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18.08.2011

Beim Terassengespräch der 'Welt'

 

Scholz kündigt Zehnjahresplan für Sanierung der Stadt an

 

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ist aus dem Urlaub zurück und findet eine Vielzahl zu lösender Probleme vor - vom drohenden Ausverkauf der Traditionswerft Blohm + Voss bis zum Genehmigungsverfahren für die Elbvertiefung. Beim "Welt"-Terrassengespräch spricht der SPD-Politiker über die Gefahren der Finanzkrise für Hamburg, fehlendes Geld und die Herausforderung, die Straßen und Gebäude der Stadt dennoch in den kommenden zehn Jahren zu sanieren, über Wildwuchs in der Sozialpolitik und seinen Einfluss in Berlin.

 

Die Welt: Die Sommerpause ist vorbei. Kehren Sie erholt nach Hamburg zurück?

 

Olaf Scholz: Ich war mit meiner Frau in Südtirol, wir sind gewandert und auf Berge gestiegen - das war angenehm und sehr erholsam.

 

Die Welt: Denken Sie auch im Urlaub an die Politik?

 

Olaf Scholz: Ich kann loslassen und habe dann auch wirklich Urlaub. Aber natürlich vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht darüber informiere, ob es Dinge gibt, die in Hamburg entschieden werden müssen oder die ich wissen sollte. Deshalb gucke ich mindestens einmal am Tag auf mein Handy.

 

Die Welt: Das ist wenig. Kommen Sie mit Vorhaben aus der Sommerpause, die sich neu ergeben haben oder auf Ihrer Agenda nach vorn gerutscht sind?

 

Olaf Scholz: Nicht nur in Hamburg, sondern in Deutschland und der ganzen Welt ist ein wichtiges Thema auf die Agenda gekommen - die erneute Verschärfung der Verschuldungskrise vieler Staaten. Mich spornt das vor allem an, konsequent bei dem zu bleiben, was wir uns schon im vergangenen Jahr vorgenommen haben: unseren eigenen Haushalt in Ordnung zu bringen. Unsere eigene Unabhängigkeit von Finanzmärkten und Ratingagenturen hängt daran, dass wir mit unserem Geld vernünftig umgehen.

 

Die Welt: Die rot-grüne Bundesregiering hat ab 1998 eine große Deregulierungswelle auf den Finanzmärkten angestoßen. Sehen Sie bei sich und der SPD jetzt eine Mitschuld?

 

Olaf Scholz: Was die Weltwirtschaft in Schwierigkeiten gebracht hat, sind nicht die neuen Handelsmöglichkeiten auf deutschen Finanzmärkten. Die darf man sehr wohl kritisch diskutieren, aber die Finanzkrise ist angestoßen worden von der hohen Verschuldung der privaten Haushalte in den USA, der hohen Verschuldung des amerikanischen Staatshaushaltes, und sie hatte mit ganz bestimmten Finanzinstrumenten zu tun, die in den USA eine Rolle spielen.

 

Die Welt: Noch sprudeln die Steuern. Das dürfte es schwierig machen, bei den Menschen Verständnis dafür zu wecken, dass in Hamburg gespart werden muss.

 

Olaf Scholz: Es ist richtig, das Ausgabenwachstum zu begrenzen - unabhängig von der aktuellen Konjunkturentwicklung. Unser Ziel muss sein, 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Diese, von der Verfassung gestützte Perspektive, wird hoffentlich dazu führen, dass sich niemand von momentanen Konjunkturentwicklungen verführen lässt. Was das Verständnis der Bürger betrifft, habe ich übrigens überhaupt keinen Zweifel. Es ist nicht zu übersehen, dass wir ungelöste Probleme bei der Instandhaltung der städtischen Infrastruktur und Gebäude haben. Auch das muss uns mahnen, finanziell nicht über die Stränge zu schlagen, sondern mit dem Geld und den Reserven der Stadt sehr klug umzugehen.

