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01.02.2014

"Frieden und Wohlstand - Das Versprechen Europas im 21. Jahrhundert" aus: "Europa, aber anders"

Das Buch "Europa, aber anders", herausgegeben vom SPD-Europaabgeordneten Knut Fleckenstein, erscheint im Februar 2014.

 

Europa ist ein historisch einmaliges Projekt. Diesen Satz hört und liest man häufig. Und er ist auch tiefgreifend wahr. Zugleich aber spürt man im Alltag nicht immer diese historische Wucht. Das liegt daran, dass  Europa bei allem rhetorisch überschwänglichem Überschuss eben auch eine prägende politisch handwerkliche Dimension hat: die Überwindung ideologischer und mehr noch nationalistischer Teilungen durch das pragmatisch wohlverstandene Eigeninteresse der Nationen und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Europa lag ursprünglich die nüchterne Erkenntnis zugrunde, dass Länder, die eng zusammenarbeiten, keinen Krieg mehr führen.

 

In diesem Sinne lassen sich zwei große europäische Erzählungen ausmachen, die sich daraus ergeben, dass die europäischen Völker ihre Feindseligkeiten überwunden haben: erstens das Narrativ von der Versöhnung der europäischen Staaten nach dem 2. Weltkrieg und zweitens die Überwindung der Teilung Europas nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs und die anschließende Erweiterung der Europäischen Union. Zusammen bilden sie den Kern des europäischen Friedensprojekts.

 

Zu diesen beiden historischen Prozessen ist die Erkenntnis hinzugekommen, dass entgrenzte Märkte auch eine grenzüberschreitend handlungsfähige und möglichst demokratische Politik brauchen. In seinem Buch Der Europäische Traum hat Jeremy Rifkin bereits 2004 festgestellt: In einer so dichten, interdependenten Welt können Nationalstaaten allein nicht länger bestehen. Wie transnationale Unternehmen finden sie sich allmählich in kooperativen Netzwerken zusammen, um den Realitäten einer globalisierten Hochrisiko-Gesellschaft gerecht zu werden. Die Europäische Union ist das am weitesten fortgeschrittene Beispiel für neue, transnationale Regierungsmodelle, und aus diesem Grund blickt die ganze Welt auf ihre Erfolge und Fehlschläge. Das gilt bis heute unvermindert: Nur gemeinsam können die europäischen Staaten in der Globalisierung zu einer relevanten Macht werden, um ihre Ideen von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit gegenüber der Ökonomie des Weltmarktes zu behaupten.

 

Vor dem Hintergrund dieser großen und machtvollen europäischen Erzählstränge gehen Europa und die Schuldenkrise uns natürlich auch hier in der europäischen Handelsmetropole Hamburg etwas an. Hamburg hat bislang besonders von der europäischen Integration profitiert mit etwa fünf Millionen Einwohnern in der Metropolregion sind wir ein Prozent Europas:

 

  • Der EU-Binnenmarkt spielt für Hamburg als Hafen- und Handelsmetropole eine zentrale Rolle. Die EU-Währungsunion ermöglicht es Hamburger Unternehmen, im gesamten Euro-Raum Geschäfte ohne das Risiko von Wechselkursschwankungen zu tätigen.
  • Die Osterweiterung der Union 2004 hat es Hamburg ermöglicht, sein traditionelles Hinterland erneut zu erschließen und den ehemals starken Handel mit Nord- und Osteuropa wieder aufzunehmen.
  • Die Handelspolitik der EU bestimmt die Rahmenbedingungen, unter denen sich hiesige Unternehmen am Welthandel beteiligen.

 

Nicht zuletzt fördern EU-Mittel die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in Hamburg: Zwischen 2007 bis 2013 flossen 91 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), 35 Millionen aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) und 25 Millionen aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds (ELER) nach Hamburg. Weitere EU-Förderprogramme fördern Innovation und Forschung. So haben ebenfalls in der Förderperiode 2007 bis 2013 Hamburger Hochschulen und Forschungseinrichtungen allein aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm bisher 178 Millionen Euro erhalten.

 

Diese Schlaglichter zeigen, dass die Bewältigung der ernsten Krise, in der sich die Europäische Union befindet, für Hamburg von größter Bedeutung ist. Deshalb müssen wir uns um Europa kümmern gerade auch im anstehenden Europawahlkampf, der erstmals eine wirklich europäische Perspektive auf die politischen Herausforderungen unserer Zeit entwickeln wird. Es liegt in unserem Interesse, für vernünftige europäische Politik einzutreten.

 

Deutschland als exportstarke und europäisch verflochtene Volkswirtschaft und damit auch Hamburg als wichtiger Wirtschafts- und Handelsstandort wären von einem Scheitern Europas betroffen und damit auch die Sicherheit von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Deshalb geht die aktuelle Situation uns alle an. Wir müssen neue Regularien für Europa entwickeln gemeinsam mit den derzeit unter Druck stehenden Ländern. Populistische hausgemachte Turbulenzen können sich Deutschland und Europa dabei nicht leisten.

 

Der Blick richtet sich dabei insbesondere auf die Zukunft des Euro, der gleichermaßen die Vertiefung des Handels und der politischen Kooperation vorantreiben soll. Er steht wie eine Chiffre für den Einigungswillen Europas. Vor seiner Einführung wurde heftig darüber gestritten, ob die gemeinsame Währung den Aufbau einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU krönen oder wie eine Lokomotive die Einigung auf eine Wirtschafts- und Finanzpolitik nach sich ziehen sollte. Die Politik hat sich entschieden, den Euro zur Lokomotive der Integration zu machen. Auch wenn aktuell mancher zweifeln mag, dass das klug gewesen ist: Der Zug ist unterwegs und wir müssen die Weichen richtig stellen, um die europäische Wirtschafts- und Finanzordnung dauerhaft zu stabilisieren.

