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25.04.2012

Volkspartei zu sein kostet seinen Preis

 

Hinter dem Begriff Volkspartei verbirgt sich zunächst nicht mehr als der erklärte Anspruch einer Partei, ungeachtet eines klaren Wertekanons und einer akzentuierten Programmatik für alle gesellschaftlichen Milieus wählbar zu sein. Dass Parteien grundsätzlich Jedermann offen stehen, scheint heute selbstverständlich. Tatsächlich ist diese Öffnung eine verhältnismäßig junge Errungenschaft der Volksparteien. Kürzlich hörte ich über ein später langjähriges SPD-Mitglied, dass sein erster Aufnahmeantrag noch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass er kein Arbeiter sei. Erst nach Verabschiedung des Godesberger Programms im Jahr 1959 konnte er Parteimitglied werden. Am Ende eines langen Prozesses hatte die SPD den Wandel von einer Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei des Volkes vollzogen und sich damit für alle Konfessionen, für Akademiker, die Mittelschicht, Unternehmer und alle gesellschaftlichen Gruppen geöffnet.

 

Die SPD hat das Bild der modernen Volkspartei in Deutschland entscheidend geprägt. Denn anders als heute vielfach diskutiert ist das Konzept der demokratischen Mitgliederpartei eine historische Erfindung der Sozialdemokratie. Die Gründungsphase der deutschen Sozialdemokratie fiel in eine Zeit, in der das Parteiensystem noch maßgeblich von Honoratiorenparteien oder Patronageparteien (Max Weber) geprägt war, die nicht von einer breiten Mitgliederbasis getragen wurden. 

 

Heute übernehmen die Volksparteien in Deutschland die wichtige Funktion, den Bogen zu spannen zwischen den unterschiedlichen Milieus mit ihren verschiedenen Lebenslagen und Bedürfnissen. Die Volksparteien leisten damit bei uns den unverzichtbaren Integrationszusammenhang, den anderswo das Mehrheitswahlrecht garantiert: In den USA etwa sammeln Demokraten und Republikaner sämtliche Strömungen ihrer jeweiligen politischen Lager. Den Wählerinnen und Wählern bleibt nur die Möglichkeit, sich in ein grobmaschiges Links-Rechts-Spektrum einzuordnen. In Deutschland hingegen ist es den Wählerinnen und Wählern möglich, bei ihrer Wahlentscheidung deutlich weniger Kompromisse machen zu müssen. Es steht ihnen frei, auch eine kleinere Partei zu wählen, die ihr Lebensgefühl und ihre Kerninteressen stark pointiert vertritt. Sie können diese Entscheidung in der Gewissheit treffen, dass diese Parteien wegen des Verhältniswahlrechts nur in einer Koalition mit einer der beiden Volksparteien Regierungsverantwortung erlangen. Über diesen Mechanismus ist sichergestellt, dass auch Fragestellungen, die eine kleinere Partei gar nicht oder nur sehr einseitig beantwortet, durch das Regierungshandeln einer Koalition im gesellschaftlichen Gesamtinteresse angemessen Berücksichtigung finden. Kurz: Beim Verhältniswahlrecht mit einem breiten Parteienspektrum muss die Integration der unterschiedlichen Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger vor allem durch die Volksparteien geleistet werden. Hier liegt heute die besondere Verantwortung der Volksparteien. Paradoxerweise profitieren von diesem Mechanismus nicht selten die kleineren Parteien, die weiterhin mit der reinen Lehre werben können. Und solange sie diese programmatische Beschränkung nicht aufgeben, bleiben sie kleine Parteien selbst dann, wenn sie bei einzelnen Wahlen zweistellige Ergebnisse erreichen können.

 

Der Schluss vom tatsächlichen Mitgliederschwund der Volksparteien auf ihren angeblichen Bedeutungsverlust greift zum einen also zu kurz. Zum anderen folgt aus dem Anspruch, für alle Wählerschichten wählbar zu sein, eben nicht zwangsläufig, auch von allen gewählt zu werden. So hat die SPD in der Bundesrepublik bis heute lediglich drei Bundeskanzler gestellt, ohne dass dies ihre Rolle als Volkspartei jemals in Frage gestellt hätte. Die anhaltende Dominanz der Volksparteien auch in einer zunehmend aufgefächerten parlamentarischen Parteienlandschaft belegt, dass sie für das politische System in Deutschland unverzichtbar sind.

 

Die Entscheidung, eine Volkspartei zu sein, steht grundsätzlich jeder Partei offen. Aber diese Entscheidung hat ihren Preis. Sie kostet den Preis, die eigene Programmatik immer wieder dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, ohne die eigenen Grundüberzeugungen aus dem Blick zu verlieren. Sie kostet den Preis, das große Ganze denken zu müssen und in oft harten parteiinternen Auseinandersetzungen immer wieder nach ausgewogenen Positionen zu streben. Sie kostet den Preis, permanent dem Vorwurf der inhaltlichen Beliebigkeit ausgesetzt zu sein und immer wieder für differenzierte Positionen werben zu müssen. Der Preis ist hoch. Doch der Erfolg ist aller Mühe wert. Manchmal, wie zuletzt in Hamburg, winkt sogar eine Mehrheit der Mandate im Parlament und die Chance, alleine die Regierung zu stellen.

 

Ein Beitrag für Zukunft Volkspartei der Konrad Adenauer Stiftung