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01.09.2007

Die Koalition macht SPD-Politik - Interview im Hamburger Abendblatt

ABENDBLATT: Herr Scholz, wenn der Kanzler direkt gewählt würde, würden 57 Prozent der Deutschen Angela Merkel wählen, nur 15 Prozent SPD-Chef Kurt Beck. Ist Beck der richtige Kandidat?

OLAF SCHOLZ: Kurt Beck ist der unumstrittene Führer der SPD. Er verfügt über eine große einigende Kraft. Außerdem denkt er die schröderschen Reformen weiter. Dass er das souverän macht, sieht man auch daran, dass er sich sehr populäre SPD-Politiker als Stellvertreter erkoren hat. Er gibt den Kurs mit großer Sicherheit vor. Und er kann auch das Kanzleramt erobern.

ABENDBLATT: Schmerzt es Sie als Fraktionsgeschäftsführer, der sich täglich für sozialdemokratische Politik einsetzt, dass die Deutschen Angela Merkel mehr soziale Kompetenz zutrauen als Kurt Beck?

SCHOLZ: Wenn in Deutschland seit 1998 sozialdemokratische Politik gemacht wird, muss die Kanzlerin davon profitieren.

ABENDBLATT: Aber ist die SPD nicht eigentlich das Original?

SCHOLZ: Die SPD ist das Original, und deshalb können die Sozialdemokraten gelassen sein. Seit 1998 hat es unter den Meinungsführern in Deutschland einen Umschwung gegeben, und die neoliberale Grundhaltung ist einer sozialdemokratischen gewichen. Es ist natürlich für die SPD nicht leicht, wenn die Union von sich behauptet, sie sei wie die SPD, nur konservativer, wenn die FDP plötzlich neosozial sein will und die PDS behauptet, sie sei wie wir, nur viel konsequenter. Aber es ist besser, als wenn alle sagen würden, die SPD habe Unrecht.

ABENDBLATT: Und doch profitiert die Union stärker als die SPD . . .

SCHOLZ: Im Augenblick ist das so, das kann man nicht bestreiten. Trotzdem: Über vierzig Prozent bekommen die nie wieder - wie Gerhard Schröder mal gesagt hat. Diese Regierung realisiert ein relativ ungebrochenes sozialdemokratisches Programm. Das ist zwar nicht ganz so, als wenn die SPD allein regieren würde, aber ziemlich dicht dran.

ABENDBLATT: Auch in der Familienpolitik wird ein SPD-Programm abgearbeitet, davon profitiert eine Unionsministerin . . .

SCHOLZ: (lacht) Wissen Sie, Frau von der Leyen ist eine sehr gläubige Frau. Ich bin mir sicher, dass sie jeden Morgen dem lieben Gott dafür dankt, dass die SPD mit in der Regierung ist.

ABENDBLATT: Reicht das als Erklärung für ihre Popularität?

SCHOLZ: Die Attraktivität der Familienministerin besteht meiner Ansicht nach darin, dass ihre Partei nicht hinter ihr steht. Diesem Umstand wohnt in unserer Mediengesellschaft eine große Faszination inne.

ABENDBLATT: Auch Streit fasziniert ja bekanntlich. Wie ist die Stimmung zwischen den Fraktionen von Union und SPD?

SCHOLZ: Wir arbeiten gut zusammen. Aber: Zwischen Union und SPD gibt es Unterschiede, da wird eben auch mal gestritten. Das überrascht aber auch nur die, die immer behaupten, die beiden großen Volksparteien würden sich immer ähnlicher.

ABENDBLATT: Aber die Wähler nehmen das so wahr - und das ist nicht unproblematisch: Seit der Wahl hat die Koalition sechs Prozentpunkte an Stimmen verloren.

SCHOLZ: Ich sage doch: Das ist eine Behauptung, die die Politikredaktionen dieser Republik verbreiten. Das muss aufhören! Leider kann man hierzulande eine Reihe von Thesen vertreten, ohne sie beweisen zu müssen. Das ist nicht gut.

ABENDBLATT: Mit welchen konkreten politischen Projekten will uns die SPD bis zur nächsten Wahl beweisen, dass sie das Original ist?

