Rede im Deutschen Bundestag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung zu dem Beitrag des Kollegen Grindel. Er hat uns ein großes Sprachrätsel aufgegeben, nämlich die Frage: Wie bekommen wir das mit der Einbürgerung der Mitbürger hin?
Das haben Sie an einer Stelle als Aufgabe beschrieben. Ich finde, wir sollten uns einmal länger damit beschäftigen, wie wir diese Frage lösen können; denn das ist wohl nicht ganz unkompliziert.
Ich möchte mich vor allem mit dem Thema der Fachkräftezuwanderung beschäftigen. Ich hoffe, dass es gelingt, in die oft sehr aufgeregte Debatte einen etwas ruhigeren Ton hineinzubekommen; denn das verdient diese Debatte, und das ist wirklich notwendig.
Ein paar Fakten vorweg, die manchmal vielleicht erst mit zwei Jahren Verzögerung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit dringen, die aber gesagt und berichtet werden müssen: Deutschland hat seit dem 1. Januar 2009 den offensten Arbeitsmarkt für akademisch qualifizierte Arbeitskräfte auf der ganzen Welt. Seit diesem Datum ist es möglich, dass diejenigen, die in der EU als akademisch Qualifizierte nach Arbeit suchen, in Deutschland arbeiten ohne Einschränkung und ohne Vorrangprüfung. Sie müssen nicht auf den 1. Mai 2011 warten, sondern das ist schon jetzt so.
Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit geschaffen, mit der Vorrangprüfung in Deutschland einen Arbeitsplatz zu suchen, und zwar das muss man ausdrücklich sagen unabhängig von der Höhe des Einkommens: 31.000 Euro, 42.000 Euro oder was auch immer. Voraussetzung ist lediglich, dass es keine inländischen oder europäischen Bewerber gibt, die diese Arbeit ebenfalls machen können. Eine weitere Voraussetzung ist, dass man nicht weniger zahlt, als das, was sonst für einen solchen Arbeitsplatz in Deutschland gezahlt wird.
Natürlich führt das dazu, dass die Zuwanderungsmöglichkeiten für Fachkräfte mit Ingenieurskapazitäten größer sind als für andere, weil dort der Bedarf im Augenblick recht groß ist. Das ist eine Möglichkeit, die jetzt schon uneingeschränkt existiert und auf die einmal hingewiesen werden muss, übrigens auch auf Unternehmerversammlungen, weil Unternehmer dies zum Teil noch nicht wissen; diese Möglichkeit kann genutzt werden.
Ich kann nicht erkennen, dass die Vorrangprüfung als zusätzliche Kontrolle ein Problem ist; denn hier stellt sich die Frage: Wer aus aller Welt außerhalb der EU sucht auf solch eine Art und Weise nach einem Arbeitsplatz?
Weiterhin haben wir bei dieser Gelegenheit dafür gesorgt, dass diejenigen, die in Deutschland einen Hochschulabschluss erworben haben, hier bleiben und Arbeit suchen können, und zwar was nicht jeder weiß immer wieder. Diese vorrangprüfungsfreie Arbeitsplatzsuche existiert als Möglichkeit für das ganze Berufsleben für denjenigen, der an einer deutschen Hochschule seinen Abschluss erworben hat.
Wir haben ein besonderes Privileg für die Absolventen deutscher Auslandsschulen geschaffen, die zum Beispiel die deutsche Sprache schon gut beherrschen. Sie haben die Möglichkeit, hier eine Berufsausbildung zu machen. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit, nach einer beruflichen Qualifikation - zum Beispiel an einer anderen Universität anderswo auf der Welt - hier in diesem Land zu arbeiten, und zwar ohne Vorrangprüfung.
Wir haben Managern innerhalb eines Konzerns einen fast unbeschränkten Austausch ermöglicht. So ist zum Beispiel der Wechsel eines Managers von einer Filiale in Südafrika nach Deutschland möglich.
Für alle zusammen haben wir geregelt, dass ein Nachzug der Ehegatten immer möglich ist; sie können ohne Vorrangprüfung nach Arbeit suchen. Wir haben also lauter Änderungen vorgenommen, die schon immer gewünscht worden sind. Diese Änderungen sind in Kraft getreten, allerdings ohne dass sie tatsächlich wahrgenommen worden sind. Dazu will ich gerne sagen: Es hat sich weder jemand darüber aufgeregt noch hat jemand dafür geworben. Deshalb darf man noch heute vieles fordern, was schon längst umgesetzt worden ist. Ich bin dafür, dass man die Änderungen zur Kenntnis nimmt.
Obendrauf gibt es ab einem bestimmten Einkommen ich nenne es einmal flapsig so ein Super-Premium-Goldpaket: die Möglichkeit, ohne Vorrangprüfung gleich eine Niederlassungserlaubnis zu bekommen. Diese Möglichkeit existiert ab einem Einkommen, das der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Das ist übrigens eine kluge Regelung: Es handelt sich um das Doppelte des Durchschnittseinkommens. Die Festlegung der Summe ist vielleicht nicht völlig plausibel man kann darüber reden, ob eine andere Summe richtig wäre; aber die gewählte Summe hat ein gewisses Gewicht, weil sie eine Größenordnung vorgibt, die wir aus unseren sozialen Sicherungssystemen kennen. Die Summe ist viel niedriger als der Betrag von über 80.000 Euro, der vorher festgelegt war. Ab diesem Betrag ist die Regelung für die Unternehmen interessant: Als ich die Summe identifiziert habe, habe ich mich damit vorher nicht nur wissenschaftlich beschäftigt, sondern auch mit den Managern großer Unternehmen diskutiert: Was für eine Summe brauchten sie, damit es bei ihnen etwas bringt? Die Manager haben gesagt, eine Summe in etwa dieser Höhe sei genau der richtige Weg; dadurch werde der Einstiegsarbeitsmarkt der deutschen Akademiker nicht gefährdet.
