Grußwort zur Eröffnungsveranstaltung Demografiekonzept Hamburg 2030
Sehr geehrter Herr Dr. Dittmer,
sehr geehrte Frau Haist,
sehr geehrter Herr Dr. Klingholz,
sehr geehrter Herr Vizepräsident
der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine Damen und Herren,
sehr gern eröffne ich heute diese wichtige Veranstaltung zu einem großen Thema und begrüße Sie alle sehr herzlich.
Ein großes Thema, das war jetzt nicht so dahingesagt, sondern ich will damit anknüpfen an das große Wort: Demografiekonzept und das Wagnis, das damit verknüpft ist, wenn man ein umfangreiches Papier mit diesem Titel vorlegt, wie es die Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks im März getan hat. Und dabei ausdrücklich das Jahr 2030 anpeilt. Ihr und allen Mitwirkenden gebührt dafür der Dank des Senats und der ganzen Stadt.
Kann man konzipieren, wie sich die Bevölkerung in einer Region, in einem Land entwickelt? Wie sie wächst oder auch nicht? Wohin es Männer, Frauen, Kinder, Familien, Singles zieht?
Im Großen und Ganzen kann man es nicht, denn es zieht sie immer dorthin, wo sie die besten Chancen für sich sehen, auf ein auskömmliches, selbstbestimmtes, glückliches Leben. Das ist auf der ganzen Welt so, zunehmend auch innerhalb Europas, in diesem Kontinent, der ja so groß nicht ist, dessen Binnengrenzen auch die kulturellen, sprachlichen, ebenso wie die des Arbeitsmarktes mehr und mehr verblassen.
Viele zieht genau diese Hoffnung auf ein auskömmliches, selbstbestimmtes, glückliches Leben auch nach Europa, über natürliche und künstliche Grenzen hinweg. Also ganz anders als im 19., auch noch 20. Jahrhundert, als viele europäische Auswanderer, auch viele Deutsche, bessere Chancen in Übersee für sich suchen und finden mussten.
Möglicherweise wird der Anteil der Arbeitsmigranten besser gesagt: derer, die es aus guten Gründen anstreben, in Europa zu arbeiten mittel- und langfristig höher sein als der Anteil derjenigen, die unterwegs sind, um vor politischer Verfolgung oder Krieg zu flüchten. Die jetzt aktuelle Situation ist, wie wir wissen, eine bedrückend andere, auch hier in Hamburg. Trotzdem sage ich gerade auch im heutigen Zusammenhang: Es ist wichtig, sich Gedanken über regelhafte Zuwanderungsmöglichkeiten zu machen. Die Perspektiven einer legalen Zuwanderung müssen so sein, dass sie die europäischen Arbeitsmärkte nicht überfordern. Gleichzeitig muss sie attraktiv genug sein, um die Zahl derjenigen deutlich zu vermindern, die lebensgefährliche Wege beschreiten, um nach Europa zu kommen.
Das, meine Damen und Herren,
war gleich zu Beginn ein großer gedanklicher Bogen, aber ich glaube der ist notwendig, wenn man die Frage nach dem Konzept seriös beantworten will. Ich habe eben gesagt: Im Großen und Ganzen kann man die Entwicklung und Mobilität der Bevölkerung nicht konzipieren. Allerdings mit der folgenden Einschränkung:
Die Wissenschaft von der Demografie kann heute viel, und mein Respekt vor denjenigen, die einschlägige Statistiken führen, interpretieren und Prognosen daraus ableiten, ist hoch.
Verstanden habe ich die Demografen so, dass sich auf Deutschland bezogen die künftige Bevölkerungszahl wie auch deren altersmäßige Zusammensetzung in zehn, zwanzig, dreißig und mehr Jahren ziemlich exakt voraussagen ließe wenn das Ganze unter einer Glasglocke stattfände. Wenn die jetzt in Deutschland Lebenden allein zuständig wären für die im statistischen Fachjargon Fortschreibung ihrer gut 81 Millionen starken Community.
Dann wäre es mit Hilfe der heutigen Rechnergeneration einfach, denn man weiß,
wie viele komma wie viele Kinder
Frauen welchen jetzigen Alters und welchen Kulturkreises bekommen werden. Man weiß auch, wie viele der jetzt in Deutschland Lebenden bis wann gestorben sein werden. Und, daraus zu kombinieren, wie sich im Laufe der Zeit die Alterspyramide entwickelt, wohlgemerkt: der jetzt in Deutschland Lebenden. Man weiß das alles sehr genau, immer vorausgesetzt, es ist uns eine friedliche Zukunft ohne solche Katastrophen wie im 20. Jahrhundert vergönnt.
Doch es werden uns ja auch Männer, Frauen, Kinder, die jetzt in Deutschland leben, verlassen, und es werden andere einwandern. Und weil das die beiden im statistischen Fachjargon Parameter sind, die sich nur vage vorhersehen und nur sehr bedingt steuern lassen, ist genau da der Unsicherheitsfaktor, der die Rechnung und die Prognosen schwierig macht.
