arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

24.04.2012

Empfang zum 1. Mai

 

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der

Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrter Herr Grund,

sehr geehrte Frau Paulig-Hagemeier, 

meine Damen und Herren,

 

nach 372 Tagen begrüße ich Sie wieder zum traditionellen Mai-Empfang. Die Zahl stimmt, das Schaltjahr ist berücksichtigt.

 

Wichtiger ist, und es freut mich sehr, dass auch in diesem Jahr eine so große Zahl von Gästen hier  ist und Lust hat, diesen Empfang in wie es so schön heißt drangvoller Enge buchstäblich durchzustehen. Ein Sänger würde jetzt in den Saal rufen: Can you hear me? Als Bürgermeister rufe ich: Herzlich willkommen!

 

Seit über 50 Jahren lädt der Senat zu dieser Jahreszeit Gewerkschafter, Betriebs- und Personalräte zum Empfang ein. Auch heute will er Ihnen, meine Damen und Herren, seine Wertschätzung und seinen Dank zum Ausdruck bringen. 

 

Dass die Geburtsstunde des 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse das war er damals mit vollem Recht dass seine Geburtsstunde in die Kaiserzeit fiel, heißt nicht, dass sich der Wunsch, die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und sozialer Gerechtigkeit seitdem erledigt hätte.

 

Das Parteiorgan Vorwärts am 1. Mai darf ich daraus zitieren, auch hier, im überparteilichen Rathaus der Vorwärts verglich die Arbeiterbewegung zu der Zeit mit einem Karawanenzug und schrieb:

 

Ihr Arbeiter aber, die Ihr jetzt wandert durch die qualvolle Wüste des Lebens, umhüllt von dem glühenden Staub der Entbehrungen... Euch rufen wir ein kräftiges Vorwärts zu.

 

Heute schreiben und reden wir nüchterner über Verhältnisse, die ja auch nüchterner zu beurteilen sind. Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer fast aller Branchen und Berufe können die sozialen Errungenschaften genießen, die sich der Karawanenzug nach und nach, von Oase zu Oase auflud. Aber wir wissen auch, dass es mehr als hundert Jahre gedauert hat und dass es furchtbare Rückschläge gab. 

Heute ist der 1. Mai, das weiß jeder, in erster Linie ein Ausflugs- und Familientag. Manchmal, so wie in diesem Jahr, lässt er sich als Brückenkopf für ein verlängertes Wochenende nutzen. Warum auch nicht? Auch das ist eine Errungenschaft, die sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdient haben.

 

Die Rolle der Gewerkschaften bleibt auch unter sozialpartnerschaftlichen Bedingungen eine wichtige. Dass sich die einstigen Arbeiterparteien sehr gewandelt haben oder ganz verschwunden sind, ändert daran nichts.

  

Meine Damen und Herren,

Tradition ist gut, Weitermachen besser. Das betrifft diesen Empfang, es betrifft den Maifeiertag, aber es bedeutet auch: dass Sie als Gewerkschafter, Betriebs- und Personalräte weiterhin dafür einstehen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vernünftige Bedingungen haben und ihre Rechte wahrnehmen können.

 

Natürlich gilt das weit über die Stadt Hamburg und seine Grenzen hinaus.

 

Deutschland ist gut durch die Krise gekommen, auch und ganz besonders, weil seine Arbeitnehmer mitgemacht haben, als es zum Beispiel hieß: Kurzarbeit, um drohende Entlassungen und steigende Arbeitslosigkeit zu verhindern.

 

Diejenigen, die anpacken, sind das größte und wichtigste Potenzial, auf das sich das Land verlassen kann. Auch wenn sie unter bestimmten Umständen damit einverstanden sein müssen, zu bestimmten Zeiten nicht anpacken zu können. Und auf gutes Geld zu verzichten.

     

Nicht alle müssen für ihr gutes Leben gleichermaßen hart arbeiten. Wohlstand und  Einkommen sind ungleich verteilt. Zu ungleich, das ist keine Frage. Nicht jeder bekommt, was er verdient. Und umgekehrt.

 

Soziale Gerechtigkeit schafft man nicht mit Patentrezepten. Aber das heißt nicht, dass es nicht gute, vernünftige, realisierbare Ideen gäbe.

 

Ich bin zum Beispiel für den Mindestlohn. Und der kommt auch.

 

Wer ein Arbeitseinkommen bezieht, muss viel dafür tun. Dafür verdient er, oder sie, einen angemessenen ordentlichen Lohn.

 

Was ein angemessener ordentlicher Lohn ist, ergeben Tarifverhandlungen. Im Idealfall. Aber so einfach ist es nicht immer.

 

Meine Damen und Herren,

es gibt Leute, die sagen, einen Mindestlohn bräuchten wir nicht, er wäre schädlich für die Konjunktur und würde die Unternehmer scharenweise ins Ausland treiben. Ich sehe das anders und das tun in den Ländern und auch im Bund immer mehr Leute.

