Seit einigen Wochen erleben wir eine beispiellose Renaissance des Sozialstaates. Angesichts der Entwicklungen der internationalen Finanz- und Kreditkrise lernen viele Bürgerinnen und Bürger die Vorzüge einer stabilen sozialen Ordnung neu zu schätzen. Jetzt zahlt es sich aus, dass wir unter erheblichen Anstrengungen den Sozialstaat auf ein sicheres neues Fundament gestellt haben.
Unsere Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen haben bewiesen, dass politisches Handeln weitreichende Veränderungen durchsetzen kann. Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen liegen knapp unter drei Millionen. Sie zeigen, dass wir das Richtige getan haben und besser als früher für schwierige Zeiten gerüstet sind. Aber sie sind kein Grund sich auszuruhen, im Gegenteil.
Niemand kann derzeit vorhersagen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt, aber dass die Finanzkrise und die schlechten Aussichten für die Konjunktur nicht spurlos bleiben werden, ist wahrscheinlich. Deshalb brauchen wir angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen neben konkreten Impulsen für mehr Beschäftigung vor allem ein Signal an die Betriebe, dass sie an ihren Beschäftigten festhalten sollen. Deshalb verlängern wir die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf 18 Monate und fördern verstärkt Qualifizieren statt Entlassen.
Diese konkreten Maßnahmen liegen auf der Linie der Grundentscheidungen, die wir im zurückliegenden Jahr getroffen haben. Denn nachdem wir die großen Breschen für mehr Beschäftigung bereits in der vergangenen Legislaturperiode geschlagen haben, haben wir in den zurückliegenden Monaten wichtige Klärungen herbeigeführt auch solche, mit denen niemand gerechnet hatte. Unter dem Strich hat jede einzelne Entscheidung unser Land, unseren Arbeitsmarkt und unseren Sozialstaat moderner und sozialer gemacht.
Die Bürgerinnen und Bürger verlangen von uns pragmatische und vor allem funktionierende Lösungen für ihre Probleme. Unrealistische Versprechungen und Maximalforderungen dagegen, die nie verwirklicht werden können schaffen keine Sicherheit und kein Vertrauen in unseren Sozialstaat. Für uns gilt das alte Versprechen Willy Brandts: Wir schaffen das moderne Deutschland. Das ist eine dauerhafte Aufgabe.
Wir modernisieren das Arbeitsverhältnis
Arbeit ist gerade für uns in Deutschland von hoher kultureller Bedeutung. Wir tun unsere Arbeit nicht allein des Geldes wegen, sondern um ihrer selbst Willen. Wir wollen sie gut machen. Und als Arbeitende wollen wir als Personen ernst genommen werden. Das muss die Richtschnur unserer Politik sein, wenn wir unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen das Arbeitsverhältnis modernisieren. Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird sicher flexibler sein müssen als in vergangenen Jahrzehnten. Es ist die Aufgabe guter Politik, Lösungen zu entwickeln, mit denen unter den veränderten Bedingungen auch weiterhin Sicherheit und Arbeitszufriedenheit gewährleistet werden können.
Bestes Beispiel dafür ist der Mindestlohn. Wir haben Ende 2007 die Briefdienstleister ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Baubranche und Gebäudereiniger sind schon drin. Und wir haben aktuell mit der Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und der Modernisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes zwei Vorhaben im parlamentarischen Verfahren, mit denen wir Mindestlöhne für Millionen Menschen möglich machen werden. Das ganze Kabinett hat die Entwürfe gebilligt auch der Wirtschaftsminister. Die erste Lesung hat bereits stattgefunden. Die Gesetze können um den Jahreswechsel vom Bundestag verabschiedet werden. Aktuell verhandeln wir in der Koalition über die Branchen, die in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden sollen. Die Zeitarbeit muss dabei sein. Eine große Reform nimmt Gestalt an.
