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19.06.2014

Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Krieg & Propaganda

Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung Krieg & Propaganda

 

 

Sehr geehrte Frau Professor Schulze,
sehr geehrter Herr Dr. Hess,
sehr geehrter Herr Conrad,
sehr geehrte Damen und Herren.

in vielen Veranstaltungen und Ausstellungen wird in diesem Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges gedacht. Wir blicken dabei 100 Jahre zurück auf die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die einen bis heute spürbaren Epochenbruch brachte.

Wir erkennen in diesen Tagen wieder aufs Neue, dass der Blick weit zurück in die Geschichte notwendig ist, um zu begreifen, warum wir heute so dastehen, wie wir dastehen. Und warum es eine unschätzbare Errungenschaft ist, dass wir heute in Europa in Frieden und Freundschaft miteinander leben.

 

Angesichts der Bilder, die uns mittlerweile seit Monaten aus der Ukraine erreichen, ist diese Erinnerung umso wichtiger.

 

Der Konflikt in der Ukraine, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und die anhaltenden Spannungen haben manche schon einen neuen Kalten Krieg heraufbeschwören lassen. Andere sahen die Politik in einer Eskalationsspirale, die sie an 1914 erinnerte.

 

Angesichts dieser jüngsten Entwicklung des Verhältnisses zwischen Russland und Europa sehen wir erneut, wie fragil Frieden und Freundschaft doch sein können und wie behutsam wir politisch miteinander umgehen müssen.

 

Es ist uns gelungen, die Eskalation zunächst zu stoppen auch weil wir trotz allen Streits bis heute nicht aufgehört haben, miteinander zu reden.

 

Ich erinnere immer noch den beeindruckenden Auftritt von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, als er direkt vom Maidan zum Mathiae-Mahl kam und von seinen Entspannungsbemühungen berichtete.

 

Mittlerweile ist in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt worden. Ich hoffe, dass es der Ukraine und Russland jetzt gelingen kann, wieder als gute Nachbarn zu leben. Das gilt auch für uns Europäer und unser Verhältnis zu Moskau.

 

Die wichtigsten Lehren von 1914 sind die,

  • dass wir sehr sorgsam und respektvoll miteinander umgehen müssen,
  • dass wir unsere Interessen wechselseitig als berechtigt anerkennen und
  • dass wir danach streben, miteinander und nicht übereinander zu reden.

Meine Damen und Herren,
wozu nämlich das Übereinander-Reden führen kann, zeigt die Ausstellung, die wir heute eröffnen. Ich bin dem Museum für Kunst und Gewerbe dankbar, dass es zu der notwendigen Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs eine wichtige Facette hinzufügt.

 

Schließlich war dieser Krieg nicht nur der erste, der mit der ungebremsten technischen Maschinerie der Industriegesellschaft geführt wurde.
Er war auch der erste Krieg zwischen zunehmend von Massenmedien geprägten Gesellschaften.

 

Der erste Weltkrieg war der erste Medienkrieg in der Geschichte. In ihm entdeckten die Militärs und Staaten die Medien als Waffen.

 

Die Propaganda des Krieges beschränkte sich nicht mehr nur auf das Erzählen motivierend verklärter Heldengeschichten, sondern nutzte das gesamte Arsenal der damals neuen Medien. In der Ausstellung sieht man die Bandbreite von der Feldpostkarte bis zum gezielt inszenierten Film, mit der die Kommunikation an der Heimatfront geführt wurde.

 

Seien es die frühe Kriegsbegeisterung des Herbstes 1914 oder die die Wucht der Schockbilder gegnerischer Gräueltaten von 1917 immer stand hinter der Botschaften und Bildern ein erklärtes Ziel.
Es ging darum, die Geschichte der eigenen Kriegsaktivitäten zu erzählen und sie bis tief in das Alltagsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger hinein wirken zu lassen.

 

Kriege so die Prämisse dieser militärisch gesteuerten Bemühungen gewinnt man nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten und Bildern, die der Bevölkerung den Sinn der Unternehmung vermitteln sollten. Schließlich war es die Heimatfront, die im industriellen Krieg für die Versorgung der Truppe sorgen musste.

