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24.05.2012

Gerd Bucerius Förderpreise Freie Presse Osteuropa

Gerd Bucerius Förderpreise Freie Presse Osteuropa

 

Sehr geehrter Herr Prof. Göring,

sehr geehrter Herr Rossavik,

sehr geehrte Abgeordnete,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

eine Zensur findet nicht statt. Vor zehn Jahren, fast auf den Tag genau, ist dieser hoffnungsvolle Satz hier im Kaisersaal des Rathauses vielleicht zitiert worden. Auch auf Russisch.

 

Das war, als Anna Politkovskaja für ihre Zeitung, die Novaja Gazeta, den Gerd-Buccerius-Förderpreis Freie Presse Osteuropa in Empfang genommen hat.

 

Es berührt mich sehr, dass es am heutigen Tage am selben Ort erneut die russische Sprache ist, in der unsere Gäste über das Thema Pressefreiheit miteinander, und zu uns sprechen werden. Und dass wir uns dabei an diese mutige Frau erinnern, über die eine deutschsprachige Zeitung aus Kaliningrad Königsberg später schrieb:  

 

Als wir sie in Hamburg persönlich kennenlernten, waren wir von ihrer Offenheit und Freundlichkeit überwältigt. Zu Annas Wesen passen am besten die Worte: ´Sie hatte ein Herz für Menschen, nicht für Herrscher´.

 

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zu der heutigen Preisverleihung, die ja unverändert eine hoffnungsvolle Entwicklung unterstützt, und die dazu dient, Journalistinnen und Journalisten vorzustellen und zu fördern, die Teil dieser Entwicklung sind und sie voran bringen. Indem sie das Recht auf freie Presse- und überhaupt Medienarbeit für sich in Anspruch nehmen und dieses Recht in der politischen und Alltagskultur verankern.

 

Und zwar so haben Sie es formuliert, sehr geehrter Theo Sommer, als Juryvorsitzender in Ihrer Verleihungsrede 2008 in Ländern, wo die Schlagschatten der Diktatur noch nicht gänzlich gewichen sind oder aber sich schon wieder düster auf die politische Landschaft legen (...) Dort ist viel persönlicher Mut vonnöten, um sich nicht  von der Zensur abschrecken zu lassen und auch der Versuchung zur Selbstzensur zu widerstehen.  

Zitatende. Ich habe eingangs den Satz Eine Zensur findet nicht statt hoffnungsvoll genannt, denn eigentlich drückt er eher eine Forderung aus, die noch erfüllt sein will, die noch längst nicht überall auf der Welt eingelöst ist. Noch nicht. 

 

Aber die Welt bewegt sich und die Dinge ändern sich. Der Europäische Einigungsprozess, der erst nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs, wie wir ihn früher genannt haben, richtig in Gang gekommen ist, er spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle, überall zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer.

 

Ich bin Optimist. Die institutionelle Garantie, eine eigene Meinung nicht nur äußern zu dürfen, sondern sie auch ungehindert verbreiten zu können, ist eine der größten Errungenschaften der Moderne. Ohne sie ist Demokratie nicht denkbar.

Diese Erkenntnis hat sich längst durchgesetzt. In immer mehr Ländern wird sie eingeklagt und wird sie Realität werden. In viel mehr Ländern als noch vor einer halben Generation ist aus der Hoffnung eine institutionelle Garantie geworden. Und auch dort, wo Rückschläge zu beobachten sind, wird sich eine Rückkehr zur staatlichen Gängelung der Medien nicht dauerhaft durchsetzen.

 

Das ist kein Naturgesetz, auch nicht innerhalb der Europäischen Union. Wachsamkeit und, wenn nötig, klare Kritik der europäischen Institutionen ist notwendig, wenn Regierungen versuchen, aus dem Konsens auszuscheren. Und eine wachsame, kritische Öffentlichkeit sowieso, gerade wenn es um die eigenen Belange geht. Mir scheint, dass es daran nicht gemangelt hat, als es um das neue Mediengesetz in Ungarn ging und die Frage, ob die EU dem zustimmen werde und mit welchen Nachbesserungen.

Wachsamkeit und Kritik: Wer in einem Land lebt, in dem rechtsstaatliche Verfassung und Realität übereinstimmen, ist privilegiert gegenüber denjenigen, die bisher noch andere Bedingungen haben. Das gilt für Privatpersonen und es gilt für Journalistinnen und Journalisten ganz besonders.

 

Privilegiert zu sein, verpflichtet. Es darf nicht zur Selbstzufriedenheit verleiten und dazu, die Geschichte der Pressefreiheit im eigenen Lande zu ignorieren. Auch in Deutschland ist die nicht vom Himmel gefallen, sondern schwer erkämpft worden und es gab furchtbare Rückschläge.

 

Bertrand Russell, der Brite, der so kluge Dinge über Deutschland geschrieben hat und ich komme auf ihn auch wegen dieses Raumes, der ja Kaisersaal heißt Bertrand Russell berichtete 1896 seinen britischen Lesern über die Zustände im wilhelminischen Deutschland wie folgt:

 

Pressefreiheit besteht wohl insofern, als alles ohne vorherige Erlaubnis veröffentlicht werden darf; aber die Polizei kann jederzeit, wenn es ihr ratsam erscheint, irgend einen Vorwand finden, um eine Zeitung zu unterdrücken und ihre Redakteure einzusperren. Nur in einer Hinsicht haben Zeitungen die perfekte Freiheit, nämlich darin, kommentarlos die Reichstagsdebatten abzudrucken.