Das gilt ebenfalls für unser zweites Modernisierungsvorhaben, die verbesserte Absicherung und Ausgestaltung von Arbeitszeitkonten. Dahinter steckt die Möglichkeit, auf einem Langzeitkonto angesparte Wertguthaben in der Elternzeit, für Weiterbildung oder für einen gleitenden Ausstieg aus dem Beruf zu verwenden. Bislang sind solche Guthaben (vor der Insolvenz) nur wenig geschützt. Außerdem müssen sie beim Jobwechsel aufgelöst werden. Beides ändern wir. Über diese Reform wurde seit zehn Jahren vergeblich verhandelt. Schon in der ersten Runde des vom gerade neu gewählten Kanzler Gerhard Schröder gebildeten Bündnisses für Arbeit stand sie auf der Tagesordnung. Wenn die Sozialpartner klug mit der Neuregelung umgehen, dann haben wir hier die Grundlage für lebenslang nutzbare Arbeitszeitkonten gelegt, die ein hohes Maß an Souveränität in der Lebensplanung ermöglichen. Arbeitszeitkonten, auf die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein- und auszahlen, gehören sicher bald auch in mittelständischen Unternehmen zum Alltag fast jeden Arbeitsverhältnisses.
Arbeit die notwendige Wertschätzung entgegenzubringen, darum geht es auch bei der Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Unternehmen und Unternehmensgewinnen. Während in Deutschland zwischen 2003 und 2007 die Gewinne und Kapitaleinkommen um 37,6 Prozent gestiegen sind, waren es bei den Arbeitseinkommen gerade einmal 4,3 Prozent. Vor diesem Hintergrund haben wir im Frühjahr eine Einigung in der Koalition darüber erzielt, wie wir die Mitarbeiterkapitalbeteiligung besser fördern wollen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen das mit einer Fondslösung künftig besser organisieren können. Das Gesetz wird am 1. April 2009 in Kraft treten.
Wir kümmern uns um gute Arbeit und wir wollen angesichts des demographischen Wandels die Humanisierung der Arbeitswelt weiter voranbringen. Mit der Neuorganisation der Unfallversicherung und der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie und der Neuordnung der arbeitsmedizinischen Vorsorge haben wir das Feld bereitet. Auch die vielen Projekte der Initiative Neue Qualität der Arbeit leisten Wichtiges. Wir wollen auf diesem Grund jetzt Strategien entwickeln, die altersgerechtes und alternsgerechtes Arbeiten ermöglichen. Man darf mit 22 nicht körperlich so beansprucht werden, dass man mit 52 nicht mehr kann. Die Belegschaften altern derzeit stetig. Weder die Unternehmen, noch die übrige Gesellschaft sind darauf eingestellt. Wir werden die Erfahrung und die Leistungsfähigkeit der Älteren brauchen. Nur wenn Ältere und Jüngere zusammen arbeiten, können wir den Wohlstand unseres Landes sichern.
Mittlerweile besteht unter den verantwortlichen Ressorts Einigkeit, dass die Rechte von Praktikantinnen und Praktikanten verbessert werden. Das ist ein guter Fortschritt. Das Kabinett wird bald über die Gesetze geschließen.
Wir öffnen neue Wachstums- und Beschäftigungschancen
Deutschlands Arbeitsmarkt steht vor zwei unterschiedlichen Szenarien für die Mitte des nächsten Jahrzehnts. Entweder werden wir Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit zugleich beklagen oder über ausreichend Fachkräfte verfügen und kaum Arbeitslosigkeit registrieren. Welches der beiden Szenarien eintritt, entscheidet sich heute in den Familien, den Kindergärten, den Schulen und Universitäten und der betrieblichen Ausbildung. Die Kultusverwaltungen und Unternehmen stehen in der Verantwortung.
Dass heute fast 8 Prozent der Schüler die Schule verlassen, ohne einen Schulabschluss erreicht zu haben, ist nicht naturgegeben, sondern ein handfester Skandal. Es ist ein Fall von Staatsversagen. Wenn wir wollen, dann können wir das ändern. Deshalb ist es ein Erfolg, dass beim Bildungsgipfel in Dresden neben dem öffentlichen Streit um die Frage, wer, wann, wem, wie viel und welches Geld gibt oder nicht aus der Sicht des Arbeitsministeriums vernünftige Vereinbarungen erzielt wurden. Dazu zählt z.B., dass künftig flächendeckend der Sprachstand vor der Einschulung geprüft werden soll, dass in allen Schulen, die auf einen Hauptschulabschluss hinführen, zusammen mit der Bundesagentur eine Berufsorientierung angeboten wird und dass in den Vorabgangsklassen der Schulen Kompetenzfeststellungen und Beratung mit der Bundesagentur für Arbeit zusammen etabliert werden. Vor allem aber haben die Länder zugesagt, die Zahl der Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, zu halbieren.
