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16.09.2009

"Die Ausbeutung der Leiharbeitnehmer muss ein Ende haben."

Interview mit der Berliner Zeitung

 

 

Herr Scholz, das Kurzarbeitergeld hat auf dem Arbeitsmarkt Schlimmeres verhindert. Haben Sie damit auch den Job der Kanzlerin gerettet?

Die Kurzarbeit hat vor allem vielen hunderttausend Arbeitnehmern den Arbeitsplatz gerettet. Verglichen mit anderen Ländern in Europa stehen wir glänzend da. Obwohl die Wirtschaftsleistung bei uns mit am stärksten zurückgegangen ist, haben wir mit den geringsten Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Kommen die Massenentlassungen nach der Wahl ?


Nein. Davon gehe ich nicht aus. Die Betriebe nehmen die Kurzarbeit ja nur deshalb in Anspruch, weil sie damit rechnen, dass sie die Beschäftigten spätestens im nächsten Jahr wieder brauchen werden.

Eine Garantie gibt es nicht, oder?

Nein, aber die Chance auf einen Erhalt der Arbeitsplätze ist sehr hoch. Ich gehe davon aus, dass fast alle Beschäftigten am Ende der Kurzarbeitsphase wieder voll eingesetzt werden. Die rund fünf Milliarden Euro, die die Bundesagentur für Arbeit allein in diesem Jahr für das Kurzarbeitergeld ausgibt, sind also bestens angelegt.

Muss die Bezugsdauer erneut verlängert werden?

Die 24 Monate laufen Ende 2010 aus, wir haben also genug Zeit, gegebenenfalls zu reagieren. Im Moment ist das nicht notwendig.

Ist der Höhepunkt der Krise überschritten?


Man sollte den Menschen keinen Sand in die Augen streuen. Die Arbeitslosigkeit wird weiter ansteigen. Aber es wird nicht so schlimm kommen, wie einige Wirtschaftsforscher noch vor wenigen Monaten prognostiziert haben. Die rechnen ihre Prognosen jetzt herunter. Wir werden sowohl im Durchschnitt als auch im Spitzenwert weniger Arbeitslose haben als von den Instituten anfangs vorhergesagt - ein großer Erfolg sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik.

Neben den Kurzarbeitern haben vor allem die Leiharbeitnehmer die Krise zu spüren bekommen. Rund 300 000 von ihnen stehen jetzt ohne Arbeit da. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, die Zeitarbeit so gefördert zu haben unter Rot-Grün?

Was die Leiharbeit angeht, bin ich auf der Zinne. Es gab damals einen großen Kompromiss zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat. Kern dieser gesetzlichen Neuregelung war, dass die Leiharbeiter den gleichen Lohn bekommen wie ihre Kollegen in jenem Betrieb, in dem sie eingesetzt sind. Die Realität sieht anders aus. Wer die mit dem Gesetz vergleicht, fühlt sich verhöhnt.

Wie konnte das passieren?


Durch eine damals von allen unterstützte Ausnahme im Gesetz. Danach greift die Equal-Pay-Regelung nicht, wenn in dem Zeitarbeitsunternehmen ein Tarifvertrag gilt. Alle dachten damals, die Branche werde sich aus ihrem schlechten Image befreien wollen und Tarifverträge mit höheren Löhnen abschließen. Stattdessen haben sich irgendwelche Leute Büros gemietet, sich Arbeitgeberverband oder Gewerkschaft genannt, miteinander einen Vertrag mit Billiglöhnen vereinbart und damit die Bestimmung umgangen. Das ist einfach schäbig.

Was wollen Sie tun?

Die Missstände abstellen. Die Ausbeutung der Leiharbeitnehmer muss ein Ende haben.

Wie soll das gehen?

