arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

28.09.2001

Aufbruch in die Opposition - Rede auf dem SPD-Landesparteitag am 28. September 2001

Liebe Genossinnen und Genossen,

die Bürgerschaftswahl am vergangen Sonntag hat ein klares Ergebnis erbracht. Der rot-grüne-Senat hat keine Mehrheit mehr in der Bürgerschaft, dem hamburgischen Landesparlament. Die Sozialdemokratische Partei wird jetzt Oppositionspartei.

Als gute Demokraten akzeptieren wir diese Entscheidung der Wählerinnen und Wähler ohne beleidigt zu sein. Jetzt ist keine Wählerbeschimpfung angesagt, sondern der Blick nach vorn.

 Wir werden jetzt eine harte, sachliche Oppositionsarbeit leisten und dieser Stadt zeigen, was eine gute Opposition vermag. Bisher hatte sie diese Erfahrungen nicht machen können. Der Hamburger CDU wurde nicht zu Unrecht nachgesagt, die schlechteste Opposition Deutschlands zu sein. Die Stimmenverluste der CDU und ein Wahlergebnis bei mageren 26 Prozent zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler dieser Stadt das jedenfalls auch so gesehen haben.

 Trotzdem - das Wahlergebnis ist bitter, insbesondere weil nicht nur die CDU und die FDP eine Regierung ohne Sozialdemokraten bilden, sondern weil die äußerst rechte Partei des Herrn Schill an der Regierung beteiligt sein wird. Ein unverantwortlicher Mann wird für die Sicherheit der Stadt verantwortlich werden. Viele haben da ein mulmiges Gefühl - ich auch.

 Seit 1957 waren Sozialdemokraten Bürgermeister dieser Stadt und seit 1957 waren wir verantwortlich für die Geschicke Hamburgs. Das war eine lange Zeit. Sie hat uns alle geprägt. Als ein im Jahr 1958, ein Jahr nach der Rückeroberung der Regierungsverantwortung vom damaligen Bürgerblock Geborener, empfinde ich das zutiefst.

Immerhin ist eins nur gewiss, auch wenn es kein Trost ist: In vier Jahren wird man uns 44 Jahre ununterbrochene Regierungszeit nicht mehr vorwerfen können.

 Liebe Genossinnen und Genossen,

 wir können stolz in die Opposition gehen. Denn wir haben keine Stimmen verloren, wir haben an Prozenten und an absoluten Stimmen hinzu gewonnen.

Die SPD hat sich behauptet. Wir sind die mit Abstand stärkste Partei in Hamburg. Die größte Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft wird von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gestellt. Der Abstand zur nächst größten Partei, der CDU, beträgt 10 %.

 Wer hätte uns ein solches Ergebnis zugetraut - vor vier Monaten, vor drei Monaten, vor zwei Monaten, vor wenigen Wochen noch? Wir, liebe Genossinnen und Genossen, haben gut gekämpft.

 Ich möchte mich deshalb zuerst bedanken bei den Wählerinnen und Wählern, die zu uns gehalten haben, auch als uns eisige Winde entgegen bliesen im Mai.

 Ich möchte mich bedanken bei den Wählerinnen und Wählern, die sich in letzter Minute einen Ruck gegeben haben und die SPD gewählt haben. 21 % unserer Wähler vom 23. September haben sich erst in den letzten Wochen entschieden, die SPD zu wählen.

 Ich bedanke mich bei der Künstlerinnen- und Künstlerinitiative "Hamburg ist zu schön, um rechts zu sein", bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihrer Initiative, bei der Initiative prominenter Leute aus der Wirtschaft und Öffentlichkeit, bei der Initiative von Hochschullehrern, bei unzähligen Einzelpersonen, die alle sich engagiert haben und einen Beitrag dazu geleistet haben, dass alle Kräfte mobilisiert worden sind. Wir bedanken uns, denn ohne dieses Engagement wäre es nicht möglich gewesen, so weit nach vorne zu kommen.

 Ich bedanke mich vor allem aber bei Euch, bei den Genossinnen und Genossen, die überall in dieser Stadt gekämpft haben mit aller Kraft und dafür gesorgt haben, dass die SPD dieses Ergebnis erzielen konnte. Das ist anstrengend gewesen,  aber alle diese Anstrengungen haben etwas genützt. Jeder hat das gespürt in den letzten Tagen vor der Wahl, wo an den Info-Ständen bei den Gesprächen ständig Menschen zu uns gekommen sind und uns, der Sozialdemokratischen Partei, viel Glück gewünscht haben.

