Grußwort zum Festabend 90 Jahre Chilehaus
Sehr geehrter Herr Dr. Kutscher,
sehr geehrter Herr Lieben-Seutter,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe mich über die Einladung zur 90-Jahr-Feier des Chilehauses sehr gefreut. Ein echtes Hamburger Wahrzeichen zu feiern und um ein solches handelt es sich hier , ist immer ein schöner Anlass.
In jüngerer Zeit haben einige Hamburger Gewerbebauten architektonisch für Furore gesorgt das verwegene Dockland an der Elbe beispielsweise, der markante Spiegel-Sitz an der Ericusspitze, gleich nebenan das mehrfach ausgezeichnete Unilever-Haus in der Hafencity und jüngst die Tanzenden Türme an der Reeperbahn, die gerade einen Preis als bestes Büro- und Geschäftsgebäude der Welt erhalten haben.
Sie alle schmücken unsere Stadt aber ein Wahrzeichen ist noch mehr: nämlich wert, bewahrt zu werden, und es muss sich dafür, wenn man so will, bewähren; sprich: zum Charakter einer Stadt nicht nur passen, sondern ihn verkörpern. Das tut das Chilehaus: Es steht für ein Stück Hamburger Geschichte.
Sein Bauherr, Henry Brarens Sloman, geboren 1848 in Hamburg, war als mittelloser junger Mann nach Lateinamerika ausgewandert. Als er im Alter von 60 Jahren zurückkehrte, hatte er mit Salpeter aus Chile ein Vermögen gemacht: Mit 60 Millionen Mark Vermögen galt er als wohlhabendster Mann der Stadt.
Sein Reichtum erlaubte es ihm, in wirtschaftlich angespannter Zeit diesen Neubau zu realisieren und als Hamburger Patriot im großen Stil harte Devisen in seine von Inflation und Reparation geschwächte Heimatstadt zu investieren womit er sich ganz nebenbei einen Platz in der Ehrenriege verantwortungsvoller Unternehmer sicherte, die sich nachhaltig für Hamburg eingesetzt haben.
Henry Brarens Sloman war es auch, der diesem Gebäude den kosmopolitischen Namen gab und der dafür sorgte, dass hier das Wappen und der Kondor von Chile erzählen mit der erklärten Absicht einem ganzen Stadtteil seinen Stempel aufzudrücken. Das ist ihm zweifellos gelungen. Das Chilehaus ist noch nach 90 Jahren das signifikante Glanzstück in dem bemerkenswert homogenen Stadtraum hier um den Burchardplatz, das Flaggschiff für das erste reine Büroviertel Europas und nicht zuletzt der Inbegriff des Hamburger Kontorhauses schlechthin.
Neben einigen glücklichen Zufällen man könnte auch im Hinblick auf den Klinker von Fügungen sprechen hatten daran vor allem die hoch qualifizierten am Bau Beteiligten ihren Anteil.
Dabei war das Material anfangs nicht sonderlich willkommen. Um der Inflation zu begegnen, waren vorsorglich 4,8 Millionen Stück preiswerter Bockhorner Klinker angekauft worden, die als Backsteine minderer Qualität galten. Vom beauftragten Baumeister Johann Friedrich Höger ist die fassungslose Frage überliefert: Was soll ich mit dem Dreck machen?
Höger wählte für die Struktur des Chilehauses nach amerikanischen Hochhausvorbildern ein Stahlbetonskelett mit frei einteilbarem Innenleben und arrangierte sich dann doch mit dem zunächst verachteten Klinker.
Mehr noch: Högers leichtes Spiel mit der schweren Materie hier beispielhaft vertreten durch die souverän geschwungene Südfassade wurde sogar zum Markenzeichen seines Baustils. Den Baumeister selbst nannte man bald den Klinkersticker. Seine Verbindung damals aktueller Art-déco-Einflüsse mit norddeutschem Traditionserbe ergab ein Meisterstück hanseatischer Eleganz.
Ein einladender doppelter Tudorbogen zitiert das eher zufällige Vorbild des Slomanschen Familiensitzes an der Außenalster, leitet als Stadttor aus der City hinaus und in sie hinein, durch einen ruhigen und doch betriebsamen Hof und vermittelt weiter zum nächsten Brückenschlag Richtung Hafen ganz im Sinne unserer heutigen städtebaulichen Entwicklung. Zwei weitgehend unveränderte monofunktionale Quartiere Speicherstadt und Kontorhausviertel schließen gerade an dieser städtebaulich so wichtigen Stelle direkt aneinander an und formen ein in diesem Maßstab weltweit einzigartiges Ensemble.
Der Kunsthistoriker Hermann Hipp hat darauf hingewiesen, Högers Meisterwerk Zitat sei sehr hamburgisch zustande gekommen, nämlich als Produkt eines diskursiven Entwurfsfindungs-Prozesses vieler Beteiligter. Das betraf die Ausführung der gewünschten Gesamtfläche ebenso wie den Bauschmuck wie die expressionistisch zackigen Arkaden und ihre detailreichen Figuren, die verschlungenen Engel, Affen und Fische an den Decken der Durchgänge.
