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13.09.2013

60 Jahre Stiftung Europa-Kolleg

 

 

 

Sehr geehrter Präsident des Europäischen Parlaments,
sehr geehrter Herr Dr. Dr. Lüthje,
sehr geehrter Herr Vizepräsident der Universität Hamburg,
sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments und der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Vertreter des Konsularischen Korps,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Vieles, was heute schon europäische Wirklichkeit ist, hat seinen Weg noch nicht in das Bewusstsein und die Gesellschaft der Menschen gefunden, und es droht, dass wir mit unserem Denken hinter den Tatsachen herhinken.

Diese Worte wählte vor mehr als 60 Jahren Bruno Snell, der damalige Rektor der Universität Hamburg, um für die Gründung eines Europa-Kollegs zu werben. Seine Worte sind noch heute aktuell, wenn wir uns die medialen Debatten über die Euro-Krise und, zum Beispiel, die Rettung Griechenlands vor Augen führen. Angesichts immer neuer Hilfspakete in Milliardenhöhe für Mitgliedstaaten der EU und der Rezession in Südeuropa zweifeln viele Bürgerinnen und Bürger an der gemeinsamen Währungsunion und am Projekt Europa.

Meine Damen und Herren,
unsere Volkswirtschaften sind verzahnt und damit auch unsere Gesellschaften. Wir brauchen den Euro als unsere gemeinsame Währung für ein starkes Europa. Der Euro ist unbestritten ein Meilenstein der Europäischen Integration und wir werden seine Entwicklung auch wieder als Erfolgsgeschichte erleben.  

Realistisch betrachtet ist die Euro-Krise ja auch keine Krise der Währung selbst, sondern Ausdruck des fehlenden Vertrauens von Investoren und Finanzmärkten in einige Staaten der Euro-Zone, auch als Folge zu hoher staatlicher Schulden und mangelnder Reformen. Dieses Vertrauen -  und das der Bürgerinnen und Bürger zurück zu gewinnen, ist unsere vorrangige Aufgabe. Mit der Konsolidierung der Staatshaushalte sind wir auf dem richtigen Weg. Auch wenn dieser Weg steinig sein wird, sind die Krisenstaaten in erster Linie selbst gefragt, ihre Politik zu ändern.

Die Zeit drängt. Und dennoch darf Europa dabei nichts überstürzen, muss mit Besonnenheit agieren, die Staaten auf ihrem Weg unterstützen und ihnen genügend Zeit zur Konsolidierung einräumen.

Gleichzeitig muss ein Konsens darüber entstehen, dass das Lösen von politischen Problemen durch immer neue Schulden nicht mehr funktioniert. Aus den bisherigen Schwächen der Währungsunion haben wir gelernt. Mit dem Ende 2011 reformierten europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, dem Fiskalvertrag und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus verfügen wir schon jetzt über wesentliche Instrumente:

um einerseits eine effiziente Kontrolle der nationalen Haushalte sicherzustellen, aber andererseits in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedstaaten auch Hilfen gewähren zu können.
Auch zur stärkeren Kontrolle des Finanzsektors sind große Fortschritte, bekannt unter dem Stichwort Bankenunion, erzielt worden. Die EZB wird ab Herbst 2014 die Aufsicht über alle großen Banken in der EU übernehmen.

Bei der Kontrolle der Bankenaufsicht wird das Europäische Parlament künftig mitreden können. Derzeit arbeiten Rat und Europäisches Parlament daran, Regeln zu schaffen, um Banken EU-weit sanieren und abwickeln zu können und einen Abwicklungsmechanismus für insolvente Kreditinstitute zu schaffen. Auch wenn in Detailfragen noch gestritten wird, bin ich zuversichtlich, dass diese Krise überwunden werden kann und die Europäische Union gestärkt daraus hervorgehen wird.

Meine Damen und Herren,
wir brauchen ein großes, starkes, einiges Europa, perspektivisch mit der Türkei. Da liegen noch große Aufgaben vor uns und der Kleinmut, der sich zurzeit ausbreitet, bringt uns nicht weiter. Wir wollen und dürfen niemanden zurücklassen. Solidarität ist ein wichtiger Faktor für den Fortbestand der Europäischen Union.

Solidarität! Es ist nämlich auch wahr, dass die Finanz- und Schuldenkrise diejenigen am Härtesten trifft, die an ihrem Entstehen keine Schuld tragen. Das sehen wir an der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Staaten Europas. Dieses Problem besitzt eine hohe gesellschaftliche Sprengkraft denn die Jugend stellt die Zukunft Europas dar. Es ist unsere Pflicht, diese Jugendlichen nicht allein zu lassen und ihnen eine Perspektive zu geben.

Hamburg beteiligt sich daher aktiv mit mehreren Programmen an der Bekämpfung dieser Arbeitslosigkeit. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang insbesondere das Projekt 50 Auszubildende aus den EU-Krisenländern initiiert in Kooperation mit der Handwerkskammer Hamburg.

