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16.07.2003

Gerechtigkeit und Solidarische Mitte im 21. Jahrhundert

Die Bedingungen für Gerechtigkeit verändern sich. Die Frage, wie eine Politik der Gerechtigkeit auszusehen hätte, wurde im - westlichen - Nachkriegsdeutschland vor allem als die Frage der gerechten Verteilung des Zuwachses an Wohlstand und Einkommen diskutiert also als Verteilungsgerechtigkeit. Diese Perspektive wird den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Wir brauchen einen umfassenderen Begriff von Gerechtigkeit.

Immer mehr Menschen erkennen, dass am Status quo orientierte Vorstellungen immer weniger gut dazu beitragen, Gerechtigkeit zu bewahren und neu zu schaffen. Wir haben es mit neuen und gewandelten Problemlagen zu tun: Die Globalisierung, der allmähliche, manchmal auch rasante Abschied vom Industriezeitalter und die Entstehung einer wissensintensiven Wirtschaft, der demo-grafische Wandel, die verfestigte Massenarbeitslosigkeit, Tendenzen der sozialen Exklusion und Entmischung unserer Gesellschaft, ihr Zerfall in strukturelle Insider und Outsider sowie die Krise der öffentlichen Haushalte das alles verbindet sich zu einem beispiellosen Problemgemenge, dem eine am sozialstaatlichen Status quo der alten Bundesrepublik orientierte Politik nicht mehr gewachsen ist.

Jeder vor allem auf die Verwaltung und Zuteilung vorhandener materieller Bestände setzende Gerechtigkeitsbegriff droht unter diesen Umständen von den fortwährenden Veränderungsprozessen ad absurdum geführt zu werden. Klar ist heute, dass kein Wandel und keine Veränderung, kein Aufbruch und keine Erneuerung in der gegenwärtigen Verfassung unseres Gemeinwesens auf jeden Fall ungerecht wären. Wir müssen neue Wege einschlagen.

Was ist gerecht?

Dem sozialdemokratischen Menschenbild entspricht nur ein Verständnis von Gerechtigkeit, das den Bezug zur Freiheit immer im Blick behält.  Gerecht ist, was Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es selbst gerne gestalten möchten. Deshalb bedingen sich Freiheit und Gerechtigkeit wechselseitig: Eine Politik, die Menschen dauerhaft in Abhängigkeit bringt, sie entmündigt oder ihnen ihre Selbstachtung nimmt, ist weder gerecht noch freiheitlich. Gerecht ist in diesem Sinne also eine Politik, die immer wieder die Voraussetzungen dafür schafft und erneuert, dass Menschen ihre eigenen Pläne verfolgen können.

Die SPD ist eine Emanzipationsbewegung

Historisch gesehen war die Sozialdemokratie viele Jahrzehnte lang das genaue Gegenteil einer statisch auf Bewahrung ausgerichteten Partei. Sie war zuallererst eine Emanzipationsbewegung in Zeiten fundamentaler sozialer Umbrüche und Verwerfungen im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung. Wird Gerechtigkeit zeitgemäß thematisiert, kann sich die SPD auf diese Weise nicht nur ein gesellschaftspolitisches Offensivprojekt zurückerobern; sie kann damit auch symbolisch, kulturell und emotional den Anschluss an für sie selbst grundlegende, aber in den jüngsten Jahrzehnten eher in den Hintergrund getretene Phasen ihrer eigenen Geschichte zurückgewinnen.

Mehr Lebenschancen und mehr Teilhabe für mehr Menschen.
 
Die größten  Herausforderungen des europäischen Sozialstaates sind neue Segregationstendenzen und neue Exklusion.  Nicht erst seit den bedrückenden Ergebnissen der PISA-Studie wissen wir, dass die allgemeine soziale Aufwärtsdynamik in Deutschland zum Stillstand gekommen ist.

Die SPD hat viele Jahrzehnte lang mit dem Anspruch gehandelt, bessere Chancen und ein besseres Leben für immer mehr Menschen in einer gerechteren Welt zu erkämpfen. Gerade Sozialdemokraten können sich deshalb auch heute nicht damit abfinden, dass individuelle Lebenschancen vorausbestimmt sind durch die soziale, re-gionale oder ethnische Herkunft.
 