SCHOLZ: Wir sollten Politik nicht immer nur im Hinblick auf die nächsten Wahlen machen. Die Menschen merken doch auch, ob man etwas gut machen will, weil man davon überzeugt ist, oder nur taktiert. Ein Thema wollen wir besonders entschieden angehen: die Verbesserung der Situation derer, die von ihrer Hände Arbeit allein nicht leben können, sondern trotz Vollzeitbeschäftigung noch ergänzend Arbeitslosengeld II benötigen. Ich bin mir ganz sicher, dass im nächsten Koalitionsvertrag ein Mindestlohn vereinbart wird. Die Mehrheit der Deutschen ist ja auch dafür.

ABENDBLATT: Viele Menschen meinen, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet. In Deutschland finanzieren vier Beschäftigte sechs Nichterwerbstätige. Was ist zu tun?

SCHOLZ: Alle müssen ihren Beitrag leisten. Jeder sollte die Arbeit, die ihm möglich ist, auch annehmen. Aber wenn wir das verlangen, dann müssen wir die Menschen auch vor Ausbeutung schützen. Wenn alle, die dazu berechtigt wären, zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen Arbeitslosengeld II beantragten, dann wäre das nicht mehr zu bezahlen.

ABENDBLATT: Nicht nur die CDU wildert in klassischen SPD-Themen, auch die Linkspartei.

SCHOLZ: Wir sollten auf die Vernunft der Menschen setzen. Die sehen auch, dass eine Partei, die absurde Geldgeschenke verspricht, nicht seriös ist. Was die Linkspartei fordert, ist auch mit einer Verdoppelung der Steuern in Deutschland nicht zu bezahlen


ABENDBLATT: Die Hamburger SPD schließt eine Koalition mit der Linkspartei aus: Kann sich Ihre Partei das wirklich leisten?


SCHOLZ: Wir wären schlecht beraten, uns mit Leuten einzulassen, mit denen man nicht regieren kann. Die Wähler haben eine klare Aussage von uns dazu verdient. Im Übrigen gehe ich nicht davon aus, dass die Linken in der nächsten Bürgerschaft vertreten sein werden.

ABENDBLATT: Wird dann die CDU in Hamburg so weitermachen dürfen wie bisher?

SCHOLZ: Ich glaube nicht, dass die Hamburger Bürger dem Senat von Herrn von Beust wieder ihr Vertrauen aussprechen, nachdem er sich so oft mit einer unglaublichen Arroganz über den Willen des Volkes hinweggesetzt hat. Außerdem ist der Bürgermeister wirtschaftspolitisch gesehen ein Dilettant: Er hat den Standort Hamburg mehrfach in Gefahr gebracht, indem er beispielsweise weltweit Unternehmen aufgerufen hat, den Hamburger Hafen zu übernehmen - und sie dann wieder weggeschickt hat. Das hat den Ruf der Stadt bei allen Finanzinstitutionen der Welt ruiniert. Abgesehen davon, dass es ohnehin keine gute Idee war, die HHLA zu verkaufen. Der Verkauf des Landesbetriebes Krankenhäuser war auch das Gegenteil einer wirtschaftspolitischen Glanzleistung. Die CDU hat auf ihren ureigenen Feldern besonders schlecht agiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Hamburg im Februar ein Regierungswechsel bevorsteht.

ABENDBLATT: Wie will Michael Naumann die Wähler von sich überzeugen?

SCHOLZ: Hamburg ist in der Vergangenheit mit SPD-Bürgermeistern sehr gut gefahren. Hier ist ein Milieu entstanden, in dem die Menschen meinen, dass wirtschaftlicher Erfolg und Gerechtigkeit zusammengehören. Selbst in den wohlhabenden Vierteln dieser Stadt haben die Menschen mittlerweile den Eindruck, dass in Hamburg etwas auseinanderdriftet, das früher zusammengehört hat. Und wenn sie das ändern wollen, müssen sie Michael Naumann wählen.

Hamburger Abendblatt vom 1. September 2007. Interview Marina Küchen, Marius Schneider, Christoph Rybarczik