Zudem wird die Behörde für Arbeit und Soziales ab 2014 ein Modellprojekt fördern, das die Anwerbung von Auszubildenden und Fachkräften aus der EU erleichtern und Hamburger Unternehmen beim Anwerbeprozess unterstützen soll.
Doch nicht nur mit Projekten in Deutschland kann dem Missstand begegnet werden. Wir müssen auch versuchen, die Chancen der Jugendlichen in ihren Heimatländern vor Ort zu verbessern. Es ist daher notwendig, Wachstumsimpulse in den Krisenländern zu setzen, um die Wirtschaft dauerhaft wieder wettbewerbsfähig zu machen. Die Stärkung eines breiten Mittelstandes und die Förderung des dualen Berufsausbildungssystems hat sich gerade in Deutschland bewährt.

Eine weitere Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung sind aber leistungsfähige Verwaltungsstrukturen: Als Good Governance ein wichtiges Thema, auch für die Forschung an Einrichtungen wie dem Europa-Kolleg.

Meine Damen und Herren,
da habe ich jetzt Bruno Snell kopfüber in die derzeitige Krise springenlassen. Ich glaube, damit werde ich ihm gerecht, einerseits. Europa muss heute Lösungen für eine schwere Krise finden.

Andererseits muss uns auch klar sein: Als Bruno Snell sich Anfang der 1950er Jahre für die europäische Einigung einsetzte, war unser Kontinent noch von den Folgen des 2. Weltkriegs und der Nazi-Herrschaft gezeichnet. Der Fokus auf das aktuelle Geschehen lässt uns nur zu schnell vergessen, was die Europäische Union erreicht und welchen Beitrag sie für unseren Wohlstand geleistet hat. Snells Plädoyer zur europäischen Zusammenarbeit verstand sich als Gegensatz zum Nationalismus, der Europa in die Katastrophe geführt hat, und war damals alles andere als selbstverständlich. Dafür verdient Bruno Snell hohen Respekt bis heute.

Er hatte bereits früh erkannt, dass nach den schrecklichen Erfahrungen des Krieges ein europäischer Einigungsprozess dringend nötig war. Diese Erkenntnis fußte nicht zuletzt auf seinem Verständnis eines europäischen Humanismus, der sich aus der griechischen Geistesgeschichte speiste.   

Für den klassischen Philologen Snell beruhte die Zusammengehörigkeit der europäischen Staaten auf der griechischen Kultur, und dem von ihr ausgehenden Prozess kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung. Snells Idee von Europa war dabei keineswegs rückwärtsgewandt, denn er pflegte regen Austausch mit Gründungsvätern der Europäischen Union wie dem belgischen Premierminister Paul-Henri Spaak oder dem französischen Außenminister Robert Schuman.

Das Europa-Kolleg Hamburg sollte diese beiden Ansätze vereinen. Einerseits Kultur- und Geistesgeschichte vermitteln und andererseits junge Forscherinnen und Forscher für politische Entwicklungen begeistern. Erklärtes Ziel der Initiatoren war es, die Studierenden auf eine Tätigkeit in internationalen Organisationen und Behörden vorzubereiten. Ein Ziel, das bis heute Gültigkeit besitzt.

Am 10.Oktober 1953, dem Tag, als der Hamburger Senat der Stiftungsgründung für das Europa-Kolleg zustimmte, war das Ziel, Wissenschaft und Politik auf diese Weise zu verbinden, durchaus ungewöhnlich, um nicht zu sagen revolutionär.
Die Ausrichtung einer Bildungseinrichtung im Sinne der europäischen Integration war es nicht minder. Dieses Projekt, welches erst zwei Jahre zuvor mit der Schaffung der Montanunion begonnen hatte, steckte noch in seinen Anfängen mit ungewissem Ausgang.   

Doch die Gründerinnen und Gründer des Europa-Kollegs glaubten an dieses Projekt. Und in diesem Sinne ist das Europa-Kolleg auch ein Pionier der Europäischen Integration, welches von Anbeginn durch akademische Lehre, interdisziplinäre Forschung und auf großen Zuspruch stoßende Veranstaltungen begleitet wurde.

Es wurden europarechtliche Arbeitsgemeinschaften angeboten - lange bevor das Europarecht Eingang in die Lehrpläne der Universitäten fand. Und namhafte Gäste wie Walter Hallstein, Gustav Heinemann oder Helmut Schmidt bereicherten die Diskussionen im Europa-Kolleg.

In den vergangenen 60 Jahren hat sich das Europa-Kolleg um die Organisation des wissenschaftlichen Austauschs und der europäischen Völkerverständigung verdient gemacht. In den 1960er Jahren wurde mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung ein Postgraduierten-Programm für Forscherinnen und Forscher aus aller Welt aufgelegt.
Diese Tradition führte in den 1990iger Jahren das Graduiertenkolleg Integrationsforschung, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, erfolgreich fort.

Einen weiteren Meilenstein stellte 1978 die Gründung des Instituts für Integrationsforschung dar des heutigen Institute for European Integration. Dieses Institut bildet jetzt in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg den organisatorischen Rahmen für ein wichtiges interdisziplinäres und internationales Zentrum der Europawissenschaften.

