentlichungen, mit Tagungen und Ausstellungen wie der zum Jubiläum der Gesellschaft. 

 

Ich danke dem Vorstand und allen Mitgliedern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg für ihre wertvolle Arbeit und wünsche dieser Bewegung, dass sie noch viel bewegen möge. 

 

Vielen Dank. 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.