arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

22.01.2009

Ein guter Tag für Hunderttausende

Interview von Olaf Scholz im Deutschlandfunk zur Abstimmung über die Mindestlohn-Gesetze im Deutschen Bundestag

 

Deutschlandfunk (DLF): Im Bundestag geht es heute einmal mehr um Gesetze mit langen Worten. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, mit dem branchenspezifische Mindestlöhne festgelegt werden, soll für weitere sechs Branchen gelten: für Pflegedienste, Abfallwirtschaft, Wach- und Sicherheitsgewerbe, Großwäschereien, Weiterbildung und Bergbau-Spezialdienste. Dazu soll nach dem Willen der SPD demnächst auch eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeitsbranche vereinbart werden. Insgesamt sollen so zu den bisherigen rund 1,8 Millionen Beschäftigten, die bislang in Mindestlohn-Branchen arbeiten, noch rund 1,7 Millionen dazu kommen. - Am Telefon ist Olaf Scholz, Bundesarbeitsminister von der SPD. Guten Morgen!

 

Olaf Scholz: Guten Morgen!

 

DLF: Wir haben einen rundum zufriedenen Minister am Telefon, nehme ich an?

 

Olaf Scholz: Ja, denn das ist heute ein guter Tag für viele Menschen und Bürgerinnen und Bürger, die hart arbeiten und die heute Löhne bekommen, mit denen sie ihren eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Das ist nicht in Ordnung. Wir wissen, das gilt nicht für jeden in dieser Branche, da werden auch ordentliche Löhne gezahlt, aber es gibt eben das andere auch und wenn jetzt vielleicht ein paar hunderttausend Menschen besser bezahlt werden, als das bisher der Fall ist, dann ist das eine gute Sache.

 

DLF: Neben dem Entsendegesetz, das heute erweitert wird, wird heute auch ein Gesetz mit einem ähnlich sperrigen Namen auf den Weg gebracht: das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Und das hat wiederum Teile der Unions-Bundestagsfraktion empört, denn darin sei der Vorrang für tarifvertragliche Lösungen zur Lohnfestlegung nicht mehr enthalten. Ist das so?

 

Olaf Scholz: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz ist ein Gesetz, das schon ganz alt ist. Es stammt aus dem Jahre 1952 und wurde damals mit den Stimmen der SPD und auf Antrag der SPD, die aber in der Opposition war, und der CDU beschlossen. Und an der Struktur, wie dieses Gesetz funktioniert, haben wir bis heute nichts geändert. Wir sorgen nur dafür, dass es jetzt besser funktioniert. Es gilt in den Branchen, wo weit und breit kein Arbeitgeberverband und keine Gewerkschaft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor schlechten und schlimmen Arbeitsbedingungen beschützen kann. Für die ist es auch gedacht und da können wir jetzt besser handeln, wenn das notwendig ist.

 

DLF: Wie wollen Sie denn die angemessene Lohnhöhe in solchen Branchen ermitteln?

 

Olaf Scholz: Wir werden dazu zunächst mal feststellen, dass etwas zu tun ist. Dazu wird ein Hauptausschuss gebildet, der auch Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften beinhaltet. Landesregierungen können dazu Vorschläge machen, die Bundesregierung, die Spitzenverbände von Gewerkschaften und Arbeitgebern, und wir haben dann, wenn wir sehen, da ist ein Problem, die Möglichkeit, einen konkreten Fachausschuss, der sich in der Branche auskennt, zu bilden und der kann dann einen Vorschlag machen. Aber man muss immer klar sagen: das ist für die Fälle, wo weit und breit nichts da ist, um Bürgerinnen und Bürger, die arbeiten, zu beschützen. In den meisten Fällen gibt es ja doch tarifvertragliche Strukturen und da ist dann eben, wenn das prägend ist für die Branche, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einschlägig, wo wir zurückgreifen auf Tarifverträge, die existieren, die wir dann erstrecken.

 

DLF: Aber schauen wir auf die Branchen, wo die Tarifbindung nicht mehr so stark ist. Das ist doch ein heikles Thema, denn wenn der Lohn zu niedrig ist, nützt er nichts, wenn er zu hoch liegt, gehen Jobs verloren.

 

Olaf Scholz: Die Wahrheit ist: Man muss es richtig machen.

 

DLF: Und Sie sind sicher, dass der Staat so etwas kann?

 

Olaf Scholz: Wir sind sicher, dass wir eine Tradition hier nur aufgreifen, die gesetzgeberisch lange in Deutschland vorhanden ist, aber nicht mit Leben erfüllt war, und die es auf diese oder ähnliche Weise in vielen anderen Ländern um uns herum gibt, die damit gute Erfahrungen gemacht haben. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir schon respektieren und befürworten und uns dafür einsetzen, dass normalerweise die Tarifvertragsparteien die sozialen Bedingungen regeln. Da, wo das weit und breit nicht der Fall ist, können wir aber die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine lassen, und genau darum geht es.

 

DLF: Die aktuelle Wirtschaftskrise hat auch wieder die Frage von Sinn und Unsinn von Mindestlöhnen grundsätzlich in den Vordergrund gehoben. Unternehmen warnen: Einerseits sollen sie in der Rezession keine Mitarbeiter entlassen, andererseits hätten Betriebe keine Chance, Lohnkosten flexibel zu senken, wenn da ein Mindestlohn gilt. So argumentieren die Unternehmen. Wie soll das also gehen?