Wenn man als Voraussetzung für diese sehr weitgehende und prüfungsfreie Öffnung des Arbeitsmarkts eine niedrigere Summe wählt darüber kann man immer diskutieren, dann kann man auf dem deutschen Arbeitsmarkt sehr viele Probleme erzeugen, die man vielleicht nicht im Blick hat. Denn eine ganze Reihe von Berufsgruppen liegt zum Beispiel über einem Gehalt von 40.000 Euro jährlich bzw. rund 3.300 Euro monatlich ich habe es mir einmal angeschaut: zum Beispiel Bohrer also Facharbeiter, Maschineneinrichter, Bürofachkräfte, Bibliothekare, Flach- und Tiefdrucker, Walzer, Stenografen.
Meinen Angaben liegt eine volkswirtschaftliche Studie zugrunde. Es gibt sehr viele Berufe, bei denen das Jahresgehalt über 40 000 Euro liegt. Es stellt sich schon die Frage, ob es wirklich klug ist, auf die Vorrangprüfung zu verzichten, die sicherstellt, dass die Gehälter nicht sinken und es keine Leute in diesem Land gibt, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Da bin ich sehr skeptisch; das sage ich gerne. Im Übrigen gibt es demnächst bei den Berufen ohne akademische Qualifikation Zuwanderung aus der ganzen Europäischen Union.
Zwischenfrage Memet Kilic:
Herr Kollege Scholz, ich habe eine Verständnisfrage. Es ist mein Kenntnisstand, dass die SPD bis heute offiziell für eine Zuwanderung nach dem Punktesystem eintritt. Eine andere offizielle Meinung kenne ich nicht. Ihre Argumente sprechen dafür, dass Sie gegen ein Punktesystem bei der Einwanderung sind. Ist das der Fall?
Ich finde in der Tat, dass man über den Sinn und Zweck eines Punktesystems diskutieren muss; das will ich gar nicht verhehlen. Denn ein Punktesystem führt zu einer Zuwanderung ohne freie Arbeitsplätze, also obwohl es in einem Bereich Arbeitslose gibt. Ob das im Bereich der Tätigkeiten, die keine akademische Qualifikation zur Voraussetzung haben, wünschenswert ist, muss man sich überlegen. Der Begriff Punktesystem heißt übersetzt, dass es Zuwanderung ohne freie Arbeitsplätze geben kann. Sonst wäre es nur ein Schlagwort, das für sich existiert.
Ich wünsche mir eine sehr unaufgeregte Diskussion darüber, ob man Folgendes möchte: Weil es bei uns nicht genügend Altenpfleger gibt übrigens weil wir nicht genügend ausbilden und die Gehälter für Altenpflegekräfte zu gering sind, holen wir uns Fachkräfte von anderswo, die bereit sind, zu schlechten Gehältern in Deutschland zu arbeiten, anstatt die Gehälter zu erhöhen und mehr auszubilden. Das hielte ich für einen Fehler; ich will das ausdrücklich sagen. Man muss schon sehr sorgfältig darüber diskutieren, was man tut.
Ich glaube, wir haben mit der Zuwanderungsmöglichkeit für Akademiker viel erreicht. Eine Zuwanderung ist übrigens nicht erst ab dem genannten Gehalt möglich; sie ist auch möglich, wenn man den Arbeitsmarkt zuvor geprüft hat. Ich halte es für wichtig, über eine weitgehendere Regelung nachzudenken. Jedenfalls will ich nicht, dass sich die deutsche Wirtschaft das Ausbilden und das Zahlen ordentlicher Löhne spart.
Zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist. Bedenken wir, wenn wir über all diese Fragen diskutieren, Folgendes: Ab dem 1. Mai 2011 haben über 500 Millionen Personen in Europa die Möglichkeit, in Deutschland Arbeit zu suchen; das ist in Ordnung. Sehr viele von ihnen, nämlich mehr als 200 Millionen Menschen, kommen als Erwerbstätige infrage. Ob wir den Arbeitskräftebedarf der deutschen Volkswirtschaft durch Qualifizierung und Ausbildung oder durch diese 200 Millionen Menschen lösen wollen, das müssen wir uns sehr gut überlegen. Problematisch ist, dass einige Leute in dieser Debatte den falschen Ton anschlagen. Ich will ausdrücklich sagen: Dem guten Ton dieser Debatte hat Herr Seehofer geschadet.
Wichtig ist aber auch, dass man darüber nicht die Vernunft verliert. Auch dafür plädiere ich. Im Übrigen sollten wir sehen, dass wir den Arbeitsmarkt für die Hochqualifizierten längst geöffnet haben, auch wenn jeden Tag ein anderer fordert, dass das endlich geschehen sollte.
Schönen Dank.