 

Die Welt: Vieles ist in der Tat baufällig - die Straßen, die Schulen, die Universität. Ist Geld für die Sanierung da?

 

Olaf Scholz: Wenn man alle berechtigten Anforderungen zusammenrechnete, käme man auf eine Summe, die der Hamburger Haushalt weder heute noch in 100 Jahren hergeben könnte. Aber wir können einiges zustande kriegen, wenn wir Stück für Stück überflüssige Geldausgaben zurückfahren, um mehr Mittel für das wirklich Notwendige zu haben. Wir wollen mehr Klarheit, was Investitionen in Infrastruktur und Gebäude betrifft. Aber zunächst müssen wir die Frage beantworten, wie wir mit den neuen, derzeit entstehenden Gebäuden umgehen, deren Bau nicht mehr zu stoppen ist. Das Verwaltungsgebäude in Wilhelmsburg ist nur ein Beispiel. Wenn man den tatsächlichen Bedarf zugrunde legt, wären wir auch ohne diese Projekte gut klargekommen. Entscheidungen der Vorgängerregierung haben dazu geführt, dass wir - wenn wir nichts dagegen unternehmen - viel zu viel Raum in öffentlichen Gebäuden haben. Wir müssen einen Weg finden, wie wir nur das in Anspruch nehmen, was sinnvoll ist und was wir brauchen. Eine Entscheidung wird bald fallen.

 

Die Welt: Sie haben einen Zeitplan für die Sanierung des Haushalts, gibt es auch einen für die Sanierung von Straßen und Gebäuden?

 

Olaf Scholz: Wir sind in intensiven Debatten über den Investitionsbedarf. Für vieles, was in der Stadt dringend notwendig ist, ist keine Vorsorge getroffen worden. Für den Erhalt der Straßen haben die vorigen Senate in den Haushalten nicht einmal die Abschreibung als Investition vorgesehen. Für den Universitätsneubau und die Instandhaltung sind in der Investitionsplanung der bisherigen Regierung nur Anerkennungsbeträge vorgesehen. Das, was erforderlich ist, ist nur zu einem Bruchteil abgebildet worden. Es gibt in Hamburg zu viele Projekte, die mit Begeisterung gestartet wurden, bei denen man aber zu wenig bedacht hat, ob man sie eigentlich aufrechterhalten kann. Wir werden in den nächsten Monaten einen Plan für die kommenden zehn Jahre entwickeln. Dann wissen wir, wie viel und an welchen Stellen wir investieren können. Wenn wir verantwortungsvoll mit Geld umgehen, werden wir uns Stück für Stück die Freiräume schaffen, die wir brauchen.

 

Die Welt: Im Zuge der Finanzkrise wird diskutiert, wie stark der Staat eingreifen sollte. Eine ähnliche Frage stellt sich auch bei Blohm + Voss.

 

Olaf Scholz: Blohm + Voss ist nicht nur eine Traditionswerft, die eng mit der Geschichte Hamburgs verbunden ist, Blohm + Voss ist auch ein Unternehmen, das für die industrielle Infrastruktur der Stadt und den Technologiestandort von großer Bedeutung ist. Darum sind wir in engem Kontakt mit Geschäftsleitung und Betriebsräten. Wirtschaftssenator Horch und Finanzsenator Tschentscher haben dem Unternehmen erläutert, an welchen Stellen wir Handlungsoptionen haben und an welchen nicht. Es muss darum gehen, eine sich selbst tragende Lösung für das Unternehmen zu finden.

 

Die Welt: Die Frage staatlicher Eingriffe hat in der Bundesregierung zu Streit geführt. Glauben Sie, dass die Koalition in Berlin hält?

 

Olaf Scholz: Wenn Politik rational verläuft, wird die Koalition bis zum Ende weitermachen.

 

Die Welt: Wie groß ist Ihr Einfluss in Berlin? Können Sie mehr Einfluss nehmen als die vorigen CDU-Senate?

