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10.11.2008

Arbeitsministerium für eine mögliche Rezession gut gerüstet

Jasper Barenberg (Deutschlandfunk): Ob die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr in ein tiefes Tal rutscht oder mit einer Wirtschaftsflaute davonkommt, Ökonomen sind da geteilter Meinung. Glaubt man dem Internationalen Währungsfonds, wird es Deutschland aber härter treffen als unsere Nachbarn. Die Bundesregierung will mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen gegensteuern und in den nächsten zwei Jahren zwölf Milliarden Euro an Steuergeldern in die Hand nehmen, um die Konjunktur zu stützen. Analog zum Rettungspaket für die Banken ist dieses 15-Punkte-Programm auch als Schutzschirm für die Beschäftigten gedacht. Wie weit dieser Teil des Vorhabens trägt, darüber wollen wir jetzt mit dem Bundesarbeitsminister sprechen, und auch über die Frage, wie gut die Bundesagentur für Arbeit gerüstet ist für die absehbar rauen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt. Guten Morgen, Olaf Scholz.
Olaf Scholz: Guten Morgen.

Barenberg: Im letzten Monat hatten Sie Grund zur Freude: Die Zahl der Erwerbslosen ist im Oktober unter die Marke von drei Millionen gesunken und damit auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Wie wollen Sie verhindern, dass die Zahl der Arbeitslosen durch die Konjunkturkrise im nächsten Jahr wieder kräftig ansteigt?

Scholz: Durch die Reformen, die wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, haben wir immerhin es ja schon geschafft, dass die Arbeitslosigkeit nicht erst dann zurückgeht, wenn das Wachstum über zwei Prozent liegt. Wie weit wir es vorangebracht haben, das kann man natürlich nicht sagen. Wenn es jetzt auf ein Wachstum nahe Null geht, dann ist das ganz bestimmt eine große Herausforderung. Mein persönliches Konzept ist jetzt aber nicht, zu lamentieren oder wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, sondern etwas zu tun. Was wir machen, ist, dass wir die Zahl der Vermittler, die bei der Agentur arbeiten massiv ausbauen. Es wird jetzt 1000 zusätzliche Job-to-Jobvermittler geben, falls jemand seinen Arbeitsplatz verliert, damit viel für ihn getan werden kann, schnell, und gleichzeitig bauen wir auch bei den Arbeitsgemeinschaften, die ja vor allem langzeitarbeitslose Kunden haben, noch mal die Zahl derjenigen, die sich um persönliche Unterstützung, Vermittlung bemühen, aus, weil das das ist, was man auf alle Fälle tun kann. Und gleichzeitig haben wir gesagt, die Unternehmen sollen an ihren Beschäftigten festhalten. Das ist jetzt eine konjunkturelle Delle. Viele sagen, es geht nach einem Jahr, anderthalb Jahren vielleicht wieder ordentlich weiter und deshalb werden wir das Kurzarbeitergeld für 18 Monate zahlen. Wenn ein Unternehmen für einen Teil seiner Beschäftigten nichts zu tun hat, aber sie nicht entlässt, dann helfen wir ihm dabei und sagen, vielleicht kann man das noch kombinieren, indem man - statt zu entlassen - qualifiziert.

Barenberg: 1000 neue Stellen, zusätzliche Stellen für Vermittler in den Arbeitsagenturen. Ist das aber nicht reichlich wenig, wenn man es an dem misst, was nötig wäre, um die Ziele, die Sie einst formuliert haben, zu erreichen, und ist das auch nicht reichlich wenig angesichts der Tatsache, dass nicht nur Sie, sondern auch Ihr Vorgänger angekündigt haben, eine ganz andere Relation zwischen der Zahl der Arbeitslosen und den Vermittlern zu erreichen? Kommt das nicht zu spät?

Scholz: Es kommt nicht zu spät. Wir sind losmarschiert bei einer Struktur, wo knapp über zehn Prozent der Beschäftigten bei der ehemaligen Bundesanstalt für Arbeit mit Vermittlungsaufgaben betraut waren. Heute haben wir viel, viel mehr dort beschäftigt und das, was wir jetzt tun, ist ja ein Gesamtpaket. Dazu zählt auch zum Beispiel, dass wir 10.000 heute befristet Beschäftigte entfristen, damit die nicht jeden Tag daran denken: "Was wird aus mir? Sitze ich demnächst auf der anderen Seite des Tisches?", sondern sich um die Vermittlung der Arbeitssuchenden kümmern. Dazu zählt, dass wir bei den Arbeitsgemeinschaften insgesamt ein Projekt auf den Weg gebracht haben, das zur Verbesserung der Vermittlungskapazität um fast 7000 Personen führen soll und das Gleiche machen wir bei den Agenturen. Ich glaube, es geht darum, dass wir nicht nur darüber reden, sondern dass wir das ernsthafte jeden Tag mit harter Arbeit verfolgte Ziel im Blick haben, dass die Arbeitsvermittlung in Deutschland zu den leistungsfähigsten Institutionen unseres Landes gehören und jeden weiten Wettbewerb besteht.