 Vor allem aber, liebe Genossinnen und Genossen, bedanke ich mich bei Ortwin Runde.

 Ortwin, Du bist vier Jahre ein hervorragender Bürgermeister gewesen. Viele, viele Entscheidungen für die Zukunft unserer Stadt und für die wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit sind in Deiner Regierungszeit getroffen worden: Ich nenne nur die Stichworte Elbvertiefung, Ausbau Altenwerder , Flughafenausbau oder  Produktion des Airbus 380 in Hamburg-Finkenwerder. Das sind Entscheidungen und Ergebnisse, die sich mit Deiner Regierungszeit verbinden. Viel länger als vier Jahre werden sich die Hamburgerinnen und Hamburger daran erinnern. Die Verteidigung Hamburgs und seiner finanziellen Unabhängigkeit bei dem Streit um den Länderfinanzausgleich ist eine politische Meisterleistung gewesen, die nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit anerkannt und gelobt worden ist. Auch von denjenigen, deren Raubzug auf unsere Kosten durch die Arbeit von Ortwin Runde nicht gelungen ist. Auch das wird für viele Jahre für die Zukunft unserer Stadt von Bedeutung sein und es ist unverrückbar mit dem Namen des Bürgermeisters Ortwin Runde verbunden.

Lieber Ortwin, Du hast bewiesen, dass Du etwas von Regierungskunst verstehst und das dazu gehörige Handwerk perfekt beherrscht. Ich habe das in den Monaten, in denen wir zusammen gearbeitet haben, zunächst als Landesvorsitzender und dann auch als Senator des von Dir geführten Senats jeden Tag erleben können. Wenn in wenigen Wochen die neue Regierung gebildet sein wird, wie anzunehmen ist, wenn dann Tag für Tag dort auf irgend eine Weise regiert wird, dann wird man sich angesichts des zu erwartenden Dilettantismus immer mehr erinnern an das, was eigentlich regieren ist und auch an die Leistungen, die Du in den letzten vier Jahren vollbracht hast.

 Ortwin, wir haben diesen Wahlkampf mit Dir gemeinsam geführt, wir haben mit Dir erreicht, dass unsere Partei trotz heftiger Gegenwehr als größte Partei in die Bürgerschaft einzieht. Das haben wir alle mit einem guten Gefühl getan, und wir danken Dir für diesen Wahlkampf und für die Regierungszeit davor.

 Liebe Genossinnen und Genossen,

 ein rechtes Bündnis will bald unsere Stadt regieren. Alle diejenigen, die bei der Wahl vielleicht gedacht haben, es werde schon nicht so schlimm kommen, werden eines Besseren belehrt werden. Alle diejenigen, die geglaubt haben, dass CDU oder FDP den Herrn Schill und seine Partei schon im Zaum halten werden, die werden sehen, dass sie sich geirrt haben.

Der Stärkste in diesem Bündnis der Schwäche ist Herr Schill. Er und all die Menschen, die jetzt auf der Liste seiner Partei in die Bürgerschaft hinein gekommen sind, werden diesem Bündnis der Schwäche ihren Stempel aufdrücken.

Niemand darf aus seiner Verantwortung entlassen werden. Die CDU muss das wissen und sie muss dafür auch gerade stehen. Vielleicht nur für Hamburg, aber auch vielleicht darüber hinaus entsteht hier eine rechte Sammlungsbewegung neben der CDU, die das Bild der deutschen Parteienlandschaft verändern wird. Die Verantwortung dafür, wird für immer mit dem Namen von Beust verbunden sein.

 Schills Partei ist eine Partei der Missgünstigen. Darum ist es auch kein Zufall, dass der Parteigründer Schill öffentlich bekundet hat, er glaube nicht an das Gute im Menschen. Seine Mitglieder tun dies auch nicht. Und wie alle Missgünstigen, reden sie vor allem schlecht über andere. Sie sind deshalb verantwortlich für Spaltung in unserer Gesellschaft. Das, was an Tönen etwa zum Bereich der Ausländer dort zu hören ist, ist verabscheuungswürdiges Ressentiment.