Die beiden Politikfelder, auf denen angesichts dieser Umstände zukünftig darüber entschieden wird, ob unsere Gesellschaft imstande sein wird, möglichst allen Menschen  Teilhabechancen zu geben, heißen Bildung und Arbeit. Auf diesen Gebieten vor allem erweist sich der Gerechtigkeitsgrad unseres Gemeinwesens, auf diesen Gebieten müssen Sozialdemokraten heute ihrem emanzipatorischen Anspruch und Erbe gerecht werden.

Der präventive und investive Sozialstaat

Kern einer zukunftsorientierten sozialdemokratischen Gerechtigkeitspolitik muss eine präventive Sozialpolitik sein, die die Befähigung und  Ermächtigung der Menschen zu einem selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Leben in den Vordergrund stellt. Entscheidend ist hier die Einsicht, dass die Zukunft dem aktiven und aktivierenden Sozialstaat gehört, der gezielt in Menschen investiert, damit diese in Zeiten dynamischen Wandels als selbstbewusste Bürger ihr Leben gestalten können und nicht in den Klammergriff von Verhältnissen geraten, über die sie keine Kontrolle haben.
 
Die Zukunft des europäischen Sozialmodells hängt weit weniger davon ab, ob weiterhin beispielsweise eine ganz bestimmte Rentenhöhe eingehalten werden kann, als davon, ob es gelingt, effektive Mittel gegen die wachsende soziale Exklusion zu mobilisieren . Wir haben es hier, jedenfalls potentiell, mit einer sowohl volkswirtschaftlichen wie gerechtigkeitspolitischen "Win-win-Situation" zu tun. Einige andere europäische Staaten haben es erfolgreich vorgeführt: Wo es gelingt, die Erwerbsquote nachhaltig zu steigern, da entstehen neue finanzielle Spielräume für den präventiven und investiven Sozialstaat. Wo umgekehrt kontinuierlicher Aufbau und beständige Erneuerung der Fertigkeiten von Menschen den Kern der Tätigkeit eines modernen Sozialinvestitionsstaates ausmachen, da werden zugleich die Voraussetzungen erfolgreichen Wirtschaftens erneuert.
 
Der langfristig gerechte und ökonomisch erfolgreiche europäische Staat des 21. Jahrhunderts wird deshalb kein Ort der systematischen Verringerung sozialstaatlicher Leistungen sein. Insofern führt der gängige Streit um weniger oder mehr Sozialstaat in die Irre: Die Qualität von Gerechtigkeitspolitik ist und war niemals in erster Linie eine Frage der Quantität sozialer Transfers.

Bildung ist Gerechtigkeit Gerechtigkeit ist Bildung.

Nichts ist heute so gerecht, wie die entschlossene Ausweitung von Bildungschancen und Bildungszugängen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Auch weiterhin muss der Sozialstaat im Bedarfsfall nacheilend schützen und sichern. Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten noch weitaus wichtiger aber ist es, die Ursachen von Arbeitslosigkeit und sozialer Exklusion präventiv  zu vermeiden, statt mit Transfers und Maßnahmen erst dann einzugreifen, wenn der soziale Schadensfall von Arbeitslosigkeit, gesellschaftlicher Marginalisierung oder Exklusion bereits eingetreten ist.

Wer früh den Bildungsanschluss verliert, hat heute und in Zukunft kaum noch Chancen auf volle gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Sozialstaat als präventiven und sozialinvestiven Sozialstaat erneuern. Weil Bildung in Zukunft der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe wird, muss im Zentrum jeder Strategie der sozialen Investitionen in Menschen die Eröffnung und lebenslange Erneuerung von Bildungschancen stehen.

Arbeit ist die zentrale Voraussetzung von Gerechtigkeit.

Unsere Gesellschaft ist auf Arbeit aufgebaut, ihr Wohlstand durch Arbeit geschaffen. Die SPD, entstanden als Arbeiterpartei, hat ihr kollektives Selbstbewusstsein und ihre Ansprüche stets über den Wert der Arbeit begründet. Zugleich bleibt Arbeit die wichtigste Quelle psychischer Stabilität und sozialer Identität; sie vermittelt Menschen Lebenssinn, verhilft ihnen zu Respekt und Selbstrespekt. Daran wird sich so schnell nichts ändern: Als Norm und als Realität bleibt Erwerbsarbeit zentral für den Zusammenhalt und die Kultur unserer Gesellschaft. Das bedeutet umgekehrt zugleich, dass Arbeitslosigkeit, selbst wo sie nicht unmittelbar in die wirtschaftliche Verarmung führt, den Ausschluss aus dem Kernbereich gesellschaftlicher Teilhabe bedeutet. Gerade deshalb muss sozialdemokratische Politik nachdrücklich dem Ziel der Arbeit für alle verpflichtet bleiben.

