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09.11.2011

Rede auf der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht

Rede auf der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht

 

Sehr geehrter Herr Effertz,

sehr geehrter Herr Rabbiner Bistritzky,

sehr geehrte Frau Bauer,

sehr geehrter Herr Naor,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

 

73 Jahre liegt die Nacht des organisierten Terrors zurück, wie sie vor zwanzig Jahren in dem Band Die Chronik Hamburgs bezeichnet wurde. Treffender bezeichnet wurde als mit dem verharmlosenden, auch in den Nachkriegsjahren noch lange üblichen Wort von der Reichskristallnacht.

 

Dass sich in jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 spontaner Volkszorn entladen hätte, nach dem Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath in Paris, war, wie wir seit Jahrzehnten wissen, eine Legende. Fotos und Filmaufnahmen von Schaulustigen beleuchtet von einer brennenden Synagoge lassen durchweg eher Sensationslust und das Fehlen von Mitgefühl erkennen. Es wurde hingeschaut, wo sonst gern weggeschaut wurde.

Das eine wie das andere ließ den organisierten Terror gewähren, auch in  unserer Stadt Hamburg, die sich eine weltoffene Stadt genannt hatte. Den Ruf hat sie sich nach dem Ende der Diktatur mühevoll zurückerarbeiten müssen.

In jener Nacht wurde die Synagoge am Bornplatz in Brand gesetzt und wurden zahlreiche weitere jüdische Einrichtungen im Grindelviertel, aber auch an anderen Orten bis hinaus nach Altona, Harburg und Wandsbek zerstört. Geschäfte wurden gestürmt und geplündert, es traf die Talmud-Tora-Schule am Grindelhof und die Mädchenschule in der Karolinenstraße. Es gab viele Verletzte und ein Todesopfer in Hamburg, 91 waren es reichsweit.

Polizei und Feuerwehr, längst zu Freunden und Helfern der Diktatur degradiert, beschränkten sich darauf, die so genannte Ordnung zu sichern und umliegende Gebäude vor dem Übergreifen der Flammen zu schützen.

 

Die Aktionen der SA und SS fügten sich in einen Plan. Schon lange waren jüdische Bürger durch Verbote, neue Gesetze und Verordnungen mit bürokratischer Präzision verfolgt worden: Boykott, Entfernung aus dem Öffentlichen Dienst, Nürnberger Gesetze, Enteignungen. Am 10. November viele Trümmer rauchten noch folgte in Hamburg eine Massenverhaftung. Nicht der Täter, sondern jüdischer Bürger. Dass sich unter ihnen viele erfolgreiche, gutsituierte Geschäftsleute befanden, war kein Zufall. Bei ihnen war etwas zu holen.

 

Der Hamburger Historiker Dr. Frank Bajohr hat von einem Bereicherungswettlauf gesprochen und gefolgert, Zitat: Die Bedeutung des

Novemberpogroms als Radikalisierungsfaktor ergab sich (..) nicht [nur] aus den Mord- und

Zerstörungsaktionen an sich, sondern aus den Folgemaßnahmen im bürokratisch-rechtsförmigen Gewande, die unter anderem die ökonomischen

Existenzgrundlagen der Juden binnen weniger Monate vernichteten.

 

Darüber wird sich Hans Robinsohn keine Illusionen mehr gemacht haben, als er von der Terrornacht berichtete: Die Glas- und Holzsplitter lagen so hoch, dass wir zwei Verbandsstationen einrichteten, in denen den aufräumenden Mitarbeitern Wunden an Füßen, Beinen, Händen und Armen verbunden wurden. Wenige Monate später war das Modehaus Robinsohn arisiert.


Meine Damen und Herren,

 

 

besser als früher wissen wir heute über die sozialen, ideologischen und ökonomischen Funktionen des Antisemitismus als Programm des NS-Staates Bescheid. Entschuldigungen für das schändliche Verhalten so vieler Hamburger lassen sich daraus nicht herleiten.

Die Ausnahmen sollten nicht unerwähnt bleiben. In einigen Firmen haben Arbeiter Sammlungen zugunsten hart getroffener jüdischer Bürger veranstaltet. In einigen Fällen haben sie hier in Eimsbüttel Plünderern das gestohlene Gut wieder abgenommen und den Eigentümern zurückgebracht. Es waren Ausnahmen.

 

Meine Damen und Herren,

 

 

auch weil immer noch Synagogen bewacht und geschützt werden müssen, aus diesen und vielen anderen Gründen ist die Nacht des organisierten Terrors 1938 keine ferne, nur an Gedenktagen zu beschwörende Vergangenheit. Ich weiß mich mit der vielgestaltigen jüdischen Gemeinde Hamburgs einig in dem, was Richard von Weizsäcker einmal so formuliert hat:

 

Die Generation von heute ist nicht verantwortlich für das, was geschah, aber verantwortlich für das, was in ihrer Lebenszeit daraus wird.

Zuversichtlich stimmt der Blick auf das neu entstandene jüdische Leben in Hamburg. Es hat ein bescheideneres Ausmaß als in den Zeiten, als es das Stadtbild am Grindel, das kulturelle und wirtschaftliche Leben in Hamburg wesentlich mit prägen konnte. Aber die jüdischen Gemeinden haben heute wieder mehr als 3.000 Mitglieder. Viele von ihnen sind aus Ländern der früheren Sowjetunion gekommen. Ihnen gibt die jüdische Gemeinde wertvolle Hilfe bei der Integration, beim Bewältigen des Alltags in Hamburg.


Auch der Auf- und Ausbau der wieder entstandenen Talmud-Tora-Schule ist ein schönes und wichtiges Zeichen für die ganze Stadt.    

 

Trotz allem wird der 9. November auch für Hamburg ein Gedenktag der Scham bleiben. Einen Sinn hat er, wenn wir wie es der Akademische Senat der Universität voriges Jahr in einer Resolution formuliert hat dauerhaft aktuelle Verantwortung übernehmen, couragiert und frühzeitig jeder Entwertung und Ausgrenzung von Menschen aufklärerisch entgegenzuwirken.

 

Ich danke Ihnen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.