Interview mit sueddeutsche.de
sueddeutsche.de: Herr Scholz, oft wird Politikern vorgeworfen, dass sie an der Macht kleben. Verdient es nicht Respekt, dass Ole von Beust nun sagt, seine Zeit sei gekommen?
Olaf Scholz: Nein. Denn dann hätte er sagen müssen "Meine Zeit ist gekommen, weil ich den politischen Rückhalt verloren habe." Er ist aber als Bürgermeister zurückgetreten, weil er keine Lust mehr hatte.
sueddeutsche.de: Es ist aber in Deutschland durchaus üblich, dass der Ministerpräsident während der Legislaturperiode wechselt. Auch in SPD-Regierungen kam das schön öfter vor.
Scholz: Aber nur, wenn einem Regierungschef der politische Rückhalt abhanden gekommen ist oder wenn er zu alt ist und die Bürger sich bei der Wahl schon gedacht haben, dass die Nachfolgefrage demnächst geklärt wird. Das alles ist hier nicht der Fall. Herr von Beust hat viele düpiert. Die Frage der Neuwahlen ist eine Demokratiefrage - und da liegt der Ball nun im Garten der Grünen.
sueddeutsche.de: Sie waren schnell zur Stelle und haben Neuwahlen gefordert. Dabei hat Schwarz-Grün noch eineinhalb Jahre eine komfortable Mehrheit in der Bürgerschaft. Glauben Sie, dass die Koalition auf ihre Forderung eingehen wird?
Scholz: Wie wohl alle Bürger in dieser Stadt denke ich, dass der Rücktritt des Bürgermeisters überraschend zustande gekommen ist. Bei der Wahl haben viele Hamburger gar nicht die CDU gewählt, sondern Herrn von Beust. Das Gleiche gilt für die Grünen: Die haben auch nicht gedacht, dass es so bald vorbei sein wird, als sie den Koalitionsvertrag unterschrieben haben. Deswegen kann man jetzt nicht einfach so weitermachen und so tun, als sei nichts gewesen. Es darf nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger eine Entscheidung getroffen werden.
sueddeutsche.de: Wie werden die Grünen mit der Situation nun umgehen?
Scholz: Ich will nicht spekulieren. Jeder hat hier seine Verantwortung für die Demokratie in Hamburg. Ich weiß nur: Wenn es weiter gehen sollte mit der schwarz-grünen Koalition, dann wird das eine sehr quälende Veranstaltung für alle Hamburger.
sueddeutsche.de: Wenn die Koalition hält, wird voraussichtlich der derzeitige Innensenator Christoph Ahlhaus neuer Regierungschef. Was halten Sie vom neuen Mann an der Spitze?
Scholz: Herr Ahlhaus hat eine Karriere als politischer Funktionär hinter sich gebracht. Trotz aller harten Sprüche, hat er in der Frage der inneren Sicherheit eine schlechte Bilanz aufzuweisen. Er hat an der Polizei gespart, obwohl die Gewalt in Hamburg eskaliert. Das ist keine Empfehlung für das Amt des Ersten Bürgermeisters.
sueddeutsche.de: Werden Sie Christoph Ahlhaus herausfordern?
Scholz: Die Hamburger SPD wird rechtzeitig vor der nächsten Bürgerschaftswahl einen Spitzenkandidaten nominieren. Ich werde als Landesvorsitzender dazu auch einen Vorschlag machen. Wenn es schnell gehen muss, dann geht es ganz schnell.
sueddeutsche.de: Überall werden Sie bereits als SPD-Spitzenkandidat genannt. Warum zieren Sie sich so?
Scholz: Wir haben die SPD wieder als klassische Hamburg-Partei etabliert und jetzt eine ausgezeichnete Ausgangsposition. Das sieht man auch in den Umfragen. Ohne einen Spitzenkandidaten zu haben, wird der Landesvorsitzende in Umfragen besser bewertet als der Hamburger Bürgermeister.
sueddeutsche.de: Gesetzt den Fall, dass Sie kandidieren: Ist ihnen Christoph Ahlhaus als Kontrahent lieber als Ole von Beust?
