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12.09.2007

Rede im Deutschen Bundestag vom 12. September 2007

Olaf Scholz (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Es ist heute schon mehrfach über die Frage gesprochen worden, wie wir mit rechtsextremistischen Entwicklungen in diesem Lande umgehen und was wir gegen das Wirken der NPD tun können, dagegen, dass eine Partei mit öffentlichen Geldern rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten kann und die Organisationsstrukturen für rechtsextremistische Tätigkeiten liefert. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat heute gesagt, was uns alle gemeinsam bewegt: Wir müssen eine gute Untersuchung haben. Die Ämter für Verfassungsschutz in den Ländern und das Bundesamt sollen in den nächsten sechs Monaten einen Bericht vorlegen, aus dem wir ersehen können, was für verfassungswidrige und verfassungsfeindliche Aktivitäten die NPD betreibt, ohne dass auf nachrichtendienstliche Quellen zurückgegriffen werden muss. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat gesagt, das könne er sich gut vorstellen. Ich bin dafür, dass wir schnell zu einer Vereinbarung über ein solches Vorgehen der Innenminister in Bund und Ländern kommen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Westerwelle hat zum Thema Afghanistan angemerkt, dass hier ein gewisses Durcheinander herrsche. Das kann ich nicht wahrnehmen. Allerdings sind ein paar Informationen, die er als Ausgang seiner Bemerkungen genannt hat, falsch. Es handelt sich um die Information, dass wir alle hier uns verabredet hätten, im Herbst alle drei Mandate auf einmal zu verlängern. Ich war an einer solchen Verabredung nicht beteiligt. Ich kenne auch niemanden, der solch eine Verabredung getroffen hat. Es ist vielmehr umgekehrt. Wir haben gesagt: Dann, wenn diese Mandate auslaufen und ihre Verlängerung ansteht, soll auch darüber entschieden werden. Das ist genau der Weg, den man mit großer Besonnenheit für die Zukunft dieses Einsatzes gehen muss. Wir müssen alles dann entscheiden, wenn es an der Zeit ist, und nicht dann, wenn irgendjemand es auf den Terminplan setzt.

(Beifall bei der SPD)

Große Debatten zu diesem Thema hat es übrigens auch außerhalb dieses Hauses gegeben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich sehr sorgfältig vorbereitet. Wir haben vor der Sommerpause in mehreren langen Sitzungen darüber diskutiert. Viele unserer Abgeordneten   und nicht nur diejenigen, die in den zuständigen Ausschüssen Mitglied sind   sind nach Afghanistan gefahren und haben sich dort ein eigenes Bild verschafft. Wir haben jetzt auch noch mit Vertretern der afghanischen Regierung diskutiert. Das war für uns alle sehr beeindruckend. Deshalb sind wir auf die Anträge der Bundesregierung gut vorbereitet. Wir sind auch sicher, dass es vernünftig ist, diesen Anträgen zuzustimmen. Das ist jedenfalls die Meinung der Führung der Fraktion der SPD und der Bundesregierung. Ich glaube, dass es auch so kommen wird, wenn die Entscheidungen jeweils anstehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Westerwelle, es macht keinen Sinn, von Führungsunsicherheit zu sprechen, wenn man selber zum Beispiel in der Frage UNIFIL ein großes Durcheinander organisiert hat. Ich jedenfalls erinnere mich an eine Äußerung von Herrn Niebel, der gesagt hat, die FDP wolle dem Mandat zustimmen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie erinnern sich falsch!)

Dann erinnere ich mich an Aufrufe aus China von Herrn Hoyer, dass das alles so nicht gehen kann. Jetzt ist es wieder so, dass Sie sich diesem Mandat nicht unterstützend zur Seite stellen können. Das ist ein bisschen symptomatisch.

(Dr. Peter Struck (SPD): Durcheinander!)