 

Olaf Scholz: Es spielt eine große Rolle, dass ich viele von denen schon lange kenne, die in verschiedenen Parteien und Ämtern Entscheidungen für Deutschland zu treffen haben. Das bietet einen Anknüpfungspunkt, um Interessen Hamburgs Erfolg versprechend zu vertreten. Natürlich hilft auch, dass die Stadt Hamburg, der Senat und ich als Person einen Ruf als konstruktive Akteure in der Politik haben.

 

Die Welt: In den anlaufenden Haushaltsberatungen wirft Ihnen die CDU Tricksereien vor.

 

Olaf Scholz: Wer den Haushalt so sehr in Schieflage gebracht hat wie die bisher Verantwortlichen, dem würde eine Phase der Bescheidenheit gut tun - auch im Sinne des eigenen Ansehens. Viele der Vorwürfe lesen sich im Übrigen wie eine Kritik an all denen, die für die CDU im Senat gesessen haben.

 

Die Welt: Wirtschaftssenator Horch hat in der vergangenen Woche bei uns im Interview gesagt, er rechne mit einem Beginn der Baggerarbeiten für die Elbvertiefung Ende dieses Jahres oder spätestens Anfang kommenden Jahres. Teilen Sie seinen Optimismus?

 

Olaf Scholz: Ja. Wir wissen zwar, dass wir auch auf die Entscheidung anderer angewiesen sind. Aber wir haben auch vorgearbeitet, und es spricht viel dafür, dass wir die Voraussetzungen für einen Beginn der Fahrrinnenanpassung erfüllt haben. Ich selbst habe mit dem zuständigen EU-Kommissar zweimal in Brüssel und einmal in Hamburg gesprochen. Auch das Genehmigungsverfahren seitens der Wasser- und Schifffahrtsdirektion ist sehr weit fortgeschritten. Die Dinge sind jetzt sehr weit, so weit waren sie noch nie.

 

Die Welt: Sehen Sie in der Sozialpolitik einen Wildwuchs, den Sie durchforsten müssen, etwa bei den Hilfen zur Erziehung? Dort gibt es erhebliche Kostensteigerungen.

 

Olaf Scholz: Die Hilfen zur Erziehung haben den Auftrag, Jugendliche bei ihrer Entwicklung zu unterstützen. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob sie richtig und zielgerichtet eingesetzt werden. So wie es heute läuft, kann es nicht weitergehen, weil es nicht vernünftig ist.

 

Die Welt: Schaffen Sie die angekündigte Zahl von 6000 neuen Wohnungen schon in diesem Jahr?

 

Olaf Scholz: Politik fängt damit an, dass man die Wahrheit ausspricht. In Hamburg wurde der Wohnungsbau in den vergangenen Jahren vernachlässigt, das wollen wir jetzt korrigieren. Die Stadt hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass ausreichend bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen. Es war einer der größten Fehler der vergangenen Jahre, einerseits die "Wachsende Stadt" zu propagieren, andererseits den Wohnungsbau nicht zu forcieren.

 

Die Welt: Ist denn die Zahl 6000 erreichbar?

 

Olaf Scholz: Ja, das schaffen wir. Ich frage mich aber schon, ob der eine oder andere das Geschehen in der Stadt mit dem angemessenen Ernst verfolgt. Statt beeindruckt zu sein über den Willen und die Gestaltungskraft der Politik, nehmen manche Kritiker das Problem wohl nicht ernst. Einen solchen Kraftakt erledigt man nicht von heute auf morgen. Wir wollen die Wirklichkeit verändern. Wir wollen die derzeitige Lage auf dem Wohnungsmarkt massiv verbessern. Das ist ein anstrengender Prozess. Das geht nicht über Nacht. Aber das geht.

 

 

Das Interview führten Jörn Lauterbach, Insa Gall und Per Hinrichs

 

> das Interview auf der Website der 'Welt'