 

Ein Mindestlohn macht niemanden reich. Aber erstens sorgt er für Gerechtigkeit. Er stoppt die Abwärtsspirale der Löhne, die übrigens auch  Beschäftigte mit Berufsausbildung oder Studium mit herunterzieht. Er befreit vor allem Frauen von Lohnarmut und Abhängigkeit, oder ist zumindest ein wichtiger Schritt dorthin.

Zweitens sorgt der Mindestlohn für fairen Wettbewerb, das ist ein wichtiger Aspekt für die Unternehmen, namentlich für die mittelständischen und kleineren Betriebe, denn Lohndumping ist ein unfairer Wettbewerbsvorteil, den sich die einen verschaffen und mit dem sie die Konkurrenz unter Druck setzen. Druck, den die an die Arbeitnehmer weitegeben. Das ist eine ganz üble Spirale.

 

Mehr Geld für geleistete Arbeit bedeutet auch, man muss nicht jeden Cent dreimal umdrehen, kann sich mehr leisten für sich und die Familie, die Kinder, und zur so genannten Binnennachfrage beitragen.

 

Aber das Allerwichtigste ist für mich: Alle Arbeitnehmer müssen für ihren Beitrag zur Wertschöpfung, für ihre Arbeitsleistung auch so bezahlt werden, dass sie von ihrer Arbeit leben können und keine weitere Unterstützung vom Staat brauchen. Dass sie sagen können: So, das hier habe ich verdient und ich muss niemandem dankbar sein für Almosen.

 

Verdient, meine Damen und Herren. Ein Wort, das ja erstaunlich unterschiedliche Bedeutungen hat. Auch im Prinzip seriöse Geldinstitute erzählen gern, sie wollten nach überstandener Krise jetzt im nächsten Geschäftsjahr wieder richtig Geld verdienen. Das finde ich gut, sollen sie! Solange sie bedenken, dass jeder Euro ihnen anvertraut worden ist von Leuten, die diesen Euro schon verdient haben und wiedersehen wollen.

 

Übrigens haben 20 der 27 Staaten der Europäischen Union einen Mindestlohn bereits eingeführt. Die wissen nämlich auch ein weiteres Argument dass Mindestlöhne die staatlichen Haushalte entlasten. In der Tat ist es die Aufgabe der Unternehmen, für Existenz sichernde Einkommen zu sorgen, nicht die des Staates. 

 

Was kann man tun, wenn man zum Mindestlohn nicht nur ja sagen, sondern auch erreichen will, dass er kommt?

 

Da kann und will auch die Stadt Hamburg etwas tun, denn dass sich der Mindestlohn flächendeckend durchsetzt, lässt  sich durchaus fördern durch ein gezielteres Anwenden des Vergaberechts.

 

Worin besteht der Zusammenhang? Darin, dass das Vergaberecht kein bloßer Paragrafendschungel ist der aber die wirtschaftliche Bedarfsdeckung der öffentlichen Verwaltung gewährleistet sondern man kann damit auch:

  • ökologische Standards
  • solche der Arbeitssicherheit
  • und auch soziale Standards durchsetzen,

wenigstens bei denen, die für die Stadt Aufträge ausführen wollen.

 

Zu den sozialen Aspekten gehören u. a. die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen (Ausschluss von Kinderarbeit etc.), die Tariftreue und die Zahlung von (vergabespezifischen) Mindestlöhnen. So steht es in einem Thesenpapier, das wir entwickelt haben und aus dem wir konkret etwas machen werden.

 

Meine Damen und Herren,

als ich eben die furchtbaren Rückschläge erwähnt habe, die die Arbeiterbewegung erleben musste, hatte ich vor allem die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur im Sinn, als sie unterdrückt und verboten war. Als Viele in Konzentrationslagern landeten oder höchstens noch heimlich, in der Illegalität weiterarbeiten und sich gegenseitig helfen konnten.

 

Die Zeit kommt nicht wieder wenn wir aufpassen. Rechtsradikale sind in unserer Gesellschaft aktiv und beschränken sich nicht auf Propaganda. Es hat eine Mordserie gegeben und die Täter haben auch Hamburg nicht ausgespart.

 

Am 2. Juni wollen die Rechtsextremen nach Hamburg kommen. Und auch unsere Stadt wird den Rechtsextremen zeigen, dass wir für Demokratie und Toleranz einstehen auf dem Rathausmarkt. Wir werden in einem gemeinsamen Bündnis den Extremisten entgegentreten: Senat und Bürgerschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Sport und Migrantenvereine, Bürgerinnen und Bürger.

 

Meine Damen und Herren,

machen Sie mit. Sorgen Sie in Ihren Betrieben, in Ihren Arbeitsplätzen dafür, dass rechte Parolen nicht verfangen. In Fabrikhallen, auf dem Bau, im Büro gibt es keine In- und Ausländer, nur Kolleginnen und Kollegen. Werben Sie zum Beispiel dafür, dass sich noch mehr Einwanderer, oder Kinder oder Enkel von Einwanderern, einbürgern lassen. Damit sie auch offiziell die gleichen Rechte haben und Pflichten schultern können wie alle anderen.

 

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche in Erwartung des 1. Mai.

 
 
Es gilt das gesprochene Wort.