Dass wir es jetzt auch geschafft haben, den Rechtsanspruch auf die Vorbereitung zum Nachholen eines Hauptschulabschlusses mit in den Katalog der arbeitsmarktpolitischen Instrumente aufzunehmen, ist ein guter Erfolg und das Signal, dass wir die über 500.000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss nicht alleine lassen auch wenn sie 25, 35 oder 45 Jahre alt sind. Wir geben ihnen die Chance auf einen neuen Start.
Das gilt erst recht für junge Menschen. Deshalb unterstützen wir mit dem Ausbildungsbonus seit kurzem Betriebe, die einem Altbewerber, also jemandem, der länger als ein Jahr einen Ausbildungsplatz vergeblich sucht, eine Chance auf einen Ausbildungsplatz geben. Die aktuellen Ausbildungszahlen sehen zwar besser aus als in den Jahren zuvor, aber wir haben in diesem Jahr erstmals mehr Altbewerber als neue Ausbildungsplatzsuchende. Diesen fatalen Trend wollen wir brechen und künftig verhindern, dass junge Menschen viele Jahre nach einem Ausbildungsplatz suchen. Aus diesem Grund haben wir neben dem Bonus auch die Möglichkeit geschaffen, Berufseinstiegsbegleiter zu finanzieren, die Schülerinnen und Schüler schon vor dem Abschluss helfen sollen, absehbare Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in das Berufsleben zu vermeiden. Vorbild dafür sind die vielerorts erfolgreich laufenden ehrenamtlichen Patenschafts-Modelle.
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich verbessert, aber sie ist im Vergleich zu früher nach wie vor nicht zufriedenstellend. Der Ausbildungspakt funktioniert. Das lässt sich daran ablesen, dass wir in diesem Jahr nicht mehr nur 500 000, sondern wahrscheinlich 640 000 Ausbildungsplätze haben werden. Aber wenn man bedenkt, dass es in den 80er Jahren in jedem Jahr über 600 000 allein im Westen gewesen sind, in einigen Jahren sogar mehr als 700 000, dann sieht man, dass wir noch nicht am Ziel sind. Solange wir noch die geburtenstarken Jahrgänge haben, brauchen wir eigentlich mehr als 700 000 Ausbildungsplätze pro Jahr. Duale Ausbildung ist die wichtigste Ausbildung in Deutschland. Selbst wenn wir es schaffen, 40 Prozent eines Jahrgangs an die Universitäten zu bringen, sind 60 Prozent auf eine Berufsausbildung angewiesen.
Wir haben bereits im Sommer in der Koalition mit dem Aktionsprogramm zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland eine moderne Regelung für die Zuwanderung Hochqualifizierter zum Arbeitsmarkt durchgesetzt. Diese Entscheidung bedeutet einen echten Paradigmenwechsel. Ab dem Beginn des nächsten Jahres können Akademiker aus allen EU-Ländern unbeschränkt in Deutschland arbeiten. Hochschulabsolventen aus allen Länder der Welt haben ebenfalls Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, es wird lediglich im Rahmen einer Vorrangprüfung festgestellt, ob es Arbeit suchende inländische Bewerber gibt und Tariflöhne gezahlt und andere Tarifbedingungen eingehalten werden. Wer mehr als die Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung West (ab 1.1.2009: 64.800 Euro) verdienen soll, kann sogar ohne Einschränkungen kommen. Die Absolventen deutscher Auslandsschulen können ohne Beschränkungen in Deutschland arbeiten. Geduldete können schneller eine betriebliche Ausbildung beginnen und insgesamt durch beruflich qualifizierte Arbeit ihren Status verbessern.
In dem Programm, das zum Teil gerade vom Bundestag als Gesetz beschlossen wurde und das wir gerade in Verordnungen umsetzen, kommt klar zum Ausdruck, dass wir Zuwanderung für akademisch qualifizierte Fachkräfte brauchen, dass wir aber gleichzeitig alle Anstrengungen unternehmen, um das inländische Arbeitskräftepotenzial zu heben, auszubilden und zu qualifizieren. Vor allem in den Berufen, deren Qualifikationen in Deutschland im Rahmen einer dualen Berufsausbildung erworben werden, gibt es keinen Fachkräftemangel, der nicht schnell durch verstärkte Ausbildung im eigenen Land behoben werden kann. In Fragen der Deckung des Arbeitskräftebedarfs suchen wir den Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Kräften. Hierzu werde ich eine Allianz einberufen. Ihr sollen die Sozialpartner, Wissenschaftler, Vertreter der Länder und der Bundesregierung angehören.