Denn es ist so: Einerseits wollen Sie zeigen, dass Sie eine vernünftige außenpolitische Linie haben. Andererseits suchen Sie kleine Punkte, bei denen Sie zeigen können, dass sie auch anderer Meinung sind. Ich finde, das ist nicht führungsstark, sondern ein Durcheinander. Sie sollten das in Ordnung bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sanieren, reformieren und investieren und dabei die Lasten gerecht auf die Schultern verteilen   das ist das Motto des Koalitionsvertrages. Sanieren, reformieren und investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilen   das ist auch das Thema der Regierungstätigkeit der Sozialdemokraten seit 1998. Wenn im nächsten Jahr die Sozialdemokratische Partei die Regierung dieses Landes seit zehn Jahren getragen haben wird, wird man die große Konstanz der sozialdemokratischen Bemühungen feststellen. An der Stelle hat Herr Westerwelle recht: Was die Kanzlerin heute gesagt hat, hätte sie auf dem Leipziger Parteitag als CDU-Vorsitzende nicht gesagt; aber heute hat Sie recht. Das finden wir Sozialdemokraten in Ordnung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sanierend, reformierend und investierend
(Jürgen Koppelin (FDP): Und abkassierend!)

ist es uns gelungen, unser Land wieder zukunftsfähig zu machen. Ich finde, dass man das feststellen darf und muss, auch wenn man gleichzeitig erkennen kann, dass ein großer Teil unserer Menschen von dieser besseren Entwicklung noch nichts mitbekommen hat. Es ist absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist gut. Aber es ist genauso absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist schlecht. Keinem, der eine solche Rede hält, kann man irgendetwas glauben. Kein Bürger und keine Bürgerin kann auf einen Politiker, der so ein undifferenziertes Zeug erzählt, setzen. Die große Zahl der Bürger wird das auch nicht tun.

(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich ist es unsere gemeinsame Aufgabe, unsere Erfolge zu beschreiben, weil sie der Ansporn für die nächste Zeit sind, und gleichzeitig zu sagen, dass noch etwas zu tun ist, damit alle Menschen in diesem Lande am Aufschwung teilhaben können. Aufschwung für alle, auch das ist eine sozialdemokratische Forderung, die viele andere jetzt übernommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zu unserer Tätigkeit seit 1998 gehört, dass wir die Haushalte strukturell konsolidiert haben und damit die Grundlage dafür geschaffen haben, dass der Staat seine Aufgaben im Interesse unseres Gemeinwesens auch in Zukunft erfüllen kann. Ich glaube, wir sollten bei dieser Haltung bleiben. Deshalb begrüße ich sehr, dass sich im Rahmen der Beratungen der Föderalismuskommission unter dem Stichwort Schuldenbremse offenbar ein Konsens abzeichnet.

(Joachim Poß (SPD): Ja!)

Ich bin übrigens dafür, dass wir dieses Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen. Wenn wir einen geeigneten Weg finden, sollte der Beschluss, den wir dann fassen, auch für die nächste Legislaturperiode gelten. Denn das würde dazu führen, dass manche Pläne im Hinblick auf den nächsten Bundestagswahlkampf, über die schon jetzt berichtet wurde, gleich wieder in den Schredder wandern könnten.

(Dr. Peter Struck (SPD): Ja, das stimmt!)

All die Versprechungen von Steuersenkungen, die von dem einen oder anderen gemacht worden sind, passen nicht zur öffentlichen Debatte über die Einführung einer Schuldenbremse. Ich glaube, dass in manch einer Parteizentrale   das sage ich insbesondere mit Blick auf unseren Koalitionspartner   neue Pläne erarbeitet werden müssten, wenn wir im Rahmen der Föderalismusreform beschließen, eine Schuldenbremse einzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger würden dann allerdings einen fairen Wahlkampf erleben. Denn jeder von uns wüsste: Es erwischt ihn, wenn er den Mund zu voll nimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben die sozialen Sicherungssysteme saniert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Höhe der Einnahmen und die Höhe der Ausgaben wieder zusammenpassen und dass die Beitragssätze, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unternehmen gelten, zwar hoch sind keine Frage ,aber doch so erträglich, dass sie bereit sind, bei diesen Schritten mitzumachen, und dass die Leistungen, die davon finanziert werden, so vernünftig sind, dass man sich auf den Sozialstaat in diesem Lande verlassen kann.