Wobei wir aus den Erfahrungen anderer Forschungszweige vielleicht lernen sollten, lieber von Szenarien oder Korridoren zu sprechen als von Prognosen.
Was wir aber wissen, weil wir es jetzt erleben und weil gewöhnliche Alltagslogik ausreicht, um es auch als Zukunftsszenario zu sehen, ist: dass Bewegung, auch im Sinne von Migration, ganz selbstverständlich zur heutigen und künftigen Welt, zu Europa, zu Deutschland und zu Hamburg gehört.
Überall auf der Welt gilt dabei zweierlei. Erstens sind es die jungen Leute, die mobil sind, die den Lebensmittelpunkt dahin verlegen, wohin zu gehen attraktiv ist.
Zweitens sind es überall in der Welt, keineswegs nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die Städte, von denen die große Anziehungskraft ausgeht.
Eine aktuelle Untersuchung der Europäischen Kommission hat ergeben, dass derzeit ungefähr 72 Prozent der Einwohner in Städten und Vorstädten leben, das sind knapp 360 Millionen, wohlgemerkt nur in der EU. Die Landflucht, wenn man sie so nennen will, habe sich zwar verlangsamt, dennoch könne man von mehr als 80 Prozent städtischer Bevölkerung bis 2050 ausgehen.
Dabei geht es nicht nur um große, sondern auch mittlere und kleine Städte. Trotzdem ist es gerade in Deutschland offensichtlich, dass im scharfen Kontrast zu den ländlichen Räumen, und zur Bundesrepublik insgesamt, die großen Städte und ihre Metropolregionen wachsen und dass das auch seine Logik hat, eine letztlich simple Logik, die sich daraus ergibt, dass in den großen Städten der pursuit of happiness die besten Aussichten hat. Nicht weil die mit Gold gepflastert wären, wohl aber mit erfüllbaren Hoffnungen.
Damit bin ich bei Hamburg, meine Damen und Herren. Denn diese Stadt sagt ja zur
Veränderung, zum Wachstum und dazu, eine Hoffnungs- und Ankunftsstadt zu sein.
Städte das betone ich immer wieder und nenne Hamburg als eines der besten Beispiele sind Standorte für Innovation in einem ganz umfassenden Sinn, nicht nur für Bildung, Wissenschaft und Forschung; das sowieso und in Hamburg empirisch belegt auch mittels Ausgaben für jeden einzelnen Studenten an Hamburgs Hochschulen, die jene in Bayern oder Baden-Württemberg weit übertreffen. Das war jetzt nur eine Randbemerkung. Was ich eigentlich meine, ist die innovative Qualität des zusammen Lebens, Arbeitens, Forschens, Wirtschaftens, Kommunizierens, die Städten eigen ist.
Städte sind, im Zusammenwirken mit ihren Metropolregionen, Versorgungszentren und, was das betrifft, übrigens auch Rollenmodelle für umweltverträgliches Wirtschaften und Konsumieren. Nicht auf allen Feldern sie sind im Zentrum nicht leise und keine Luftkurorte , aber wer mit seinem, in ländlicher Umgebung vielleicht nützlichen, Sports Utility Vehicle ins Parkhaus Große Bleichen fährt, wird die urbanen Transportmittel Bus und U-Bahn auf Dauer vielleicht attraktiver finden.
Das muss man ja mitdenken und mitsagen, wenn es heißt: Städte nehmen nur soundsoviel Prozent der Fläche ein, erzeugen aber ein Vielfaches an CO2. Man muss dagegendenken und dagegen sagen, dass sie Stadt und Land versorgen und man auch hier nach dem Verursacherprinzip rechnen sollte.
Meine Damen und Herren,
Stadtleben ist in. Knapp 1,8 Millionen, das ist heute in etwa die Zahl der Einwohner und Einwohnerinnen Hamburgs. Ich will ihnen eine weitere Zahl nennen: 1,57 Millionen und ein bisschen. Das war die Bevölkerungszahl 1986. Damals gab es Banken, die ihren Kunden rieten, sich lieber ein Haus im Alten Land zu kaufen als eine Mietskaserne aus dem 19. Jahrhundert am Großneumarkt. Es war der Höhepunkt der Suburbanisierungswelle, und die hat damals den Kanal freigespült für die täglichen Pendlerströme, in denen sich in Hamburg heute jede und jeder Dritte Beschäftigte zweimal täglich bewegt wie ein Fisch in der Reuse. Warum? Weil sich die Stadt viel zu lange als closed shop verstanden hat, die zwar Arbeit bietet, aber keinen Platz zum Wohnen und Leben.
Das machen wir jetzt anders, weil wir erkannt haben, dass Infrastruktur in einem viel umfassenderen Sinn bereitstehen muss, als wir gemeinhin unter diesen Begriff gefasst haben. Dass da ein großer Bogen zu schlagen ist, vom ganztägigen Kita-, Schul- und überhaupt Bildungsangebot über die Modernisierung großer Teile des öffentlichen Verkehrs. Und natürlich bis hin zu einem guten, einem in Umfang und Qualität möglichst bald sehr guten Angebot an bezahlbarem Wohnraum.
