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23.11.2015

Grußwort: Abendessen ARD-Intendanten

 

Lieber Herr Marmor,
lieber Herr Grund,
meine Damen und Herren,


heute ist ein besonderer Tag für Hamburg. Wir haben uns heute im Michel von Helmut Schmidt verabschiedet. Solch ein Jahrhundertleben ist natürlich immer auch Anlass inne zu halten und Rückschau zu halten auf den Zustand unserer Gesellschaft. Man kann an Helmut Schmidts Wirken einige Dinge festmachen, die auch für ihre Arbeit nicht unerheblich sind.


Dabei habe ich vor allem den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft im Blick. Helmut Schmidt ist gerade in späten Jahren eine Projektionsfläche für das Vertrauen gewesen, das Bürgerinnen und Bürger in Politik setzen wollen.


Er hinterlässt eine Lücke, die berechtigt die Frage aufwirft, an wen künftig solche Erwartungen gerichtet werden sollen.


Ich denke, dass diese Frage unmittelbar auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk interessieren sollte. Schließlich sind es die Medien, die Öffentlichkeit herstellen und unserer Gesellschaft damit die Verständigung über das Wichtige und Wesentliche unseres Zusammenlebens ermöglichen.


Soziale Kohäsion wächst aus Kommunikation, die heute oftmals medial vermittelt und gewährleistet wird. Es ist daher von zentraler Bedeutung für unsere Gesellschaft, dass wir das Vertrauen in Journalismus und Medien bewahren und stärken.


Leider erleben wir aktuell vielfach das Gegenteil. Das galt schon für die Kritik an der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt, setzt sich fort in den Attacken gegen die vermeintliche Lügenpresse am Rande der Pegida-Demonstrationen und findet sich auch wieder bei einem jüngeren netzaffinen Teil des Publikums, der sich generell von journalistischer Vermittlung abwendet. Damit haben auch Sie, lieber Lutz Marmor, sich in Ihrer Amtszeit auseinandersetzen müssen.


Hier droht uns etwas Wesentliches verloren zu gehen. Wir müssen uns die Frage stellen, woran es liegt, dass die Fliehkräfte hier an Kraft gewinnen und Vertrauen verloren geht.


Politik und Medien sind gleichermaßen herausgefordert, unsere freiheitliche und demokratische Verfassung zu festigen. Wir dürfen nicht zurückweichen vor der Kritik. Wir sollten uns aber auch nicht gegen sie immunisieren.


Denn wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir der Aufgabe gerecht werden, unserer modernen und offenen Gesellschaft zu dienen.


In den aktuellen Herausforderungen, zu denen der Zuzug von Hunderttausenden aus Kriegsgebieten unserer Welt ebenso gehört wie der Terror, den einige wenige Feinde der Freiheit in die Städte Europas tragen wollen, müssen wir uns bewähren.


Das gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er kann und er sollte aus dieser Situation heraus neue Legitimation entwickeln.


Die traditionelle Erzählung von der Notwendigkeit eines gesellschaftlich organisierten Rundfunks ist schließlich spätestens zu dem Zeitpunkt brüchig geworden, an dem die technischen Beschränkungen der terrestrischen Verbreitung ihre Bedeutung verloren und auch die Sonderrolle, die der Rundfunk laut Bundesverfassungsgericht wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft einnimmt, wird wahrscheinlich auf Dauer als Argumentationslinie nicht reichen.


Seit beinahe alles beinahe überall gesendet, gesehen, gehört und gelesen werden kann, geht es darum, eine neue, eine andere Relevanz zu begründen und erlebbar zu machen.


Würden wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute noch einmal erfinden?
Das ist die Kontrollfrage, die wir uns nicht nur stellen müssen, sondern die wir auch mit einem klaren Ja! beantworten sollten.


Das geht aber nicht mit einem einfachen Weiter so. Das geht auch nicht, indem man sich darauf verlässt, am Markt etabliert und weit verbreitet zu sein. Sondern das gelingt nur, indem man sich den gesellschaftlichen und den technologischen Herausforderungen unserer Zeit stellt:


Wie organisieren wir relevante Berichterstattung in einer immer fragmentierten und individualisierten Gesellschaft?
Wie wird im Rundfunk ohne volkspädagogische Anflüge gesichert, dass die Idee der öffentlichen Relevanz noch Bedeutung hat, wo doch jeder nach seiner individuellen Präferenz suchen und finden kann?
Wie werden die Werte unserer offenen Demokratie auch im Programm erlebbar gemacht und wie werden dazu die neuen technischen Möglichkeiten des Feedbacks und der Interaktion genutzt?
Wie werden  diejenigen erreicht, die sich schon längst abgewendet haben von journalistischer Berichterstattung und inhaltlichen Angeboten?
Wie werden im Rundfunk die Belange unseres Gemeinwesens so vermittelt, dass alle und auch wirklich alle die Chance haben, an ihrer Bearbeitung teilzuhaben, weil sie ausreichend und umfassend informiert sind?
Wie kann Rundfunk zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen?
Das sind nur einige der Fragen, die sich gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk stellen muss, weil er sich ja eben nicht durch ausreichende Erlöse, sondern in erster Linie durch hinreichende gesellschaftliche Relevanz legitimiert.
Die Zeit für diese Fragen ist reif!


Das System steht nach der erfolgten Umstellung auf die Beitragsfinanzierung stabil. Die Zeiten der großen ideologischen Schlachten mit den privatwirtschaftlichen Branchenverwandten scheinen vorbei. Die digitalen Medienumbrüche betreffen alle Inhalteproduzenten gleichermaßen.


Ich will Ihnen nahe legen, diese Chance zur neuerlichen Grundlegung des öffentlich-rechtlichen Modells nicht verstreichen zu lassen, gerade weil es mir so sehr am Herzen liegt.


Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Fragen angeht, dann hat das am Ende aber auch Konsequenzen. Für die Organisation genauso wie für das Programm und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich weiß, dass viele sich bereits auf diesen Weg ins Offene gemacht haben. Aber es spricht nichts dagegen, ihn gemeinsam zügiger zu gehen, um gerade in Zeiten digitaler Disruptionen das zu sichern, was uns wichtig ist.
Und bitte: Fordern Sie die Politik dabei. Treiben Sie uns an! Nehmen Sie Kritik auf, aber lassen Sie sich nicht von schlecht oder auch von wohl meinenden Kritikern treiben.
Dass wir zum Beispiel im nächsten Jahr endlich ein junges Angebot von ARD und ZDF bekommen, kann man als Erfolg feiern. Eigentlich aber ist es grotesk, wie lange es gedauert hat, bis eine solche Innovation möglich wurde. Wir brauchen mehr davon. Und wir brauchen es schneller.


Entscheidend ist nämlich nicht nur, dass wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit einer verfassungsrechtlich gestützten Entwicklungsgarantie ausstatten. Entscheidend ist, dass die Bürgerinnen und Bürger dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch in Zukunft vertrauen und ihn als Informationsquelle und Kommunikationsplattform nutzen.
Insofern, liebe Frau Wille, kommt eine Menge Arbeit auf Sie zu. Mutmaßlich eine dauerhafte Aufgabe, da sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk stets aufs Neue wird bewähren müssen.


Ich bin mir sicher: Wir brauchen sein Programm heute vielleicht mehr denn je.
Wir müssten ihn neu erfinden.


Da wir ihn schon haben, müssen wir ihn gemeinsam und im Wortsinne neu begründen.
Schönen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.