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08.05.2009

Der Mindestlohn und seine gerichtliche Durchsetzbarkeit

Rede von Olaf Scholz anlässlich der gemeinsamen Tagung der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer und der Hamburger Arbeitsgerichte in Hamburg


Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind ja heute als Arbeitsrechtler unter uns. Ich brauche Ihnen daher nichts über die Bedeutung erzählen, die Arbeit in unserer Gesellschaft einnimmt. Sie erleben jeden Tag hautnah, welchen Raum sie für den Einzelnen und in der Gemeinschaft einnimmt.

Die Lebenslagen und Probleme aus der Arbeitswelt, mit denen Sie sich jeden Tag auseinandersetzen, sind mit den Kategorien von Angebot und Nachfrage nicht ausreichend zu beschreiben. Der Arbeitsmarkt muss sich an wirtschaftlichen Notwendigkeiten genauso orientieren wie an menschlichen Grundbedürfnissen.

Wir verbringen einen großen Teil unseres Lebens mit Arbeit. Ein Sprichwort bringt das gut auf den Punkt: Arbeit ist das halbe Leben.

Arbeit ist deshalb weit mehr als bloßer Broterwerb. Sie ist eben nicht nur Job. In unserem Land hat sich dabei eine ganz besondere Kultur der Arbeit entwickelt. Deswegen trifft es der deutsche Begriff des Berufes deutlich besser. Die allermeisten wollen ihre Sache um ihrer selbst willen gut machen. Sie wollen stolz sein auf das Geleistete.

Jeder weiß: Arbeit erfordert Einsatz und Anstrengung. Sie ist Leistung. Sie setzt Übung und Ausdauer voraus. Wir nehmen das auf uns, weil Arbeit Sinn stiftet und uns Anerkennung bringt.

Sie ist Fundament unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Sie ermöglicht uns ein gutes Zusammenleben. Arbeit hat eine eigene Würde.
Wenn wir diese Würde der Arbeit nicht achten und die Leistung des Einzelnen nicht wertschätzen, beginnt die Grundlage des sozialen Zusammenhalts in unserem Land zu erodieren.
Wenn wir das verhindern wollen, gehört dazu auch ein vernünftiger Lohn. Wenn jemand Vollzeit arbeitet und davon nicht einigermaßen über die Runden kommt, untergräbt das über kurz oder lang den Glauben an unser Modell der sozialen Marktwirtschaft. Ein Wettlauf um die niedrigsten Löhne würde so letztlich zur Gefahr für die Demokratie. Deshalb ist es dringende Aufgabe des demokratisch verfassten Staates, die Bürgerinnen und Bürger vor dem freien Fall zu bewahren.

Deutschland ist in Sachen Mindestlöhne lange eine große Ausnahme gewesen. Fast alle unsere Nachbarn haben gesetzliche Lohnuntergrenzen und Staaten wie Großbritannien sind sicher nicht des Etatismus verdächtig. Dort wurden gute Erfahrungen gesammelt: Die Arbeitslosenquote ist zumindest vor Einsetzen der derzeitigen Finanzkrise kontinuierlich gesunken. Es gibt auch keine vernünftigen wissenschaftlichen Argumente gegen Mindestlöhne: Alle Studien zeigen, dass Mindestlöhne keine Jobs kosten. Die Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow und Paul Krugmann argumentieren schon seit langem gegen die unbegründete Angst vor Mindestlöhnen in Deutschland.

Krugman betont allerdings zu Recht auch, dass es einen guten historischen Grund gibt, dass es in Deutschland lange eine Zurückhaltung bei der Festsetzung eines Mindestlohns gegeben hat: Wir haben eine Tradition starker Sozialpartner, die erfolgreich den sozialen Ausgleich organisiert haben. Die Verhandlungen und Vereinbarungen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sind die Grundlage unserer Wirtschaftsordnung.