Wenn Politik für mehr Erwerbsarbeit ein zentraler Beitrag zu Inklusion und Gerechtigkeit ist, dann muss die vordringlichste Aufgabe sozialdemokratischer Politik in den kommenden Jahrzehnten darin bestehen, sämtliche Register zu ziehen, um die Erwerbsquote zu erhöhen. Weder unter ökonomischen noch unter gerechtigkeitspolitischen Gesichtspunkten können wir es zukünftig noch hinnehmen, dass Einzelne, Familien oder ganze soziale Gruppen systematisch in die Lage geraten und in der Lage verharren, ihre Potentiale nicht ausschöpfen zu können.

Unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe und der Chancen ist selbst schlecht bezahlte und unbequeme Erwerbsarbeit besser als transfergestützte Nichtarbeit. Natürlich ist jedem Menschen zu wünschen, dass er eine Arbeit ausüben kann, die seiner Qualifikation entspricht. Zugleich aber muss als Gebot der Gerechtigkeit gelten, dass Arbeitslose, die Leistungen aus Steuermitteln in Anspruch nehmen, prinzipiell zur Aufnahme jeder Erwerbstätigkeit bereit sein müssen, die ihnen für andere Bürger und Bürgerinnen zumutbar erscheint. Aus einem spezifischen individuellen Qualifikationsniveau lässt sich kein Recht auf eine bestimmte Arbeit ableiten.

Sozialstaat und Sozialversicherungsstaat.

Ein erweiterter Gerechtigkeitsbegriff bedeutet keineswegs das Ende des Sozialstaats. Im Gegenteil: Es bedeutet, die Prioritäten des Sozialstaates und damit die Verteilung seiner materiellen Ressourcen neu zu bestimmen. Selbstverständlich findet die heute notwendige Debatte über neue Prioritäten Teilhabe und  Vorbeugung statt Nachsorge vor dem Hintergrund des existierenden Sozialstaates statt. Dieser hat bereits ein sehr weitgehendes Niveau der Umverteilung materieller Ressourcen und Einkommen erreicht. Auch deshalb sind Debatten über Umverteilung nicht mehr von zentraler Bedeutung. Allerdings dürfen wir uns nicht von Neoliberalen oder Konservativen, die über Teilhabe reden, in Wahrheit aber den Sozialstaat aufgeben wollen, den Blick für die Reformnotwendigkeiten und neue Perspektiven versperren lassen.
 
Nur zur Klarstellung: Schon heute übersteigt der moderne deutsche Sozialstaat die Regelungs- und Leistungsbereiche der klassischen beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme bei weitem. Es ist zwar richtig, dass die großen Lebensrisiken der Bürger im Sozialstaatsmodell bismarckscher Prägung durch Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung abgedeckt worden sind, weshalb in Deutschland oft nur diese Felder zur Sozialstaatlichkeit gezählt werden. Doch dieser enge Begriff vom Sozialstaat ist wenig hilfreich: Andere Länder finanzieren diese Leistungen durch Steuern, ohne deswegen notwendigerweise weniger sozialstaatlich zu sein. Umgekehrt finanzieren wir in Deutsch-land zahlreiche sozialstaatliche Leistungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen, die anderswo unter Umständen gar nicht existieren.
 
Angemessen weit verstanden, umfasst der deutsche Sozialstaat in Wirklichkeit eine Fülle steuerfinanzierter Tätigkeitsbereiche, die von fundamentaler Bedeutung dafür sind, dass eine inklusive, gerechte Gesellschaft in Deutschland möglich ist und möglich bleibt. Zum Sozialstaat zählt beispielsweise das gesamte Bildungswesen. Zum Sozialstaat zählt die Ausbildungsförderung von Schülern, Studenten oder Gesellen. Zum Sozialstaat zählen Leistungen für Familien wie das Mutterschaftsgeld und das Kindergeld. Zum Sozialstaat zählen Wohngeld und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, ebenso Rehabilitationsleistungen oder Unterhaltsleistungen für Behinderte, zum Sozialstaat gehört die Grundsicherung für Rentner. Zum Sozialstaat zählen schließlich die steuerfinanzierten Leistungen für Arbeitslose, also Arbeitslosen- und Sozialhilfe, was künftig das Arbeitslosengeld II ist.

