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22.05.2001

Gründungsaufruf des Forum Netzwerk 2010

Gründungsaufruf des Forum Netzwerk 2010:
Die Chancen der neuen Zeit nutzen


In den kommenden Jahren werden die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der jüngeren Generation einen doppelten Umbruch zu bewältigen haben. Gerade in einer Zeit der beschleunigten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen muss die SPD ihre programmatischen Leitlinien und Politikkonzepte weiterentwickeln. Damit steht die große Volkspartei SPD vor einem tiefgreifenden Wandel.

Es wird die Aufgabe einer neuen Generation von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sein, in Zukunft selbst Verantwortung zu übernehmen für die Entwicklung der SPD. Wir wollen daran mitwirken, diesen Prozess vorzubereiten. Ideen und Perspektiven für die Zukunft der sozialen Demokratie zu entwickeln - dieser Aufgabe soll das Netzwerk 2010 dienen.

Das 20. Jahrhundert mit seinen allumfassenden Gesellschaftsentwürfen und ganzheitlichen Glaubenssystem ist Vergangenheit. Die alten, einander ausschließenden Gesamterklärungen überzeugen nicht mehr. Das schafft Spielräume für eine neue Politik, die zu aller erst nach den besten Lösungen für die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen sucht. Zugleich aber bringt der Abschied von den großen Gesamterklärungen auch neue Orientierungslosigkeit. Damit wird die kontinuierliche Verständigung über brauchbare Leitbilder und Zukunftsentwürfe einer lebenswerten Gesellschaft immer wichtiger. Dafür bleiben die sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität entscheidende Orientierungen. Heute geht es darum, eine zeitgemäße Interpretation dieser Werte zu formulieren und die für das Netzwerk 2010 zentrale Frage, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen sie angesichts sich schnell verändernder Rahmenbedingungen in Zukunft verwirklicht werden kann, zu beantworten.

Die Jungen in Deutschland erwarten heute oft nur noch wenig von der Politik. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hingegen wissen, dass demokratisch legitimierte Politik auch in Zukunft die entscheidende gesellschaftsgestaltende Kraft gegenüber der Ökonomie unter den Bedingungen der Globalisierung sein muss. Je erfolgreicher und nachvollziehbarer demonstriert werden kann, dass politische Entscheidungen die notwendige Modernisierung von Staat und Gesellschaft, die Sicherheit des Einzelnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt stärken, desto erfolgreicher wird sozialdemokratische Politik sein. Konkret bedeutet dies:

1.    Politik hat die Aufgabe zur Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft. Die alten Dualismen von Angebots- und Nachfragepolitik, von Wertschöpfung und Gewinnverteilung entsprechen längst nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Heute brauchen wir eine integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik, die sich an den Aufgaben der kommenden 20 Jahre und nicht an den Konflikten der letzten Jahrzehnte orientiert.

In den 90er Jahren wurde gepredigt, was alles nicht mehr geht. Nun ist es an der Zeit, neue Leitideen für den sozialen Fortschritt zu entwickeln. Die Chancen unserer Zeit liegen auf der Hand:

·         Mehr Individualität und selbstbestimmte Lebensgestaltung

·         Mehr Liberalität und Weltoffenheit

·         Mehr Produktivität und gesellschaftlicher Wohlstand

·         Innovative Produkte und Dienstleistungen für mehr Lebensqualität

·         Bildung als Schlüssel zur Eröffnung von Lebenschancen

·         Eine Politik der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit.

2.    Das Gemeinwohl muss im Mittelpunkt der Politik stehen. Was ist gut für die Gesellschaft als ganzes? Dies ist die zentrale Frage, aus deren Beantwortung sich die Grundlinien der Politik ableiten. Gemeinwohlorientierung bedeutet nicht, den Einzelnen in seinen Rechten zu beschneiden. Sie bedeutet, die Auswirkungen der individuellen Rechte und Verhaltensweisen auf die Gesellschaft als Ganzes zu einem zentralen Kriterium der Bewertung von Politik zu machen. Einzel- und Gruppeninteressen haben sich immer auch am Wohl der Allgemeinheit zu orientieren.

3.    Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und Subsidiarität - nur im Zusammenspiel führen diese Prinzipien zu einer Politik der sozialen Verantwortung, nur gemeinsam vermitteln sie dem Individuum dauerhaft Sicherheit und Perspektive. Heute haben die Menschen mehr Mut und das Bedürfnis nach mehr eigener Verantwortung. Der einzelne Mensch muss sich auf die Gemeinschaft verlassen können. Aber ebenso muss die Gemeinschaft wissen, dass ihre Hilfe in einem aktivierenden Sinne genutzt wird. Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft sind Voraussetzungen für die soziale Gerechtigkeit. Eigenverantwortung ist nur dann möglich, wenn ein aktivierender Staat die richtigen Rahmenbedingungen setzen kann. Gerechtigkeit ist lange Zeit vor allem als Frage der gerechten Verteilung von Gütern zwischen Arm und Reich verstanden worden. Diese Dimension der horizontalen Gerechtigkeit ist weiter von Bedeutung, sie braucht jedoch ein Korrektiv, dass die Interessen all jener berücksichtigt, die nicht am Entscheidungsprozess teilhaben können. Dies ist das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Es verweist auf die Bedeutung der vertikalen Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Bei künftigen Reformprojekten muss beiden Dimensionen des Gerechtigkeitsbegriffs das gleiche Gewicht zukommen.

