DIE WELT: Herr Minister, sämtliche Wirtschaftsexperten befürchten massive Arbeitsplatzverluste infolge der Wirtschaftskrise. Fühlt sich da der Arbeitsminister nicht ziemlich machtlos?
Olaf Scholz: Die Regierung ist nicht allmächtig, aber auch nicht machtlos. Der deutsche Arbeitsmarkt ist in vielerlei Hinsicht besser aufgestellt als andere in den führenden Industrieländern. Und welche Handlungsmöglichkeiten der Arbeitsminister hat, sehen sie etwa daran, dass ich schon im letzten Jahr mit einer zügig erlassenen Verordnung, die Förderdauer der Kurzarbeit von sechs auf 18 Monate erhöht habe. Jetzt entlasten wir die Betriebe in dieser Phase auch noch finanziell, indem der Staat die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt.
DIE WELT: Sie finanzieren die Arbeitsmarkt-Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit. Wie lange reichen diese Rücklagen?
Scholz: Wir haben 16 Milliarden Euro Rücklagen. Das Geld reicht bis weit in das nächste Jahr. Sollte die Krise Ende kommenden Jahres noch nicht überwunden sein, bekommt die Bundesagentur ein Darlehen aus dem Bundeshaushalt, mit dem wir die Maßnahmen weiterfinanzieren können, ohne den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöhen zu müssen.
DIE WELT: Sie sind nah dran an der Wirtschaft. Wie sind die Rückmeldungen aus den Betrieben? Wer plant Kurzarbeit?
Scholz: Kurzarbeit geht quer durch alle Branchen, vor allem durch jene, die mit der Automobilindustrie zusammenhängen. Wichtig ist: Wir sind auf einen großen Ansturm auf die Kurzarbeit vorbereitet. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten und den Willen, sie einzusetzen.
DIE WELT: Wie viele Arbeitnehmer sind inzwischen von Kurzarbeit betroffen?
Scholz: Inzwischen sind es Hunderttausende. Und es können noch mehr werden. Im Jahresschnitt rechne ich mit 250.000 Kurzarbeitern - viele aber nur für eine überschaubare Zeit.
DIE WELT: Wie viele Unternehmen sind vom Konkurs bedroht?
Scholz: Das ist schwer zu quantifizieren. Wahr ist, die Zahl der Insolvenzen wird sicher zunehmen. Es gibt da eine schwierige Entwicklung. Gerade bei den Zulieferbetrieben der Automobilindustrie zeigen sich jetzt die Folgen der knallharten Preispolitik der bestellenden Konzerne. Die Zulieferer besitzen so gut wie keine Liquiditätsspielräume.
DIE WELT: Das heißt, die Praxis der Vergangenheit erschwert nun die Bewältigung der Krise?
Scholz: So ist es. Nehmen Sie das Engagement der Hedge-Fonds, die Unternehmen gekauft und mit horrenden Schulden belastet haben. Denen ging es nicht um die langfristige Entwicklung. Man muss offen sagen: Diesen Unternehmen fehlt heute die Luft zum atmen.
DIE WELT: Wie viele Arbeitslose werden wir Ende des Jahres haben?
Scholz: Wir werden im Schnitt vermutlich 250.000 Arbeitssuchende zusätzlich haben.
DIE WELT: Es heißt, zur Bundestagswahl im September könne die Zahl der Arbeitslosen die Vier-Millionen-Marke erreichen oder gar überschreiten. Stimmt das?
Scholz: Niemand besitzt eine Rechenmaschine, mit der er eine solche Zahl seriös errechnen kann. Uns geht es darum, soviele Arbeitsplätze wie möglich zu retten und gleichzeitig denen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, möglichst schnell einen neuen anzubieten. Darum bauen wir die Kurzarbeit aus. Darum fördern wir die Qualifizierung in der Beschäftigungskrise. Darum erhöhen wir auch die Zahl der Vermittler um mehrere tausend.
DIE WELT: Der neue US-Präsident Barack Obama hat seinen Landsleuten klipp und klar gesagt, dass sie in diesem Jahr Millionen Jobs verlieren werden. Scheuen Sie davor zurück, den Menschen die Wahrheit zu sagen?
Scholz: Ich glaube, dass es richtig und verantwortlich ist, wenn wir auch bei Prognosen auf dem Teppich bleiben. Das schlimmste Szenario ist nicht zwangsläufig das Wahrscheinlichste. Im Übrigen ist das, was wir tun müssen, auch ohne eine solche Zahl klar. Wir stemmen uns der Krise entgegen. Unsere Instrumente sind ziemlich ausgereift. Ich war gerade bei einem Treffen europäischer Beschäftigungsminister in Tschechien. Viele schauen nach Deutschland, z.B. wegen der Kurzarbeit.Was die Bürger nun von uns zu Recht erwarten, ist ein gutes Krisenmanagement.