 Deutschland ist bisher eine solche rechte Partei rechts neben der CDU erspart geblieben. NPD, DVU, Republikaner - sie alle sind den braunen Anstrich nie losgeworden. Zwar sind diese Parteien auch in Parlamente gekommen, in Schleswig-Holstein, in Bremen, in Baden-­Württemberg, in Sachsen-Anhalt, aber dauerhaft konnten sich diese Parteien nicht etablieren. Auch Harnburg hatte immer ein rechtsradikales Wählerpotential von acht und mehr Prozent, das nur zu aufgesplittert war, um erfolgreich die Hamburger Bürgerschaft zu erreichen. Jetzt hat Herr Schill alle diese Wähler bekommen.

 Aber vielleicht ist die Partei, der Herr von Beust jetzt die Hand reicht, eine, die erfolgreich sein kann, wie die rechten Parteien in Skandinavien, ob sie nun Fortschritts-Partei oder sonst wie heißen, die dort überall entstanden sind und entsprechende rechte Bewegungen und Parteien, die es auch anderswo gibt in Europa. Deutschland ist bisher eine solche Erfahrung erspart geblieben. Das lag sicherlich auch an der Tabuisierung rechter Positionen, durch die Erfahrungen vor 1945. Herr Schill und seine Partei versprechen, nichts zu tun zu haben mit dieser schrecklichen deutschen Vergangenheit und eben trotzdem ganz rechts zu sein. Deshalb kann dieser Versuch, ähnlich wie in Skandinavien, ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern auch hier erfolgreich sein. Ohne die Geburtshilfe durch Ole von Beust würde das aber nicht der Fall sein.

 Die CDU bezahlt dafür einen hohen Preis. Sie gefährdet wie in vielen dieser Länder ihren Charakter als Volkspartei, sie muss sich eventuell dauerhaft darauf einrichten, niemals mehr als etwa 25 % der Stimmen zu erreichen. Nicht ohne Grund stellt Herr Beckstein von der CSU fest: Zitat: "Die CDU muss für eine bestimmte Profilierung sorgen, damit sie nicht marginalisiert wird, wie das in Harnburg passiert ist. 26 Prozent sind für mich ein desolates Ergebnis für eine Partei, die Volkspartei sein will." Das sagt Herr Beckstein.

 Dass die SPD dann als einzige große Volkspartei nachbleibt, das muss uns nicht ärgern. Trotzdem wünschen wir eine solche Entwicklung nicht.

 Auch die FDP geht ein schlimmes Risiko ein. Sie will eine liberale Partei sein und von Menschen gewählt werden, die das auch so empfinden. Es passt bundesweit nicht dazu, wenn eine liberale Partei in einem Bundesland mit dem parteigewordenen Antiliberalismus koaliert. Wir wünschen nicht viel Glück.

 Die Bürgerschaftswahl hat noch ein anderes Ergebnis gebracht. Weniger Frauen in der Bürgerschaft, weniger junge Leute. Das passt aber zum Bild derjenigen, die uns jetzt regieren.

 Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben Euch früh zu diesem Parteitag eingeladen. Denn wir müssen schnell in der Opposition ankommen. Keiner darf sich in der Erwartung zurücklehnen, das rechte Bündnis werde ohnehin in einem Jahr platzen.

 In der Opposition ankommen bedeutet aber auch eine Diskussion anzufangen über die strategische Ausrichtung unserer Arbeit in der Zukunft. Und es bedeutet, konstruktiv und solidarisch miteinander zu sein, aber auch kritisch zu diskutieren über die Dinge, die wir in Zukunft besser machen wollen. Wir können und wollen das aushalten; auch vor den Augen der Medien.

 Der Parteitag kann da nur ein Anfang sein, die Diskussionsbeiträge des Landesvorsitzenden und des Bürgermeisters ebenfalls. Fertige Konzepte bestehen naturgemäß nicht. Wir wollen diese Debatte deshalb auch breit in der Partei weiter führen. Landesvorstand und Bürgerschaftsfraktion werden sich Anfang November zu einem Strategieseminar treffen, in dem die ersten Weichen für die nächsten vier  Jahre inhaltlich und thematisch gestellt werden.

 Die Weichen sind so zu stellen, dass wir nicht 36 % bei Bürgerschaftswahlen erreichen, sondern dicht herankommen an das Potential, das wir bei Bundestagswahlen erreichen und wie alle vorhersagen und ankündigen, auch erreichen werden. Gemessen daran, haben wir gerade 72 % unserer möglichen Wähler zur Wahl gebracht.

