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07.10.2008

Bankenkrise: Scholz für stärkere Kontrolle von Managern

Jochen Spengler (DRadio): Heute wird das Bundeskabinett vermutlich das absegnen, was vorgestern der Koalitionsausschuss beschlossen hat: unter anderem die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages auf 15,5 Prozent für gesetzlich Versicherte und im Gegenzug die Senkung des Arbeitslosenversicherungssatzes von 3,3 auf 2,8 Prozent. Darüber wollen wir nun reden mit dem Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Aber ehe wir über solche Peanuts sprechen, kommen wir nicht daran vorbei, auch einige Worte zu verlieren über die großen Summen, die derzeit verloren werden: also Finanzkrise, zu der die Bundeskanzlerin heute eine Regierungserklärung abgeben will. Guten Morgen, Herr Scholz.

Olaf Scholz: Guten Morgen!

Spengler: Herr Scholz, Bankmanager haben ihre Banken offenbar so aufgestellt, dass sie nur noch mit Milliarden Steuergeldern gerettet werden können. Wie bewerten Sie als Bundesarbeitsminister die Arbeit dieser Manager?

Scholz: Ich glaube, da sind in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland, vor allem in vielen anderen Ländern unverantwortbare Risiken eingegangen worden. Diese Risiken sind eingegangen worden, weil man Gewinne machen wollte, die realistisch nicht erzielbar sind. Jetzt müssen wir alle die Folgen mit ausbaden. Das ist sicher nicht in Ordnung.

Spengler: Würden Sie sagen, das ist kriminell, was wir erleben?

Scholz: Das ist ja ein strafrechtlich vergebener Begriff, aber ich finde, dass vieles von dem, was wir jetzt immer wieder neu als Bericht bekommen, schwer erklärbar ist und dass es auch nicht so sein kann, dass diejenigen, die in den Unternehmensvorständen solche Entscheidungen getroffen haben, so einfach davon kommen und uns alle alleine lassen mit den Problemen.

Spengler: Bislang sind Manager ja dann haftbar, wenn sie wirklich explizit gegen Gesetze verstoßen und etwa Gelder veruntreuen. Muss eine solche Manager-Haftung Ihrer Ansicht nach ausgebaut werden?

Scholz: Die Manager-Haftung ist ja im Wesentlichen auf Dinge konzentriert, wo falsch und rechtswidrig gehandelt wurde. Was man schwer rechtlich fassen kann ist, wenn jemand Unsinn anstellt. Das ist etwas, wo die Eigentümer sich möglichst von solchen Managern fern halten sollten. Das ist in der Vergangenheit nicht vernünftig geschehen und ich glaube, da muss man einhaken. Ich finde, dass wir mehr Transparenz bei der Bestellung der Vorstände brauchen und dass sicherlich die exorbitanten Vorstandsvergütungen, die wir in den letzten Jahren da haben steigen sehen, nicht wirklich erklärbar sind mit den wirtschaftlichen Entwicklungen und mit den Leistungen. Deshalb brauchen wir da auch neue Regeln.

Spengler: Da hieß es aber doch jahrelang, der Staat kann da nichts machen.

Scholz: Die Sozialdemokratische Partei hat schon gesagt, der Staat kann da etwas machen, und wir haben auch Vorschläge dazu entwickelt. Zum Beispiel finden wir es sehr klug, wie es in anderen Ländern ist, dass die Aufsichtsräte als Gesamtorgan entscheiden und dass nicht ein kleiner Ausschuss das unter Ausschluss sogar der internen Öffentlichkeit des Unternehmens macht. Und ich glaube auch, dass man ab einer bestimmten Vergütung von Vorständen sicherstellen muss, dass das ein Teil der Gewinnverwendung ist und nicht alles auch noch von der Steuer abgesetzt werden kann.

Spengler: Also da sollte gesetzlich nachgebessert werden?

Scholz: Da muss etwas verbessert werden und wir wissen auch schon, was wir wollen.

Spengler: Herr Scholz, eben wurde gemeldet, dass es bei Opel des spürbaren Nachfragerückgangs wegen in zwei deutschen Werken zu einem Produktionsstopp kommen wird. Die Finanzkrise schlägt offenbar auf die Wirtschaft durch. Ist jetzt doch Lohnzurückhaltung angebracht?

Scholz: Wir haben sehr merkwürdige Zahlen auf dem Arbeitsmarkt. Einerseits hören wir die ganzen Meldungen aus der Finanzkrise; andererseits hören wir aus vielen, oft auch prominenten Unternehmen Entscheidungen über Produktionsrückgänge, über Stilllegungen von einzelnen Werken. Aber in der Gesamtentwicklung des Arbeitsmarktes schlägt sich das bisher nicht nieder, sondern wir haben nach wie vor einen positiven Trend. Deshalb ist aus meiner Sicht das nicht jetzt angebracht, wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, sondern die Frage zu stellen, was müssen wir tun, um sicherzustellen, dass die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt, die wir in den letzten Jahren erzielt haben, sogar in schwieriger Zeit festgehalten werden können.