Deswegen haben die Tarifpartner bei uns ein so weites Handlungsfeld für gemeinsame Vereinbarungen wie sonst kaum auf der Welt. In vielen anderen Ländern ernte ich oft Erstaunen darüber, was bei uns nicht gesetzlich geregelt ist, sondern Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in Tarifverhandlungen überlassen bleibt. Diese großen Freiheiten wurden und werden von den Sozialpartnern verantwortungsvoll genutzt.

Wir können in diesen Tagen 60 Jahre Koalitionsfreiheit im Grundgesetz und übrigens auch 60 Jahre Tarifvertragsgesetz feiern. Dieses Modell hat uns erfolgreich gemacht.

Aber der Schutz, den unser Tarifmodell gibt, hat begonnen, an seinen Rändern brüchig zu werden. Man sieht das daran, dass die Bedeutung allgemeinverbindlicher Tarifverträge an Bedeutung abnimmt. Neue Spieler treten auf den Plan, die mehr oder weniger legitimiert beginnen, den Tarifpartnern das Leben schwerer zu machen. In manchen Bereichen der Wirtschaft nimmt die Tarifbindung so stark ab, dass nur noch eine kleine Minderheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschützt ist.

Um es deutlicher zu sagen: Die Notwendigkeit von Mindestlöhnen ist vor allem die Folge einer Schwächung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gleichermaßen. Die bekannten Beispiele der Löhne für manche Frisöre in Sachsen sind hierfür nur das Extrembeispiel.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig:
•    Viele sind jahrelang durch die Republik gezogen und haben die Sozialpartnerschaft verunglimpft.
•    Auch die weltweite Vernetzung der Wirtschaftsbeziehungen hat die beschriebene Entwicklung begünstigt.
•    Symptom und Ursache zugleich sind die sinkende Organisation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den großen Gewerkschaften und der Trend zu OT-Arbeitgeberverbänden.
Kurzum: Vieles hängt mit vielem zusammen.

Es kommt jetzt also darauf an, die Tarifautonomie wieder zu stärken. Diejenigen, die unablässig der Lehre vom reinen Markt das Wort geredet haben, wundern sich jetzt über die Geister, die sie geweckt haben. Diejenigen, die dazu beigetragen haben, die Tarifpartner so weit zu schwächen, dass sie einen minimalen Schutz nicht mehr gewährleisten können, rufen heute zum Teil am lautesten nach dem Staat.

Meine Damen und Herren,

dass der Gesetzgeber in dieser Situation auf den Plan tritt, eröffnet zum einen zuvor verlorene Handlungsräume für die Tarifpartner. Es wird wieder ein ebenes Spielfeld hergestellt, auf dem keiner vom Rand rutscht.

Zum anderen wird durch Mindestlöhne an vielen Stellen auch erst wieder ein fairer Wettbewerb unter den Unternehmen möglich gemacht: Unser Land ist wirtschaftlich erfolgreich geworden, weil wir auf Qualität und Produktivität setzen. Darüber wollen wir Wettbewerb und nicht über Dumpinglöhne.

Ich kenne übrigens viele ordentliche Unternehmer, die nachts schlecht schlafen, weil sie ihren Leuten keinen anständigen Lohn zahlen können. Es geht auch um deren Gefühle. Es waren gerade auch die Arbeitgeberverbände, die uns gebeten haben, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen.

Genauso wenig wie Dumpinglöhne wollen wir einen Wettbewerb über Staatslöhne. Es kann nicht angehen, dass der Staat sich mit dauerhaften Subventionen an dieser Spirale nach unten aktiv beteiligt.

Da müssen übrigens auch die ARGE’n ein Auge drauf haben und im Zweifelsfall mit dafür Sorge tragen, dass Arbeitgeber so genannten Aufstockern einen angemessenen Lohn zahlen. Im Notfall müssen sie deren Lohnansprüche auch einmal selbst gerichtlich durchsetzen, um ungerechtfertigte Sozialausgaben zu verhindern.