Haushaltsnahe Dienstleistungen bergen ein erhebliches Beschäftigungspotenzial. Wir wollen dieses Potenzial aus dem Milieu der Schwarzarbeit herausholen. Dies bringt den dort Beschäftigten zusätzliche Chancen für Einkommen und soziale Sicherheit. Deshalb soll die Förderung von Haushalten als Arbeitgeber und als Auftraggeber erheblich verbessert werden. Die mit dem Familienförderungsgesetz nun vorgesehenen attraktiven steuerlichen Vergünstigungen haben wir seit der Kabinettklausur in Meseberg im Arbeits- und Sozialministerium zusammen mit den anderen berührten Ministerien konzipiert. Kern des Modells: Die Zusatzbelastung mit Sozialversicherungsbeiträgen bei legaler Beschäftigung wird durch die steuerlichen Regelungen für die Haushalte kompensiert. Schwarzarbeit ist nicht mehr attraktiver als legale Beschäftigung. Bis zu den jeweiligen Höchstbeträgen erfolgt für den Arbeitgeber bei Beschäftigung eines Minijobbers im privaten Haushalt eine Verdopplung der gegenwärtigen steuerlichen Förderung; die steuerliche Förderung bei Beschäftigung eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im privaten Haushalt wird um rund zwei Drittel angehoben. Wer beispielsweise zu Hause einen Mini-Jobber für vier Stunden à acht Euro pro Woche beschäftigt, kann künftig nicht nur 196 Euro, sondern 393 Euro Steuern sparen.
Außerdem wird der Handwerkerbonus ausgebaut. Ab dem 1.1.2009 wird die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeweitet. Der Steuerbonus wird auf 20 Prozent von 6.000 Euro (= 1.200 Euro) verdoppelt.
Im Kampf gegen die Schwarzarbeit hilft außerdem das Aktionsprogramm der Bundesregierung für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Es enthält ein Bündel an Maßnahmen, um Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung weiter einzudämmen. Hierzu gehört beispielsweise, dass Beschäftigte in Branchen, die von Schwarzarbeit besonders betroffen sind, künftig Ausweispapiere mitführen müssen, um eine schnellere Identifikation möglich zu machen. Außerdem führen wir eine Sofortmeldung in den besonders von Schwarzarbeit betroffenen Wirtschaftsbereichen zum Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme ein. Mit diesen Maßnahmen wird die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung erheblich erleichtert.
Wir schaffen eine moderne Arbeitsvermittlung
Die Zahl der Arbeitslosen ist im Oktober unter drei Millionen gesunken. Der beste Wert seit 16 Jahren. Das ist auch ein Ergebnis der Arbeitsvermittlungsreformen der letzten Legislaturperiode.
Die Arbeitsvermittlung muss neben den Schulen und Universitäten zu den leistungsfähigsten Institutionen unseres Landes zählen. Das ist wichtig, damit jeder, der in diese existenzielle Krise Arbeitslosigkeit gerät, sich darauf verlassen kann, dass alles für ihn getan wird, was möglich und nötig ist. Wir sind mit den Arbeitsvermittlungsreformen diesem Ziel näher gekommen.
Der Erfolg unserer Reformen hat uns neue Spielräume verschafft. Angesichts der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt war es möglich, kontinuierlich den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken, von 6,5 % in 2005 auf strukturell 3,0 % ab 2009 und vorübergehend für 18 Monate sogar auf 2,8 %. Wir konnten den neuen Spielraum aber auch nutzen, um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für über 50-Jährige auf 15 Monate, für über 55-Jährige auf 18 Monate und für über 58-Jährige auf 24 Monate zu verlängern und damit den Gerechtigkeitsvorstellungen vieler Bürgerinnen und Bürger besser zu entsprechen.