Die Steuerfinanzierung sozialstaatlicher Leistungen gewährleistet, dass die als Voraussetzung gerechter Teilhabe für alle notwendige Umverteilung stattfinden kann. Weil dabei aus gerechtigkeitspolitischer Perspektive entscheidend ist, dass stärkere Schultern größere Lasten tragen, werden die Bezieher hoher Einkommen zurecht an der Finanzierung staatlicher Aufgaben überproportional beteiligt. So haben etwa im Jahr 2001 die zehn Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen mehr als die Hälfte (53,5 Prozent) des gesamten Aufkommens der Einkommenssteuer gezahlt.

Gerechtigkeit und Ökonomie.
 
Mehr denn je wird es in Zukunft um der wirtschaftlichen Wohlfahrt dieser Gesellschaft willen darauf ankommen, möglichst sämtliche der so genannten Humanressourcen zu mobilisieren und damit zugleich dafür zu sorgen dass autonome, eigenverantwortliche, freie Menschen ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Wo die Erwerbsbiografien immer weniger stetig verlaufen, wo Bildung zum entscheidenden Kriterium der individuellen Beschäftigungsfähigkeit wird, da wird die Existenz eines Sozialstaates wichtiger denn je für den Einzelnen wie für den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Der funktionierende und effiziente Sozialstaat ist keine Prämie für bereits errungene wirtschaftliche Erfolge, kein Luxus, den man sich nur in besseren Zeiten leisten konnte. Richtig organisiert, ist der moderne Sozialstaat vielmehr die entscheidende Voraussetzung dafür, dass der ökonomische Erfolg unserer Gesellschaft überhaupt möglich ist und möglich bleibt. Der Sozialstaat muss so umgestaltet werden, dass er wirtschaftliche Dynamik nicht erschwert und den Zugang möglichst vieler zu Bildung und Arbeit nicht behindert. Nur ein auf Prävention und Chancengleichheit setzender Sozialstaat kann unter den veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Gerechtigkeit ge-währleisten. Unter dieser Prämisse aber sind die europäischen Sozialstaatsmodelle bei allen Unterschieden dem Gegenmodell von individueller Risikovorsorge plus privater Caritas weiterhin überlegen.

Mut zur Veränderung.

Zweifellos stehen der zeitgemäßen Erneuerung der sozialdemokratischen Gerechtigkeitspolitik im Sinne neuer Lebenschancen, neuer Ermächtigung, neuer ökonomischer Effizienz und neuer Inklusion Hindernisse gegenüber: erfolgsgewöhnte Mentalitäten, gewachsene Gewohnheiten, als selbstverständlich erachtete Besitzstände. Aber dieser Weg muss jetzt beschritten werden. Als Partei der Zuwachsverteilung hat die SPD überhaupt nur dann und nur solange eine Chance, wie es tatsächlich Zuwächse zu verteilen gibt. Ist dies nicht der Fall, wird Sozialdemokraten erst recht dann Versagen vorgeworfen, wenn sie an Versprechen festhalten, die sie aus objektivem Mangel an Mitteln überhaupt nicht mehr halten können. Schon aus diesem Grund muss sich die SPD auf ein neues und zugleich altes, weil in ihrer Geschichte angelegtes Gerechtigkeitskriterium mit größerer Zukunftsträchtigkeit verständigen das ist die Chance auf Teilhabe an Bildung und Arbeit. Ein in diesem Sinne erneuerter, gerechter Sozialstaat ist ein zentrales Projekt der Sozialdemokratie.

Die Solidarische Mitte und ihre Partei.

Mit welchen Gruppen in unserer Gesellschaft kann die SPD ein erfolgreiches Bündnis für Neue Gerechtigkeit eingehen? Zuweilen verstellt das berechtigte Bewusstsein der ungebrochenen Kontinuität sozialdemokratischer Geschichte und Grundwerte heute den Blick darauf, wie sehr sich unsere Partei und ihre Wählerschaft in den abgelaufenen Jahrzehnten verändert haben weil sich unser Land dramatisch gewandelt hat.