Barenberg: Dieses Ziel haben Sie vor gut einem Jahr, als Sie Ihr Amt angetreten haben, auch schon formuliert, aber Sie sind weit davon entfernt. Und was die Zahl der Vermittler angeht, ist das Ziel seit mehreren Jahren versprochen und nicht gehalten. Warum nicht?

Scholz: Es hat einen Ausbau gegeben, ich glaube, das ist die richtige Meldung. Wir sind jetzt knapp über 40 Prozent bei den Arbeitsgemeinschaften, wenn man alles zusammenrechnet, wir haben einen guten Wert bei den Arbeitsagenturen und das macht sich auch schon bemerkbar. Aber ich will gar nicht bestreiten, darum rede ich ja auch überall darüber, dass wir keineswegs schon da sind, wo wir hinkommen wollen, und deshalb müssen wir uns weiter anstrengen. Und der Arbeitsminister, der ja auch so seine Pläne verfolgt, hat eben ganz lange daran gearbeitet, dass in dem Augenblick, als alle über den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesprochen haben, er noch ein kleines fertiges Paket hatte an zusätzlichen Stellen, die er braucht, um den arbeitsuchenden Bürgern zu helfen und keiner mochte da Nein sagen, sodass wir es hingekriegt haben.

Barenberg: Aber was stand denn im Wege? Sie haben einst das Ziel formuliert: Ein Betreuer für 70 Jugendliche, ein Betreuer für 150 Arbeitsuchende. Davon sind wir immer noch weit entfernt. Es hat Verbesserungen gegeben...

Scholz: Aber das werden wir jetzt erreichen mit den Paketen, die wir jetzt beschlossen haben, nicht nur jetzt unmittelbar in dem konjunkturstützenden Bereich, sondern auch eben kurz davor, wie wir überhaupt kurz davor ein paar ganz richtige Dinge getan haben, die uns jetzt auch bei dem Arbeitsmarkt helfen werden.

Barenberg: Wird es denn wirklich helfen, denn wenn der Abschwung erst mal da ist, sind natürlich auch weniger offene Stellen da. Im Aufschwung gibt es die offenen Stellen und da wäre eine bessere Vermittlung, mehr Vermittler natürlich auch ein Vorteil gewesen. Denn eins wissen wir ja: Eine intensive Betreuung bei der Vermittlung hilft. Aber jetzt im Abschwung?

Scholz: Sie hilft auf alle Fälle und sie hilft natürlich ganz besonders, wenn es schwieriger wird auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben den Arbeitsmarkt insgesamt wetterfester gemacht. Die Frage ist: Wie gehen wir jetzt weiter, wenn die See richtig stürmisch wird? Und dann müssen wir natürlich vieles andere noch mit auf den Weg bringen. Ich glaube zum Beispiel, dass man sich über das, was auf unserem Arbeitsmarkt langfristig los ist, nicht viele falsche Vorstellungen machen kann. Man kann nur untätig bleiben und das dürfen wir nicht. Also, von den Arbeitslosen haben 500.000 keinen Schulabschluss. Daraus muss man doch eine Konsequenz ziehen. Und ich habe die Konsequenz gezogen und der Regierung und dem Bundestag vorgeschlagen, dass wir jetzt bei der Reform unserer Handlungsinstrumente jedem Bürger lebenslang das Recht geben, sich auf diesen Hauptschulabschluss vorzubereiten. Damit sind nicht alle Probleme gelöst, aber da fast alle der Arbeitslosen, die keinen Schulabschluss haben, auch zu den Langzeitarbeitslosen zählen, muss ich ja was tun und kann nicht einfach daneben stehen. Das Gleiche gilt für die Frage: Was ist mit der beruflichen Qualifikation? Gerade im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosigkeit wissen wir, die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen hat keinen beruflichen Abschluss, das müssen wir ändern. Ich glaube, die Berufsausbildung, die duale, die Lehre, das ist die wichtigste Ausbildung in Deutschland. Und wenn wir da vorankommen, wenn wir dafür sorgen, dass 60, 70 Prozent unserer Bevölkerung auch in Zukunft mit dieser Ausbildung auf den Arbeitsmarkt gehen und die anderen dann vielleicht noch oben drauf ein Hochschulstudium haben, dann werden wir auch in der Zukunft gut zurechtkommen.

Barenberg: Bisher ist Weiterbildung, ist Qualifizierung ja kein sehr hoch angesehenes Gebiet in Deutschland, da wird nicht sehr viel gemacht. Wem müssen Sie da Beine machen?