Aber wir sind nicht am Ziel: Wir haben uns mit der Reform der Arbeitsvermittlung eine Aufgabe vorgenommen, für die man realistisch ein ganzes Jahrzehnt beharrlicher Anstrengung braucht. Als wir mit den Reformen begannen, war in der alten Bundesanstalt gerade einmal jeder zehnte Sachbearbeiter mit der Vermittlung beschäftigt. Wir wollen am Ende so weit sein, dass sich jeder zweite darum kümmert, dass Arbeitsuchende auch Arbeit finden.
Die Arbeitsvermittler vor Ort leisten wichtige Arbeit. Von der im Rechtskreis SGB II beabsichtigten und nötigen Betreuungsrelation von 1 zu 75 bei unter 25-Jährigen und 1 zu 150 bei den über 25-Jährigen sind wir aber noch 7.000 Stellen entfernt. Deshalb haben wir im Koalitionsausschuss am 5. Oktober vereinbart, 1.900 neue Vermittler im Bereich des SGB II einzustellen. Die restlichen Stellen sollen aus dem Bereich der Leistungssachbearbeitung umgeschichtet werden. Ein Vermittler soll tatsächlich die nötige Zeit haben, sich um diejenigen intensiv zu kümmern, für die er verantwortlich ist. Außerdem werden in den kommenden drei Jahren im SGB II insgesamt 9.700 Stellen entfristet, so dass in den ARGEN künftig maximal zehn Prozent der Beschäftigten einen befristeten Vertrag haben und die Vermittler sich nicht Sorgen um ihre Zukunft, sondern um die Zukunft der Arbeit suchenden Bürgerinnen und Bürger machen.
Auch in der Arbeitslosenversicherung setzen wir den Weg fort, die Vermittlung zu stärken. Hier werden im kommenden Jahr weitere 1.480 Stellen entfristet. Angesichts der aktuellen Finanzkrise wird zudem die Bundesagentur für Arbeit in der Job-to-Job-Vermittlung des SGB III 1.000 neue Vermittler einstellen.
Nach langem Ringen haben wir uns in der Koalition außerdem auf eine Neuordnung und Halbierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente verständigen können. Künftig gibt es statt 52 Instrumenten nur 25. Mein Ziel dabei ist immer gewesen, dass jeder Vermittler nicht umständlich in einem Handbuch nachschlagen muss, um die richtige und wirksame Förderung zu identifizieren, sondern einen Handwerkskasten hat, den er kennt und auch tatsächlich nutzt.
Mit dem Bundesprogramm Perspektive 50plus Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen haben wir für ältere Langzeitarbeitslose neue Wege einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik beschritten. In 62 regionalen Beschäftigungspakten, die vom Bund gefördert werden, arbeiten zur Zeit 194 Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen in verbindlichen Netzwerken zusammen. Allein von Januar 2008 bis einschließlich Oktober 2008 haben sie rund 63.200 ältere Langzeitarbeitslose aktiviert und hieraus 16.447 Integrationen in den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht.
Auch der Kommunal-Kombi beginnt zu wirken. Damit haben wir die Möglichkeit geschaffen, in 79 Regionen, vor allem in Ostdeutschland, mit besonders hoher verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit Arbeitsplätze zu schaffen, mit denen zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten mit einem Zuschuss von 50 Prozent des Bruttoarbeitsentgelts (max. 500 Euro) gefördert werden können.
Wir arbeiten außerdem daran, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 2007 umzusetzen, das die bisherige Organisation der Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommunen in den ARGEN für nicht zulässig erklärt. Die Arbeits- und Sozialminister der Länder und ich streben gemeinsam eine Änderung der Verfassung an, um die bewährte Zusammenarbeit von Kommunen und Agenturen für Arbeit weiterhin zu ermöglichen. Die regionalen Handlungsspielräume sollen erweitert werden. Die Finanzierung soll wie bisher erfolgen. Der Bundestag stellt die Mittel für die Grundsicherung zu 80 % und für die Verwaltung zu fast 90 % bereit. Dementsprechend müssen ihm über den Bund Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden. Die bestehenden Optionskommunen sollen erhalten bleiben.
Es geht darum, trotz vieler unterschiedlicher Interessen ein möglichst großes Einvernehmen zwischen Gemeinden, Ländern und Bund zu erreichen, denn nur durch ein gemeinsames gesetzliches Vorgehen kann vermieden werden, dass 2010 die verschiedenen Aufgaben von BA und Gemeinden zwar in enger Kooperation, aber getrennt wahrgenommen werden.
