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08.11.2011

Grußwort: 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei

 

Sehr geehrter Herr Generalkonsul Öztürk,

sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Duden,

sehr geehrte Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

im Namen des Senats heiße ich Sie herzlich willkommen.

 

Vor 50 Jahren schlossen die Türkei und die Bundesrepublik Deutschland einen denkwürdigen Vertrag: Das sogenannte Anwerbeabkommen, an das in den vergangenen Tagen und Wochen bereits vielfältig erinnert wurde. Beide Staaten hatten nämlich ein ganz konkretes Problem:

 

In Deutschland sorgte das Wirtschaftswunder für Fachkräftemangel, in der Türkei kam das Wirtschaftswachstum nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum mit. Beide Länder schienen sich also perfekt zu ergänzen, das Abkommen sollte die Probleme beider Staaten zugleich lösen.

 

Vorbild war ein ähnlicher Vertrag mit Italien aus dem Jahr 1955. Und obwohl es diesen Vorläufer gab, war es doch das deutsch-türkische Anwerbeabkommen, das die Öffnung der deutschen Gesellschaft erst anstieß.

 

Diese gesellschaftliche Öffnung gilt es heute zu würdigen, weniger das Anwerbeabkommen selbst. Denn Text und Geist des ursprünglichen Abkommens wirken aus heutiger Perspektive eher wie ein Integrationsverhinderungsgesetz. Es betont das Trennende zwischen Deutschen und Türken: Türkische Arbeiter sollten maximal zwei Jahre bleiben, Familien-Nachzug war nicht vorgesehen, und die ärztliche Eignungsprüfung wurde von vielen als entwürdigend empfunden. Einwanderung und Integration waren damals leider nicht gewünscht.

 

Angestrebt wurde stattdessen ein möglichst geräuschloses Nebeneinander von deutschen Gastgebern und türkischen Gastarbeitern bei absehbarer Aufenthaltsdauer. Der Begriff Gastarbeiter bringt den inneren Widerspruch des damaligen Ansatzes gut auf den Punkt: Herzlich willkommen, aber bitte nicht die Koffer auspacken und keine Nägel in die Wand schlagen.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

heute wirkt es fast paradox, dass dieses Dokument der Ausgang war für 50 Jahre gemeinsamer Geschichte von Deutschen und Türkeistämmigen in der Bundesrepublik.

Heute versuchen wir, versucht der Hamburger Senat, es anders zu machen: Wir wollen, dass Sie hier Wohnungen mieten, Häuser kaufen, Schränke füllen und Bilder aufhängen. Kurz: Dass Sie sich wirklich bei uns einrichten. Äußerlich und innerlich.

 

Bürgerinnen und Bürger, deren Großeltern, Eltern oder die selbst aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen waren, sind ja keine kleine Gruppe. Sie machen mittlerweile 27 Prozent der Bevölkerung Hamburgs aus. Fast jeder zweite Erstklässler der Stadt wächst mit Migrationshintergrund auf. Diese Erstklässler sind genauso wie ihre Eltern Teil unserer Stadt. Teil der Hamburger Gesellschaft. In dieser Hinsicht scheue ich auch eine Anlehnung an die Worte von Bundeskanzlerin Merkel nicht: Ich bin auch Ihr Bürgermeister. Und dies ist auch Ihr Senat.

 

Und auch für uns steht bei der Integration von Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Kulturkreise das Thema Sprache an erster Stelle. Denn nur wer die Verkehrssprache eines Landes beherrscht, kann an der Gesellschaft teilhaben. Kann sich im deutschen Behördendschungel orientieren, unterschiedliche Bildungswege einschlagen, einen Beruf ergreifen, auf eigenen Beinen stehen kurz: heimisch werden.

 

In Hamburg klappt das schon sehr gut: Die Ergebnisse der Einbürgerungstests sprechen für sich. 85 Prozent der Teilnehmer von Integrationskursen können ausreichend Deutschkenntnisse für den Alltagsgebrauch nachweisen. Der Anteil der bestandenen B1-Prüfungen, der anspruchsvollsten Integrationskurse, ist gestiegen. Und wir bieten noch mehr Kurse und Weiterbildungen, gemeinsam mit Organisationen, in denen sich Migrantinnen und Migranten engagieren. In diesem Punkt ist Hamburg also bereits gut aufgestellt.

 

Dennoch haben es Migrantinnen und Migranten schwerer am hiesigen Arbeitsmarkt. Im Jahr 2009 lag ihre Erwerbstätigenquote 15 Prozentpunkte hinter derjenigen von Hamburgern ohne Migrationshintergrund. Gleichzeitig sind sie statistisch häufiger geringfügig beschäftigt.

 

Deswegen haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass jede und jeder Jugendliche die Berufs- und Ausbildungsreife und - wo immer möglich - auch die Studienreife erlangt. Erfreulicherweise ist die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss in Hamburg rückläufig. Aber noch immer verlassen zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Sie müssen ihn daher jederzeit auch tagsüber nachholen und eine Ausbildung beginnen können.

 

Zudem bauen wir alle Stadtteilschulen zu Ganztagsschulen aus. Wir haben die Voraussetzung dafür geschaffen, dass praktisch in allen Stadtteilschulen eine ganztägige Betreuung stattfindet und Kinder in der Grundschule den ganzen Tag unterstützt werden. Dadurch haben zwei- und mehrsprachig aufwachsende Kinder mehr Zeit, Gelerntes zu vertiefen.

Das ist auch eine Frage der Klassengröße: Hamburg hat die kleinsten Grundschulklassen Deutschlands. Keine Klasse hat in diesem Einschulungsjahrgang mehr als 23 Schüler. In schwierigen Gebieten höchstens 19. Dadurch können sich Lehrerinnen und Lehrern intensiver ihren Schützlingen widmen.