 

Wir brauchen in der Euro-Zone ein gemeinsames Verständnis für den Umgang mit den öffentlichen Haushalten. Wir müssen auch in Europa darüber einig werden, dass die historische und über Jahrzehnte gewachsene Staatsverschuldung nicht mehr weiter anwachsen darf. Deshalb ist es richtig, wenn jetzt auch in anderen Ländern über eine konstitutionelle Schuldenbremse und eine daran geknüpfte Verpflichtung zu zukünftig ausgeglichenen Budgets geredet wird. Daraus sollte ein gemeinsames Verständnis über die Haushaltspolitik der verschiedenen Länder wachsen.  Dieser Konsens ist leichter erreichbar als ein Konsens über alle Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.

 

Wenn wir einen solchen Konsens über ausgeglichene Budgets als Verfassungsprinzip haben, dann ist der Spielraum für unterschiedliche politische Strategien innerhalb der Euro-Zone da. Viele Wege führen zu einem gesunden Haushalt. Letztendlich müssen sich die einzelnen Länder demokratisch selbst entscheiden, ob sie für zusätzliche Ausgaben höhere Steuern verlangen wollen oder wegen geringerer Steuern geringere Ausgaben akzeptieren. Diese demokratischen Entscheidungen werden aber überhaupt erst möglich, wenn das Maßhalten beim Schuldenmachen allgemein akzeptiert ist.

 

Wir brauchen weitere Fortschritte in der Koordinierung der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa, zum Beispiel durch Verabredungen über gemeinsame Bemessungsgrundlagen oder durch gemeinsame regulatorische Initiativen. Vielleicht sollten einige Mitgliedsstaaten vorangehen. Die Absicht, gemeinsame Grundlagen für die Besteuerung von Körperschaften zu entwickeln, wäre ein solcher Schritt. Ich bin überzeugt, dass sich kluge Lösungen durchsetzen würden. Und es gibt bereits Wege: Der EU-Vertrag sieht ausdrücklich die Möglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten vor, verstärkt zusammenzuarbeiten. Dazu müssen mindestens neun Länder zusammenkommen, im Idealfall natürlich alle Mitglieder der Euro-Zone. Sie müssten sich auf Vorschlag der Kommission eine Ermächtigung durch den Rat sowie die Zustimmung des Europäischen Parlaments einholen und könnten dann vorexerzieren, wie der künftige Pfad gemeinsamer Rechtsetzung aussehen könnte. Das ist bislang noch kaum ausprobiert worden, weil es viele es für recht mühsam halten. Ich bin mir aber sicher, dass solche Pfadfinder-Projekte keine Abkehr von der gemeinsamen Europa-Idee bringen werden, sondern neue Impulse und eine dynamischere Entwicklung.

 

Hinzu kommt auf europäischer Ebene die notwendige Debatte über die Regulierung der Finanzmärkte. Nicht erst seit 2008 wissen wir, dass den internationalen Finanzströmen, die kulturelle, soziale und auch politische Einbettung fehlt. Ohne diese Rahmenbedingungen aber verselbstständigen sich Marktmechanismen und zielen nicht mehr auf gesellschaftliche Mehrwerte, sondern auf bloße, quasi autologische Erfüllung ihres Zwecks. Wer eine neue Prosperitätskonstellation in Europa schaffen will, der muss auch über die Instrumente reden, die die Finanzmärkte im Rahmen halten. Die viel beschworene Finanztransaktionssteuer ist da nur die Spitze des regulatorischen Eisbergs. Wir brauchen insgesamt mehr kluge fiscal governance in Deutschland und in Europa.

 

Wenn es uns gelingt, diese drei Weichen richtig zu stellen, dann kann das Projekt des Euro dazu beitragen, über die ökonomische Verflochtenheit zur politischen Kooperation und von dort zur gesellschaftlichen Identifikation zu kommen. Denn die gegenwärtige Krise Europas ist auch eine Krise der europäischen Identität. Es gibt durchaus Möglichkeiten, ein neues Narrativ für Europa zu schreiben. Sein Protagonist könnte ein Europa sein, das auf Schulden zulasten kommender Generationen verzichtete, mit größerer demokratischer Legitimation ausgestattet wäre und als politische Union weiterentwickelt werden könnte. In seinem Essay Zur Verfassung Europas gibt der Sozialphilosoph  Jürgen Habermas darauf erste Hinweise, wenn er fordert, die Europäische Union solle als entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer politisch verfassten Weltgesellschaft begriffen werden, in der das Primat des Politischen auf Augenhöhe mit den ökonomischen Erfordernissen bleibe und so demokratiekonforme Märkte befördere.

 

Die aktuelle Situation bietet eine gute Möglichkeit, in einen Meinungskampf über diese Fragen zur Bedeutung Europas für unseren Frieden und unseren Wohlstand einzutreten. Der Europawahlkampf bringt viele wichtige Gelegenheiten, die Tragweite dieses historisch einmaligen Projekts zu verdeutlichen und es mit nüchternen Argumenten ebenso wie mit politischer Leidenschaft zu unterfüttern.

 

Aus: "Europa, aber anders", Knut Fleckenstein (Hrsg.), Hamburg 2014