Spengler: Haben Sie auch eine Antwort darauf?

Scholz: Eine der Antworten ist, dass wir heute im Kabinett die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Arbeitsmarktvermittlung verbessern. Das wird flexibler, weniger bürokratisch, individueller für diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen, durch die Vermittler vor Ort einsetzbar. Ganz wichtig ist, dass wir ganz klar gucken, wo sind die Probleme, die wir auf dem Arbeitsmarkt vor allem haben. Eines ist, dass von den knapp drei Millionen Arbeitslosen 500.000 ohne Schulabschluss sind. Deshalb wird zu diesen Instrumenten das Recht gehören, seinen Schulabschluss nachholen zu können, sich darauf vorbereiten zu können und sich einer Prüfung zu stellen.

Spengler: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Ich würde trotzdem gerne noch mal meine Frage wiederholen: Lohnzurückhaltung jetzt im Augenblick sinnvoll?

Scholz: Das ist nicht mein Eindruck, dass das die Antwort ist. Ich glaube, wir brauchen auch nach Jahren der Lohnzurückhaltung jetzt auch ein Ergebnis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nach wie vor ist die Beschäftigungslage in vielen Unternehmen ja so, dass dort Arbeitskräfte gesucht werden. Ich glaube, dass es zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft auch gehört, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas von den Ergebnissen des Erfolges haben.

Spengler: Wir reden mit dem Bundesarbeitsminister Olaf Scholz und wir reden jetzt über Peanuts angesichts der Milliarden Summen, mit denen wir während der Finanzkrise jetzt konfrontiert sind. Warum hält die Große Koalition ihr Versprechen nicht ein, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu drücken?

Scholz: Die Große Koalition hält dieses Versprechen ein, denn der paritätisch finanzierte Sozialversicherungsbeitrag bleibt unter 40 Prozent.

Spengler: Ich habe 40,35 Prozent ausgerechnet.

Scholz: Ja, aber Sie rechnen immer nicht den paritätisch finanzierten zusammen. Was wir ja hinbekommen haben ist, dass wir die Möglichkeiten, die wir aufgrund der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig haben, nutzen und den Kostenanstieg, der im Gesundheitswesen notwendig und unvermeidbar ist, weil wir besser ausgestattete Krankenhäuser wollen, weil wir wollen, dass die Ärzte ordentlich verdienen, weil wir wollen, dass das Pflegepersonal mehr wird und dass dort mehr auch ordentliche Gehälter gezahlt werden können, dass diese Qualitätssicherungsmaßnahmen bezahlbar sind. Wir können uns nicht der Illusion hingeben, dass wir alle immer länger leben wegen immer besserer Medizin und glauben, das sei für nichts zu haben. Aber wenn das so ist, dann muss man dafür sorgen, dass das Gesundheitswesen möglichst effizient ist, damit kein Geld verschwendet wird, und darf Spielräume nutzen. Das tun wir zum Beispiel, indem wir wegen der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt jetzt zum Beispiel die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung noch einmal senken.

Spengler: Ich komme trotzdem auf 40,25 Prozent für Verheiratete mit Kindern und auf 40,35 Prozent für Kinderlose. Auf was kommen Sie denn, wenn Sie sagen, wir sind unter 40 Prozent?

Scholz: Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung, wir haben die Beiträge zur Krankenversicherung, die übrigens bei Ihnen mit 14,6 veranschlagt werden sollten, und dann kommen Sie unter 40 Prozent.

Spengler: 14,6 und nicht 15,5?

Scholz: 15,5 ist nicht der paritätisch finanzierte Beitrag.

Spengler: Ist aber der Gesamtkrankenversicherungsbeitrag?

Scholz: Das ist der Krankenversicherungsbeitrag, den die Arbeitnehmer zu tragen haben. Ich finde auch, dass man da jetzt nicht um Worte streiten sollte.

Spengler: Aber Zahlen!

Scholz: Ja, aber es ist schon präzise. Ich glaube, dass ja für die Frage des Arbeitsmarktes immer wieder darüber diskutiert wurde, wie kann man das sicherstellen, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht ununterbrochen steigen, und wie kann man sicherstellen, dass nicht wegen der hohen Sozialversicherungsbeitragsbelastung Arbeitsplätze verloren gehen. Deshalb ist der Blick schon auf den paritätisch finanzierten Beitrag das wirklich relevante, denn das wird auch zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen und kommt auf die Löhne oben drauf. Es ist deshalb die Frage, wie wichtig ist das für den Punkt "was hat das für Folgen auf den Arbeitsmarkt". Deshalb ist das sehr wohl wichtig, dass man sich auf den konzentriert. Im Übrigen ist es eigentlich gar nicht so schlecht, wenn man, obwohl das ja nicht in der Mode ist, aber Politik gelegentlich auch mal lobt für die Leistung, denn die eigentliche Leistung der letzten zehn Jahre seit 1998, seitdem Gerhard Schröder Kanzler geworden war, ist, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht wie in den Jahren zuvor ununterbrochen gestiegen sind, sondern bei, und wenn es um den paritätisch finanzierten geht sogar unter 40 Prozent stabilisiert worden sind. Man vergisst ja leicht, dass von Anfang der 80er Jahre bis 1998 es ständig raufgegangen ist, von 32 Prozent paritätisch finanziert auf über 40 Prozent. Wir waren schon bei fast 42. Und das zehn Jahre in solchen Zeiten stabil gehalten zu haben, ist keine schlechte Leistung.

