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24.11.2008

"Deutschland ist besser gerüstet als früher"

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Minister, Sie fahren ein rotes, 16 Jahre altes BMW-Coupé. Haben Sie etwas gegen Opel?

Olaf Scholz: Nein. Ich bin einfach an die Marke BMW gewöhnt. Schon mein Vater ist BMW gefahren.

Wie schnell wird sich die Krise auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Genau wissen wir das nicht. Doch Deutschland ist besser gerüstet als früher. Das zeigt sich ja auch daran, dass wir zum ersten Mal seit 16 Jahren weniger als drei Millionen Arbeitslose haben. Wir müssen jetzt nach dem Schutzschirm für die Finanzmärkte einen für die Arbeitsplätze aufspannen.

Wie soll denn der aussehen?

Die Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung sind ein solcher Schutzschirm. Wir unterstützen Unternehmen, damit sie Investitionen vorziehen und geplante Investitionen nicht aufgeben. Und: Wir müssen sie davon überzeugen, dass sie an ihren Beschäftigten festhalten. Darum verlängern wir das Kurzarbeitergeld von sechs Monaten auf 18 Monate. Und die Zahl der Arbeitsvermittler für ALG-II-Empfänger wird in kurzer Zeit um 7000 erhöht werden, die Arbeitsagentur stellt für die Job-to-Job-Vermittlung tausend zusätzliche Mitarbeiter ein.

Mit welchen Arbeitslosenzahlen rechnen Sie im kommenden Jahr?

Alle Vorhersagen sprechen von einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Aber wir sollten uns darauf vorbereiten, dass es auch schlimmer kommen kann.

Vor wenigen Wochen haben Sie noch Vollbeschäftigung in einigen Jahren versprochen. Bleiben Sie dabei?

Ja, daran halte ich für die Mitte des nächsten Jahrzehnts fest. Eine demokratische Marktwirtschaft muss dieses Ziel verfolgen, sonst provoziert sie den Zynismus der Bürger. Wir müssen jedem das Versprechen geben können, dass er eine Arbeit finden kann, wenn er sich Mühe gibt.

Aber in den Chefetagen wird doch schon überall über Stellenabbau geredet!

Klar. Ich will da niemandem Sand in die Augen streuen. Aber die Arbeitslosigkeit, die wir heute haben, ist eben nicht nur konjunkturell, sondern vor allem strukturell bedingt. 500 000 Arbeitslose sind ohne Schulabschluss. Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keinen Berufsabschluss. Wir dürfen es einfach nicht länger dulden, dass jedes Jahr 80 000 junge Leute ohne Abschluss die Schule verlassen. Jeder muss sein Leben lang den Hauptschulabschluss nachholen dürfen. Und das haben wir gerade durchgesetzt. Wir können also etwas tun.

Vor einem Jahr sind Sie Arbeitsminister geworden, als Franz Müntefering zurücktrat. Mittlerweile ist er SPD-Chef, Frank-Walter Steinmeier ist Kanzlerkandidat, aber mit der SPD geht es nicht bergauf.

Aus den Schwierigkeiten, die die SPD hat, haben wir auch eines gelernt: Die Union kann davon nicht relevant profitieren. Für uns heißt das: Wir müssen bis zur Bundestagswahl so viel wie möglich aufholen und im Endspurt vorn liegen. Mit dem Lauf haben wir gerade begonnen. Trauen Sie uns eine gute Kondition zu.

Wir trauen der SPD alles zu. Nur liegen Sie zehn Prozentpunkte hinter der Union. Nicht einmal aus dem Thema Finanzkrise kann die SPD Honig saugen.

Bleiben Sie gelassen, wir bleiben es auch. Jeder Tag Finanzkrise ist ein Argument dafür, dass man nur in einem Sozialstaat gut leben kann. Die Partei des deutschen Sozialstaats, die SPD, ist dafür der Garant.

Schöne Lyrik, aber die SPD ist zerrissener denn je. Das Paradebeispiel ist Hessen. Dort straft die SPD diejenigen, die den Linkskurs von Frau Ypsilanti gestoppt haben, als Verräter ab.


Gewissensentscheidungen sind jedem Abgeordneten vorbehalten. Das sehen fast alle in der SPD so. Fast alle finden aber auch, dass es gut ist, wenn einem das Gewissen nicht erst in der letzten Minute einfällt.

