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30.10.2010

Brüderle unterschlägt die Fakten

Interview mit der Saarbrücker Zeitung

 

Sind Sie neidisch auf Arbeitsministerin Ursula von der Leyen?

Scholz: Nein, warum sollte ich?

Weil in ihrer Amtszeit die Arbeitslosigkeit erstmals seit fast zwei Jahrzehnten klar unter der Drei-Millionen-Marke liegt. So einen Erfolg hätten Sie doch auch gern verkündet, oder?

Scholz: Diese Absenkung ist ein großer Erfolg. Ende 2008 waren wir schon einmal knapp unter drei Millionen, aber dann kam die Wirtschaftskrise dazwischen. Dass wir jetzt besser dastehen als vor der Krise, hat viel mit der Kurzarbeiterregelung zu tun, die von der großen Koalition beschlossen worden war. Dadurch konnten Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz behalten.

Ist Vollbeschäftigung nur noch eine Frage von wenigen Jahren?

Scholz: Vollbeschäftigung innerhalb der nächsten zehn Jahre ist möglich. Aber nicht von allein. Wenn es uns nicht gelingt, die vielen jungen Leute ohne Berufsabschluss ausreichend zu qualifizieren, dann drohen Wohlstandsverluste in Deutschland. Wir würden dann nämlich nicht nur über zu wenige Fachkräfte verfügen. Obendrein wären auch noch Millionen Menschen ohne Arbeit.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle will den Fachkräftemangel durch eine erleichterte Zuwanderung ausländischer Experten beheben. Macht die SPD da mit?

Scholz: Brüderle unterschlägt die Fakten. Seit Anfang 2009 hat Deutschland den weltweit offensten Arbeitsmarkt für Akademiker. Hochqualifizierte aus der EU können seitdem uneingeschränkt hier arbeiten. Akademisch Qualifizierte aus anderen Ländern können auch kommen, es wird lediglich geprüft, ob sie das übliche Gehalt verdienen und ob Arbeit suchende Deutsche und EU-Bürger Vorrang haben. Ab einer bestimmten Gehaltshöhe fällt sogar diese Prüfung weg. Darüber hinaus gibt es tausende junge Ausländer, die sich mit einem deutschen Hochschulabschluss bei uns um Arbeit bewerben. Insofern ist das eine ziemliche Gespensterdebatte, die da geführt wird.

Das Interesse ausländischer Fachkräfte an einer Arbeit in Deutschland hält sich aber trotzdem stark in Grenzen. Sehen Sie keinen Nachbesserungsbedarf?

Scholz: Den Fachkräftemangel zum Beispiel in der Altenpflege können wir nur beheben, indem wir mehr Leute dafür qualifizieren und besser bezahlen. Das gilt auch für andere Branchen. Für Berufe, die man durch eine Lehre erlernen kann, haben wir genügend einheimisches Potenzial. Man muss es nur heben.

Das klingt wie CSU-Chef Horst Seehofer, der auch nichts von einer verstärkten Anwerbung ausländischer Fachleute hält.


Scholz: Bei Seehofer war zunächst gar nicht von Fachleuten die Rede. Er hatte das Thema nur nachgeschoben, um seine mit Ressentiments gegenüber Ausländern beladenen Äußerungen mit sachlichen Gründen zu unterlegen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Ab Mai 2011 können sich auch Menschen aus den neuen EU-Staaten ohne Einschränkung auf dem deutschen Arbeitmarkt bewegen. Ist das eine Gefahr für einheimische Arbeitssuchende?

Scholz: Deutschland hat die entsprechende EU-Regelung voll ausgeschöpft, damit diese Freizügigkeit erst 2011 zum Tragen kommt. Wenn sich Millionen weitere EU-Bürger für Arbeit in Deutschland interessieren könnten, hat das Folgen für unseren Arbeitsmarkt. Nach den bisherigen Erfahrungen bei der EU-Erweiterung können wir das aber gut verkraften. Was wir nicht verkraften können, ist noch mehr Lohndumping. Deshalb brauchen wir spätestens am 1. Mai 2011 einen flächendeckenden Mindestlohn.

 

Hier finden Sie das Interview auf der INternetseite der Saarbrücker Zeitung