Wir schaffen den modernen Sozialstaat
Wir haben die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung in Deutschland wieder hergestellt. Der Rentenversicherungsbericht 2008 zeigt: Die gesetzliche Rentenversicherung steht auf einer soliden finanziellen Basis. Die Bürgerinnen und Bürger können auf die gesetzliche Rente vertrauen. Für Ende des laufenden Jahres wird eine Nachhaltigkeitsrücklage von 15,7 Mrd. Euro geschätzt. Dies entspricht knapp einer Monatsausgabe. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Zuwachs von 4,2 Mrd. Euro. Von der positiven Finanzlage in der Rentenversicherung werden auch die Rentnerinnen und Rentner auf Dauer deutlich profitieren können.
Für die meisten Bürgerinnen und Bürger bleibt die gesetzliche Rentenversicherung der wichtigste Bestandteil ihrer Altersversorgung. Und das ist vernünftig: In den vergangenen anderthalb Jahren haben alleine die US-amerikanischen Pensionskassen rund zwei Billionen Dollar verloren. Wir konnten zum 1.7.2008 die Renten um 1,1 Prozent erhöhen. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Rücklagen konnten wir den Anpassungsmechanismus der Riestertreppe um zwei Jahre nach hinten verschieben, so dass auch die Älteren an der Wohlstandsentwicklung teilhaben. Es besteht gute Aussicht, dass der Zuwachs im nächsten Jahr sogar noch etwas größer ausfällt.
Wir haben die Altersvorsorge auf drei Säulen gestellt. Fakt ist, dass die Rentenversicherung als Kernstück ergänzt um betriebliche und private Altersvorsorge in Deutschland nach wie vor eine ausreichende Absicherung im Alter gewährleisten kann. Knapp 12 Millionen Menschen sorgen mit einer Riesterrente für das eigene Alter vor. Damit es noch mehr werden, haben wir einen Sonderbonus für Berufseinsteiger in Höhe von einmalig 200 Euro eingeführt. Wir wollen, dass jeder, der eine Ausbildung anfängt, ganz selbstverständlich auch einen Riestervertrag abschließt. Und wir haben die Möglichkeit geschaffen, auch selbstgenutztes Wohneigentum riesterfähig zu machen. Außerdem können künftig Bezieher von Erwerbsminderungsrenten einen Riestervertrag abschließen.
Derzeit arbeiten wir an Lösungsmodellen für diejenigen, die aufgrund längerer Arbeitslosigkeit vor dem Renteneintritt nur eine sehr niedrige Rente zu erwarten haben. Das betrifft insbesondere auch ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger, die im Übrigen nach bald 20 Jahren deutscher Einheit für das Fortgelten eines eigenen Rentenwertes Ost immer weniger Verständnis haben. Das ist ein kompliziertes Thema: Denn zugleich gibt es wegen der nach wie vor bestehenden Einkommensunterschiede für gleich hohe Beiträge derzeit im Osten effektiv mehr Rente als im Westen. Wichtig ist, das bald Klarheit über die Perspektive herrscht. Wir haben uns auf der 37. Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder verständigt, gemeinsam nach Lösungswegen zu suchen.
Eine wichtige Frage ist auch der Umgang mit kleinen Selbstständigen (sog. Solo-Selbstständige, die keine Angestellten haben), von denen viele keine ausreichende Vorsorge für das Alter treffen und deshalb Gefahr laufen, künftig von Grundsicherung abhängig zu werden. Hier sind verschiedene Lösungen denkbar. Nötig ist ein Konzept, dass diesen Selbstständigen zu einer ausreichenden Absicherung verhilft und von ihnen auch als Verbesserung empfunden wird. Daran arbeiten wir.
Dass wir mit unserem Sozialstaat etwas bewirken können, hat der Armuts- und Reichtumsbericht eindrucksvoll gezeigt: Durch unsere sozialen Sicherungssysteme geht die Armutsrisikoquote in unserem Land von 26 Prozent auf 13 Prozent zurück. Das belegt was möglich ist, wenn man Hilfssysteme gut aufstellt. Aber es zeigt auch den Zusammenhang von Armut und lang anhaltender Arbeitslosigkeit auf, ein Schicksal, das vor allem gering qualifizierte Personen besonders oft solche mit Migrationshintergrund teilen. Auch die Kinderarmut hängt unmittelbar mit den Chancen ihrer Eltern im Erwerbsleben zusammen. Hier liegt deshalb auch der Schlüssel für dauerhafte Lösungen. Eine bessere Kinderbetreuung hilft Kindern durch bessere Förderung und ihren Eltern durch den Abbau von Hürden, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen. Insbesondere mit besserer Sprachförderung, Bildung und Berufsausbildung sowie dem Zugang zum Arbeitsmarkt können wir strukturell die Ursachen von Armut bekämpfen.
