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27.11.2013

Buchbeitrag zu Zeitung unter Druck. Plädoyer für ein Kulturgut.

Buchbeitrag zu Zeitung unter Druck. Plädoyer für ein Kulturgut.

 

 

Standpunkt und Standort
von Olaf Scholz

Als Ende April 2013 in Hamburg die Henri-Nannen-Preise verliehen wurden, waren unter den Preisträgern zwei Journalisten, die in Regional- und Lokalzeitungen Herausragendes leisten: Wolfgang Kaes vom Bonner General-Anzeiger hat den Preis für die beste investigative Geschichte bekommen. Ihn hat eine Anzeige in der Zeitung nicht losgelassen, mit der behördlich vorbereitet werden sollte, dass eine seit 16 Jahren verschwundene Frau für tot erklärt wird. Er begann zu recherchieren, fand neue Zeugen, trieb die Polizei zu neuen Ermittlungen an und deckte so am Ende auf, dass der Ehemann der Vermissten seine Frau 16 Jahre zuvor umgebracht hatte. Der Preis für Pressefreiheit ging an René Wappler von der Lausitzer Rundschau. Seit einiger Zeit werden er und seine Redaktion in Spremberg von Nazis bedroht, nachdem Wappler über deren Aufmärsche in der Stadt berichtet hatte. Kurze Zeit später wurde die Redaktion mit Spraydosen und Schweinekadavern verunstaltet. Wappler sollte bedroht und eingeschüchtert werden. Doch er hat sich nicht beeindrucken lassen und kämpft tagtäglich weiter für die Freiheit, die Wahrheit schreiben und verbreiten zu können. Seine Redaktionstür steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen. Er ist Teil seiner Stadt und berichtet über deren Schicksal. Diese beiden Preisträger sind beeindruckende Vorbilder für journalistische Professionalität und Zivilcourage. Sie zeigen, was wir an einem guten Lokaljournalismus haben.
Die beiden ausgezeichneten Journalisten erzählen mit ihrer Arbeit Geschichten, die sonst nicht erzählt werden würden. Sie decken Netzwerke auf, deren Knotenpunkte sonst im Dunkeln blieben. Und Sie sorgen dafür, dass Politik und Engagement nicht bloß etwas für die abstrakten und vermeintlich großen Themen sind, sondern sich auch alltäglich in der Stadt,  in der Gemeinde und im Landkreis wiederfinden.
Es gibt den alten Satz von Hanns-Joachim Friedrichs, dass sich Journalismus mit keiner Sache gemein machen dürfe, auch nicht mit einer guten. Diese Forderung darf nicht mit Standpunktlosigkeit verwechselt werden. Sich nicht gemein zu machen bedeutet nicht, dass einem alles einerlei ist. Vielmehr ist das Gegenteil wahr: Journalismus hat immer einen Standpunkt und mehr noch einen Standort. Im Lokalen wird dieses Einbezogensein noch viel intensiver spürbar und deshalb auch oft offensiv und pragmatisch zu einem Teil guter journalistischer Arbeit erklärt. Wer in einer Stadt lebt und über sie schreibt, dem liegt sie auch am Herzen, der schaut mit Empathie und vielleicht auch Stolz, auf das, was dort geschieht. Dem tut es aber zugleich umso mehr weh, wenn etwas schief oder aus dem Ruder läuft. Und ein guter Journalist bringt es unerbittlich an die Öffentlichkeit. Deshalb gehört die Fähigkeit zur Kritik unverbrüchlich zur journalistischen Arbeit. Sie steht auch einem Journalismus offen, der sich eben nicht unreflektiert als neutraler Beobachter inszeniert, sondern der sein Einbezogensein in räumliche und soziale Zusammenhänge reflektiert und sich im Wissen um sie eigenständig und kompromisslos daran macht, Geschichten auszugraben und Missstände anzuprangern. Gerade die starke und tiefe regionale Verankerung der Presse und des Journalismus ist ein Grund dafür, dass wir auch in Zeiten der sogenannten Medienkrise immer noch flächendeckend qualitativ guten Journalismus in Deutschland vorfinden.