4.    Chancengleichheit und Leistungsprinzip müssen gefördert werden. Die Frage von Bildung und Qualifizierung ist zur neuen sozialen Frage geworden. Der Zugang zu Bildung und Qualifizierung sowie die Fähigkeit, die bestehenden Möglichkeiten auch tatsächlich erfolgreich wahrzunehmen, bestimmt mehr und mehr die Verteilung von Lebenschancen. Für uns ist deshalb die Gleichheit beim Zugang zu Bildungs- und Qualifizierungschancen von ebenso großer Bedeutung wie die Förderung von Leistung. Das Leistungsprinzip muss sich an den Kriterien Begabung, Engagement, Disziplin und Verantwortungsbereitschaft orientieren. Fördern und fordern!

5.    Die technologische Entwicklung der nächsten Jahrzehnte zum Thema machen - das ist eine weitere Aufgabe der jungen Generation. Der technische Fortschritt bietet Chancen, die erkannt und genutzt werden müssen, ohne die Risiken außer acht zu lassen. So erreicht z. B. die gezielte Förderung von Solartechnologie oder moderner Verkehrstechnik oftmals mehr ökologische Nachhaltigkeit als Appelle an ein verändertes Konsumverhalten. Ebenso sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien eine großer Gewinn, solange der ungleiche Zugang zu ihnen keine neuen gesellschaftlichen Spaltungen hervorbringt.

6.    Familien sind ein zentrales Element unserer Gesellschaft und von wachsender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt. Für uns bedeutet Familie vor allem Verantwortung von Menschen füreinander. Dies geschieht heute in durchaus unterschiedlichen Lebensformen. Vor allem in Zeiten fundamentaler Veränderungen und Umbrüche vermittelt die Familie Sicherheit und Stabilität. Außerdem hat die Familie eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei der Vermittlung von sozialen Kompetenzen. Eine Politik, die auf den Zusammenhalt der Gesellschaft sowie auf eine neue Verantwortungsteilung von Staat und Individuum ausgerichtet ist, muss die Familien als einen Mittelpunkt des sozialen Lebens betrachten. Dazu gehört auch, jeweils eigenständige Lebensentwürfe und Berufswünsche im privaten Leben mit einander in Einklang zu bringen. Angesichts einer flexibler gewordenen Arbeitswelt braucht es dazu verbesserter Voraussetzungen, damit Berufswunsch und Kindererziehung für beide Eltern gleichermaßen möglich werden.

7.    Die Auseinandersetzungen um Gleichberechtigung, die unsere Eltern führten, haben ein großes Maß an neuen Chancen ermöglicht. Für Männer und Frauen gelten heute zumindest formal gleiche Voraussetzungen. Faktisch sind die Chancen jedoch weiter ungleich verteilt. Gleiche Karrierechancen, gleiche Familienpflichten und vor allem das gleiche Recht, den eigenen Weg gehen zu können - diese Ideale sind Teil unseres politischen Selbstverständnisses. Es kommt nun darauf an eine Politik durchzusetzen, die diese Ideen Wirklichkeit werden lässt.

8.    Der Staat und die Bürgerinnen und Bürger selbst sind gemeinsam verantwortlich für die Lösung der Probleme. Deshalb muss die Frage lauten: Was soll und muss der Staat leisten? Wo sollte er neue Formen der gesellschaftlichen Selbstorganisation zwischen Markt und Staat aktiv unterstützen? Wo muss er fördern oder fordern? Wie können neue Freiräume ermöglicht werden? Wir brauchen ein neues Verständnis des Staates. Der Staat soll dort steuern, wo er dies kann - und wo er dies besser kann als andere. Er soll aktivieren. Und was der Einzelne leisten kann, muss der Staat nicht tun. Es ist viel besser, sich auf jene Aufgaben zu konzentrieren, bei denen der Staat wirklich gebraucht wird. Nur so ist zu gewährleisten, dass der Staat dort, wo er eingreifen muss, auch tatsächlich handlungsfähig ist.

Die SPD hat es zu lange versäumt, sich in ihrer Mitgliedschaft entlang des ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels zu verbreitern. Die gegenwärtigen Traditionen und Strukturen, das Programm und die Parteiorganisation, brauchen eine umfassende Modernisierung. Denn am Beginn des 21. Jahrhunderts ist offensichtlich, dass neue politische Arbeitsformen und ein neuer Politikstil notwendig sind. Netzwerke bilden” lautet eine wichtige Antwort auf die wachsende Distanz der unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und die Zersplitterung des politischen Publikums.


Netzwerke ersetzen nicht die bestehenden Strukturen der SPD, aber sie sind entscheidende Elemente für die notwendige Erneuerung der Partei. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass die SPD das Lebensgefühl, die Werte und Themen der Mehrheit der Gesellschaft verkörpern kann, um als Partei in der Mitte der Gesellschaft im Diskurs zu jenen zu stehen, die nicht der SPD angehören.


In diesem Rahmen will das Netzwerk 2010 einen eigenen Beitrag leisten zu den Diskussionen um das sozialdemokratische Regierungsprogramm für 2002, um die Parteireform und um das neue Grundsatzprogramm. Dabei konzentrieren wir uns zunächst auf drei Themenfelder: die Erneuerung unserer Wirtschaftsordnung und Arbeitsgesellschaft, die Zukunft von Bildung und Qualifizierung sowie die Verantwortungs­gesellschaft”, eine neue Balance zwischen individueller und gesellschaftlicher Verantwortung.

Ideen einbringen, neue Antworten suchen, Verantwortung übernehmen für die Entwicklung der SPD und des Landes - das will das Netzwerk 2010.

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