(Dr. Peter Struck (SPD): Richtig!)

Wir haben auch das gehört zu den Reformen die Arbeitsvermittlung reformiert. Recht haben all die, die sagen: Deutschland hat vor allem deshalb ein Problem, weil es so viele Menschen gibt, die lange Zeit arbeitslos sind. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass wir es als unsere wichtigste Aufgabe ansehen, die Bundesagentur für Arbeit zur am besten funktionierenden öffentlichen Institution zu machen, die den Menschen zur Seite steht und ihnen durch die Arbeitsvermittlung hilft, dem Schicksal der Arbeitslosigkeit zu entrinnen.
Zur Politik, die seit 1998 gemacht wurde, gehört unter der Überschrift Sanieren, Reformieren, Investieren auch, dass wir die Betreuung der Kinder verbessert und den Ländern und Gemeinden beim Aufbau des Systems der Kinderbetreuung geholfen haben. Das ist die Grundlage für die Situation, in der wir uns heute befinden.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir dabei so vorgegangen sind, wie es auch Unternehmen, die in einer wirtschaftlichen Krise sind, tun. Ein Unternehmen, das in einer wirtschaftlich schwierigen Situation ist, muss saniert werden; es muss neu aufgestellt werden auf unserem Feld heißt das, dass es Reformen geben muss , und es muss in die Zukunft investieren, damit es auch dann gut funktioniert. Genau das haben wir in Bezug auf unser Land geschafft. Bei einem Unternehmen, das seine Sanierung erfolgreich bewältigt hat, spricht man davon, dass ein Turnaround stattgefunden hat. Ziel von Sanierungen, Neuaufstellungen und Investitionen ist die Umkehr ins Positive, von einer Situation des Abschwungs in eine Situation des Aufschwungs. Das ist auch uns gelungen. Heute können wir berichten: Der Turnaround ist geschafft.

(Dr. Peter Struck (SPD): Sehr wahr!)

Am wichtigsten ist der Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass noch mehr Menschen einen Arbeitsplatz finden. Es ist aber auch wichtig, dass der Sozialstaat wieder eine Zukunft hat. Die Menschen können sich auf die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung wieder verlassen.
Das hat übrigens auch politische Folgen diesen politischen Turnaround vermag wahrscheinlich niemand so recht zu ermessen : Plötzlich will die FDP neosozial sein.

(Dr. Peter Struck (SPD): Ja!   Joachim Poß (SPD): Nach ihren heutigen Reden wohl nicht mehr!   Jürgen Koppelin (FDP): Na, na!   Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt hör’ aber auf!)

Das wird schon irgendwie funktionieren. Unser Koalitionspartner möchte herausfinden, inwieweit konservativ und sozial zusammenpassen. Die Grünen bleiben ungefähr bei dem, was sie mit uns gemeinsam begonnen haben. Die sogenannte Linke sagt immer nur mehr, mehr, mehr.