Der Wert des Journalismus
Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, Informationen zu recherchieren und publizieren, sie einer Debatte und einer Bewertung zugänglich zu machen. Ihre Produkte sind Kristallisationspunkte gelingender Öffentlichkeit und damit zugleich eines gesellschaftlichen Bewusstseins in seiner ganzen Pluralität. US-Präsident Barack Obama spricht davon, dass Journalismus die conversation of democracy gewährleisten müsse. Und in der Tat ist kaum vorstellbar, wie unser Gemeinwesen ohne die Beiträge kompetenter und unabhängiger Journalistinnen und Journalisten funktionieren könnte. Wir sind angewiesen darauf, dass in Zeitungen und Zeitschriften, Nachrichtensendungen und Reportagen, Blogs und Tickerdiensten die wesentlichen Nachrichten aufbereitet und verbreitet werden.
Durch die journalistische Vermittlung entstehen Gesprächsfäden in unserer Gesellschaft und wir haben die Chance, gemeinsam zu identifizieren, was relevant ist und worum wir uns als Gesellschaft kümmern müssen. Das gilt für das Wissen um eine gesundheitspolitische Reform ganz genauso wie für die Kenntnis eines neuen Bebauungsplans oder der Umgestaltung eines innerstädtischen Platzes. Journalismus informiert nicht bloß. Journalismus schafft Orientierung, die in der Unübersichtlichkeit moderner Gesellschaften dringend nötig ist heute wahrscheinlich mehr denn je.
Das Hans-Bredow-Institut hat im letzten Jahr in einer Studie gefragt, welchen Medienangeboten die Bürgerinnen und Bürger die größte Relevanz für die politische Meinungsbildung zuschreiben. Auf Platz 1 kam wenig überraschend die Tagesschau und auf Platz 3 die Bild. Dazwischen, auf Platz 2, allerdings platzierten die Befragten Google, weil offensichtlich zunehmend die Plattformen, auf denen Informationen gefunden werden können, in den Fokus rücken. Die Studie zeigte neben diesen Ergebnissen aber auch, dass die meisten weiterhin direkt zur Tageszeitung greifen, wenn sie regionale und lokale Nachrichten suchen. Die Reichweiten der Tageszeitungen und der Zeitschriften sind durch die weitere Verbreitung im Netz so hoch wie nie zuvor. Die drängende Frage, die sich in vielen Redaktionen und Verlagen stellt, lautet aber: Wie verdienen wir damit noch Geld?
Die gestiegene Reichweite ist vor allem durch kostenlose Angebote erkauft. Das alte Geschäftsmodell ist weitgehend zerbrochen. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Zeitungswissenschaftler Karl Bücher die Zeitung als Anzeigenraum definiert, der durch die redaktionelle Gestaltung zur Ware wird. Dieser Zusammenhang zerbricht mittlerweile immer mehr und wird entbündelt. Zum ersten Mal in der Geschichte stehen Verlags- und Medienhäuser damit vor der Aufgabe, Journalismus zum tatsächlichen Preis und weitgehend ohne Quersubventionierung an den Markt zu bringen und das nachdem sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten im Netz eine Gratiskultur entwickelt hat, gegenüber der sie ohnehin kaum einen Preis überzeugend rechtfertigen können. Dennoch sind sich die Beobachter weitgehend einig, dass die Verlage jetzt damit anfangen müssen, Journalismus auch im Netz zu verkaufen, wenn sie wollen, dass er auch morgen und übermorgen noch einen Wert hat, der seinen Bestand sichern kann.
Dabei  werden es die Lokalredaktionen vielleicht sogar etwas einfacher haben, als die Politik- oder Wirtschaftsredaktionen, da sie in der Regel immer noch über Informationen verfügen, die nur wenige Wettbewerber auch haben. Aber auch hier treten neue Wettbewerber auf den Markt: In immer mehr Gemeinden versuchen lokale Blogger, ebenfalls relevante Öffentlichkeit zu schaffen. Gerade dort, wo es nur noch eine Zeitung vor Ort gibt, kann das das nicht nur die lokale Öffentlichkeit, sondern auch das Geschäft sinnvoll beleben. Hier entstehen neue Möglichkeiten, die unsere Öffentlichkeit vielstimmiger und spannender machen und für alle ein Ansporn sein sollten. Aber dieses Engagement einzelner Bürgerinnen und Bürger kann die verlässliche und regelmäßige Leistung einer Zeitungsredaktion natürlich nur ergänzen und niemals ersetzen.