Mit dem Masterstudiengang European and European Legal Studies, sowie dem in Planung befindlichen Masterstudiengang für Europäisches Wirtschaftsrecht bildet das Europa-Kolleg europäische Expertinnen und Experten ganz im Sinne seines Gründers Bruno Snell aus. Darüber hinaus ist das Europa-Kolleg auch an der China-EU School of Law (CESL) beteiligt einem einzigartigen Vorzeigeprojekt zur Zusammenarbeit zwischen China und Europa auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften.

All diese jungen Leute aus der ganzen Welt werden als spätere Entscheider vielleicht dazu beitragen, zukünftige Krisen der Europäischen Union zu meistern oder noch besser: erst gar nicht entstehen zu lassen.

Hamburg bekennt sich durch Einrichtungen wie das Europa-Kolleg heute wie damals zu Europa. Dies liegt auch im historischen Selbstverständnis Hamburgs als einer europäischen und internationalen Stadt. Sie hat sich in allen guten Zeiten als weltoffen und damit auch als offen für Europa definiert.

Heute ist unsere Stadt eine global vernetzte europäische Metropole und in der Metropolregion Hamburg leben fünf Millionen Einwohner, immerhin ein Prozent der gesamten EU-Bevölkerung. Das bedeutet auch eine Verpflichtung. Als ein wichtiger Wirtschaftsraum in Nordeuropa, der stets von der europäischen Einigung profitiert hat, muss der Blick unserer Stadt noch stärker als ohnehin auf Europa gerichtet. Übrigens, nicht zufällig war Hamburg das erste Bundesland, welches bereits 1985 mit dem Hanse Office eine eigene Vertretung in Brüssel eröffnete.

Meine Damen und Herren,
der EU-Binnenmarkt und die gemeinsame Währung ohne Wechselkursschwankungen sind ein maßgeblicher Garant für den Erfolg der Handels- und Hafenmetropole Hamburg. Zudem ermöglicht die Osterweiterung der EU seit 2004 die erneute Erschließung traditionell starker Handelsrouten im Ostseeraum und in Mitteleuropa.

Und nicht zuletzt hat unsere Stadt in jüngerer Zeit von Förderprogrammen wie dem Europäischen Sozialfonds oder dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung profitiert. Sie haben uns Projekte ermöglicht, die wichtige Anstöße für die wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Entwicklung unserer Stadt geben.  
Meine Damen und Herren,
wenn wir heute 60 Jahre Europa-Kolleg in Hamburg feiern, freue ich mich ganz besonders, dass der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, als Ehrengast anwesend ist und begrüße ihn ganz herzlich im Namen des Senats. Seine Anwesenheit als oberster Parlamentarier der EU zeigt auch deutlich, welchen Stellenwert sich das Europa-Kolleg in den 60 Jahren erarbeitet hat.

Wer Martin Schulz kennt, weiß, dass er einer der streitbarsten Verfechter des europäischen Gedankens in Deutschland ist und immer eine deutliche Meinung vertritt. Von daher bin ich auch besonders auf seine Festrede gespannt.
 
Das Europäische Parlament ist die Vertreterin der Unionsbürgerinnen und -bürger, so heißt es im Vertrag von Lissabon. Die Stärkung des Parlaments durch diesen Vertrag ist zwar ein ganz entscheidender, aber nicht der einzige Baustein für eine funktionierende Demokratie in Europa. Auch die Beteiligung der nationalen Parlamente an grundlegenden europapolitischen Entscheidungen muss gewährleistet sein. Das gilt sowohl für den Bundestag als auch für die Vertretung der deutschen Länder, den Bundesrat.

Dennoch brauchen wir vor allem ein starkes Parlament auf europäischer Ebene, um den Willen der Bürgerinnen und Bürger Europas direkt in Politik zu gießen. Politische Stärke bedeutet dabei nicht nur zusätzliche Gesetzgebungskompetenzen. Vielmehr ist es notwendig, dass das Parlament von einer starken Wahlbeteiligung und damit einer hohen Legitimation getragen wird.   
 
Kürzlich hieß es in einem Artikel in der Zeitung Die Welt: Der erste Schritt ist es, wählen zu gehen, nicht als Franzosen, Deutsche oder Griechen, sondern als Europäer. Diesem Aufruf zur Europawahl im kommenden Jahr möchte ich mich uneingeschränkt anschließen. Denn gerade durch Ausübung ihres Wahlrechts können die Bürgerinnen und Bürger in Europa dazu beitragen, dass das Europäische Parlament seinem Auftrag gerecht werden kann.

Wir alle sind aufgefordert, das Projekt Europa mit Leben zu füllen. Denn gerade die aktive Beteiligung und Auseinandersetzung mit der Politik in Europa bringt die europäische Wirklichkeit in unser Bewusstsein ganz im Sinne Bruno Snells. Auf eine gute Zukunft in einem gemeinsamen Europa.

 

Es gilt das gesprochene Wort.