Spengler: Gut. Nach diesem Selbstlob, Herr Scholz. Wenn ich es nicht tue, müssen Sie es machen. Das ist wahr. Die Bundesagentur war ja gegen eine Absenkung des Arbeitslosenversicherungssatzes von 3,3 auf nun 2,8 Prozent. Sie eigentlich auch. Warum sind Sie jetzt doch dafür?

Scholz: Von mir gibt es keine Aussage, dass ich dagegen bin. Sie können Ihr ganzes Pressearchiv durchsuchen, Sie werden sie nicht finden, sondern Sie werden von mir folgende Aussage finden: "Man muss vernünftig und seriös rechnen". Die zweite Aussage: "Die Arbeitslosenversicherung ist keine Bank". Da macht es keinen Sinn, dass wir da Milliarden bunkern und irgendwo anlegen, sondern wenn wir Spielräume haben, um die Beiträge zu reduzieren, dann sollen wir sie auch nutzen.

Spengler: Jetzt soll die Bundesagentur später auch noch die Ausgaben für künftig nachgeholte Hauptschulabschlüsse zahlen. Jetzt muss ich Sie fragen: Für wen ist das wichtig? Wenn man 30 ist, ist doch ein Schulabschluss eigentlich gar nicht mehr wichtig. Da ist doch die Berufsausbildung wichtig. Da macht doch keiner mehr einen Hauptschulabschluss.

Scholz: Wichtig ist, dass man einen Schulabschluss hat und eine Berufsausbildung und einen Arbeitsplatz. Aber was sich die Arbeitslosen nicht mehr anhören müssen und möchten sind naseweise Sprüche, wo jemand sagt, was eigentlich wichtig wäre, denn die Konsequenz davon ist ja, das geschieht nicht. Die Zahlen sind ja sehr klar. Ich habe schon gesagt: 500.000 Arbeitsuchende sind ohne Schulabschluss. Das sind alles welche, die langzeitarbeitslos sind, die also schon lange nach einem Arbeitsplatz suchen. Fast alle haben also schon oft den Versuch vergeblich gemacht, einen Arbeitsplatz zu bekommen oder eine Berufsausbildung zu beginnen. Wenn das gelingt mit der Berufsausbildung, nehmen wir das und machen das auch. Da kann man dann auch seinen Schulabschluss bei der Gelegenheit nachholen. Aber es muss die Möglichkeit geben, sich immer wieder neu in dieser Gesellschaft auf den Hosenboden zu setzen und zu sagen, ich will noch mal einen Neustart wagen. Eine Gesellschaft, die so sehr auf solche Zertifikate guckt, wenn man sich eine Arbeit sucht, tut gut daran, allen immer wieder eine Chance zu geben und niemanden am Wegesrand zurückzulassen.

Spengler: Heißt Rechtsanspruch auch, es gibt Geld von der Bundesagentur, selbst wenn die geistigen Voraussetzungen für einen Hauptschulabschluss fehlen?

Scholz: Nein. Wer das nicht kann, wer das nicht schaffen kann - das steht sogar im Gesetz nachzulesen, schon seit Monaten in den Gesetzentwürfen -, der kann das natürlich nicht machen. Viele können aber mehr als das, was sie bisher geleistet haben, und denen soll man die Chance nicht verbauen. Lassen Sie mich vielleicht noch etwas zu den Möglichkeiten sagen, die wir haben. Wir haben jetzt entschieden, dass wir mit dem Beitrag zur Arbeitslosenversicherung vernünftig umgehen. Wir werden strukturell den Beitrag per Gesetz auf 3,0 senken und ich mache als Arbeitsminister von meiner Möglichkeit Gebrauch, per Rechtsverordnung den Beitrag auf 2,8 bis zum Sommer des übernächsten Jahres abzusenken, weil wir eben die Möglichkeiten haben. Ich glaube, das ist eine kluge Entscheidung, weil sie uns gewissermaßen ermöglicht, vorsichtig vorzugehen, uns in unsicheren Zeiten klug vorwärts zu bewegen, aber trotzdem den Bürgern nicht Geld vorzuenthalten, was wir ihnen sinnvollerweise geben können. Und was wir gleichzeitig mitgemacht haben, was genauso wichtig ist wie die neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente, ist aus meiner Sicht das folgende: Wir sorgen dafür, dass gerade wo die Zeiten schwieriger werden diejenigen, die Arbeit suchen, besser unterstützt werden, indem wir die Zahl der Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeit massiv ausbauen. Auch das hat der Koalitionsausschuss am Sonntag freigegeben.

Spengler: Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales (SPD). Herr Scholz, danke für das Gespräch.

 

Auf der Website des Deutschlandradio können Sie sich das Interview anhören.