 

Alle Kriegsparteien versuchten daher, den Krieg zu inszenieren. Dort wo die Herrscherhäuser der so genannten Achsenmächte sich selbst als Hüter traditioneller Stärke und Bedeutung in Szene setzen ließen, arbeitete die marktwirtschaftliche Demokratie der Vereinigten Staaten bereits mit den modernen Ästhetiken der kommerziellen Werbung und des Kinofilms.

 

Es ist aufschlussreich, die Ausstellungsobjekte im gedanklichen Gegenschnitt zur heutigen Berichterstattung und Information über bewaffnete Konflikte zu betrachten. Dabei fallen strukturelle Gemeinsamkeiten, aber eben auch gravierende Unterschiede auf.

 

Der größte Unterschied liegt in der Art und Weise, in der die Militärs und Staaten ihre Bürgerinnen und Bürger gesehen haben. Sie wurden damals als Masse adressiert, als weitgehend homogene, von einfachen Gefühlen bestimmte Gruppe, die man durch gezielte Bilder und Informationen in Wallung bringen konnte.

 

Propaganda als Grundform gesellschaftlicher Kommunikation funktionierte insofern auf der Grundlage vermeintlich einfacher Reiz-Reaktions-Schemata.
Die gesellschaftlichen Eliten wähnten sich angesichts der modernen Massenmedien im Besitz präziser Instrumente zur Lenkung der Massen.

 

Nach deren damaliger Annahme die übrigens von der gerade entstandenen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ausdrücklich nicht geteilt wurde war die Masse zwar kaum zu vernünftiger Überlegung fähig, dafür aber umso mehr zur Tat geneigt. So schrieb es zum Beispiel der französische Philosoph Gustave Le Bon bereits 1895 in seinem Klassiker Psychologie der Massen.

 

Dieses Denken und der Glaube, dass sich in der Bevölkerung so etwas wie eine Massenseele entwickele, die es gezielt anzusprechen gelte, prägten die damalige Kommunikation und Propaganda.

 

Heute ist nicht nur unser Menschenbild ein völlig anderes, an Vernunft und Eigenverantwortung orientiertes. Sondern wir wissen mittlerweile auch, dass es Reiz-Reaktions-Schemata zwischen Medienimpuls und Rezeption nicht gibt.

 

Medienwirkungen sind vielmehr das Ergebnis eines komplexen, vielschichtigen und sehr individuellen Prozesses.

 

Aufbauend auf dieses Wissen sieht man die damaligen Kommunikationsbemühungen noch einmal mit anderen Augen. Ich frage mich: Wie haben die Bürgerinnen und Bürger damals diese Plakate und Filme gesehen? Dass sie Zerstreuung suchten und deshalb die heilen Welten mancher Inszenierung als willkommene Ausflucht sahen, kann man unterstellen.

 

Aber wie sieht es aus mit der schnörkellosen Propaganda, der Dämonisierung anderer Völker, den gezielten Heldengeschichten? Wurde das damals geglaubt oder nicht doch eher erduldet als Teil einer Vereinheitlichung des Denkens und Fühlens, der man im Alltag an der Heimatfront nicht entrinnen konnte?

 

Und wann wurde die Fassade so brüchig, dass sie den Blick auf die Gräuel dahinter nicht mehr zu verstellen vermochte?

 

Das sind Fragen, die sich mir stellen, wenn ich mich mit der Ausstellung beschäftige. Und das sind Fragen, die uns auch heute umtreiben sollten, wenn wir die Geschichten unserer Zeit in der Zeitung, im Netz oder im Fernsehen lesen oder schauen.

 

Wie gehen wir beispielsweise um mit den Videos aus Syrien, die sich auf YouTube finden lassen? Wie stellen wir fest, ob sie echt sind oder nur die geschickte Aufarbeitung der Sicht einer Kriegspartei? Die Tagesschau-Redaktion hat eigens ein kleines Team eingerichtet, um solchen Fragen nachzugehen und die Echtheit der Behauptungen in diesen Schnipseln zu prüfen.