Meine Damen und Herren,
die Prognosen nein, die Szenarien und Korridore besagen, dass es in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts mehr als 1,9 Millionen Hamburger und Hamburgerinnen geben wird, vielleicht sogar mehr als zwei Millionen. Daraus müssen wir uns nicht nur vorbereiten, sondern darauf wollen wir und vorbereiten, aus Überzeugung und weil Hamburg vielerlei Wachstum braucht, auch das an Einwohnern, an aktiven Teilnehmern an dem Konzept Zusammenleben in der Stadt.
Das scheint mir der tiefere Sinn hinter dem Erarbeiten eines Demografiekonzeptes zu sein.
Hingegen nicht so sehr die Frage, die ja manchmal als bange Frage gestellt wird: Wie alt werden wir?
Alt werden wir hoffentlich alle, und gut beieinander werden wir hoffentlich bleiben. Ist es nicht eine überaus positive, eine ganz wunderbare Entwicklung, dass immer mehr Frauen und Männer ein höheres Lebensalter erreichen als in früheren Generationen? Allerdings folgt daraus, dass wir vorausschauend daran mitwirken müssen: dass immer mehr Hamburgerinnen und Hamburger immer länger selbständig und eigenverantwortlich wohnen, am sozialen Leben teilnehmen, ihre Erfahrungen und Kenntnisse weitergeben können und die Möglichkeit haben müssen, es zu tun. Auch bei nachlassender Mobilität.
Darauf wird sich Hamburg einstellen, zum Beispiel indem es die sich abzeichnenden Möglichkeiten einer smart care koordiniert weiter entwickelt. Wir wollen ein Modellstandort und Versorgungs-zentrum für Telemedizin werden mit dem Ziel, dies konkret und großflächig einzusetzen, das heißt: auch zum Nutzen entlegenerer Orte in der Metropol- und überhaupt norddeutschen Region.
Es geht uns also auch um die älter werdende Generation, aber nicht aus dem Zusammenhang isoliert. Wir wollen, dass junge Familien genauso gern in Hamburg wohnen und arbeiten, wie Alte oder Ältere. Wenn wir den demografischen Wandel richtig gestalten, entsteht genau daraus ein Gewinn für die ganze Stadt.
Das ist dann unsere demografische Rendite. Dieser Begriff wird zuweilen benutzt, wenn von abnehmenden Schüler-, Studenten- oder Erwerbstätigenzahlen die Rede ist. Wir benutzen ihn umgekehrt. Wir werden für unsere demografische Rendite arbeiten, indem wir darauf hinwirken, dass viel mehr gut ausgebildete, optimistische Stadtbewohner, für die und deren Familien das urbane Leben attraktiv ist, mit anpacken und die Voraussetzung dafür schaffen, dass auch die Alten hier gut leben können.
Auch dafür muss eine Ankunftsstadt viel mehr auf das Thema Bildung sehen! In Hamburg beträgt der Anteil der Bevölkerung mit Zuwanderungs-geschichte gut ein Viertel, das ist der höchste Anteil aller Bundesländer. Hamburg, ich wiederhole es, begrüßt und fördert Zuwanderung und Hamburg weiß: Voraussetzung für zukunftsfähiges urbanes Wachstum ist eine erstklassige Schul- und Ausbildungslandschaft. Unabhängig vom Elternhaus müssen alle Kinder und Jugendlichen eine ausreichende Bildung erwerben können. Das erfordert Krippen, Kitas, Grundschulen mit kleinen Klassen; ferner Gymnasien und Stadteilschulen, die beide zum Abitur führen können. Und eine Ganztagsbetreuung von der Kita bis zum Abitur.
Weil die Vielfalt der kulturellen Hintergründe und Lebenslagen in Hamburg größer wird, brauchen wir eine Strategie zum Umgang mit den Chancen und Herausforderungen demografischer Veränderungen. Wir brauchen dabei auch den Blick über den Tellerrand von Legislaturperioden oder Behördenzuständigkeiten hinaus, damit Hamburg langfristig attraktiv bleiben kann: für Familien mit Kindern, für junge Leute in der
Ausbildungs- und Berufseinstiegsphase, wie auch für Fachkräfte und für Senioren. Das sind die ab 40, in manchen Sportarten.
Aber gerade Sportler wissen: Mit zunehmendem Alter nimmt vielleicht die Kondition ab, aber nicht die taktische Disziplin und schon gar nicht der Ehrgeiz. Am allerwenigsten das Recht, sich lautstark einzubringen, wenn über passives Abseits diskutiert wird.
Da sollte in Hamburg niemand stehen. Ich hoffe auf die aktive Teilnahme aller Jungen und Alten Stadtbewohner am Gestalten, Pflegen, Abkreiden und Beackern des Spielfeldes Hamburg.
Verbunden sind wir der Körber-Stiftung für das engagierte Mitorganisieren und Mitgestalten der heutigen Eröffnung.
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.