 

Das mag manche hier Anwesenden an die heutige Realität bei sich zuhause erinnern. Über die werden wir nachher in der Laudatio bestimmt eine Menge hören, Deprimierendes, aber auch vorsichtig Hoffnungsvolles. Mit Sicherheit etwas darüber, dass es mehr Resistenz gegen Propaganda und mehr Mut gibt, sich zur Wehr zu setzen, als Medienschaffender Eigenes zu versuchen.

Und wie heute in manchen osteuropäischen Ländern, so gab es auch im damaligen Deutschland Möglichkeiten, mit Mut und Einfallsreichtum die bestehenden Spielräume auszunutzen, manchmal auch die Obrigkeit zu überlisten.

 

Auch davon berichtet Russell: dass sich Zeitungen, die die Zensur besonders im Auge hatte das waren dort und damals die sozialistischen Blätter dass sich diese Zeitungen einen gut bezahlten verantwortlichen Sitz-Redakteur hielten. Das war wörtlich gemeint, denn sitzen war und ist in der deutschen Sprache ein Ausdruck für im Gefängnis sein. Dorthin ging der Sitz-Redakteur, indem er die Verantwortung für Artikel der tatsächlichen Journalisten übernahm.

 

Beinahe humorvoll liest sich diese Schilderung, aber harmlos war die Zensur nicht. In späteren Zeiten, auch das wissen wir, kam es noch viel schlimmer.

 

Eine Zensur findet nicht statt, forderte die Weimarer Verfassung der ersten deutschen Republik von 1919. Da schien es erstmals mehr als eine Hoffnung zu sein, nämlich eine institutionelle Garantie, mindestens aber ein Versprechen. Doch die Verfassung und das Versprechen gingen 1933 mit der Republik unter.

 

So wurden nach 1945 wieder Frauen und Männer gebraucht, die sich unverdrossen um den Wiederaufbau einer freien Presse kümmerten. Hamburg, zum Beispiel, hatte sie; auch darauf basiert unsere heutige Stellung als große Medienstadt in Deutschland. Als Hauptstadt der Nachrichtenmedien, was zu sein uns die New York Times bescheinigt. Als Stadt, in der heute weit über 100.000 Personen in den über 21.000 Unternehmen der Branche arbeiten können, frei von staatlicher Zensur und unabhängig nicht von den wirtschaftlichen Interessen ihrer Arbeitgeber, aber doch von der Kaderpolitik einer Partei.

 

Zum Beispiel geht das auf Gerd Bucerius zurück, der nach einem ungeheuren Umbruch unter widrigsten äußeren Umständen eine Zeitung herauszugeben begann. Mit großem Erfolg, was nicht selbstverständlich war und nicht von selbst kam. Fasziniert verfolgte er viel später in seinen letzten Lebensjahren , wie nach und nach in den kommunistischen Ländern das Parteimonopol auf Wahrheit zerbrach. Bekümmert so haben Sie, Herr Sommer, es geschildert beobachtete er aber auch, wie in mehreren dieser Staaten die Freiheit der Meinung bald nach der Wende wieder unter Druck geriet.

Es lag nahe, dass die ZEIT-Stiftung 1999 den Gerd Bucerius-Förderpreis eingerichtet hat, der anfangs Junge Presse Osteuropas hieß, inzwischen Freie Presse, jetzt in Zusammenarbeit mit der Institusjon Fritt Ord aus Norwegen, und dessen abermalige Verleihung heute das Hamburger Rathaus ausrichten darf.

 

Viele Länder haben die freie Meinungsäußerung heute als ein Grundrecht in ihren Verfassungen verankert. In anderen Ländern steht dieses Grundrecht vielleicht auch auf dem Papier, aber sobald der Machterhalt dort herrschender Eliten in Gefahr gerät, begibt sich jeder in Gefahr, der es in Anspruch nehmen will. Noch wieder anderswo gilt ohnehin nur eine Wahrheit.

 

Es muss noch viel geschehen, bis aus der Hoffnung, dem Versprechen überall Realität wird. Anna Politkovskaja hat nicht einmal die große internationale Bekanntheit, die sie hatte, beschützt. Sie wurde ermordet. Der Gerd Bucerius-Förderpreis Freie Presse Osteuropas, den ihr vor zehn Jahren hier Frau Dr. Stapelfeldt, die damalige Bürgerschaftspräsidentin, überreicht hat, ist heute beides: Erinnerung an die Frau, die ein Herz für Menschen hatte, nicht für Herrscher  

und dennoch und erst recht: Ermutigung für alle, die, so sagte es Frau Politkovskaja damals selbst, die junge demokratische, durch eine dynamische Entwicklung gekennzeichnete Presse Osteuropas fördern.

 

Ich füge hinzu: Wir Deutschen, und wir Europäer, haben allen Grund, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, und überhaupt politische Unterdrückung und Verfolgung, nicht als exotisches Phänomen vergangener Zeiten oder ferner Länder zu betrachten. Die Verteidigung der Meinungsfreiheit und der Menschen, die verfolgt werden, weil sie Gebrauch von ihr gemacht haben ist unser ureigenes Thema.

 

Meine Damen und Herren,

ich weiß, dass Vladimir Sorokin, der nachher zu uns sprechen wird, Rock- und Popmusik nicht nur mag, sondern dass er ihr hohe politische Bedeutung für sein Land beimisst. Meinerseits bedanke ich mich beim Tornado Rosenberg Trio für die natürlich etwas andere musikalische Untermalung unserer Veranstaltung. 

 

Vielen Dank! 

 

Es gilt das gesprochene Wort.