Scholz: Allen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass das so ist. 2015 haben wir zwei Alternativen: Die eine Alternative ist, wir haben genügend Fachkräfte und fast keine Arbeitslosigkeit, schon wegen der demographischen Entwicklung wird es uns immer mehr an Fachkräften fehlen, und die andere Alternative ist, wir haben nicht genug Fachkräfte und haben gleichzeitig eine hohe Arbeitslosigkeit und können die, die arbeitsuchend sind, nicht auf die Arbeitsplätze, die da sind, vermitteln. Und was ich übrigens auch ganz wichtig finde, gerade unter Weiterbildungs- und Qualifizierungsgesichtspunkten: Wir müssen unsere Universitäten öffnen für diejenigen, die einen Meister haben, die Techniker sind, die eine Berufsausbildung gemacht haben und ein paar Jahre Berufspraxis haben, weil das sind wahrscheinlich viel mehr chancenreiche Kandidaten für die fehlenden Ingenieursstudienplätze als manche andere.

Barenberg: Ein Wort noch zu einem anderen Projekt, das Sie als Sozialdemokrat verfolgen, sich auf die Fahnen geschrieben haben: Den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, den es mit der Union in dieser Weise nicht geben wird. Immerhin haben Sie sich branchenspezifisch geeinigt und arbeiten gerade in einer Arbeitsgruppe daran, das auszudehnen. Wie ist eigentlich da der Stand der Dinge? Wann werden Sie sich zusammenraufen?

Scholz: Wir werden mehr Mindestlöhne in Deutschland haben. Die Zahl der von Mindestlöhnen geschützten Arbeitnehmer wird sich wahrscheinlich im Laufe des nächsten Jahres verdoppeln durch die Gesetze, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben: Das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Der wichtigste Schritt ist schon getan, wir haben uns in der Regierung auf funktionsfähige Gesetze verständigt. Das ist deshalb auch wichtig, weil das Streitereien sind, die kein Mensch versteht, die aber trotzdem natürlich hoch brisant sind. Ich finde, wenn Mindestlohn oben draufsteht, muss unten auch Mindestlohn rauskommen, da waren nicht alle immer von überzeugt, und jetzt sind wir dabei, über die acht Branchen zu reden, die da reinkommen wollen. Wir haben in der Koalition klare Kriterien. Wenn Gewerkschaften, Arbeitgeber aus der Branche das wollen und wenn mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind, dann sollen die reinkommen. Meine Mitarbeiter haben für mich rausgefunden, das ist in allen acht Branchen der Fall. Jetzt wird noch mal politisch gerechnet, mal sehen, was da rauskommt, aber im Prinzip bin ich ganz optimistisch.

Barenberg: Ja, was da rauskommt, weiß man ja schon: Angela Merkel ist strikt gegen einen Mindestlohn in der wichtigen Branche Zeitarbeit, die Unionsseite sagt, die Bedingungen dafür sind, die Sie gemeinsam formuliert haben, wie Sie gerade gesagt haben, die sind nicht erfüllt. Wie also weiter? Wenn die Zeitarbeit nicht dabei ist, dann ist ja das ganze Projekt eigentlich nur noch Makulatur, oder nicht?

Scholz: Das wäre immer noch eine Menge, aber die Zeitarbeit wird dabei sein. Das kann auch gar nicht anders sein. Und im Übrigen sind gerade in der Branche der Zeitarbeit die vereinbarten Bedingungen erfüllt. Es gibt eine Tarifbindung, die sehr hoch ist, wahrscheinlich über 90 Prozent, wenn man die Bezugnahmen dazurechnet. Zwei Arbeitgeberverbände haben zusammen mit den Gewerkschaften die Aufnahme der Branche in das Arbeitnehmerentsendegesetz beantragt und wollen einen Mindestlohn. Bei ihnen sind unstreitig die Mehrheit der Arbeitnehmer beschäftigt, also diese Bedingung ist sogar doppelt, dreifach erfüllt, und ich kann mir am Ende nicht vorstellen, dass die CDU-Vorsitzende sich mit den weniger seriösen der Unternehmen der Branche gegen die anderen und gegen die Mehrheitsmeinung unserer Bevölkerung verbünden will.

Barenberg: Herr Scholz, zum Schluss unseres Gespräches, weil es die Menschen beschäftigt in dem Land, noch eine Frage gestatten Sie mir bitte zur Person Andrea Ypsilanti, zur Situation der SPD in Hessen: Neuwahlen stehen vor der Tür. Würden Sie Frau Ypsilanti raten, ihre Partei in diese Neuwahlen zu führen als Spitzenkandidatin?

Scholz: Jeder hat seinen eigenen politischen Stil. Meiner ist, dass ich Ratschläge an Parteifreunde vor allem nicht im Radio gebe.

Barenberg: Sagt der Sozialdemokrat und Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Wir haben vor der Sendung mit ihm gesprochen.

 

Das Interview auf der Internetseite des Deutschlandfunk anhören.