Wie sollte die Partei mit den Dissidenten umgehen?

Eine Gewissensentscheidung muss man respektieren, ob sie einem nun gefällt oder nicht. Das gehört zum Wesen der Demokratie.

Was haben Sie denn von Ypsilantis Kurs gehalten, eine Regierung unter Duldung der Linkspartei zu bilden?

Die Landesverbände entscheiden über solche Fragen. Die Hamburger SPD, der ich angehöre, ist nach der Wahl bei ihrer Wahlaussage geblieben, nicht mit der Partei Die Linke gemeinsame Sache zu machen. Als Hamburger sage ich: Wir haben das richtig gemacht. Allerdings kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen: Was der Herr von Beust in seinem Koalitionsvertrag vereinbart hat, hat problematische Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und ist ein Bruch von Wahlversprechen.

Beim BKA-Gesetz kassiert nun die SPD in den Ländern ein, was die Partei im Bund beschlossen hat. Können Müntefering und Steinmeier den Laden nicht zusammenhalten?

Doch. Aber wer Ihnen erzählt hat, dass Politik machen einfach ist und dass alle Hand in Hand einen schönen Reigen tanzen, der hat Ihnen etwas Falsches erzählt.

Sie klingen wie der ehemalige SPD-Generalsekretär Scholz.

Nein, damals habe ich nie vom Reigentanzen gesprochen. Und danach sah es während meiner Amtszeit auch nicht aus.

Das Thema Linkspartei wird die SPD abseits von Hessen nicht loslassen: In Thüringen, im Saarland, in Brandenburg sind im kommenden Jahr rot-rote Bündnisse wahrscheinlich.

Was die Entscheidung in den Ländern angeht, so gebe ich Ihnen gern die Telefonnummern der einzelnen Landesvorsitzenden. Was die Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag angeht: Wir haben mit keiner Partei so wenig Übereinstimmung in Fragen der Bundespolitik wie mit der Partei Die Linke. Wir sind nicht einig in Fragen der Außenpolitik, auch nicht darin, wie man innere Sicherheit und Liberalität gewährleistet. Wir sind uns überhaupt nicht einig, welche Bedeutung stabile Sozialversicherungen haben, die mit einem vertretbaren Beitrag für Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert werden. Und deshalb werden wir mit dieser Partei im Bund in keiner Konstellation zusammenarbeiten.

Mindestlohn, höhere Renten, längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes - sozialpolitisch sind sich Linkspartei und SPD doch ähnlich?

Sicher ist es so, dass die Aktivisten in der Partei Die Linke ein Herz haben für die Leute, denen es sehr schlecht geht, so wie die Sozialdemokraten auch. Aber in der Frage, was man tun muss, haben wir völlig unterschiedliche Vorstellungen. Wir sagen: Wer sich anstrengt, muss davon etwas haben. Jeder muss eine realistische Aussicht auf Arbeit haben. Niemand darf am Wegesrand zurückbleiben. Das unterscheidet uns fundamental von der Partei Die Linke. Deren Thema ist es eben nicht, dass sich alle Bürger aus schlechten Lebensverhältnissen emanzipieren, sondern nur die bessere Ausgestaltung der Umstände. Das ist auch wichtig, aber nicht genug. Der größte Irrtum, den man begehen kann, ist, aus der Tatsache, dass man den gleichen Leute helfen will, zu schließen, dass man einer Meinung sei. Das begreiflich zu machen ist eine der zentralen Aufgaben der SPD.

So wie es heute aussieht, kann die SPD nur darauf hoffen, dass sie nach der nächsten Wahl wieder als Juniorpartner bei der Union unterschlüpft.

Nur die SPD hat mehrere Machtoptionen. Es ist doch unwahrscheinlich, dass es eine Mehrheit für eine große und eine kleine Partei geben wird, solange fünf Fraktionen im Deutschen Bundestag sitzen. Unter diesen Umständen sind zwei Formen einer Regierungsbildung plausibel: eine große Koalition oder eine Ampel von SPD, Grünen und FDP. Beides setzt eine starke SPD voraus. Wir setzen darauf, dass es einen sozialdemokratischen Kanzler geben wird.



Die Fragen stellten Oliver Hoischen und Markus Wehner.