Wenn man das aber alles zusammenfasst, stellt man fest: Es hat doch eine Änderung des Zeitgeistes gegeben. Während die Meinungsführer der Republik vor wenigen Jahren noch gesagt haben, der Sozialstaat habe keine Perspektive und man solle ihn abbauen, ist diese Meinung heute nicht mehr vorherrschend. Das ist ein Erfolg sozialdemokratischer Regierungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir sind in einer schwierigen Phase. Politisch ist nämlich das, was wohl für jedes Unternehmen gilt, nicht so selbstverständlich. Während ein Manager, der für sein Unternehmen einen Sanierungsplan entwickelt und durchsetzt, vorher den Moment beschreiben muss, in dem der Turnaround gelingen soll, und nachher stolz über ihn berichten darf, ist ein Politiker, der einen Turnaround ankündigt oder als geschafft vermeldet, in der politischen Gefahr, ins Abseits zu geraten. Denn Reformer zu sein verkommt doch  wenn man die politische Szene beobachtet bei dem einen oder anderen immer mehr zu einem Ritual, bei dem man sich so gibt, als fordere man eine scharfe Reform. Aber tatsächlich ist das doch völlig unvernünftig.
Wenn wir uns auf den Weg machen, auch mit schwierigen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat, auch der Sozialversicherungsstaat, wieder funktioniert, dann müssen und dürfen wir den Menschen auch sagen, dass der Tournaround gelungen ist und es jetzt um den Ausbau von Maßnahmen geht. Deshalb hat der Parteivorsitzende der SPD völlig recht, wenn er sagt, die Zeit der Zumutungen sei vorbei. Das eine gehört zum anderen und bildet damit eine Einheit. Wir Sozialdemokraten haben es zustande gebracht, dass wir jetzt wieder über den Ausbau von Maßnahmen und Investitionen in die Zukunft, die wir benötigen, diskutieren können.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens passt das Programm von Meseberg gut dazu. Deshalb macht es auch Sinn, dass wir in dieser Haushaltsdebatte noch ein paar Minuten darauf verwenden, das zu bedenken. Unserer Ansicht nach muss zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass Menschen, die hart arbeiten und wenig verdienen, nicht auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Wir brauchen weitere Branchen, die in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Nach der Bauwirtschaft und den Gebäudereinigern sollen das in diesem Herbst noch die Erbringer von Postdienstleistungen sein sowie alle diejenigen, die sich bis zum Frühjahr nächsten Jahres melden. Das wird Millionen Menschen, die es heute schwer haben, ein besseres Leben bescheren. Es ist eine vernünftige Politik, die wir in diesem Zusammenhang entwickeln.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch für die Mindestarbeitsbedingungen und den Erwerbstätigenzuschlag. Mit großer Freude habe ich festgestellt, dass diese Idee, die wir vorangebracht haben, nicht nur in Meseberg eine Rolle gespielt hat, sondern jetzt auch von unserem Koalitionspartner auf seiner Klausurtagung am Wochenende unter einem ähnlichen Namen für gut befunden wurde. Es wird also gelingen, weitere Fortschritte zu machen. Das ist nicht nur gut für die Parteien, sondern vor allem für die Menschen, um die es geht; sie haben es bitter nötig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Dr. Peter Struck (SPD): Sehr richtig!)

Wir investieren in die Zukunft, indem wir etwas für die Bildung tun. Darum wollen wir, dass die Menschen besser ausgebildet werden, sodass wir den Fachkräftemangel reduzieren können. Auch die Altbewerber wollen wir auf dem Berufsausbildungsmarkt besser unterstützen.
Ferner müssen wir etwas für die Kinder tun, indem wir denjenigen Eltern helfen, die ihre Kinder in einer Einrichtung unterbringen wollen, in der sie nicht einfach abgestellt werden, sondern beste Betreuung bekommen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 2013 ist ein großer politischer Fortschritt, der die Kultur des Zusammenlebens in unserem Lande wahrscheinlich mehr bewegen wird, als mancher sich angesichts dieser Formalie auszudenken vermag.

(Beifall bei der SPD)

 Es bedeutet, dass unser Land endlich zu den anderen Ländern Europas aufschließt, in denen es selbstverständlich ist, dass das, was die Eltern sich für ihre Kinder wünschen, zur Verfügung steht. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir das schaffen.
Wenn in dieser Großen Koalition vollendet werden kann, was wir 1998 begonnen haben, wäre das ein großer Themen- und Paradigmenwechsel in dieser Republik, der nicht alle Tage gelingt. Davon kann man als Erfolg berichten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)