 

Und wir stärken das individualisierte Lernen. All das soll sicherstellen, dass wir unser Ziel: keine Jugendliche, kein Jugendlicher ohne Schulabschluss auch erreichen.

 

Erfolgreiche Integration muss aber noch früher ansetzen: bereits im Kindergartenalter.

Es muss auch für Familien mit Migrationshintergrund selbstverständlich sein, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken. Weil sie dort vielfältige Anregungen erhalten, Freunde finden und ganz nebenbei deutsch lernen.

 

Das ist auch eine Frage des Geldes: Deshalb haben wir die Erhöhung der Kita-Gebühren wieder zurückgenommen. Das hat für viele Eltern eine sofortige spürbare Entlastung in ihrem Familienbudget herbeigeführt.

 

Wir werden dafür sorgen, dass es ein flächendeckendes Angebot an Krippen und Kitas in Hamburg gibt. Das Versprechen gilt: Am Ende dieser Legislaturperiode gibt es nicht nur dieses flächendeckende Angebot, sondern die halbtägige Betreuung wird gebührenfrei sein.

Meine Damen und Herren,

 

ein weiterer Aspekt liegt mir besonders am Herzen: Die Anerkennung ausländischer Schul- und Ausbildungsabschlüsse. Der Bundesrat hat am Freitag ein Anerkennungsgesetz gebilligt, das in die richtige Richtung weist. Es soll die Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul- oder Ausbildungsabschlüssen vereinfachen und beschleunigen.

 

Das ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein kleiner Fortschritt. Was fehlt, ist ein Anspruch auf Beratung und Qualifizierung. Wir brauchen gute Beratungsangebote und Möglichkeiten zur Nachqualifizierung, wenn hier und da noch etwas zur Vergleichbarkeit mit dem deutschen Abschluss fehlt.

 

In Hamburg sind wir weiter. Schon jetzt erhalten Einwanderer in Hamburg ganz praktische Unterstützung. Dafür haben wir eine Beratungsstelle eingerichtet, mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds: Die Zentrale Anlaufstelle Anerkennung, die vom Diakonischen Werk betrieben wird. Und wir bieten passgenaue Qualifizierungen an, ebenfalls finanziert vom Europäischen Sozialfonds. Diese Angebote wollen wir in Zukunft weiter verfeinern. Die Wirtschaftsbehörde wird eng mit Kammern und Unternehmen zusammenarbeiten. Für den Lebensunterhalt während dieser Nachqualifizierungen sorgt ein bundesweit einmaliges Stipendienprogramm, das mit Arbeitsmarktmitteln finanziert wird.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

all diese Angebote kann aber nur jemand passgenau unterbreiten, der die individuellen Bedürfnisse genau kennt. Also am besten Leute, die das alles selbst erlebt haben.

 

Sicher kennen viele von Ihnen unsere Kampagne Wir sind Hamburg! Bist Du dabei? Damit wollten wir junge Leute mit Migrationshintergrund ermuntern, sich für eine Ausbildung im mittleren und gehobenen Dienst zu bewerben. Mit großem Erfolg: In nur vier Jahren konnten wir den Einstellungsanteil junger Menschen mit Migrationshintergrund von gut 5 Prozent auf 15 Prozent verdreifachen!

 

Diese jungen Leute helfen ausländischen Antragstellern nicht nur beim Ausfüllen von Formularen. Sie sind zugleich ermutigendes Vorbild. Denn sie sprechen in aller Regel mindestens zwei Sprachen, auf jeden Fall Deutsch. Ganz gleich, in welcher Reihenfolge sie beides gelernt haben.

 

Und sie machen Migrantinnen und Migranten Lust, mitzumachen in Deutschland: Die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Dazu möchte ich auch Sie sehr herzlich einladen bei dieser Gelegenheit, und ich nutze dazu derzeit viele Gelegenheiten!

 

Wir brauchen Sie: wie eben ausgeführt, in der Verwaltung selbst, als Angestellte, als Unternehmer, aber eben auch als Wähler und als Gewählte. Die deutsche Staatsbürgerschaft versetzt Sie in die Lage, Ihre eigenen Interessen, aber auch die aller Hamburgerinnen und Hamburger, zu vertreten, Teil unseres gesellschaftlichen Systems zu werden und dieses zu verändern und weiterzuentwickeln. Nutzen Sie diese Möglichkeit! Das ist Demokratie. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Das ist anstrengend, aber es macht Spaß.

 

Ich unterstütze dabei sehr das Werben der Hamburger Bundestagsabgeordneten Aydan Özoguz, den sogenannten Optionszwang abzuschaffen. Derzeit müssen sich Kinder von Migranten zwischen 19 und 23 Jahren entweder für den deutschen oder für den ausländischen Pass entscheiden und damit gegen den anderen.

 

Ich meine: Sie sollten sich nicht entscheiden müssen!  Der Pass ist ein Stück ihrer Identität.

Wie schon gesagt: im Vordergrund steht heute das Werben für die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft. Damit können wir eine besonders interessante Bevölkerungsgruppe noch stärker für unser Land gewinnen: Eine besonders mutige!

 

Denn es gehört viel Mut dazu, die Heimat zu verlassen und in einem völlig unbekannten Land von vorn anzufangen einem Land, dessen Sprache man nicht versteht und dessen Kultur völlig anders ist.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

vor 50 Jahren haben Sie oder Ihre Eltern oder Ihre Großeltern diesen Mut bewiesen und sind nach Deutschland, nach Hamburg gekommen. Ich danke Ihnen dafür! Und ich ermuntere Sie, Hamburg als ihre Heimat zu betrachten. Lassen Sie uns die Stadt gemeinsam voranbringen.

 

Herzlichen Dank!

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.