 

Olaf Scholz: Es ist ja doch ganz bezeichnend, dass in all den Branchen, die jetzt zum Beispiel in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, nach der Baubranche und den meisten Bauhandwerken, die schon dabei sind, nach den Gebäudereinigern und den Briefdienstleistungen, es immer Arbeitgeber und Gewerkschaften der Branche oder die meisten der Arbeitgeber dieser Branche sind, die das richtig finden. Und ich glaube, dass wir diese Arbeitgeber, die ja dann auch ein Interesse an der Entwicklung ihrer Mitarbeiter haben, unterstützen müssen, dass sie nicht gewissermaßen einer Konkurrenz unterliegen, die Löhne zahlt von drei oder vier Euro, was niemand in Deutschland wirklich wollen kann.

 

DLF: Der Briefdienstleister PIN - damals ein spektakulärer Fall, zum Teil mittlerweile in der Insolvenz - sieht das anders. Er hat sogar gegen diese Mindestlohnregelungen, die seiner Ansicht nach zu hoch waren, geklagt und zum Teil Recht bekommen.

 

Olaf Scholz: Die Firma PIN nun gerade nicht, aber unabhängig von dieser Frage ist es so, dass die Entscheidung, die damals gefällt worden ist, und die Entwicklung, die das Unternehmen PIN genommen hat, wie jeder Eingeweihte weiß, nichts miteinander zu tun haben, sondern da gab es Schwierigkeiten in der unternehmerischen Konzeption und die waren schon vorher da und dann soll man das nicht auf andere schieben.

 

DLF: Da gibt es andere Argumente. Aber gehen wir wieder zum allgemeinen Fall. Denken Sie nicht, es gibt Arbeitnehmer, die lieber eine Zeit lang vielleicht auch unter Mindestlohnstandard arbeiten würden, als arbeitslos zu werden?

 

Olaf Scholz: Die Löhne, die da in Rede sind und um die es geht und die der Koalition gemeinsam aufgestoßen sind und es möglich gemacht haben, dass wir uns trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen heute auf diese Lösung verständigt haben, sind solche, die nichts mit wirtschaftlicher Notwendigkeit zu tun haben, sondern die sind deshalb so gering, weil man die Not und die Verzweiflung einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausnutzt. Wenn es ein bisschen mehr ist, dann ist das noch lange kein Reichtum, den die Betreffenden dort verdienen, das ist noch nicht mal ein ordentlicher Lohn, sondern das ist nur ein Mindestlohn. Aber dass man, wenn man einen Monat lang gearbeitet hat, seinen eigenen Lebensunterhalt ohne fremde Hilfe aus der Familie oder des Staates bestreiten können muss, ich glaube, das findet jeder in Deutschland richtig.

 

DLF: Herr Scholz, blicken wir auf die politische Durchsetzbarkeit Ihrer Pläne. Bei der Unions-Bundestagsfraktion ist schon seit Monaten das Grummeln angesichts der Neuregelungen groß. Im Bundesrat, wo das Gesetz ja auch noch passieren muss, werden wohl CDU-geführte Länder nicht begeistert sein, und auch die FDP hat jetzt mehr Macht als früher. Wie kriegen Sie eine Mehrheit?

 

Olaf Scholz: Wir haben uns in der Koalition verständigt, schon im Sommer des vorletzten Jahres, dass es diesen Prozess geben soll. Wir sind jetzt in einer mühseligen, komplizierten, aber am Ende doch immer erfolgreichen Weise zu einem Ergebnis gekommen. Es gibt ja auch gute Kompromisse, und genau das ist ein solcher. Deshalb wird einfach aufgrund der Sorgfalt, die wir bei der Entwicklung des Gesetzes an den Tag gelegt haben, die Zustimmung auch wachsen. Ich weiß ja schon, dass die CDU-Bundestagsfraktion zugestimmt hat und mitmachen wird. Wir sind gemeinsam diejenigen, die dieses Gesetz jetzt so beschließen wollen, und ich bin sicher, dass das auch im Bundesrat Erfolg haben wird.

 

DLF: Setzen Sie da auf die Zustimmung der Grünen?

 

Olaf Scholz: Ich bin sicher, dass das Gesetz im Bundesrat Erfolg haben wird. Es ist etwas, über das ja nun ein überwältigender Konsens existiert. Es wollen nicht nur jetzt SPD und Union diese Gesetze, sondern wir wissen, dass auch andere Parteien einen Wunsch danach entwickelt haben, dass es Mindestlöhne gibt. Das ist im Übrigen genauso wie in der Bevölkerung. Wenn man Umfragen macht, sind etwa fast 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes dafür, dass man vor schlimmer Ausbeutung durch untere Lohngrenzen geschützt wird, und das kriegen wir dann jetzt auch gesetzgeberisch hin.

 

DLF: Herr Scholz, noch kurz ein anderes Thema, das zugegeben nicht in Ihrem Ressort liegt, Sie aber als Regierungsmitglied treffen muss. Mit Günther Merl ist gestern der Chef des staatlichen Bankenrettungsfonds Sofin von seinem Posten zurückgetreten. Beunruhigt Sie das?

 

Olaf Scholz: Nein! Wir haben ja in einer sehr schnellen Aktion im letzten Jahr dafür gesorgt, dass wir die Banken in unserem Lande funktionsfähig halten können. Das war das Finanzmarkt-Stabilisierungsgesetz. Und es sind aufgeregte Zeiten. Da wird es nicht immer alles ganz einfach und friktionsfrei gehen. Das wichtige ist, dass wir die Handlungsinstrumente haben, die wir brauchen, um sicherzustellen, dass nicht Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande auszubaden haben, was einige an Fehlspekulationen an den Börsen und mit ziemlich unrealistischen und absurden Renditeerwartungen der Weltwirtschaft angetan haben.

 

Zum  Interview-Text auf der Internetseite des Deutschlandfunk.

 

Das Interview auf der Internetseite des Deutschlandfunk anhören (MP3)