Scholz: Wenn man den aktuellen Umfragen glauben darf, ist das egal. Sogar der beliebte Bürgermeister hätte von einem sozialdemokratischen Herausforderer geschlagen werden können. Das gilt für seinen möglichen Nachfolger noch mehr.
sueddeutsche.de: Werden Sie Gespräche mit den Grünen führen?
Scholz: Die Grünen halten jetzt das Heft des Handelns in der Hand. Sie müssen überlegen, was der Rücktritt von Ole von Beust für sie bedeutet und wie es weitergehen soll. Fakt ist: Die Grünen waren bis gestern nicht eingebunden in die Pläne des Bürgermeisters. Keine gute Botschaft in einer Koalition.
sueddeutsche.de: Sind die Grünen in Hamburg überhaupt noch der natürliche Koalitionspartner für die SPD?
Scholz: Die Zusammenarbeit unter Rot-Grün war in Hamburg gut und daran erinnern wir uns noch. Die Umfragen sagen außerdem, dass es in Hamburg gegenwärtig nur für eine plausible Koalition reichen würde, nämlich für eine rot-grüne. Ich hatte auch immer ein entspanntes Verhältnis zu der Entscheidung der Grünen, eine Koalition mit der CDU einzugehen. Das war nach der letzten Bürgerschaftswahl auch gar nicht anders möglich.
sueddeutsche.de: Welche Probleme in Hamburg beschäftigen Sie am meisten?
Scholz: Eines der drängendste Probleme ist der marode Haushalt. Man hat deutlich erkennen können: Die CDU kann nicht mit Geld umgehen. Auch die Wirtschaft entwickelt sich schlecht. Viele Unternehmer sind sehr enttäuscht von neun Jahren CDU und erinnern sich an bessere Zeiten. Das hat auch Folgen für den Arbeitsmarkt. Hamburg leidet unter einer wachsenden sozialen Desintegration. Auch, weil der Wohnungsbau zum Erliegen gekommen ist, seitdem die CDU an der Macht ist. Bei der inneren Sicherheit läuft die Entwicklung völlig aus dem Ruder. Und auch die Ergebnisse, die Schulen bei Vergleichstests abliefern, sind ein Problem.
sueddeutsche.de: Stichwort Schule: Ist mit dem Volksentscheid vom Sonntag das Konzept, Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen, in Hamburg damit endgültig vom Tisch?
Scholz: Der Volksentscheid ist eindeutig. Wir haben für ein anderes Ergebnis bei der Primarschule geworben. Aber man darf nicht übersehen: Es wird nur noch zwei weiterführende Schulen in Hamburg geben, das Gymnasium und die Stadtteilschule. Und beide führen zum Abitur. Und es bleibt, was die SPD durchgesetzt hat. Das Elternwahlrecht bleibt erhalten und die Klassen werden kleiner. Die Verlängerung der vierjährigen Grundschule zur sechsjährigen Primarschule haben die Bürger nun verhindert. Wer Volksentscheide gut findet, muss das Ergebnis auch respektieren.
sueddeutsche.de: Finden Sie angesichts des Ergebnisses Volksentscheide noch gut? Da ist sich die Politik endlich einmal über alle Parteigrenzen hinweg einig - und die Hamburger entscheiden sich trotzdem anders.
Scholz: Ich bin für Volksentscheide und habe es sehr empörend gefunden, dass der Hamburger Bürgermeister und die CDU einen Volksentscheid gegen die Privatisierung der Krankenhäuser einfach missachtet haben. Deshalb wollte ich die Verbindlichkeit der Volksentscheide und finde das jetzt auch richtig. Im Übrigen hat das Abstimmungsergebnis auch damit etwas zu tun, dass der Senat viel falsch gemacht, als es mit der Diskussion zur Reform losging.
Das Interview führte Wolfgang Jaschensky. Sie finden das Interview auch unter sueddeutsche.de