Journalismus als Beruf erhalten
Natürlich ist es ein unglaublicher Freiheitsgewinn, dass sich jeder, der möchte, heute über ein Blog an die Weltöffentlichkeit richten kann. Aber wir brauchen auch in Zukunft Profis, die recherchieren, auswählen, gewichten, aufbereiten und vermitteln. Diese Aufgabe können wir nicht allein den Usern überlassen. Sie erfordert kompetente Journalistinnen und Journalisten. Gerade in einer Gesellschaft, die sich immer kleinteiliger und immer hochgradiger spezialisiert, brauchen wir Experten des Allgemeinen und der Öffentlichkeit, die diejenigen Themen finden, die alle angehen.
Wer den Journalismus als Beruf erhalten will, der muss sich erstens um Mediengeschäftsmodelle und ihre Rahmenbedingungen kümmern. Die Aufgabe der Politik ist es hier zunächst, das Gespräch zwischen allen in der Branche zu ermöglichen und notfalls auch zu erzwingen. Medienpolitik hat keinen zentralen Archimedischen Punkt mehr, von dem aus sie allgemeine Lösungen andrehen könnte. Sie ist eine komplexe Governance, in der viele beteiligt werden müssen, damit alle die Regeln akzeptieren. Hier brauchen wir einen neuen Grundkonsens.
Wer den Journalismus als Beruf erhalten will, der muss sich zweitens um die Kompetenzen von Journalistinnen und Journalisten kümmern, um ihre Aus- und Weiterbildung. Die Zweifel, dass das Volontariat auf Dauer der Königsweg in den Journalismus bleiben wird, sind begründet. Berufsanfänger können im Volontariat schließlich strukturell nur das lernen, was die Redaktion schon kann. In einer Zeit, in der neue mediale Angebote gerade einmal ein halbes Jahr brauchen, um 50 Millionen Nutzer weltweit zu erreichen, ist das nicht mehr in jedem Fall ausreichend. Digitaler Journalismus braucht weiterhin das etablierte Learning by doing, aber er braucht auch die systematische Vermittlung von Kenntnissen, die im aktuellen Strukturwandel immer kürzere Halbwertszeiten haben und deswegen nur akademisch zu sichern sind.
Wer den Journalismus als Beruf erhalten will, der muss sich drittens um das Selbstbewusstsein von Journalistinnen und Journalisten kümmern und zwar im Wortsinne. Journalismus ist Dienst an der Demokratie. Ohne Journalistinnen und Journalisten, die unabhängig und unerschrocken berichten, was passiert, nützten die schönsten Beteiligungsmöglichkeiten nicht, weil sie nicht informiert genutzt werden können. Journalismus muss sich selbst ernst nehmen, um gesellschaftlich relevant zu sein.

Orientierung in der Unübersichtlichkeit
Es ist etwas ganz Besonderes, dass eine Redaktion jeden Tag aus all den Nachrichten der Welt ein Bukett zusammenstellt. All the news that’s fit to print” heißt es bei der New York Times. Das bedeutet, dass jeder Abonnent an jedem Tag, verlässlich, morgens im Briefkasten ein Ausschnitt der Welt findet, verbunden mit dem Anspruch: Das alles ist wichtig.
Wenn die Informationen immer schneller publiziert werden, dann wird immer mehr die Orientierung zur Aufgabe des Zeitungsjournalismus. Das Erklären, das Einordnen, das Bewerten. Wer Zeitung liest, der erwirbt das Zusammenhangswissen, dass gebraucht wird, um sich in unserer Gesellschaft zu recht zu finden. Es sind diese Qualitätsinhalte, die keine Suchmaschine und auch kein soziales Netzwerk werden ersetzen können, auch wenn sie zweifellos an Bedeutung weiter gewinnen werden. Die Informationsbuketts werden künftig immer häufiger durch Algorithmen und durch soziale Empfehlungen aggregiert werden. Das Informationsbukett, das eine kluge Redaktion zusammengestellt hat, wird demgegenüber immer seinen eigenen Wert haben.
Deswegen ist es mir um den Journalismus auch nicht bange, so lange kompetente Journalistinnen und Journalisten sich der Verantwortung stellen, das gesellschaftliche Zeitgespräch, die conversation of democracy zu vermitteln und zu moderieren. Ich möchte allen Journalistinnen und Journalisten zurufen: Lassen Sie sich von allen Unkenrufen nicht entmutigen: Wir brauchen Sie! Unabhängig. Kritisch. Verantwortlich für die Gesellschaft.
[Dieser Text basiert auf einer Rede beim Forum Lokaljournalismus der Bundeszentrale für politische Bildung am 17. Mai 2013 in Hamburg]

Vita
Olaf Scholz ist Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und stellvertretender Bundesvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

 

Beitrag zum neu erschienenen Buch: Zeitung unter Druck. Plädoyer für ein Kulturgut. Hrsg. Norbert Bichler und Alfons Pieper; epubli GmbH; Berlin 2013