Die hohe Qualität der Ausstattung setzt sich auch in den detailreich ausgestalteten Foyers und Treppenhäusern fort, die fast schon Welten für sich darstellen und davon erzählen, wer hier firmiert hat vom Zeitungsausschnittdienst bis zur Ölkuchenmühle. Und dankenswerterweise bewahrt der heutige Eigner und Vermieter, die Union Investment, den authentischen Kontorcharakter in vielen Details wie dem Original-Linoleumbelag oder den typischen Eingangshallen.
Ein weiterer entscheidender Mann am richtigen Platz war der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher, von Anfang an für das entstehende Quartier richtungsweisend. Schumacher definierte einen Masterplan mit großen, charaktervollen Baumassen, die wie ausgeprägte Individuen miteinander und gegeneinander wirken. Nur in solchen Dimensionen konnte das Chilehaus wohl zu einem Symbol der Weimarer Republik, des Unternehmertums und der wirtschaftlichen Erholung nach dem Ersten Weltkrieg werden. Übrigens: Um die Wirkung der Bugspitze herauszustellen, korrigierte Schumacher eigens den Straßenplan.
Was nicht heißt, dass schon vor 90 Jahren jeder Winkel hier als Attraktion galt. Im Gegenteil: Wo heute Goot und Manufactum grüßen, befand sich der berüchtigte Verbrecherkeller, eine von mehreren gefährlich niedrigen Kaschemmen, in denen die Unterwelt verkehrte. Als zu schützen galten da in erster Linie die braven Bürger, noch nicht die Architektur.
Die Wertschätzung für kreative, geschichtsträchtige Bauten ist inzwischen deutlich gewachsen. Zugleich bleibt die Stadt in Bewegung, wird neu- und umgestaltet, während sich auch die Bedürfnisse ihrer Bewohner und der Unternehmen ändern.
- Senat und Bezirke bauen endlich wieder neue Wohnungen 30.000, vielleicht 35.000 werden es bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Frühjahr sein ,
- Gewerbliche Nutzungen sind dank modernem Lärm- und Emissionsmanagement zunehmend auch in der unmittelbaren Nachbarschaft von Wohngebieten vertretbar,
- und insgesamt werten wir gerade vermeintlich weniger attraktive Stadtteile behutsam auf, ohne zu verdrängen.
Wohnen und gesellschaftliches Leben kehren nach und nach auch in die City und an den Hafen zurück: Der Hof des Chilehauses ist einer der charmantesten Orte der Innenstadt und zum Lunch oder Kaffee ein idealer Treffpunkt. Dem Instituto Cervantes verdankt das Chilehaus den Besuch des spanischen Thronfolgerpaares vor einiger Zeit, die vielseitigen Lokale und Geschäfte ziehen auch an Tagen ohne Staatsbesuch ein vielfältiges Publikum an, und so kreuzen sich hier die Wege in einem lebendigen, gern genutzten Denkmal für alle.
Meine Damen und Herren,
Anfang 2013 hat Hamburg den Denkmalschutz neu ausgerichtet und das Denkmalschutzgesetz so geändert, wie es sich Viele schon lange gewünscht haben. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass wir mit der Bewerbung um die Aufnahme der Speicherstadt und des Kontorhausviertels mit dem Chilehaus in die UNESCO-Welterbeliste unser Bekenntnis zum Erhalt und zur Pflege unserer gewachsenen Identität gerade an einem Ensemble festmachen, das einen weitgehenden Abriss der ursprünglichen, teilweise ausgesprochen prächtigen Altstadt erforderte. Vor Schumacher, mit dem Abriss des barocken Stadtteils, den die Speicherstadt dann ersetzte, war bereits Hamburgs nicht ganz gerechtfertigter Ruf von der Freien und Abriss-Stadt begründet worden.
Fritz Schumacher und seinen Architekten verdanken wir aber vor allem die Neuerrichtung zahlreicher signifikanter und qualitativ hochwertiger Bauten in zuvor heruntergekommenen Quartieren und ästhetische und funktionale Leistungen, die aus Hamburg nicht mehr wegzudenken sind.
Dass urbane Konzepte zu verschiedenen Zeiten denkbar unterschiedlich bewertet werden, war und ist wiederum ein Phänomen aller Jahrhunderte. Das Chilehaus, obwohl ganz Ausdruck seiner Zeit, ist dagegen niemals wirklich aus der öffentlichen Gunst gefallen. Erlauben Sie mir den Kalauer: Es ist und bleibt Spitze!
Ich gratuliere den Eignern und allen Nutzern zu diesem 90. Jubiläum und hoffe mit Ihnen gemeinsam, dass das 100. in einer anerkannten UNESCO-Welterbestätte begangen werden kann. Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.