Darum ist der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 2013 genau richtig. Darum sind die vom Arbeitsministerium zusammen mit den für Finanzen, Familie und Wohnen zuständigen Ministerien konzipierten Erhöhungen von Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld geeignet, die Beschäftigung zu fördern, weil so viele Familien mit berufstätigen Eltern nicht mehr auf ergänzendes Arbeitslosengeld angewiesen und von diesem Hilfesystem abhängig sind. Über 200 000 Kinder verlassen zusammen mit ihren Eltern im kommenden Jahr dieses Hilfesystem.
Aber wir können auch etwas zur Linderung akuter Notsituationen tun. Ein Beispiel ist das Schulbedarfspaket, das wir durchgesetzt haben. Ab dem nächsten Schuljahr erhalten alle Kinder, die ein Anrecht auf Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Sozialgeld und Sozialhilfe haben, zu jedem Schuljahresbeginn 100 Euro extra. Das ist eine ganz konkrete Leistung, mit der Schulmaterialien gekauft werden können, die über den Regelbedarf hinausgeht. Wir können stolz darauf sein, dies gegen Widerstände durchgesetzt zu haben. Für die Zukunft werden wir die Voraussetzungen schaffen, den Bedarf bedürftiger Kinder genauer als bisher zu bestimmen.
Der Charakter einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung. Das sind derzeit fast sieben Millionen, wenn man die Schwerbehinderten zählt, also über acht Prozent der Bevölkerung. Wir setzen unser Engagement für ihre Rechte ungebrochen fort. Seit Beginn des Jahres 2008 haben sie grundsätzlich einen Anspruch darauf, die ihnen zustehenden Leistungen als ein Persönliches Budget in bar ausgezahlt zu bekommen und selbst Dienstleistungen einzukaufen. Das ist ein wesentlicher Zugewinn an Freiheit. Außerdem haben wir vor wenigen Wochen das Ratifikationsgesetz für die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen auf den Weg gebracht. Arbeitsmarktpolitisch führen wir den neuen Fördertatbestand der Unterstützten Beschäftigung ein, der es Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen auch dann erlauben soll, am Erwerbsleben teilzuhaben, wenn sie zwar in einer Werkstatt für behinderte Menschen unterfordert wären, aber in einer Berufsausbildung oder in berufsvorbereitenden Maßnahmen überfordert. Sie sollen mit einem persönlichen Job-Coach künftig die Chance bekommen, am Arbeitsplatz Qualifikationen zu erwerben. Und wir werden die Organisationen behinderter Bürgerinnen und Bürger durch Kompetenzzentren stärken, damit sie die neuen Rechte aus dem SGB IX, dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz besser wahrnehmen können. Das ist Bürgerrechtspolitik.
Die SPD wird auch weiter hart dafür arbeiten, dass alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ihre Chancen nutzen und ihre Potenziale entfalten können. Wir räumen Barrieren aus dem Weg. Wir lassen niemanden zurück. Die wichtigste Aufgabe bleibt, Menschen die Chance auf gute Arbeit zu geben. Der Armuts- und Reichtumsbericht hat gezeigt, dass das Risiko der Armutsgefährdung bei einer Familie mit zwei erwerbsfähigen Erwachsenen von 48 Prozent schon dadurch auf unterdurchschnittliche acht Prozent absinkt, dass einer der beiden Vollzeit arbeitet.
Wir wissen also, was wir zu tun haben. Und wir arbeiten hart dafür. Wer altes Vertrauen erhalten und neues schaffen will, der muss nach politischen Lösungen streben. Das gilt insbesondere jetzt, wenn angesichts der Finanzkrise auch dem Letzten klar wird, dass Märkte Regeln brauchen, wenn sie funktionieren sollen und dass wir als Gesellschaft einen sozialen Ausgleich organisieren müssen, wenn wir die notwendige Sicherheit schaffen wollen.