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08.12.2011

Der Triumph der Stadt - Ein Beitrag in 'Berliner Republik' 5/2011

Der Harvard-Ökonom Edward Glaeser erklärt, was Städte lebenswert macht

Von Olaf Scholz

 

 

…whether in London’s ornate arcades or Rio’s fractious favelas, whether in the high-rises of Hong Kong or the dusty workspaces of Dharavi, our cultur, our prosperity, and our freedom are all ultimately gifts of people living, working, and thinking together the ultimate triumph of the city. (Edward Glaeser)

 

 

Wenn heute in der deutschen Politik von den Städten die Rede ist, dann geht es in der Regel um die Probleme, die das Leben in hoch verdichteten Räumen mit sich bringen kann: um mangelnden Wohnraum, verstopfte Straßen, hohe Umweltbelastung und soziale Spannungen. Das Leben in der Stadt erscheint angesichts dann schnell als Zumutung, als Schicksal derjenigen, die sich das Häuschen im Grünen nicht leisten können und auf Gedeih und Verderb an ihre 60-Quadratmeter-Wohnung im innerstädtischen Geschossbau gefesselt sind.

 

Der Harvard-Ökonom Edward Glaeser weist diese posturbane Larmoyanz in seinem Buch The Triumph of the City souverän zurück und entwirft ein zwingendes Gegenbild. Die großen Städte sind nämlich keine elende Begleiterscheinung der Moderne. Sie sind vielmehr ihr Kern und ihr Katalysator, ein Laboratorium des Neuen: Hier schaffen Kultur und Wissenschaft Erkenntnis. Hier entstehen aus Mut und Intelligenz neue Unternehmen und neue Jobs. Hier wollen Bürgerinnen und Bürger leben, weil sie hier Lebens-Perspektive und Lebensqualität finden. Große Städte haben Zukunft. Sie können so wachsen, dass Wohlstand, Lebensqualität, Wirtschaftskraft, Kultur und Wissenschaft davon profitieren.

 

Glaeser zitiert die historische Entwicklung der Städte genauso wie aktuelle Beispiele kluger Stadtpolitik: Städte sind entstanden, weil diejenigen zusammenkamen, die etwas Neues anfangen wollten. In den Städten sind die großen Erfindungen der Menschheit gemacht worden von der athenischen Demokratie bis zu den modernsten Technologien.

 

Anschaulich beschreibt Glaeser, wie Wohlstand in Städten entsteht, warum er Hochhäuser sinnvoll findet und Vororte problematisch. Und er erklärt warum die Gründe für den Niedergang großer Städte vergleichbar sind, während ihr Erfolg jeweils spezifische Gründe hat.

 

Von der heutigen Politik moderner Städte verlangt Glaeser vor allem einen klaren Blick für eine gute funktionierende Infrastruktur: Gute Schulen und Hochschulen, erstklassige Betreuungsmöglichkeiten, ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr, ausreichend Baufläche und die Möglichkeit zu mutiger Stadtentwicklung sind für ihn die Essentials kluger Stadtpolitik.

 

Das heißt insbesondere, dass wir das Wohnen in der Stadt ermöglichen müssen sicher, bezahlbar und in angemessener Qualität. Mehr Wohnraum erreichen wir dabei auch durch Verdichtung. Glaeser plädiert vehement dafür, den Fahrstuhl zum Motor des Städtebaus zu machen und nicht das Auto. Vor dem Hintergrund der diesbezüglich viel extremeren amerikanischen Entwicklung zeichnet er nach, wie der Flächenfraß der Zersiedlung in den suburbs Städte und Umwelt zerstören und wirtschaftliche Entwicklung hemmen kann. Um ausreichend Wohnraum zu schaffen, so Glaesers Schlussfolgerung, sollten Städte in die Höhe bauen und nicht in die Breite. Dann bliebe jene innerstädtische Dichte erhalten, in der sich die soziale und wirtschaftliche Innovationskraft der Stadt schon so oft bewiesen habe:

 

Wo viele Menschen zusammenleben entstehen nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen. Die wenigsten Ideen sind in Studierstuben entstanden und auch nicht in Internet-Foren oder per E-Mail zwischen Bagalore, Seattle und Hamburg. Viele gute Ideen entstehen beim Bier in der Szene. Aus gemeinsamen Interessen wird eine Idee, aus der Idee wird ein Plan und aus dem Plan ein konkretes Projekt. Zusammenleben und Kreativität gehören zusammen und sind für die Zukunft der Städte von größter Bedeutung.

 

Nur wenn die Infrastruktur belastbar funktioniert können attraktive und provozierende Medien- und Kreativszenen ihre treibende Wirkung für die Stadt entfalten. Wer im Zuge der Debatte um die Creative Class nur auf das zweite Standbein der Stadtentwicklung setzt, der nimmt in Kauf, dass das Leben in der Stadt für viele ihrer Einwohner unattraktiv wird.

Die Akzeptanz städtischer Regierungen entscheidet zur Recht in erster Linie daran, ob sie die Infrastruktur der Stadt klug und zukunftsorientiert managen können. Wenn das gelingt, dann entstehen die Entwicklungsräume lebenswerter Städte, die gleichermaßen auf modernen, ökologischen Industrien, auf hochqualitativen Dienstleistungen und auf kultureller Kreativität beruhen, letztlich von selbst.

 

Dieser klare Fokus darf aber nicht vergessen machen, dass sich die Politik der Stadt auch an dem heterogenen kreativen Diskurs beteiligen können muss, den große Städte hervorbringen. Diesen Aspekt akzentuiert Glaeser nicht ausreichend. Das autokratische Politikmodell Singapurs hat zwar eine prosperierende Stadt durch rigide Vorgaben geschaffen, wird sich aber in Zukunft öffnen müssen, wenn die Stadt sich dauerhaft weiterentwickeln soll.

 

Große Städte sind immer auch offene Städte: Offen für alte Wünsche, neue Ideen und konkrete praktische Verbesserungen. Ihre Politik muss dem entsprechen!

 

 

> der Artikel auf der Website der 'Berliner Republik'