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17.11.2010

FAZ Standpunkt von Olaf Scholz

Der offenste Arbeitsmarkt für Akademiker

Deutschland hat den offensten Arbeitsmarkt für akademisch qualifizierte Arbeitskräfte. Seit dem Beginn des Jahres 2009 können Hochqualifizierte weitgehend ohne große Beschränkungen freie Arbeitsplätze besetzen. Das gilt nicht nur für Akademiker aus der ganzen Europäischen Union, die nicht auf die erst von Mai 2011 an geltende Freizügigkeit für Unionsbürger warten müssen.

Auch wer außerhalb der EU ein Hochschulstudium absolviert hat, darf in Deutschland arbeiten. Es wird lediglich überprüft, ob es geeignete Bewerber aus dem Binnenraum der EU gibt und ob die in Frage kommenden Arbeitskräfte den für diesen Arbeitsplatz bei uns üblichen Verdienst erhalten werden. Dann können diese Hochqualifizierten schon mit einem Jahreseinkommen von beispielsweise 40.000 Euro bei uns tätig sein. Die Ehegatten dürfen übrigens mit nach Deutschland kommen. Bei ihrer Arbeitsplatzsuche wird nicht mehr geprüft, ob vorrangige Bewerber zu berücksichtigen sind.

Ausländer, die hier ihren Hochschulabschluss erworben haben, können direkt in Deutschland beschäftigt werden. Mehrere tausend waren es im vergangenen Jahr. Sie haben nicht nur nach dem Studienabschluss ein Jahr Zeit, während sie noch in unserem Land leben, sich einen geeigneten Arbeitsplatz zu suchen; sie können auch danach immer wieder ohne eine Vorrangprüfung einen Arbeitsplatz annehmen. Ähnliches gilt für die Absolventen deutscher Auslandsschulen. Mit einem Studienabschluss einer ausländischen Universität dürfen sie in Deutschland berufstätig sein, ohne sich der Vorrangprüfung zu unterziehen. Sie haben auch die Möglichkeit, in Deutschland eine Berufsausbildung zu machen und anschließend hier zu arbeiten. Der zeitlich befristete Einsatz ausländischer Manager eines Konzerns in Deutschland ist ebenfalls unbürokratisch möglich.

Die Beibetragsbemessungsgrenze ist plausibel


Und dann gibt es noch das Super-Premium-Goldpaket. Wer mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens, aktuell 66.000 Euro im Jahr oder 5500 Euro im Monat für seine Tätigkeit erhalten soll, bekommt die Möglichkeit, sich dauerhaft niederzulassen. Es wird nicht geschaut, ob es geeignete vorrangige Bewerber für diese Aufgabe gibt. Als der Gesetzgeber die Einkommensgrenze für diese höchst privilegierte Zuwanderungsmöglichkeit von über 80.000 Euro auf den jetzigen Wert senkte, hat er sich an der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung orientiert, eine plausible Größe. Diese Zuwanderungsmöglichkeit für Spitzenkräfte mit der Staatsangehörigkeit eines Nicht- EU-Staates ist weltweit fast einzigartig.

Die öffentliche Debatte konzentriert sich oft auf die weitere Absenkung dieser Einkommensgrenze, obwohl alle anderen Neuerungen viel wichtiger sind. Man darf wohl getrost annehmen, dass das meist so ist, weil die Beteiligten die übrigen Neuregelungen und Verbesserungen gar nicht kennen. Vermutlich nicht einmal jeder Minister. Es ist ja nicht vorgeschrieben, dass man sich in einer Sache gut auskennen muss, um lautstark das Wort zu ergreifen.

Man kann aber auch eine etwas versöhnlichere Vermutung anstellen: Dass die seit Anfang 2009 geltenden Erleichterungen für die Zuwanderung akademisch qualifizierter Spitzenkräfte so wenig bekannt sind, liegt vielleicht auch daran, dass praktisch alle Neuerungen durch Rechtsverordnungen und ohne Beteiligung des Parlaments eingeführt wurden. Die Absenkung der Einkommensgrenze für die fast schrankenlose Zuwanderung bedurfte eines Parlamentsbeschlusses. Kann es sein, dass mancher nur das für Politik hält, worüber der Bundestag beschließt?

Natürlich kann stets neu über die richtige Festlegung der Einkommensgrenze diskutiert werden. Große Vorsicht ist aber angebracht. Die von einigen jetzt ins Spiel gebrachte Absenkung auf 40.000 Euro Jahreseinkommen ist sicher nicht klug. Denn wer oberhalb dieser Summe verdienen soll, könnte dann von außerhalb der EU nach Deutschland kommen und hier einen Arbeitsplatz besetzen, selbst wenn zahlreiche qualifizierte Arbeitslose sich ebenfalls für diesen interessieren. Ein Jahreseinkommen von 40.000 Euro entspricht einem Monatseinkommen von knapp über 3000 Euro. Da geht es dann schon um gutverdienende Facharbeiter, Mitarbeiter im Labor, um normale kaufmännische Berufe.

Das darf nicht unbedacht bleiben. Vom Mai kommenden Jahres an gilt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU. Lediglich für Bulgarien und Rumänien könnte die Bundesregierung sie noch für sehr kurze Zeit hinauszögern. Es entsteht also bald ein Arbeitsmarkt mit etwa 500 Millionen Einwohnern und etwa 200 Millionen Erwerbstätigen. Die Möglichkeiten gilt es jetzt zuerst zu nutzen.


In der Pflegebranche sind die Gehälter zu niedrig


Worauf einige hinauswollen, erklärt regelmäßig der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Pflege Thomas Greiner. Jüngst beklagte er via Bild, dass bald mehrere 100.000 Pflegekräfte fehlen werden, und verlangte: Was wir brauchen, sind Menschen aus Nicht-EU-Staaten, zum Beispiel aus Asien. Dabei hat der Mangel an Pflegekräften nur etwas damit zu tun, dass nicht genug ausgebildet wird und dass die Gehälter für die schwere und anspruchsvolle Arbeit zu gering sind.

Die Verweildauer der Arbeitskräfte in dem Beruf ist deshalb nicht zufällig nur kurz. Wenn wir mehr ausbilden und besser zahlen, werden wir genügend Pflegekräfte haben und zugleich im Land die Arbeitslosigkeit senken können. Und darum ist auch klar: Für Berufe, die keine Hochschulausbildung zur Voraussetzung haben und die mit einer klassischen Berufsausbildung ausgeübt werden können, ist eine erleichterte Zuwanderung von außerhalb der EU zur Deckung der Arbeitskräftenachfrage nicht erforderlich. Jedenfalls dann nicht, wenn wir unsere Hausaufgaben bei Bildung, Berufsausbildung und Bezahlung erledigen. Für akademisch qualifizierte Arbeitskräfte hat Deutschland seinen Arbeitsmarkt klugerweise schon geöffnet. Es muss sich nur herumsprechen.

 

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