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09.05.2009

Interview mit der Frankfurter Rundschau

Herr Scholz, wann lesen Sie morgens Zeitung?

Das ist unterschiedlich. Meistens so um sieben oder acht Uhr.

Dann haben Sie sich am Montag der vergangenen Woche innerhalb von acht Stunden ein neues Gesetz ausgedacht...


Wir sind schnell!

Na ja. An jenem Morgen war über eine möglicherweise drohende Rentenkürzung in 14 Monaten berichtet worden. Bereits am Nachmittag kündigten Sie eine gesetzliche Renten-Garantie an. Man könnte auch von einer Panikreaktion im Vorwahlkampf sprechen...

Unsinn. Ich war stinksauer darüber, dass jemand mit einer haltlosen Meldung die Rentnerinnen und Rentner verunsichert. Der Hinweis darauf, dass wir andere Ergebnisse errechnet haben, hätte nicht gereicht. In den nächsten Monaten hätte uns täglich ein neuer Experte mit einem Schreckensszenario beglückt. Dem kann man nur durch eine klare gesetzliche Regelung entgegentreten. Die Rentenversicherung braucht Vertrauen. Es hat noch nie Rentenkürzungen in der Bundesrepublik gegeben. Das wird auch in Zukunft so sein.

Trotzdem hat sich Ihr Kollege und Ex-Minister Norbert Blüm scharf von Ihrem "Hüftschuss" distanziert: "Mit denen will ich nicht verwechselt werden."

(lacht): Das möchte ich umgekehrt auch nicht.

Deshalb meiden Sie den Slogan: "Die Rente ist sicher"?

Ja. Der Slogan stammt aus der Zeit, als Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung tatsächlich auf die lange Strecke nicht ausgeglichen waren. Aber heute, nachdem wir tapfer Reformen durchgesetzt haben, bescheinigen uns alle internationalen Organisationen, dass Deutschland die demografischen Herausforderungen bei der Rente bewältigt hat.

Also ist jetzt die Rente sicher?

Die Rentenfinanzen sind wieder stabil.

Aber die mehrfachen Eingriffe der großen Koalition zugunsten der Rentner haben einen Preis: Die Beiträge werden im nächsten Jahrzehnt kaum auf 19,1 Prozent sinken können, wie Sie es noch im November angekündigt haben.

Moment! Nach den Wirtschaftsprognosen der Bundesregierung gehen wir nicht davon aus, dass die Renten-Garantie zum Tragen kommen muss. Sie wird also voraussichtlich keine finanziellen Auswirkungen haben. Im übrigen halten wir an dem Ziel fest, den Beitrag bis 2020 nicht über 19,9 Prozent und bis 2030 nicht über 22 Prozent klettern zu lassen.

Verstehen wir die Andeutung richtig: Unter 19,9 Prozent wird der Beitrag nicht sinken?

Das wird schwierig.

Und den Rentnern drohen nach 2011 eine Reihe von Nullrunden?

Ich will niemandem Sand in die Augen streuen: Eine schlechte Wirtschaftsentwicklung wird sich auch bei den Renten niederschlagen. Große Sprünge wird es kaum geben.

Im Aufschwung hielten Sie Vollbeschäftigung für möglich. Würden Sie den Satz heute wiederholen?

In dieser Krise sind Prognosen besonders schwer. Dennoch haben wir im nächsten und übernächsten Jahrzehnt eine fast einmalige Chance: Durch die demografische Entwicklung wird es zu unübersehbarem Arbeitskräftemangel kommen. Die Chance liegt darin, die jungen Leute gut auszubilden, die Arbeitnehmer zu qualifizieren. Wenn die Gesellschaft hier versagt, werden wir sowohl Arbeitskräftemangel als auch hohe Arbeitslosigkeit haben.

Vollbeschäftigung bleibt also ein realistisches Ziel?

Wenn wir das Richtige tun, haben wir auf mittlere Sicht die Chance auf Vollbeschäftigung.

Gerade für die jungen Leute, die eine Ausbildung suchen, sieht es aber düster aus.

Wenn wir jetzt nichts tun, droht ein großes Problem am Ausbildungsmarkt im Herbst. Kein Unternehmen darf weniger ausbilden, als in den früheren Jahren. Und einige müssen noch eine Schippe drauflegen.

Was sagen Sie den Betrieben?

Es ist unmoralisch, Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz anzubieten, nur weil sie das Pech haben, im falschen Jahr mit der Schule fertig zu werden. Und ist es auch unvernünftig, jetzt in der Krise die Zahl der Ausbildungsplätze zu reduzieren. Die Unternehmen können sich jetzt schon ausrechnen, wie viele Fachkräfte ihnen in wenigen Jahren fehlen werden.

Die Wirtschaft verweist auf die sinkenden Schülerzahlen, die für Entlastung sorgten.

Ich kann die Wirtschaft nur warnen: Auf solche Spielchen lasse ich mich nicht ein. Wir brauchen wie in den Vorjahren 600 000 Ausbildungsplätze. Darunter darf es nicht gehen. Ich bin dagegen, dass man mit Taschenspielertricks dieses Ziel vernebelt.

Was heißt das?

Den Hinweis auf sinkende Schülerzahlen und demografische Entwicklungen akzeptiere ich nicht. Auch bei über 600 000 Ausbildungsplätzen hatten wir in den vergangenen Jahren eine große Zahl an Altbewerbern, die keine Lehrstelle gefunden haben. Eigentlich bräuchten wir über ein, zwei Jahre deutlich mehr als 600 000 Ausbildungsplätze.

Europa hat in der Krise die Erwartungen nicht erfüllt. Siegen, wenn es eng wird, immer die nationalen Egoismen?

Ich hoffe nicht. Europa hat in der Krise nach meinem Eindruck geschlossen gehandelt. Mir ist eines wichtig: Die Krise darf nicht von denen genutzt werden, die schon immer den Sozialstaat schwächen wollten. Wir müssen uns darauf verständigen, dass die wirtschaftliche Stärke Europas auf seinen sozialstaatlichen Traditionen beruht. Und das muss auch so bleiben. Gewerkschaften und SPD verfolgen in Europa gemeinsame Ziele.

Droht der Europäische Gerichtshof Arbeitnehmerrechte zunehmend auszuhöhlen?


Leider ja. Die Tarifautonomie gehört zu einem demokratischen Europa ebenso dazu wie die Möglichkeit, durch Vergaberichtlinien bei öffentlichen Aufträgen für die Einhaltung sozialer Standards zu sorgen. Beides hat der Europäische Gerichtshof durch falsche Interpretationen leider in Frage gestellt. Er muss seine Rolle neu definieren und einen Weg finden, die soziale Legitimation Europas zu gewährleisten.


Interview: Karl Doemens und Markus Sievers 

 

Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Frankfurter Rundschau.