 

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und der Entdeckung der Medien als Waffe hat sich schließlich ein wesentlicher Umstand verändert: Heute sind die Medien selbst zum Schlachtfeld geworden.

 

Heute werden Kriege in den Medien und für die Medien geführt. Spätestens seit den Kriegsfotografien aus Vietnam und allerspätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass Medienbilder den Kurs der Geschichte und den Verlauf von Kriegen verändern können.

 

Gerade weil die Medien moderner Demokratien westlicher Prägung unabhängig und frei sind, werden sie zu Schauplätzen der Bedeutung und Ausdeutung, mit denen sich Kriegsparteien heutzutage sehr strategisch auseinandersetzen, um die behauptete Legitimation ihres Handelns zu bewahren.

 

Wir können uns deshalb zwar glücklich schätzen, dass wir unabhängige Medien haben, die verhindern, dass zentral gelenkte Propaganda-Apparate entstehen und wirksam werden können.

 

Gleichwohl müssen wir aber wachsam bleiben, um nicht einer der vielen kleinen Manipulationen auf den Leim zu gehen, die es im Alltag der Medien auch heute immer wieder gibt.

Meine Damen und Herren,
die Ausstellung Krieg & Propaganda wirft einen ganz eigenen, hochaktuellen Blick auf die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt uns, die technische Möglichkeiten nicht nur die Gräuel des Krieges, sondern auch die Austrocknung einer eigenständigen Öffentlichkeit beförderten.

 

Gerade in der Zusammenschau mit den Alltagsgegenständen aus jener Zeit, die das Museum gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt bei den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt eingesammelt hat, bekommt man so einen guten Blick dafür, welche Errungenschaften wir heute zu verteidigen haben.

 

Dazu gehören nicht nur scheinbar abstrakte Institutionen wie unsere parlamentarische Demokratie oder die Europäische Union, sondern dazu gehört eine tief verankerte innere Wachsamkeit und Sensibilität für das Funktionieren unserer öffentlichen Kommunikation.

 

Unsere Demokratie ist nämlich in ihrem innersten gesellschaftlichen Kern darauf angewiesen,

  • dass wir exzentrische Polarisierungen vermeiden und uns stattdessen um das Vernünftige kümmern,
  • dass wir mit Argumenten darüber streiten, was wir für das Vernünftige halten und
  • dass wir am Ende als mündige Bürgerinnen und Bürger auch in der Lage sind, uns zu einigen.

Wo die Kriegspropaganda vor hundert Jahren mit dem Mittel der emotionalen Überredung, ja: Überrumpelung, unterwegs war, setzen wir heute auf Überzeugung. Propaganda ist zu Recht zu einem Schimpfwort geworden.

 

Auch deshalb ist es klug, diese spezifische Perspektive auf den Ersten Weltkrieg in einer Medienmetropole wie Hamburg der Öffentlichkeit zu präsentieren. Er erinnert uns daran, was wir hier in Hamburg mit großen und kleineren Redaktionen, großartigen Journalistinnen und Journalisten an demokratischer Innenausstattung aufgebaut haben und was wir heute mit aller Verve verteidigen sollten:

 

Die Überzeugung nämlich, dass Öffentlichkeit nichts ist, was Staaten oder Militärs mit zentralistischer und geplanter Absicht herstellen. Sondern dass Öffentlichkeit das selbstständige und selbstbestimmte Forum einer Gesellschaft ist, in der Vernunft aus der Vielheit ihrer Stimmen wächst.

 

Manches Mal wird uns das erst dann wieder so recht bewusst, wenn wir den kontrastierenden Blick zurück auf eine Zeit werfen, in der es ganz anders war.

 

Der Besuch der Ausstellung jedenfalls weckt die Lust und die Leidenschaft, unser Leben in Frieden und Freiheit auch im alltäglichen Kleinen mit aller Macht zu verteidigen. Das ist und bleibt die dauernde Aufgabe aller Demokraten!

 

Schönen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort.