Lieber Berend, lieber Moritz, lieber Tilman,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,
Anke Hartnagel ist tot. Eine vorbildliche und beeindruckende Politikerin ist gestorben
- und eine sehr, sehr gute Freundin.
1966 trat Anke Hartnagel in die SPD ein. Ihr Distrikt war Fuhlsbüttel. Dort war sie gleich aktiv, dort stieg sie gleich in die Arbeit ein. Oft war sie es, die die eigentliche Arbeit im Distrikt machte. Und oft war es auch sie, die dafür sorgte, dass in den hektischen Zeiten, die die 60er und 70er Jahre in der SPD waren, viele beieinander blieben. Sie konnte integrieren, sie konnte verschiedene Menschen und unterschiedliche Meinungen zusammenführen.
Schon damals zeigte sich, dass Anke als Politikerin etwas vermochte, wonach viele Politiker und Politikerinnen ein Leben lang vergeblich streben. Man nahm ihr ihre Haltung ab. Sie war glaubwürdig und deshalb konnte sie überzeugen. Die Fähigkeit zum Ausgleich, zum Zusammenführen war bei ihr niemals damit verbunden, keine eigene Position zu haben. Sie hatte ihren eigenen Standpunkt. Aber das ermöglichte ihr erst recht die Zusammenarbeit mit anderen. Anke war im eigentlichen Sinne authentisch. Sie verstellte sich niemals. Das hat einen großen Teil ihres Charmes ausgemacht und das hat zu der großen Anerkennung geführt, die Anke über die Parteigrenzen hinweg genossen hat.
Wie selbstverständlich sie als Politikerin agierte und akzeptiert wurde, zeigte sich auch darin, dass sie nach zehn Jahren Auslandsaufenthalt weitermachte als wäre sie nicht weg gewesen. Sofort war ihre alte Bedeutung wieder da, sofort hatte sie die alte Anerkennung.
Als Anke in der SPD aktiv wurde, war das in einer Zeit, in der es in der SPD nicht selbstverständlich war, dass Frauen sich engagierten. Doch das entmutigte sie nicht - im Gegenteil. Anke setzte sich für den Zugang von Frauen zur Politik ein und machte sich auch immer wieder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark. Die Mutter von Moritz und Tilman wusste genau, wovon sie sprach.
1993 kandidierte Anke für die Bürgerschaft und engagierte sich als Abgeordnete besonders in der Umweltpolitik. 1997 wurde sie zur Vorsitzenden des Umweltausschusses. Die Bürgerschaftsabgeordnete aus Fuhlsbüttel kam auch mit dem schwierigen Problem des Flughafens in Fuhlsbüttel zurecht: Vielen von uns ist ihre differenzierte Haltung in Erinnerung. Ihre Haltung, die Entwicklung des Hamburger Flughafens zu ermöglichen und gleichzeitig die berechtigten Interessen und Bedürfnisse der Anliegerinnen und Anlieger aufzugreifen. Sie schreckte nicht vor komplizierten Sachverhalten zurück und suchte nicht etwa den Weg der einfachen Lösungen. Ankes Herangehen an Politik war geprägt von großer Aufgeschlossenheit. Selbst fest in ihren Überzeugungen gelang es ihr, scheinbar gegensätzliche Positionen zu verbinden und unterschiedliche Auffassungen und Menschen zusammen zu bringen.
Zweimal gelang es ihr, bei Bundestagswahlen den Wahlkreis Hamburg-Nord direkt zu gewinnen. Eine außerordentliche Leistung - sowohl 1998 als auch 2002. Zuletzt hatte diesen Wahlkreis der frühere Verteidigungs- und Finanzminister Hans Apel gewonnen und schließlich auch nicht mehr verteidigen können. Nach 15 Jahren und vielen vergeblichen Anläufen gelang es IHR wieder, ein Direktmandat für die SPD im Wahlkreis Hamburg-Nord zu erobern.
Anke Hartnagel war eine sehr kompetente Politikerin. Sie hatte Ausstrahlung. Ihr Auftreten war souverän und herzlich zugleich. Sie war engagiert, immer voller Tatendrang und sie wusste genau, was sie tat. So war das in der Bürgerschaft und so war das im Deutschen Bundestag. Sie konnte das. Ihren Erfolg hat sie nicht nur ihrer Ausstrahlung oder ihrem Auftreten zu verdanken, sondern besonders ihrem Sachverstand und ihrer Klugheit.
Anke war mir eine liebe Freundin. Wir haben uns gemocht.
1998, als Anke und ich das erste Mal für den Deutschen Bundestag kandidierten, verabredeten wir schon im Wahlkampf, in Bonn ein gemeinsames Büro zu betreiben. Beide waren wir nicht sicher, ob wir es schaffen würden unsere Wahlkreise zu erobern und entsprechend groß war die Freude, als es dann schließlich gelang. Gleich nach der großen Freude über die gewonnene Wahl kam die böse Nachricht, dass Anke erneut an einem Krebsleiden erkrankt war.
Wir hatten dann ein Büro im Neuen Hochhaus, besser bekannt als "Langer Eugen", wo wir uns im 12. Stock einrichteten. Der Blick über den Rhein und auf den Bundestag hatte was. Und er war auch deshalb wichtig, weil wir ja nur wenige Monate Abgeordnete in Bonn sein würden, denn im Sommer `99 sollte der Bundestag nach Berlin umziehen. Es war ein letzter Blick auf die alte Bundesrepublik, die Bonner Republik.
Anke konnte wegen der Erkrankung zunächst nicht richtig loslegen. Dennoch war es selbstverständlich für sie, zu wichtigen Abstimmungen, vor allem als der Kanzler zu wählen war, zu kommen. Anke kreuzte mit einem Krankentransport des Arbeiter-Samariter-Bundes auf, begleitet von zwei Zivildienstleistenden, einer davon ihr Sohn Moritz.
Bald kam der Umzug nach Berlin. Anke war auch schon wieder im vollen Einsatz und wir eröffneten in der Dorotheenstraße unser nächstes Büro - wieder gemeinsam.
Die gute Erfahrung, übrigens auch im Austausch und der ständigen Diskussion über menschliche und politische Fragen, wollten Anke und ich fortsetzen. Und deshalb wollten wir, als die Abgeordneten einer nach dem anderen in die neuen Abgeordnetenhäuser Paul-Löbe-Haus und Jakob-Kaiser-Haus umzogen, auch dort wieder ein gemeinsames Büro eröffnen. Das war ein harter bürokratischer Kampf. Nebeneinander liegende Büros wollte man uns schon geben, eine Tür, die beide Büros miteinander verbindet, aber nicht. Viele Anträge wurden geschrieben, viele Formulare bewegt, schließlich war die Tür da, doch sie blieb zunächst mal zu, denn der Abgeordnete Scholz war verschwunden, um in Hamburg für ein paar Monate Innenpolitik zu machen. Aber 2002 nach der gewonnenen Bundestagswahl, in der Anke ihren Wahlkreis erneut geholt hatte, da haben wir es dann hingekriegt. Die fertige Tür wurde geöffnet, das gemeinsame Büro existierte seither wieder.
Als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung setzte sich Anke vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte in Kolumbien ein. Dabei scheute sie nie die direkte Auseinandersetzung mit der kolumbianischen Regierung. Und mit ihrem Einsatz für die Friedensgemeinden in Kolumbien hat sie die Menschen dort konkret unterstützt.
Im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit galt ihr besonderes Engagement dem Lärmschutz und der Förderung von Windkraftanlagen auf hoher See. Gleichzeitig setzte sie sich für mehr Schiffsicherheit und den Schutz der Wale ein.
Anke hatte immer einen engen Kontakt zu den Menschen in ihrem Wahlkreis. In der sitzungsfreien Zeit führte sie nicht nur Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern, sondern besuchte auch Institutionen, Polizei, Feuerwehr, Seniorentreffpunkte, Sportvereine und Selbsthilfegruppen, Einrichtungen für Behinderte und Jugendliche.
Es war ihre Fähigkeit zuzuhören und gleichzeitig differenziert ihre eigenen Positionen zu vertreten, mit der sie die Menschen für sich einnahm. Mit ihrer Integrationsfähigkeit konnte sie viele von unserer sozialdemokratischen Politik überzeugen. Eine junge Frau, der Anke einen einjährigen Aufenthalt in Alaska ermöglichte, hat es so zusammengefasst: "Ich habe nie besonders viel von Politikern gehalten, aber sie war so gar nicht, wie ich mir einen Politiker vorgestellt habe."
Seit mehreren Jahren hat Anke gegen ihre Krankheit mit viel Mut gekämpft. Wer es nicht wusste, konnte ihr die Krankheit oft nicht anmerken. Bis in die letzten Wochen hinein hat sie ihre Aufgaben als Bundestagsabgeordnete wahrgenommen und das politische Gespräch mit den Genossinnen und Genossen gesucht. Noch im Februar dieses Jahres hat sie einen Neujahrsempfang ausgerichtet und sich vor gut 200 Menschen in der Bürgerschaftswahl eingesetzt.
Anke hat vielen Menschen, nicht zuletzt durch den Umgang mit ihrer Krankheit, Mut gemacht.
Wir werden Anke immer in ehrender Erinnerung behalten.
Sie war und ist wichtig für uns.
Wir vermissen dich, Anke.
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30.04.2004