 Ich bin überzeugt, die Hamburgerinnen und Hamburger sind in ihrer großen Mehrheit SPD-Wählerinnen und SPD-Wähler. Aber so bitter es ist, sie wollen uns auch manchmal anders als bisher.

 Wir müssen dran sein an den Themen, die die Menschen bewegen und wir müssen die richtigen Vorschläge zu den mit diesem Themen verbundenen Aufgaben machen. Wir werden weitermachen müssen mit der Neuausrichtung unserer Politik im Bereich der Inneren Sicherheit, der Balance zwischen Härte und Liberalität. Da darf es auch in der Opposition keinen anderen Kurs geben, als den, den wir eingeschlagen haben.

 Sicher haben wir da auch in den letzten beiden Wahlkämpfen etwas falsch gemacht. 1997 hatten wir plakatiert "Iaw and order is a labour issue". Jetzt haben wir kein Plakat. Beide Male war im Anschluss die Kritik an unserer Politik der Inneren Sicherheit groß gewesen. Ich fürchte, es werden wohl nicht die Plakate gewesen sein, die den Leuten nicht gefallen haben, sondern doch unsere Politik.

 Wir müssen über Bildungspolitik und über Jugend diskutieren. Auch über die Frage, wie es kommen kann, dass so viel Geld eingesetzt wird und doch immer wieder Unzufriedenheit laut wird.

 Wir müssen über Familienpolitik weiter diskutieren. Das hat die SPD angefangen. Wir haben dafür Vorschläge gemacht. Unser Wahlprogramm hat für Familien große Verbesserungen vorgeschlagen und vorgesehen, in der nächsten Legislaturperiode allen berufstätigen Eltern und allen Alleinerziehenden Ganztagsbetreuungsplätzen zu garantieren. Da müssen wir am Ball bleiben und Druck machen.

 Wir brauchen eine Diskussion über den öffentlichen Raum. Die Diskussion zur Stadtentwicklung muss ergänzt werden um das Thema, wie die Menschen in dieser Stadt mit ihren Kindern an jeder Stelle gerne leben mögen, über Wege, über Parks, über Reinlichkeit und über die Pflege der öffentlichen Flächen. Ob es nur Verschmutzung ist oder Spritzen auf dem Spielplatz oder Hunde in der Sandkiste. Das ist ein Thema, dem wir uns anders und neu zuwenden müssen.

 Wir werden diskutieren müssen über die Funktionsfähigkeit des europäischen Sozialstaates und die konkrete Bedeutung, die das für die großen Städte Europas aber eben auch Hamburgs hat. Es darf nicht sein, dass Milieus entstehen von Menschen, die dauerhaft ausgeschlossen bleiben von den Chancen der Beteiligung an der Erwerbsgesellschaft oder sich irgendwann davon ausschließen. Eine Kombination von fördern und fordern wird dazu beitragen müssen, dass alle teilnehmen an unserer Gesellschaft und niemand ausgeschlossen ist.

 Und wir müssen diskutieren über Filz. Das Thema wird uns in vier Jahren wahrscheinlich auch begegnen, aber nicht als ein sozialdemokratisches Ärgerthema. Wir brauchen dazu eine moderne Position in modernen Zeiten. Die Kriterien einer reinen Ordnungsverwaltung passen zu der gestaltenden Leistungsgewährung nicht dazu. Ich bin der Meinung, dass öffentliche Zuwendungen, dass Subventionen ausgeschrieben werden müssen, dass Positionen in Unternehmen und Verwaltungen der Stadt öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Mehr Wettbewerb ist die Antwort auf Filz. Niemand wird die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen an Modernität in dieser Frage übertreffen.

 Liebe Genossinnen und Genossen,

 wir sind eine Partei mit langer Tradition. Zu unserer Tradition gehört eben auch die Erfahrung der sogenannten Bürgerblocks von 1953-1957. Vier Jahre hat die SPD konsequente Oppositionsarbeit geleistet. Sie hat die Schwächen und den Dilettantismus der regierenden Parteien aufgewiesen. Sie hat konkrete harte Oppositionsarbeit geleistet. Nach vier Jahren war der Spuk vorbei. Das wollen wir wiederholen. Das rechte Bündnis wird abgewählt.