Heute existiert zwar die Arbeiterschaft als kulturell einheitliche Gruppe nicht mehr. Doch natürlich gibt es auch heute noch all jene Gruppen, die sich früher übrigens voller Stolz als kleine Leute bezeichnet hätten. So wird es auch in Zukunft sein. Diese Gruppen waren, sind Teil der hart arbeitende Mitte unserer Gesellschaft. Sie sind "the people who work hard and play by the rules", die Leute, die hart arbeiten und die Regeln akzeptieren. Viele Kinder und Enkel der sozialdemokratischen Arbeiterschaft der Vergangenheit haben studiert und vormals als bürgerlich geltende Berufe ergriffen. Ob als Rechtsanwältinnen oder Lehrer, Ingenieure oder Architektinnen: Heute sind es nicht zuletzt auch die Nachkommen von kleinen Leuten, die die solidarische Mitte unserer Gesellschaft  verbreitern. Das ist das Ergebnis des großen Erfolgs einer an mehr Gerechtigkeit, mehr Teilhabe und mehr Chancen orientierten sozialdemokra-tischen Bildungs- und Gesellschaftspolitik in den vergangenen Jahrzehnten.

Von selbst aber bleibt die Solidarische Mitte nicht solidarisch, auch ihre Haltung hat Voraussetzungen. Deshalb müssen Sozialdemokraten immer wieder neu im Stande sein, dieses gesellschaftliche Bündnis zu erneuern. Gerade weil sie zur Solidarität mit den Schwächeren in unserer Gesellschaft bereit ist, erhebt die Solidarische Mitte heute den berechtigten Anspruch auf das effektive und zielgenaue Funktionieren sozialstaatlich organisierter Gerechtigkeitspolitik .
 
Wer Steuern zahlt, muss erwarten können, dass in der Schule seiner Kinder die Toilettenspülung funktioniert; wer Steuern zahlt, erwartet zu Recht, dass staatliche Bildungsangebote brauchbare Kenntnisse und neue Chancen vermitteln. Wenn aus Einsicht und Überzeugung gewährte Solidarität missbraucht oder überfordert wird, dann wird diese Solidarität irgendwann nicht mehr gewährt. Immer wieder die Bedingungen dafür herzustellen, dass diese Mitte zur Solidarität bereit und fähig bleibt, ist eine Schlüsselbedingung der zukünftigen Mehrheitsfähigkeit unserer Partei.

Die Neue Mitte politisch begreifen.

Mit dem Begriff der Neuen Mitte beschrieb einst Willy Brandt das neue Bündnis von Sozialdemokratie und liberalem Bürgertum. Mit der Bundestagswahl 1998 ist die Neue Mitte noch einmal populär geworden. Mit dem Begriff verbunden war der richtige Versuch, soziale und politischen Veränderungsprozesse prägnant zu benennen sowie die Grundlage einer erfolgreichen und modernen sozialdemokratischen Strategie zu legen.

Allerdings wurde diese Neue Mitte in der Vergangenheit bisweilen zu sehr soziologisch, zu wenig politisch verstanden: Sowohl neoliberale wie linke Kritiker haben sie schnell für deckungsgleich mit der Wählerbasis der FDP gehalten. Demgegenüber gehört zur Solidarischen Mitte ganz dezidiert ein politisches Bekenntnis: Wer von ihr spricht, beschreibt die Allianz der Tüchtigen in unserer Gesellschaft, die zugleich für ein inklusives Gemeinwesen eintreten.  Der Begriff der Solidarischen Mitte kennzeichnet die politische Haltung derjenigen Menschen in Deutschland, die die SPD als Wählerinnen und Wähler gewinnen kann und muss. Zusammen sind sie das erneuerte Bündnis für Gerechtigkeit.

Das sozialdemokratische Versprechen im 21. Jahrhundert.
 
Wahlen werden in Deutschland mit Hilfe von Wählerkoalitionen gewonnen. Nur wenn die SPD Unterstützung in allen Teilen der Solidarischen Mitte erfährt, wird sie langfristig erfolgreich sein. Naturwüchsig kommen solche Bündnisse aber nicht zustande. Sie müssen immer wieder begründet werden. Das ist für unsere Partei aber nicht so neu: Die vielen kleinen Leute von einst waren gemeinsam stark und das hat sie zum Nutzen unseres Landes groß gemacht. Besinnt sich die SPD ihrer Wurzeln als solidarische Emanzipationsbewegung, wird sie das sozialdemokratische Versprechen der Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert mit neuem Leben erfüllen.