DIE WELT: Das anfangs doch sehr zögerlich und unentschlossen wirkte
Scholz: Die Regierung hat sehr schnell und sorgfältig reagiert und die notwendigen Maßnahmen mit dem Finanzmarktstabilisierungspaket und zwei Konjunkturpakten auf den Weg gebracht. Aber ich sage auch: Alle sind gut beraten, sehr ernsthaft bei der Sache zu sein und keine Mätzchen zu machen. Dafür ist die Lage viel zu ernst.
DIE WELT: Wen meinen Sie?
Scholz: Die Mätzchenmacher outen sich selbst.
DIE WELT: Sie betonen immer wieder, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und das beste Fundament einer hoch technisierten Wirtschaft ist. Warum versperren Sie dann intelligenten Kindern aus Hartz-IV-Familien den Weg zum Abitur, indem sie ihnen das Schulbedarfspaket, das jüngeren Kindern zusteht, verweigern?
Scholz: Das Schulbedarfspaket ist überhaupt erst auf Drängen der SPD entstanden. Allerdings bestand die Union darauf, dass es auf die Schüler bis zur zehnten Klasse beschränkt wird. Was allerdings die CDU-Sozialminister der Länder nicht davon abgehalten hat, dem Bundesarbeitsminister die Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass es das Paket nicht für die Oberstufe gibt. Ein - höflich gesagt sehr merkwürdiges Verhalten.
DIE WELT: Dafür konnten Sie eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit durchsetzen. Bei welchem Betrag wird diese Grenze liegen?
Scholz: Wir haben die Zahl der Mindestlöhne in dieser Legislaturperiode von eins auf zehn gesteigert. Weit mehr als drei Millionen Menschen werden vor Dumpinglöhnen geschützt werden. Für Hunderttausende bedeutet dies, dass sie eine ordentliche Lohnerhöhung bekommen werden und von ihrem erarbeiteten Lohn wenigstens ihr Auskommen finanzieren können. Das ist ein Riesenerfolg. Genauso wie die Verständigung darauf, dass es eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit gibt. Sie wird sich dabei an den geltenden Flächentarifverträgen in diesem Bereich orientieren.
DIE WELT: In der Koalition ist die SPD durchaus erfolgreich. Aber beim Wähler punktet sie damit nicht. Warum kommt die Partei aus ihrem Tief nicht heraus?
Scholz: Ich bin sicher, dass wir es schaffen werden, bis zur Bundestagswahl im September mit der Union gleichzuziehen.
DIE WELT: Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Scholz: Die SPD kann kämpfen, das haben wir oft bewiesen. Und wir haben einen Kanzlerkandidaten, von dem sich jeder Deutsche vorstellen kann, dass er ein guter Kanzler wäre.
DIE WELT: Woher wissen Sie das? Gibt es dazu Umfragen?
Scholz: Ich höre das von allen Bürgern mit denen ich spreche, auch von den Anhängern anderer Parteien.
DIE WELT: Na, denn. Mit dem neuen Vorsitzenden Franz Müntefering verband die SPD die Hoffnung, dass sich die Partei insgesamt wieder erhole. Dennoch laufen Ihnen nicht nur die Wähler, sondern auch weiterhin die Mitglieder davon. Waren die Hoffnungen überzogen?
Scholz: Nein. Wähler sind keine Schachfiguren. Sie sind die wichtigsten Leute unseres Landes. Sie sind der Souverän des Landes. Und sie wollen sich ihr Urteil sorgfältig überlegen. Das gilt auch für die, die in Betracht ziehen, die SPD zu wählen. Nur Zyniker wollen das nicht wahrhaben. Ich empfehle mehr Respekt.
DIE WELT: Die Frage galt allein den Hoffnungen der SPD
Scholz: Es war vorhersehbar, dass wir nach einer gewissen Zeit gefragt werden würden: Und warum ist noch nicht alles ganz anders? Darauf gibt es nur eine Antwort: So schnell geht das nicht. Daraus, dass die Union in den Meinungsumfragen von unserer Lage nicht profitiert, schließe ich: Die Union ist für viele keine Alternative. Wir haben also alle Chancen bis zum Wahltag ausreichend viele zu überzeugen.
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24.01.2009