Als erstes brauchen wir einen Mindestlohn für die Leiharbeit. Wir hatten der Union schon die Zusage, eine Lohnuntergrenze einzuführen, abgerungen. Dann hat die CDU-Vorsitzende kalte Füße bekommen - oder jemand hat Frau Merkel auf dieselben getreten. Die Union wollte danach von mir, dass ich den miesesten Flächentarifvertrag der Branche als Mindestlohn festsetze. Das habe ich als Unverschämtheit empfunden und nicht unterschrieben. Nun müssen die Wähler dafür sorgen, dass wir die Sache in Ordnung bringen können.

Ein Mindestlohn ist noch keine Lösung des Problems.

Deshalb will ich zudem gesetzlich festschreiben, dass Leiharbeiter nach einer bestimmten Zeit den gleichen Lohn wie die festen Beschäftigten bekommen. Dann scheidet Zeitarbeit als Instrument des Lohndumpings weitgehend aus. Und ich will, dass die Betriebsräte über die Zahl der Leiharbeiter im Betrieb mitbestimmen können.

Der DGB fordert, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I quasi zu verdoppeln. Er will befristet ein Übergangsgeld von zwölf Monaten zahlen, damit die Leute nicht in Hartz IV fallen. Was halten Sie davon?

Die Bundesagentur wird 2010 ein Darlehen von 20 Milliarden Euro benötigen. Das braucht sie, um den Beitragssatz stabil halten, die Leistungen fortführen und qualifizierte Vermittler einstellen zu können. Das alles hat Vorrang. Der Konflikt wird aber ohnehin ein anderer sein. Es wird nicht um die Ausweitung von Leistungen, sondern um Kürzungen gestritten werden.

Wer hat denn das vor?


Union und FDP. Ich will Leistungskürzungen mit aller Macht verhindern.

Wie soll die Bundesagentur das Darlehen dann je zurückzahlen?

Wenn die Wirtschaft wieder wächst, entstehen neue Spielräume.

Wäre es nicht konsequent, aus dem Darlehen gleich einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu machen?

Nein, jetzt warten wir doch ab. Früher ist in Wirtschaftskrisen stets der Sockel der Arbeitslosigkeit gestiegen. Wenn die Kurzarbeit wirkt wie ich hoffe, werden wir nach der Krise nicht mehr Langzeitarbeitslose haben als vorher. Auch deshalb wird die Kurzarbeit in Lehrbücher zur Krisenbewältigung eingehen.

Meinen Sie wie Angela Merkel, die Gewerkschaften sollten sich in den Lohnrunden zurückhalten?


Nein. Das ist ein merkwürdiges Anliegen der Kanzlerin. Die Beschäftigten mussten sich schon in den letzten Jahrzehnten mit niedrigen Abschlüssen zufrieden geben. Wir brauchen jetzt endlich eine positive Lohnentwicklung. Von mir wird niemand eine Aufforderung bekommen, sich zurückzuhalten.

Wo wären Sie lieber Arbeitsminister: in einer großen Koalition oder in einer Ampel mit FDP und Grünen?


Sowohl bei der FDP als auch in der Union haben Leute das Sagen, die die neoliberalen Ideologien in sich aufgesogen haben.

Ihnen ist es also egal?


Bei beiden Parteien kann man sich sicher sein, dass sie aus eigenem Antrieb den Sozialstaat nicht voranbringen wollen. Das muss schon die SPD machen. Im Übrigen gilt: Auf den Kanzler kommt es an. Und der soll Steinmeier heißen.

Was machen Sie, wenn die SPD in der Opposition landet?

Wir werden regieren.

Und wenn nicht, braucht die SPD dann einen Generationswechsel?

Ich sehe nicht, dass es auf diese Frage zuläuft. Im Übrigen erneuert sich die SPD ständig - schon seit über 100 Jahren.

Wären Sie in der Opposition lieber SPD-Chef oder Fraktionschef?


Ich bin jetzt zwei Jahre Arbeitsminister. Am besten wäre es, wenn die Wähler sich für eine Vertragsverlängerung entscheiden.


Das Gespräch führten Timot Szent-Ivanyi und Regine Zylka. 

 

Hier finden Sie das Interview auf Internetseite der Berliner Zeitung.