Das geht auch, wie das Beispiel eines von der ARGE Stralsund vor dem Arbeitsgericht im Februar geführten Gerichtsverfahren zeigt. Es darf nicht hingenommen werden, dass jemand sittenwidrige Löhne zahlt und so künstlich eine erhöhte Hilfebedürftigkeit erzeugt, um sich seine Arbeitskräfte durch die ARGE mitfinanzieren zu lassen. Das ist eine Ausbeutung der Arbeitnehmer und der Solidargemeinschaft.

Meine Damen und Herren,

wir müssen also in unserer sozialen Marktwirtschaft dafür sorgen, dass man von seiner Arbeit leben kann.

Wie geht das? Wie gehen wir vor?

Ich habe es schon gesagt: Die Zielvorgabe ist eine Stärkung der Tarifautonomie. Deshalb fahren wir über zwei Gleise:
•    Für Branchen mit einer Tarifbindung von mindestens 50 Prozent bestand und besteht die Möglichkeit, in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen zu werden.
•    Teilweise werden aber Niedriglöhne nicht aufgrund von Konkurrenz durchgesetzt, sondern einfach, weil man es kann. In Branchen, in denen die Tarifbindung weniger als 50 Prozent beträgt und die Tarifpartner keinen oder kaum mehr Schutz bieten können, brauchen wir deswegen Mindestlöhne über das Mindestarbeitsbedingungengesetz.

Die gesetzlichen Regelungen knüpfen direkt an die Tarifbindung an, sodass sie sich gegenseitig ergänzen: Überall, wo es notwendig wird, gibt es damit die Möglichkeit, einen Boden einzuziehen, unter den die Löhne nicht mehr gedrückt werden können.

Die beiden Gesetze sind übrigens alte Bekannte. Sie stehen in einer guten Tradition großkoalitionärer Zusammenarbeit, wenn man so will:

Das Mindestarbeitsbedingungengesetz stammt aus der ersten Legislatur des Bundestages und ging damals auf eine Initiative der SPD-Fraktion zurück. Verabschiedet wurde es allerdings mit großer Mehrheit des ganzen Hauses, also auch mit den Stimmen der Union.

Das Arbeitnehmerentsendegesetz ist dagegen verhältnismäßig jung. Es existiert seit 1996, stammt also aus Zeiten einer CDU/FDP-Regierung. Wir haben es dann Schritt für Schritt zur Anwendung gebracht.

Die Neufassungen beider Gesetze sind Ende April in Kraft getreten und garantieren, dass die Festsetzung von Mindestlöhnen nur gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien stattfindet. Über ihre Köpfe hinweg kann auch in Zukunft nichts entschieden werden.

Nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz kann ein bestehender Mindestlohntarifvertrag auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien auf die gesamte Branche erstreckt werden. Beim erstmaligen Antrag in einer Branche wird zunächst der Tarifausschuss beteiligt, sodass auch die Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber beteiligt sind. Nach dem neuen Gesetz wird damit der Einfluss der Koalitionen und der Spitzenorganisationen auch direkt gestärkt.

Insgesamt wurden sechs zusätzliche Branchen in das Entsendegesetz aufgenommen. Und zwar die Pflegebranche, Sicherheitsdienstleistungen, die Abfallwirtschaft, Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II oder SGB III, Großwäschereien und Bergbauspezialarbeiten.

Für die Pflegebranche sind wir dabei einen Sonderweg gegangen, um dem großen Anteil kirchlicher Arbeitgeber Rechnung zu tragen. Denn Einrichtungen, die einen karitativen Auftrag verfolgen, steht die Möglichkeit der Arbeitsvertragsgestaltung auf dem so genannten Dritten Weg zur Verfügung. Damit steht in dieser Branche neben der tariflichen Vertragsgestaltung ein weiterer Weg zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen zur Verfügung, der den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Es war klar, dass kein System dem anderen einfach übergestülpt werden kann.

Deswegen wird für den Pflegebereich eine Kommission gebildet, in der die Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen genauso vertreten sind wie die Dienstgeber und -nehmer der kirchlichen Kommissionen. Es war mir wichtig, dass diese Kommission nur mit klaren Quoren entscheiden kann, die sicherstellen, dass ein Mindestlohn niemals über die Köpfe der Kirchen hinweg festgelegt werden kann.

Mit dem neuen Arbeitnehmerentsendegesetz wird es jetzt möglich, über drei Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Mindestlöhne eine erträgliche Bezahlung ihrer Arbeit zu gewährleisten. Insgesamt haben wir in Deutschland zwischen 27 und 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Der Vergleich macht deutlich, dass wir mit den gefundenen Regelungen bereits jetzt einen großen Teil der problematischen Sektoren abdecken können.

Das Mindestarbeitsbedingungengesetz sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Zunächst identifizieren die Sozialpartner gemeinsam mit anderen Experten Wirtschaftszweige, in denen soziale Verwerfungen bestehen. Es wird ein Hauptausschuss gebildet, in den je zwei Mitglieder auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter entsandt werden sowie zwei weitere Mitglieder und der oder die Vorsitzende auf Vorschlag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Wenn dort ein Wirtschaftsbereich ausgemacht wird, für den die Festsetzung von Mindestentgelten notwendig erscheint, befasst sich anschließend ein ebenfalls paritätisch besetzter Fachausschuss mit der konkreten Höhe. Hier entsenden die Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter je drei Mitglieder und der Vorsitz wird auf Vorschlag des Arbeitsministeriums besetzt.

Meine Damen und Herren,

wenn ich diese Einzelheiten erwähne, dann um deutlich zu machen, wie wichtig es uns war, die Tarifpartner bei der Festsetzung von Mindestlöhnen zu stärken. Einen Alleingang staatlicher Stellen kann es nach den gefundenen Regelungen nicht geben. Dahingehende Befürchtungen entbehren jeder Grundlage.

Eine solche Stärkung der Sozialpartner ist auch im Bereich der Leiharbeit dringend notwendig. Die Entwicklungen in der Leiharbeitsbranche sind der Gradmesser für Entwicklungen in der Arbeitswelt insgesamt. Denn Leiharbeit gibt es quer durch alle Branchen.

Deswegen war ich wirklich froh, dass wir uns im Rahmen des Konjunkturpakets II in der Koalition auch hier auf ein Verfahren zur Festsetzung einer Lohnuntergrenze einigen konnten. Wir hatten vereinbart, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Lohnuntergrenze zu definieren, die die Tarifautonomie wahrt. Ich habe in der Folge sechs Vorschläge gemacht, wie man dies umsetzen könnte. Der Wille des Koalitionspartners war aber nicht da, den eigenen Beschluss auch umzusetzen.

Eine Lohnuntergrenze ist hier jedoch besonders wichtig. Denn die Leiharbeit ist durch eine besondere Rechtslage gekennzeichnet. Das Gesetz schreibt hier grundsätzlich nach dem Equal-Pay-Prinzip gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Nur durch Tarifvertrag kann von diesem Grundsatz abgewichen werden.

Das führt dazu, dass vor allem die Arbeitgeberseite ein massives Interesse am Abschluss von
nach unten abweichenden Tarifverträgen hat. Es kann daher nicht sein, dass man den niedrigsten Tariflohn einer Kleinstgewerkschaft zur Grundlage einer Lohnuntergrenze macht. Das hieße das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen. Wer das vertritt, sollte so ehrlich sein zuzugeben, dass er oder sie gar keinen Mindestlohn will.

An den tariflichen Niedrigstlohn anzuknüpfen, ist nicht nur sinnlos, sondern verdreht das Ziel sozial unverträgliche Löhne in der Zeitarbeit zu unterbinden in sein Gegenteil. Das immer wieder angeführte Argument, dass nur so die Tarifautonomie gewahrt werden kann, ist nur ein Scheinargument.

Es gibt zum einen einige Zweifel, ob die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) überhaupt tariffähig ist. Das Arbeitsgericht Berlin hat im April ihre fehlende Sozialmächtigkeit festgestellt. Es gilt da abzuwarten, wie die nächste Instanz entscheiden wird.

Zudem vertritt sie nur einen kleinen Bruchteil der Arbeitnehmer. Gegen die Arbeitgeber, die selbst auf einen Tarifvertrag angewiesen sind, um Dumpinglöhne zu zahlen, kann sie sich kaum durchsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es kommt nicht nur darauf an, dass Mindestlöhne festgesetzt und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Papier ist bekanntlich geduldig. Wie jedes Recht müssen sie auch in der Praxis durchsetzbar sein, um ihren Namen zu verdienen.

Die Durchsetzung der Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern obliegt natürlich zum einen Ihnen, den Anwältinnen und Anwälten, den Arbeitsrichterinnen und -richtern. So ist das im Rechtsstaat.

Klar ist aber auch, dass keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber während eines laufenden Arbeitsverhältnisses verklagen wird. Denn wer setzt schon seinen Job aufs Spiel, wenn er auf seinen Lohn dringend angewiesen ist? Deswegen haben wir Ausschlussfristen für die Durchsetzung des Anspruchs auf Zahlung des Mindestlohns ausgeschlossen. Und zwar im Mindestarbeitsbedingungengesetz generell. Im Falle von Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz ist eine Abweichung nur im jeweiligen Mindestlohntarifvertrag, der Grundlage der Erstreckung ist, zulässig und auch das nur, wenn die Frist mindestens sechs Monate beträgt. Auch einen Verzicht auf den Anspruch haben wir
außer im Falle eines gerichtlichen Vergleichs gesetzlich ausgeschlossen. Damit ist gewährleistet, dass die Ansprüche, wenn es hart auf hart kommt, so schnell nicht verloren gehen.

Besser ist aber, es kommt gar nicht erst so weit, dass man vor Gericht ziehen muss. Nicht jede und jeder hat das nötige Selbstbewusstsein und die Kraft, für seine Rechte einzustehen. Besonders Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am unteren Lohnrand haben oft größere Schwierigkeiten, zu ihrem Recht zu kommen. Das hat viele Gründe:
•    Der Grad gewerkschaftlicher Organisation ist in diesen Bereichen im Allgemeinen geringer,
•    Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in unserem Rechtssystem nicht im gleichen Maße zu Hause sind, nehmen ausbeuterische Bedingungen zum Teil eher hin,
•    Migrantinnen und Migranten haben zusätzlich zur fehlenden Vertrautheit mit den Institutionen manchmal auch mit Sprachproblemen zu kämpfen.

Eine effektive staatliche Kontrolle ist daher unerlässlich. Wir haben sie daher in eine
bewährte Hand gelegt. Die Zollverwaltung wird die Einhaltung von Mindestlöhnen flächendeckend überprüfen. Bei Verletzungen drohen empfindliche Geldbußen bis zu 500.000 Euro. Nur wenn die auch zur Anwendung kommen, können sie ihre Abschreckungswirkung entfalten. Keiner darf sich denken, er oder sie wird schon davonkommen.

Im Baugewerbe haben wir über viele Jahre gute Erfahrungen mit diesem System gemacht. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in den neu hinzukommenden Branchen gut hinbekommen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

meine Ausführungen haben, denke ich, gezeigt, dass die Rechtslage differenziert und für den Laien nicht ganz einfach zu durchschauen ist. Wir Juristen sind das gewohnt und können damit umgehen.

Für mehr Rechtsklarheit wäre es allerdings wünschenswert, einen einheitlichen Mindestlohn zu haben. Da weiß dann wirklich jede und jeder, woran sie oder er ist und kann mit einem Blick auf seine Lohnabrechnung erkennen, ob die so in Ordnung ist.

Das würde so ganz automatisch auch die Durchsetzbarkeit des Lohnanspruchs verbessern. Wir haben in dieser Legislaturperiode schon einiges erreicht. Aber ich will nicht verhehlen: Eine für jeden transparente Regelung würde es noch einfacher machen, sein Recht auch wahrzunehmen. Ein flächendeckender Mindestlohn schützt alle und wäre bedeutend weniger kompliziert. Wir gehen jetzt Schritt für Schritt voran. Aber das Ziel bleibt klar.

Vielen Dank!